Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 2/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 442/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts des Klägers mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010, die der Kläger mit 4.148,00 EUR beziffert.
Der 0000 geborene Kläger ist seit April 2005 geschieden. Seit 2005 bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), zunächst von der Agentur für Arbeit Calw bzw. Nagold-Calw, seit 18.07.2011 von dem Beigeladenen.
Am 18.02.2010 beantragte er bei der Agentur für Arbeit Calw die Übernahme seiner Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter unter Hinweis auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010. Damals lebte der Kläger in Oberkollbach, seine Tochter ca. 340 km entfernt in O ... Durch Bescheide vom 08. und 09.06.2010 bewilligte die Agentur für Arbeit Calw unter Bezugnahme auf die BVerfG-Entscheidung für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010 Sonderbedarfe (Fahrtkosten) in monatlicher Höhe von 74,00 EUR. Durch weiteren Bescheid vom 14.12.2010 lehnte die Agentur für Arbeit Calw die Übernahme weiterer Fahrtkosten ab 01.11.2010 ab. Die gegen diese Bescheide eingelegten Widersprüche wies sie durch Widerspruchsbescheide vom 03.03., 14.04. und 15.04.2011 zurück. Dagegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Karlsruhe – S 14 AS 175/11 – Klage. Die Höhe der Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010 bezifferte mit 3.954,70 EUR.
Am 18.07.2011 beantragte der Kläger bei der Agentur für Arbeit Nagold-Calw die Übernahme seiner Fahrtkosten zur Wahrung des Umgangsrechts mit seiner Tochter rückwirkend ab Oktober 2008. Die Agentur für Arbeit Nagold-Calw lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 18.07.2011 ab; sie verwies auf die Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1, 3, 4/09), wonach im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II neben den durchschnittlichen Bedarfen, die mit der Regelleistung abgedeckt sind, auch unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarfe, die in atypischen Lebenslagen anfallen, zu decken seien; für die Zeit ab dem Tag der Entscheidung bis zur Schaffung einer eigenen Rechtsgrundlage im SGB II habe das BVerfG angeordnet, dass sich der Anspruch direkt aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG ergebe; für die Zeit davor fehle es nach Auffassung des BVerfG an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für die Gewährung von zusätzlichen Leistungen; deshalb könnten für die Zeit vor Februar 2010 Sonderbedarfe nicht gewährt werden. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Dagegen erhob der Kläger am 19.08.2011 weitere Klage vor dem SG Karlsruhe – S 14 AS 3589/11 – auf Erstattung seiner Fahrtkosten für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.01.2010.
Seit Juli 2011 wohnt der Kläger in O., Er bezieht seit 18.07.2011 nunmehr von dem Beigeladenen Leistungen nach dem SGB II.
Am 09.05.2012 schlossen der Kläger und die Beklagte der Verfahren S 14 AS 175/11 und S 14 AS 3589/11 vor dem SG Karlsruhe den folgenden Vergleich: "1. Der Beklagte zahlt an den Kläger zur Abgeltung der hier streitigen Forderung einen einmaligen Betrag in Höhe von 3.000,-EUR. 2. Der Beklagte nimmt die Klage mit dem Az. S 14 AS 3589/11 zurück. 3. Der Beklagte trägt vier Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers. 4. Die Beteiligten erklären die Verfahren einstimmig für erledigt."
Am 28.02.2012 beantragte der Kläger bei dem beklagten Sozialhilfeträger Sonderbedarfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), u.a. Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts.
Durch Bescheid vom 21.03.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der SGB II-Träger habe den Sonderbedarf ab 01.02.2010 bewilligt und für die Zeit von Oktober 2008 bis Januar 2010 mangels rechtlicher Grundlage abgelehnt; Personen, die – wie der Kläger – dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II seien, erhielten keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Dagegen erhob der Kläger am 29.03.2012 Widerspruch. Er vertrat die Auffassung, ihm stehe der Anspruch nach § 73 SGB XII zu. Er verwies auf das Protokoll des SG Karlsruhe vom 09.05.2012 und den dort geschlossenen Vergleich. Er nahm Bezug auf ein Schreiben vom 29.10.2008 an den Beklagten. Der Text dieses Schreibens lautet:
"Betr. Mein Antrag auf Unterkunftskosten
Sehr geehrte Frau ,
anbei übergebe ich Ihnen die geforderten Unterlagen zur Bearbeitung meines Antrages.
