L 11 R 5137/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1527/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 5137/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.10.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die vom 01.04.2003 bis 31.03.2012 befristete bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung als unbefristete Rente zu gewähren ist.

Der im Jahr 1964 in der Türkei geborene und im Jahr 1987 nach Deutschland zugezogene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Vom 14.09.1998 bis 09.04.1999 absolvierte der Kläger eine Qualifizierung zur IHK-Fertigungsfachkraft Metalltechnik. Bis 15.10.2000 übte er eine Tätigkeit bei der Fa. K. in A.-F. als Metallarbeiter aus. Seit dem 16.10.2000 ist der Kläger arbeitsunfähig und bezog zunächst Krankengeld und im Anschluss Arbeitslosengeld II.

Am 03.09.2002 wurde der Kläger im Universitätsklinikum F. an der Halswirbelsäule (HWS) operiert. Es wurden eine ventrale Korporektomie (Entfernung eines Wirbelkörpers, Dekompression des Halsmarks und Wirbelkörperersatz) am Halswirbelkörper (HWK) 5 und eine Diskektomie (Entfernung der Bandscheibe) an den HWK 4/5 und 5/6) durchgeführt; auf den Operationsbericht Bl 95 der Verwaltungsakte der Beklagten wird verwiesen.

Vom 20.09.2002 bis 17.10.2002 befand sich der Kläger in einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik S. in D ... Laut der sozialmedizinischen Beurteilung im Entlassungsbericht sei nach Abschluss der Reha-Phase in ca drei bis vier Monaten mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu rechnen. Als Diagnosen wurden eine zervikale Spinalkanalstenose HWK 4/5 und 5/6 mit Operation am 03.09.20002 und ventraler Koporektomie HWK 5 und Implant eines Beckenkammspanes, ein lumbaler Bandscheibenvorfall L 5/4 rechts, ein tablettenpflichtiger Diabetes mellitus, Übergewicht sowie eine Hypercholesterinämie gestellt. Im Auftrag der (damaligen) Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg wurde der Kläger im Jahr 2003 nervenfachärztlich und internistisch untersucht und begutachtet. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch. kam zu dem Ergebnis, dass ein Zustand nach Operation einer zervikalen Spinalkanalstenose ohne neurologisch fassbare Auffälligkeiten, eine zervikogene Cephalgie, ein lumbales Reizsyndrom mit bekannten Bandscheibenvorfällen ohne neurologische Auffälligkeiten vorliege. Leichte Tätigkeiten seien in wechselnder Körperhaltung möglich. Dr. L. kam in seinem internistischen Gutachten vom 07.07.2003 zum Ergebnis, dass aus orthopädischer Sicht derzeit nur leichte Tätigkeiten vier bis fünf Stunden pro Tag zumutbar seien. Es liege eine deutlich eingeschränkte Kopfbeweglichkeit nach Versteifungsoperation wegen Spinalkanalstenose und Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts mit mäßiger Funktionsbehinderung und ohne neurologische Ausfälle, ein mit Tabletten gut eingestellter Diabetes mellitus, ein metabolisches Syndrom mit Übergewicht, Hyperlipidämie, labilem Bluthochdruck und Fettleber sowie ein Meniskusschaden des linken Kniegelenks ohne klinische Auffälligkeiten vor.

Am 09.09.2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger zunächst von Dr. Z. allgemeinmedizinisch aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 17.12.2009 begutachten. Dr. Z. kam in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass chronische therapieresistente Zervikobrachialgien bei Zustand nach Operation einer zervikalen Spinalkanalstenose und Bandscheibenscheibenschäden mit Bandscheibenvorfall C 3/4, chronische therapieresistente Lumboischialgien bei Bandscheibenvorfall L 4/5 mit Wurzelkompression L 5 rechts ohne sicheres neurologisches Defizit, eine arterielle Hypertonie, medikamentös unzureichend eingestellt, ein Diabetes mellitus Typ IIb ohne diabetisches Spätsyndrom, eine Meniskopathie des linken Kniegelenks mit Zustand nach Arthroskopie sowie eine Adipositas Grad I vorliegen. Der Kläger sei seit der HWS-Operation im September 2002 als erwerbsgemindert mit einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden anzusehen. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 09.04.2010 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 01.04.2003 bis 31.03.2012. Rechtsbehelfe gegen diesen Bescheid wurden nicht eingelegt.

