L 4 AS 130/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 2697/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 130/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte den Klägern höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu bewilligen hat.

Die Kläger beziehen seit 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnen ein im Eigentum der Kläger zu 1 und 2 stehendes Ein-familienhaus. Diese hatten im Jahr 1991 einen durch Grundpfandrecht gesicherten Bank-kredit aufgenommen und damit Baumaßnahmen an dem Haus finanziert. Mit mehrfach – zuletzt am 12. Mai 2011 – geänderten Bescheid vom 22. November 2010 bewilligte der Beklagte den Klägern am für die erste Jahreshälfte unter anderem Leistungen für Unter-kunft und Heizung, allerdings ohne Berücksichtigung der von den Klägern zu erbringenden Kredittilgungszahlungen. Die Kläger erhoben Widerspruch, der mit Bescheid vom 12. Juli 2011 zurückgewiesen wurde.

Am 11. August 2011 haben die Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben mit dem Ziel, eine Anrechnung auch der Tilgungsleistungen für den Bankkredit zu erreichen: Der Kredit sei aufgenommen worden, um umfangreiche Reparaturen zu finanzieren, mit denen die Bewohnbarkeit des Hauses durch die Familie hergestellt worden sei.

Mit Gerichtsbescheid vom 11. März 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen heißt es, die Kläger hätten den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Kosten der Unterkunft beschränkt, sie hätten jedoch keinen Anspruch auf die Erstattung höherer Kosten. Grundsätzlich gehörten zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung keine Tilgungsraten. Die Leistungen nach dem SGB II seien auf aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollten nicht der Vermögensbildung dienen. Eine solche träte aber durch Berücksichtigung der Tilgungsraten auch im vorliegenden Falle ein. Allerdings sei anerkannt, dass Tilgungsleistungen als Bestandteil der Finanzierungskosten selbst genutzten Wohneigentums ausnahmsweise bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer Mietwohnung zu übernehmen sein könnten. Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall das durch Briefgrundschuld gesicherte Darlehen nicht für den Erwerb einer Immobilie aufgenommen worden sei, sondern um Reparaturmaßnahmen an dem selbst bewohnten Haus vorzunehmen, lägen die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der Tilgungs-leistungen hier schon deshalb nicht vor, weil nicht zu erkennen sei, dass ohne deren Übernahme der Verlust des selbstgenutzten Wohneigentums drohe. Die Kläger hätten diese seit dem Jahre 2005 stets aus eigenen Kräften übernommen. Eine abstrakte Ge-fährdung, die aus einer Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung abgeleitet werden könnte, genüge nicht. Auch eine Berücksichtigung der Tilgungsleistungen als un-abweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur nach § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II scheide aus, da die Aufwendungen nicht im Bedarfszeitraum, sondern viele Jahre vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II getätigt worden seien.

Der Gerichtsbescheid ist den Klägern am 14. März 2013 zugestellt worden. Am 10. April 2013 haben sie Berufung eingelegt. Die Kläger argumentieren, der Einwand der Vermö-gensbildung widerspräche dem Gleichheitssatz, da im Falle einer Mietwohnung durch den Mieter nicht nur der steigende Vermögenswert, sondern darüber hinaus auch noch eine kalkulatorische Rendite gesichert werde. Hier werde also über die Existenzsicherung hin-aus aktive Vermögensmehrung der Vermieter durch Zahlung der Mietkosten anerkannt. Da der Gesetzgeber selbstgenutzte Eigenheime bewusst im Sinne einer Existenzsicherung unter Schutz gestellt habe, könne eine Gleichstellung von Haus- bzw. Wohnungs¬eigentum mit Mietern nur erfolgen, soweit auch die Übernahme von Zins- und Tilgungsbeiträgen bis zur Höhe der abstrakt angemessenen Kosten einer Mietwohnung als Kosten der Unterkunft in Betracht gezogen werde. Andere Kriterien seien zur Abgrenzung ungeeignet und gewährleisteten keine Gleichbehandlung.

Die Kläger beantragen, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 11. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Tilgungsraten für eine Hypothek als Kosten der Unterkunft zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Bericht-erstatter des Senats als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Die die Kläger betreffenden Sachakten des Beklagten haben vorgelegen und waren Ge-genstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten, insbesondere auch auf die zutreffende Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des ange-fochtenen Gerichtsbescheides, wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergän-zend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger ist nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu-lässig. Sie ist in der Sache jedoch nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft.

Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemes-senheit von mit der Nutzung von Eigentum verbundenen Kosten ist nach der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat hier folgt, an den Kosten zu messen, die für Mietwohnungen angemessen sind, d.h. die Frage der Angemessenheit der Unter-kunftskosten ist der Mieter und Hauseigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantwor-ten. Eine Privilegierung von Eigentümern gegenüber Mietern oder Mietern gegenüber Eigentümern findet im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nicht statt (BSG, Urteile vom 15.4.2008, B 14/7b AS 34/06 R; vom 23.8.2011, B 14 AS 31/10 R, und vom 16.2.2012, B 14 AS 14/11 R). Zu den Unterkunftskosten für selbstgenutzte Hausgrund-stücke zählen alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind. § 7 Abs. 2 der Verordnung zur Durchfüh-rung des § 82 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch findet insoweit entsprechende Anwendung (vgl. BSG, Urteile vom 15.4.2008, a.a.O., und vom 19.9.2008, B14 AS 54/07 R), als er Anhaltspunkte dafür liefert, welche Kosten im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II zu berück-sichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 24.2.2011, B 14 AS 61/10 R). Zu den danach berück-sichtigungsfähigen Kosten zählen insbesondere auch Darlehenszinsen und Nebenkosten wie beispielsweise Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuer, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Aufwendungen im jeweils maßgeblichen Bewilligungs-zeitraum (BSG, Urteile vom 23.8.2011, a.a.O., und vom 3.3.2009, B 4 AS 38/08 R). Frag-lich ist in diesem Zusammenhang nur, ob der Beklagte als Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch verpflichtet ist, die an die Bank zu zahlenden Tilgungsleistungen zu übernehmen. Hierauf haben die Kläger jedoch keinen Anspruch. Die Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Ver-mögensbildung dienen können. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Hinblick auf den ihm SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses "Wohnen" nur in besonderen Ausnahmefällen angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen ist (vgl. Urteile des BSG vom 7.7.2011, B 14 AS 79/10 R, und vom 16.2.2012, B 14 AS 14/11 R; Urteil des Senats vom 8.9.2011, L 5 AS 4/09). Nur dann gebietet sich – sofern nicht der Annahme eines Ausnahmefalls von vornherein entgegen-steht, dass der Kredit im Zeitpunkt des Bestehens von Hilfebedürftigkeit aufgenommen wurde – im Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Wohnungseigentums einer-seits und der aktuellen Existenzsicherung andererseits (die einer Vermögensbildung durch öffentliche Unterstützungsleistungen entgegensteht) eine Bevorzugung des Interesses am Erhalt gerade der aktuellen Wohnung (vgl. BSG, Urt. v. 7.7.2011, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen liegen hier – unabhängig von der Frage, wie sich die wirtschaftli-chen Verhältnisse der Kläger zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme darstellten – nicht vor. Die Tilgung des von den Klägern zu 1 und 2 aufgenommenen Kredits wird noch längere Zeit in Anspruch nehmen; die Schulden sind gerade nicht bereits weitgehend abbezahlt. Der Gesichtspunkt der Vermögensbildung betrifft die Tilgungsleistungen in voller Höhe, denn die Kläger zu 1 und 2 profitieren von jeglicher Tilgung durch Erwerb lastenfreien Eigentums (BSG, Urt. v. 18.6.2008, B 14/11b AS 67/06 R; Urt. des Senats vom 8.9.2011, a.a.O.) Unerheblich ist auch, dass, wie die Kläger angeben, der Kredit nicht zum Erwerb, sondern zum Zwecke der Renovierung der Immobilie aufgenommen wurde. Denn nicht nur liegt dieser Sachverhalt – abgesehen davon, dass die Höhe des aufgenommenen Kredits (immerhin 150.000,- DM) sowie die Schlussrechnung des Bauunternehmens Rieckmann vom August 1991 eher auf größere Umbaumaßnahmen hindeuten – schon viele Jahre zurück und hat daher mit einer Instandhaltung während des laufenden Bezugs von Grundsicherungsleistungen nichts mehr zu tun, sondern eine Berücksichtigung der ent¬sprechenden Aufwendungen wäre auch ohnehin nur möglich gewesen, soweit diese nicht zu einer Verbesserung des Standards des selbstgenutzten Eigenheims geführt hätten (BSG, Urteil vom 3.3.2009, B 4 AS 38/08 R). So aber liegt es hier, legt man die An¬gaben der Kläger im Schriftsatz vom 29. November 2011 zu Grunde, wo von einer Grund-sanierung der Heizungsanlage, einer wärmegedämmten neuen Dacheindeckung, dem Einbau wärmedämmender Fenster und Türen usw. die Rede ist (vgl. auch BSG, Urteil vom 22.8.2012, B 14 AS 1/12 R).

Entgegen der Auffassung der Kläger führt der Umstand, dass im Rahmen der Angemes-senheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II der Mieter einer selbst bewohnten Wohnung und der Eigentümer eines selbstgenutzten Eigenheims gleich zu behandeln sein sollen, nicht zu der Folge, dass Tilgungsleistungen eines Wohnungseigentümers als Kosten der Unterkunft jedenfalls so weit anzuerkennen seien, wie sie der Höhe nach auch im Verhältnis zu vergleichbarem Mietwohnraum angemessen wären. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mag es zwar irrelevant scheinen, ob jemand Miete zahlt oder sein eige-nes Haus durch Zins und Tilgung finanziert, weil in beiden Zahlungsvarianten im Ergebnis eine Tilgung steckt. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass der letztendliche Empfän-ger der Tilgung, d.h. des Kapitalrückflusses und der Rendite, ein anderer ist. Im Falle einer Mietwohnung ist es der Vermieter und im Falle eines selbst bewohnten Eigenheimes ist es der Eigenheimbesitzer selbst, dem gegenüber nicht nur der Aspekt des Schutzes des Wohneigentums zu erwägen ist, sondern, wie das Sozialgericht zu Recht ausführt, auch der Grundsatz einer Beschränkung der Leistungen des SGB II auf die aktuelle Exis-tenzsicherung, wie sie eben in dem Grundsatz des Verbots der Vermögensbildung durch Grundsicherung Ausdruck findet. Das vom Bundessozialgericht zu recht beschriebene Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Wohnungseigentums einerseits und der aktuellen Existenzsicherung andererseits wird durch solche Überlegungen nicht aufge-hoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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