1. Überweisungsbelege über die Mietzahlungen der letzten 6 Monatsmieten 2. Mietbescheinigung, bestätigt von meiner Vermieterin 3. Meldebescheinigung der Gemeinde Oberreichenbach
Des Weiteren möchte ich Ihnen eine Kopie meines Bescheides über die Leistungen für Unterkunft und Heizung vom 22.05.06 übergeben. Ich habe diese Bestätigung für genau die gleiche Wohnung, gleicher Ort usw. damals erhalten, allerdings mit einem total anderem Leistungsbetrag.
Zur Verständigung möchte ich Sie noch darüber in Kenntnis setzen, daß ich eine 7jährige Tochter habe. Sie ist alle 14 Tage vom Freitag bis Sonntag bei mir und die Hälfte der Ferien. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß während dieser angegebenen Zeit das zweite Zimmer erforderlich ist.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen."
Der Kläger behauptete, dass er in diesem Schreiben auch mitgeteilt habe, dass er seine Tochter regelmäßig abhole und ihr dann bei sich Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung stelle.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 zurück. Zur Begründung führte er aus, Sozialhilfe setze frühestens ab dem Zeitpunkt ein, zu dem der Bedarf bekannt werde. Ein konkreter Bedarf für Fahrtkosten sei dem Sozialhilfeträger erstmals durch den Antrag vom 28.02.2012 bekannt geworden. Aus dem erwähnten Schreiben vom 29.10.2008 gehe nichts hervor, was auf Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts schließen lasse.
Dagegen hat der Kläger am 03.12.2012 Klage erhoben mit dem Antrag, ihm 4.148,00 EUR für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangs mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010 zu erstatten.
Bereits am 21.03.2012 hatte der Kläger – ebenfalls vor dem SG Aachen (4 AS 253/12) – Klage gegen das JobCenter Landkreis Calw erhoben. Mit dieser Klage macht er sämtliche Ansprüche in Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts geltend, u.a. auch Fahrtkosten im Zeitraum 01.11.2008 bis 31.01.2010, die er mit 2.590,00 EUR beziffert.
Im vorliegenden Verfahren vertritt der Kläger die Auffassung, dass der Vergleich vor dem SG Karlsruhe lediglich Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.10.2010 und vom 01.11.2010 bis 09.01.2011 erfasse; er enthalte keine Regelung, dass damit auch die Fahrtkosten für die Zeiträume davor erfasst sein könnten. Er meint weiterhin, ein erhöhter Bedarf sei dem Beklagten bereits mit dem Schreiben vom 29.10.2008 mitgeteilt worden; er habe seinerzeit bei dem Beklagten "genügend deutlich gemacht, dass natürlich auch Fahrtkosten anfallen, die er selber nicht tragen kann, was auf der Hand liegt"; auf Seiten des Beklagten habe man von Beginn an gewusst, dass seine Tochter in O. gelebt, dort von ihm abgeholt und in seiner Wohnung untergebracht worden sei. Er meint, es sei Sache des Beklagten gewesen, nachzuhaken und den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.148,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Schriftsatzes vom 26.02.2013 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass der Kläger im Schreiben vom 29.10.2008 keinen erhöhten Bedarf für Fahrtkosten geltend gemacht habe. Der Agentur für Arbeit sei ein Fahrtkostenbedarf erstmals mit Schreiben vom 18.02.2010 mitgeteilt worden; insoweit sei vor dem SG Karlsruhe ein Vergleich geschlossen worden. Für die Zeit davor komme eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII mangels Kenntnis eines Bedarfs nicht in Betracht; dies ergebe sich aus § 18 Abs. 1 SGB XII.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass Leistungen nach dem SGB II nur auf Antrag erbracht würden; der Kläger sei bei ihm erstmals am 18.07.2011 vorstellig geworden und stehe seitdem im Bezug von SGB II-Leistungen; erst seit diesem Datum bestehe eine Leistungszuständigkeit des Beigeladenen, nicht aber für die hier streitigen Fahrtkosten vom 26.10.2007 bis 27.06.2010.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen und den sonstigen Inhalt der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und des Beigeladenen sowie der beigezogenen Gerichtsakte S 4 AS 253/12 (SG Aachen) mit den darin befindlichen Verwaltungsakten des JobCenter Landkreis Calw und der Gerichtsakte S 14 AS 175/11 (SG Karlsruhe) Bezug genommen. Diese Unterlagen haben bei der Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010 aus Mitteln der Sozialhilfe.
Der Kläger bezieht seit 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wie der Kläger im Schriftsatz vom 26.02.2013 deutlich gemacht hat, die Übernahme von Fahrtkosten in Höhe von 4.148,00 EUR zur Wahrnehmung des Rechts des Umgangs mit seiner Tochter in der Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010. Es handelt sich dabei dem Grunde nach um einen von der Regelleistung nicht gedeckten unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf. Für einen solchen Sonderbedarf gab es bis zum 02.06.2010 im SGB II keine Anspruchsgrundlage. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte daher – auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB II – in § 73 SGB XII eine Grundlage für einen Anspruch zu Lasten des Sozialhilfeträgers gesehen, solche Sonderbedarfe – wie hier die Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts – zu decken. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (Satz 1); Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden (Satz 2).
Das BVerfG hat im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) das Fehlen einer Härtefallregelung zur Deckung eines solchen Sonderbedarfes im SGB II als verfassungswidrig festgestellt. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass auch § 73 SGB XII in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des BSG gefunden hat, keine Gewähr bietet, dass sämtliche atypischen Bedarfslagen berücksichtigt werden. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelungslücke bis 31.12.2010 zu schließen. Zugleich hat es entschieden, dass die verfassungswidrige Lücke "für die Zeit ab Verkündung des Urteils" durch eine entsprechende Anordnung des BVerfG geschlossen werden muss. Der Gesetzgeber hat der Vorgabe des BVerfG zur Regelung eines Anspruchs wegen eines Sonderbedarfs dadurch Rechnung getragen, dass er durch Artikel 3a des Gesetzes vom 27.05.2010 (BGBl. I S. 671) mit Wirkung ab 03.06.2010 einen neuen Absatz 6 in § 21 SGB II eingefügt hat. Die Vorschrift lautet: "Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht."
Bereits aus der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 und der darin enthaltenen ausdrücklichen und eindeutigen Übergangsregelung ergibt sich, dass ein Anspruch auf Deckung von Sonderbedarfen vor der Verkündung der Entscheidung, also vor Februar 2010 und also auch für den hier streitigen Zeitraum nicht besteht, weder nach dem SGB II noch nach dem SGB XII (vgl. hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 – 1 BvR 395/09; Groth, Anmerkungen zum Urteil des BSG vom 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R – in: juris PR-SozR 13/2010 Anm. 2).
Selbst wenn man – auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des BSG vor der Entscheidung des BVerfG – dem Grunde nach in § 73 SGB XII eine für den Anspruch des Klägers in Betracht kommende Grundlage sähe, wäre der konkret mit der Klage verfolgte Anspruch unbegründet. Leistungen nach § 73 SGB XII sind Leistungen der Sozialhilfe. Gemäß § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die Sozialhilfe (mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistungen vorliegen, d.h. dass ein entsprechender Bedarf besteht (Kenntnisgrundsatz). Der Antrag auf Gewährung eines Sonderbedarfs wurde bei dem beklagten Sozialhilfeträger erstmals am 28.02.2012 gestellt. Ausgehend – zu Gunsten des Klägers – davon, dass sich der Beklagte die Kenntnis eines anderen sozialen Leistungsträgers – hier: der Agentur für Arbeit Nagold-Calw – zurechnen lassen muss, hatte er bereits ab 18.02.2010 Kenntnis von einem Sonderbedarf, da sich an diesem Tag der Kläger mit seinem entsprechenden Antrag an die Agentur für Arbeit gewandt hat.
Vor diesem Datum hatte der Beklagte jedoch keine ihr zuzurechnende Kenntnis von dem Sonderbedarf "Fahrkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts". Insbesondere hatte er diese Kenntnis nicht aus dem an ihn gerichteten Schreiben des Klägers vom 29.10.2008. Weder aus dem Inhalt noch aus dem Kontext dieses Schreibens konnte und musste die Beklagte wissen, dass der Kläger Fahrtkosten hatte und geltend machen wollte. Das Schreiben bezieht sich ausdrücklich und ausschließlich nur auf – nicht näher substanziierte – "Unterkunftskosten". Der Kläger hat mit dem Schreiben Überweisungsbelege über Mietzahlungen, eine Mietbescheinigung und eine Meldebescheinigung der Gemeinde Oberreichenbach sowie die Kopie eines Bescheides über die Leistungen für Unterkunft und Heizung übersandt. Er hat im letzten Absatz des Schreibens den Beklagten darüber in Kenntnis gesetzt, "daß ich eine 7jährige Tochter habe. Sie ist alle 14 Tage vom Freitag bis Sonntag bei mir und die Hälfte der Ferien. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß während dieser angegebenen Zeit das zweite Zimmer erforderlich ist." Hier ging es also ausschließlich um Unterkunftskosten, nicht aber um Fahrtkosten. Für den Beklagten bestand weder Anlass noch Verpflichtung beim Kläger nachzufragen, ob und ggf. in welcher Höhe für ihn Fahrtkosten anfielen und ob er solche als Sonderbedarf geltend machen wolle.
Soweit der Kläger im vorliegenden Verfahren die Zahlung von Fahrtkosten nicht nur für die Zeit vom 26.10.2007 bis 31.01.2010, sondern darüber hinaus auch für die Zeit vom 01.02. bis 27.06.2010 geltend macht, steht einem solchen Anspruch auch entgegen, dass dieser bereits durch den am 09.05.2012 vor dem SG Karlsruhe geschlossenen Vergleich erfüllt ist. Denn Gegenstand dieses Vergleichs im Verfahren S 14 AS 175/11 waren gerade auch die Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010; diese hatte der Kläger damals mit 3.954,70 EUR beziffert. Zum Ausgleich dieser Forderung zahlte die dortige Beklagte aufgrund des geschlossenen Vergleichs 3.000,00 EUR an den Kläger. Dieser nahm im Rahmen des Vergleichs auch die Klage mit dem Aktenzeichen S 14 AS 3589/11 zurück. Die Beteiligten erklärten in dem Vergleich abschließend beide Verfahren für erledigt. Damit waren auch die im vorliegenden Verfahren vom Kläger erneut geltend gemachten Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 27.06.2010 durch den Vergleich abgegolten und die entsprechende Forderung erledigt.
Obwohl der Kläger bereits in der Vergangenheit vor dem SG Karlsruhe seine vor und seit Februar 2010 bis zum Umzug in den Kreis O. angefallenen Fahrtkosten zur Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit der Tochter geltend gemacht hat, und diese teilweise erfüllt wurden, macht er in den beiden laufenden Verfahren vor dem SG Aachen teilweise nach Umfang, Höhe und Zeitraum identische Fahrtkosten erneut geltend. Dabei scheut er nicht den Versuch, z.B. mit der bewusst falschen Wiedergabe des Inhalts des Schreibens vom 29.10.2008 im Anwaltsschriftsatz vom 24.05.2012, Leistungsträger und Gerichte aufs Glatteis zu führen. Solches Prozessverhalten liegt nahe an der Grenze zum Rechtsmissbrauch. Da sich aber das Recht nicht so leicht missbrauchen lässt und den Kläger mit seinem behaupteten Anspruch aus den dargelegten Gründen in seine Schranken weist, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts des Klägers mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010, die der Kläger mit 4.148,00 EUR beziffert.
Der 0000 geborene Kläger ist seit April 2005 geschieden. Seit 2005 bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), zunächst von der Agentur für Arbeit Calw bzw. Nagold-Calw, seit 18.07.2011 von dem Beigeladenen.
Am 18.02.2010 beantragte er bei der Agentur für Arbeit Calw die Übernahme seiner Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter unter Hinweis auf das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.02.2010. Damals lebte der Kläger in Oberkollbach, seine Tochter ca. 340 km entfernt in O ... Durch Bescheide vom 08. und 09.06.2010 bewilligte die Agentur für Arbeit Calw unter Bezugnahme auf die BVerfG-Entscheidung für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010 Sonderbedarfe (Fahrtkosten) in monatlicher Höhe von 74,00 EUR. Durch weiteren Bescheid vom 14.12.2010 lehnte die Agentur für Arbeit Calw die Übernahme weiterer Fahrtkosten ab 01.11.2010 ab. Die gegen diese Bescheide eingelegten Widersprüche wies sie durch Widerspruchsbescheide vom 03.03., 14.04. und 15.04.2011 zurück. Dagegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Karlsruhe – S 14 AS 175/11 – Klage. Die Höhe der Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010 bezifferte mit 3.954,70 EUR.
Am 18.07.2011 beantragte der Kläger bei der Agentur für Arbeit Nagold-Calw die Übernahme seiner Fahrtkosten zur Wahrung des Umgangsrechts mit seiner Tochter rückwirkend ab Oktober 2008. Die Agentur für Arbeit Nagold-Calw lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 18.07.2011 ab; sie verwies auf die Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1, 3, 4/09), wonach im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II neben den durchschnittlichen Bedarfen, die mit der Regelleistung abgedeckt sind, auch unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarfe, die in atypischen Lebenslagen anfallen, zu decken seien; für die Zeit ab dem Tag der Entscheidung bis zur Schaffung einer eigenen Rechtsgrundlage im SGB II habe das BVerfG angeordnet, dass sich der Anspruch direkt aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 1 GG ergebe; für die Zeit davor fehle es nach Auffassung des BVerfG an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für die Gewährung von zusätzlichen Leistungen; deshalb könnten für die Zeit vor Februar 2010 Sonderbedarfe nicht gewährt werden. Der dagegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen. Dagegen erhob der Kläger am 19.08.2011 weitere Klage vor dem SG Karlsruhe – S 14 AS 3589/11 – auf Erstattung seiner Fahrtkosten für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.01.2010.
Seit Juli 2011 wohnt der Kläger in O., Er bezieht seit 18.07.2011 nunmehr von dem Beigeladenen Leistungen nach dem SGB II.
Am 09.05.2012 schlossen der Kläger und die Beklagte der Verfahren S 14 AS 175/11 und S 14 AS 3589/11 vor dem SG Karlsruhe den folgenden Vergleich: "1. Der Beklagte zahlt an den Kläger zur Abgeltung der hier streitigen Forderung einen einmaligen Betrag in Höhe von 3.000,-EUR. 2. Der Beklagte nimmt die Klage mit dem Az. S 14 AS 3589/11 zurück. 3. Der Beklagte trägt vier Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers. 4. Die Beteiligten erklären die Verfahren einstimmig für erledigt."
Am 28.02.2012 beantragte der Kläger bei dem beklagten Sozialhilfeträger Sonderbedarfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), u.a. Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts.
Durch Bescheid vom 21.03.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der SGB II-Träger habe den Sonderbedarf ab 01.02.2010 bewilligt und für die Zeit von Oktober 2008 bis Januar 2010 mangels rechtlicher Grundlage abgelehnt; Personen, die – wie der Kläger – dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II seien, erhielten keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII.
Dagegen erhob der Kläger am 29.03.2012 Widerspruch. Er vertrat die Auffassung, ihm stehe der Anspruch nach § 73 SGB XII zu. Er verwies auf das Protokoll des SG Karlsruhe vom 09.05.2012 und den dort geschlossenen Vergleich. Er nahm Bezug auf ein Schreiben vom 29.10.2008 an den Beklagten. Der Text dieses Schreibens lautet:
"Betr. Mein Antrag auf Unterkunftskosten
Sehr geehrte Frau ,
anbei übergebe ich Ihnen die geforderten Unterlagen zur Bearbeitung meines Antrages.
1. Überweisungsbelege über die Mietzahlungen der letzten 6 Monatsmieten 2. Mietbescheinigung, bestätigt von meiner Vermieterin 3. Meldebescheinigung der Gemeinde Oberreichenbach
Des Weiteren möchte ich Ihnen eine Kopie meines Bescheides über die Leistungen für Unterkunft und Heizung vom 22.05.06 übergeben. Ich habe diese Bestätigung für genau die gleiche Wohnung, gleicher Ort usw. damals erhalten, allerdings mit einem total anderem Leistungsbetrag.
Zur Verständigung möchte ich Sie noch darüber in Kenntnis setzen, daß ich eine 7jährige Tochter habe. Sie ist alle 14 Tage vom Freitag bis Sonntag bei mir und die Hälfte der Ferien. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß während dieser angegebenen Zeit das zweite Zimmer erforderlich ist.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen."
Der Kläger behauptete, dass er in diesem Schreiben auch mitgeteilt habe, dass er seine Tochter regelmäßig abhole und ihr dann bei sich Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung stelle.
Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.11.2012 zurück. Zur Begründung führte er aus, Sozialhilfe setze frühestens ab dem Zeitpunkt ein, zu dem der Bedarf bekannt werde. Ein konkreter Bedarf für Fahrtkosten sei dem Sozialhilfeträger erstmals durch den Antrag vom 28.02.2012 bekannt geworden. Aus dem erwähnten Schreiben vom 29.10.2008 gehe nichts hervor, was auf Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts schließen lasse.
Dagegen hat der Kläger am 03.12.2012 Klage erhoben mit dem Antrag, ihm 4.148,00 EUR für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangs mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010 zu erstatten.
Bereits am 21.03.2012 hatte der Kläger – ebenfalls vor dem SG Aachen (4 AS 253/12) – Klage gegen das JobCenter Landkreis Calw erhoben. Mit dieser Klage macht er sämtliche Ansprüche in Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts geltend, u.a. auch Fahrtkosten im Zeitraum 01.11.2008 bis 31.01.2010, die er mit 2.590,00 EUR beziffert.
Im vorliegenden Verfahren vertritt der Kläger die Auffassung, dass der Vergleich vor dem SG Karlsruhe lediglich Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.10.2010 und vom 01.11.2010 bis 09.01.2011 erfasse; er enthalte keine Regelung, dass damit auch die Fahrtkosten für die Zeiträume davor erfasst sein könnten. Er meint weiterhin, ein erhöhter Bedarf sei dem Beklagten bereits mit dem Schreiben vom 29.10.2008 mitgeteilt worden; er habe seinerzeit bei dem Beklagten "genügend deutlich gemacht, dass natürlich auch Fahrtkosten anfallen, die er selber nicht tragen kann, was auf der Hand liegt"; auf Seiten des Beklagten habe man von Beginn an gewusst, dass seine Tochter in O. gelebt, dort von ihm abgeholt und in seiner Wohnung untergebracht worden sei. Er meint, es sei Sache des Beklagten gewesen, nachzuhaken und den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.148,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Schriftsatzes vom 26.02.2013 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass der Kläger im Schreiben vom 29.10.2008 keinen erhöhten Bedarf für Fahrtkosten geltend gemacht habe. Der Agentur für Arbeit sei ein Fahrtkostenbedarf erstmals mit Schreiben vom 18.02.2010 mitgeteilt worden; insoweit sei vor dem SG Karlsruhe ein Vergleich geschlossen worden. Für die Zeit davor komme eine Leistungsgewährung nach dem SGB XII mangels Kenntnis eines Bedarfs nicht in Betracht; dies ergebe sich aus § 18 Abs. 1 SGB XII.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass Leistungen nach dem SGB II nur auf Antrag erbracht würden; der Kläger sei bei ihm erstmals am 18.07.2011 vorstellig geworden und stehe seitdem im Bezug von SGB II-Leistungen; erst seit diesem Datum bestehe eine Leistungszuständigkeit des Beigeladenen, nicht aber für die hier streitigen Fahrtkosten vom 26.10.2007 bis 27.06.2010.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen und den sonstigen Inhalt der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und des Beigeladenen sowie der beigezogenen Gerichtsakte S 4 AS 253/12 (SG Aachen) mit den darin befindlichen Verwaltungsakten des JobCenter Landkreis Calw und der Gerichtsakte S 14 AS 175/11 (SG Karlsruhe) Bezug genommen. Diese Unterlagen haben bei der Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide des Beklagten nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter für die Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010 aus Mitteln der Sozialhilfe.
Der Kläger bezieht seit 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wie der Kläger im Schriftsatz vom 26.02.2013 deutlich gemacht hat, die Übernahme von Fahrtkosten in Höhe von 4.148,00 EUR zur Wahrnehmung des Rechts des Umgangs mit seiner Tochter in der Zeit vom 26.10.2007 bis 27.06.2010. Es handelt sich dabei dem Grunde nach um einen von der Regelleistung nicht gedeckten unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf. Für einen solchen Sonderbedarf gab es bis zum 02.06.2010 im SGB II keine Anspruchsgrundlage. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte daher – auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB II – in § 73 SGB XII eine Grundlage für einen Anspruch zu Lasten des Sozialhilfeträgers gesehen, solche Sonderbedarfe – wie hier die Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts – zu decken. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (Satz 1); Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden (Satz 2).
Das BVerfG hat im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) das Fehlen einer Härtefallregelung zur Deckung eines solchen Sonderbedarfes im SGB II als verfassungswidrig festgestellt. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass auch § 73 SGB XII in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des BSG gefunden hat, keine Gewähr bietet, dass sämtliche atypischen Bedarfslagen berücksichtigt werden. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelungslücke bis 31.12.2010 zu schließen. Zugleich hat es entschieden, dass die verfassungswidrige Lücke "für die Zeit ab Verkündung des Urteils" durch eine entsprechende Anordnung des BVerfG geschlossen werden muss. Der Gesetzgeber hat der Vorgabe des BVerfG zur Regelung eines Anspruchs wegen eines Sonderbedarfs dadurch Rechnung getragen, dass er durch Artikel 3a des Gesetzes vom 27.05.2010 (BGBl. I S. 671) mit Wirkung ab 03.06.2010 einen neuen Absatz 6 in § 21 SGB II eingefügt hat. Die Vorschrift lautet: "Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht."
Bereits aus der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 und der darin enthaltenen ausdrücklichen und eindeutigen Übergangsregelung ergibt sich, dass ein Anspruch auf Deckung von Sonderbedarfen vor der Verkündung der Entscheidung, also vor Februar 2010 und also auch für den hier streitigen Zeitraum nicht besteht, weder nach dem SGB II noch nach dem SGB XII (vgl. hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 – 1 BvR 395/09; Groth, Anmerkungen zum Urteil des BSG vom 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R – in: juris PR-SozR 13/2010 Anm. 2).
Selbst wenn man – auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des BSG vor der Entscheidung des BVerfG – dem Grunde nach in § 73 SGB XII eine für den Anspruch des Klägers in Betracht kommende Grundlage sähe, wäre der konkret mit der Klage verfolgte Anspruch unbegründet. Leistungen nach § 73 SGB XII sind Leistungen der Sozialhilfe. Gemäß § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die Sozialhilfe (mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistungen vorliegen, d.h. dass ein entsprechender Bedarf besteht (Kenntnisgrundsatz). Der Antrag auf Gewährung eines Sonderbedarfs wurde bei dem beklagten Sozialhilfeträger erstmals am 28.02.2012 gestellt. Ausgehend – zu Gunsten des Klägers – davon, dass sich der Beklagte die Kenntnis eines anderen sozialen Leistungsträgers – hier: der Agentur für Arbeit Nagold-Calw – zurechnen lassen muss, hatte er bereits ab 18.02.2010 Kenntnis von einem Sonderbedarf, da sich an diesem Tag der Kläger mit seinem entsprechenden Antrag an die Agentur für Arbeit gewandt hat.
Vor diesem Datum hatte der Beklagte jedoch keine ihr zuzurechnende Kenntnis von dem Sonderbedarf "Fahrkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts". Insbesondere hatte er diese Kenntnis nicht aus dem an ihn gerichteten Schreiben des Klägers vom 29.10.2008. Weder aus dem Inhalt noch aus dem Kontext dieses Schreibens konnte und musste die Beklagte wissen, dass der Kläger Fahrtkosten hatte und geltend machen wollte. Das Schreiben bezieht sich ausdrücklich und ausschließlich nur auf – nicht näher substanziierte – "Unterkunftskosten". Der Kläger hat mit dem Schreiben Überweisungsbelege über Mietzahlungen, eine Mietbescheinigung und eine Meldebescheinigung der Gemeinde Oberreichenbach sowie die Kopie eines Bescheides über die Leistungen für Unterkunft und Heizung übersandt. Er hat im letzten Absatz des Schreibens den Beklagten darüber in Kenntnis gesetzt, "daß ich eine 7jährige Tochter habe. Sie ist alle 14 Tage vom Freitag bis Sonntag bei mir und die Hälfte der Ferien. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß während dieser angegebenen Zeit das zweite Zimmer erforderlich ist." Hier ging es also ausschließlich um Unterkunftskosten, nicht aber um Fahrtkosten. Für den Beklagten bestand weder Anlass noch Verpflichtung beim Kläger nachzufragen, ob und ggf. in welcher Höhe für ihn Fahrtkosten anfielen und ob er solche als Sonderbedarf geltend machen wolle.
Soweit der Kläger im vorliegenden Verfahren die Zahlung von Fahrtkosten nicht nur für die Zeit vom 26.10.2007 bis 31.01.2010, sondern darüber hinaus auch für die Zeit vom 01.02. bis 27.06.2010 geltend macht, steht einem solchen Anspruch auch entgegen, dass dieser bereits durch den am 09.05.2012 vor dem SG Karlsruhe geschlossenen Vergleich erfüllt ist. Denn Gegenstand dieses Vergleichs im Verfahren S 14 AS 175/11 waren gerade auch die Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 31.10.2010; diese hatte der Kläger damals mit 3.954,70 EUR beziffert. Zum Ausgleich dieser Forderung zahlte die dortige Beklagte aufgrund des geschlossenen Vergleichs 3.000,00 EUR an den Kläger. Dieser nahm im Rahmen des Vergleichs auch die Klage mit dem Aktenzeichen S 14 AS 3589/11 zurück. Die Beteiligten erklärten in dem Vergleich abschließend beide Verfahren für erledigt. Damit waren auch die im vorliegenden Verfahren vom Kläger erneut geltend gemachten Fahrtkosten für die Zeit vom 01.02. bis 27.06.2010 durch den Vergleich abgegolten und die entsprechende Forderung erledigt.
Obwohl der Kläger bereits in der Vergangenheit vor dem SG Karlsruhe seine vor und seit Februar 2010 bis zum Umzug in den Kreis O. angefallenen Fahrtkosten zur Wahrnehmung seines Umgangsrechts mit der Tochter geltend gemacht hat, und diese teilweise erfüllt wurden, macht er in den beiden laufenden Verfahren vor dem SG Aachen teilweise nach Umfang, Höhe und Zeitraum identische Fahrtkosten erneut geltend. Dabei scheut er nicht den Versuch, z.B. mit der bewusst falschen Wiedergabe des Inhalts des Schreibens vom 29.10.2008 im Anwaltsschriftsatz vom 24.05.2012, Leistungsträger und Gerichte aufs Glatteis zu führen. Solches Prozessverhalten liegt nahe an der Grenze zum Rechtsmissbrauch. Da sich aber das Recht nicht so leicht missbrauchen lässt und den Kläger mit seinem behaupteten Anspruch aus den dargelegten Gründen in seine Schranken weist, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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