Am 27.09.2010 beantragte der Kläger die Neufeststellung der Rente nach § 44 SGB X. Sein Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlechtert und er sei außerstande, zwischen drei und sechs Stunden pro Tag zu arbeiten. Sein tatsächliches Leistungsvermögen sei geringer als drei Stunden. Es sei daher eine unbefristete Rente zu gewähren. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 07.01.2011 die Aufhebung und Abänderung des Bescheides vom 09.04.2010 und die Gewährung einer Dauerrente anstelle der bisherigen befristeten Rente ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2011 zurück.

Der Kläger hat am 23.03.2011 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Mit Verfügung vom 19.04.2011 hat das SG dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Schweigepflichtentbindungserklärung übersandt. Mit Verfügung vom 23.05.2011 und 20.07.2011 hat das SG die Rückgabe der Schweigepflichtentbindungserklärung angemahnt.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 26.10.2011 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach dem Gutachten von Dr. Z. das Leistungsvermögen nicht derart gemindert gewesen wäre, dass der Kläger nur noch unter drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Somit lägen die Voraussetzungen für die Gewährung einer unbefristeten Rente nicht vor. Die Beklagte habe dem Kläger eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund des verschlossenen Teilzeitarbeitsmarktes gewährt. Gründe dafür, im vorliegenden Fall von der gesetzlichen angeordneten Regel der Befristung nach § 102 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) abzuweichen, seien nicht ersichtlich. Weitere Ermittlungen hätten angesichts der fehlenden Entbindung der Ärzte des Klägers von der Schweigepflicht nicht durchgeführt werden können. Diese seien auch nicht geboten gewesen, da sich angesichts des Gutachtens von Dr. Z. und der sich in der Verwaltungsakte befindlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. Ko. vom 16.12.2010 weitere Ermittlungen nicht aufgedrängt hätten.

Der Kläger hat gegen den am 31.10.2011 zugestellten Gerichtsbescheid am 24.11.2011 Berufung eingelegt und zur Begründung angeführt, dass sich das SG maßgeblich auf das Gutachten von Dr. Z. vom 17.12.2009 gestützt habe. Es liege jedoch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs vor, da das SG das Gutachten von Dr. Z. seiner Entscheidung zugrundegelegt habe, ohne das Gutachten in den Prozess einzuführen und dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Hiermit habe das SG gegen den Grundsatz verstoßen, dass es dem Kläger für die Beweismittel, die es seiner Entscheidung zugrundezulegen beabsichtigt, Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Hätte das SG dem Kläger mitgeteilt, dass es beabsichtigt, das Gutachten von Dr. Z. seiner Entscheidung zugrunde zu legen, hätte der Kläger die Übersendung einer Kopie des Gutachtens bzw Akteneinsicht sowie eine Frist zur Stellungnahme beantragt. Es sei auch nicht auszuschließen, dass das erstinstanzliche Gericht nach Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage gekommen wäre. Das Urteil sei damit aufzuheben und zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Auch habe sich der Gesundheitszustand des Klägers entgegen den Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden im Halswirbel- und Lendenwirbelsäulenbereich so verschlechtert, dass es dem Kläger nicht mehr möglich sei, eine tägliche Teilzeitarbeit von drei bis unter sechs Stunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Die Rente sei somit unter Aufhebung der Befristung zum 31.03.2012 zeitlich unbefristet zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26.10.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 09.04.2010 zu verurteilen, dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.03.2012 hinaus unbefristet zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat auf den Weitergewährungsantrag des Klägers vom 01.03.2012 eine Begutachtung des Klägers beim Neurologen und Psychiater Dr. B. am 03.04.2012 veranlasst. Dr. B. kommt in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass ein zervikogener Kopfschmerz, angegebene zervikobrachialgische Beschwerden beidseits, belastungsabhängig angegebene lumboischialgieforme Beschwerden beidseits, ein Diabetes mellitus ohne Anhalt für sozialmedizinisch richtungsweisende polyneuropathische Störungen sowie eine deutliche Neigung zu psychogener und dabei zum Teil wirklich recht demonstrativer und darin nicht der willentlichen Kontrolle entzogener Ausweitung der somatischen Anamnese vorlägen. Der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Dr. W. hat auf Veranlassung der Beklagten ein chirurgisch-orthopädisches Zusatzgutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 03.04.2012 erstellt und darin leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden und mehr für zumutbar gehalten. Es liege ein Zustand bei ventraler Spondylodese C 5/6 mit Knochendübelinterponat vom September 2002 mit rezidivierenden Zervikobrachialgien, ein älterer Bandscheibenvorschaden im Segment L 4/5 mit lumboischialgieformen Beschwerden rechtsbetont, eine Gonalgie beider Kniegelenke ohne wesentliches pathologisches objektives Substrat sowie eine Zustand nach gutartiger Entfernung eines Rektumpolypens vor. Dr. L. führte in einem weiteren internistischen Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 03.04.2012 aus, dass leichte Tätigkeiten über sechsstündig verrichtet werden könnten. Dr. L. diagnostiziert Belastungsbeschwerden und operationsbedingte Bewegungseinschränkungen der HWS nach Versteifung C 5/6 und rezidivierende Zervikobrachialgien ohne neurologische Ausfälle, Belastungsbeschwerden der Rumpfwirbelsäule, ohne wesentliche Bewegungseinschränkung und ohne neurologische Ausfälle bei altem Bandscheibenschaden L 4/5 sowie einen aktuell unbefriedigend eingestellter Diabetes mellitus II unter oraler Therapie mit beginnender Nephropathie ohne sonstige Sekundärschäden.

Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 15.05.2012 mitgeteilt, dass über den Weitergewährungsantrag nicht entschieden werde, da derzeit ein Berufungsverfahren beim Landessozialgericht anhängig sei, in der anstelle der bis zum 31.03.2012 befristeten Erwerbsminderungsrente eine dauerhafte Rentengewährung begehrt werde. Das Landessozialgericht habe darüber zu entscheiden, ob eine dauerhafte Erwerbsminderungsrente gewährt werden könne.

Der Senat hat den behandelnden Arzt Dr. Ko. als sachverständigen Zeugen schriftlich vernommen. Dr. Ko. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 07.03.2013 mitgeteilt, dass sich die Beschwerden des Klägers seit dem Jahr 2010 nicht wesentlich verändert hätten und der Kläger seiner Ansicht nach in der Lage sei, leichte Tätigkeiten im Umfang von sechs Stunden am Tag zu verrichten. In einer ergänzenden Stellungnahme hat Dr. Ko. des Weiteren mitgeteilt, dass der Kläger in der Lage sei, eine Arbeit im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen mit einem maximal zu hebenden Gewicht von 15 kg auszuüben.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 07.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 09.04.2010 und die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die vom Kläger gerügten Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), §§ 62, 128 Abs 2 SGG), den Grundsatz der Unmittelbar der Beweisaufnahme gemäß § 117 SGG sowie gegen die Vorschriften über die Durchführung des Urkundsbeweises nach § 118 Abs 1 SGG iVm §§ 415ff Zivilprozessordnung (ZPO) treffen nicht zu. Zwar gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG), dass eine Urkunde, die sich in einer vom Gericht beigezogenen Akte befindet, zur Tatsachenfeststellung nur verwertet werden darf, wenn sie ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt wurde. Ein Gericht, das Akten beigezogen hat und darin enthaltene Urkunden zur Feststellung von Tatsachen verwerten will, muss zuvor die Beteiligten auf die beigezogene Akte und auf seine Absicht hingewiesen haben, diese Urkunden als Beweismittel zu verwerten; die Urkunden sind in der mündlichen Verhandlung zu verlesen oder den Beteiligten zur Einsichtnahme vorzulegen (BSG, 31.03.2004, B 4 RA 224/03 B, juris). Es ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, dass das Gericht in einem sog Zugunstenverfahren diejenigen Gutachten verwerten wird, die Grundlage derjenigen Verwaltungsentscheidung waren, dessen Überprüfung vom Kläger selbst beantragt worden war. Im Übrigen war der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Verwaltungsverfahren bevollmächtigt. Sowohl im Bescheid vom 07.01.2011 als auch im Widerspruchsbescheid vom 14.03.2011 wurde auf die medizinischen Unterlagen aus dem vorangegangen Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Auch konnte der Prozessbevollmächtigte aus dem Schreiben der Beklagten vom 29.04.2011 erkennen, dass diese die Verwaltungsakten dem SG zusammen mit der Klageerwiderung übersandt hatte. Der Prozessbevollmächtigte hat jedoch weder im Verwaltungsverfahren noch im erstinstanzlichen Verfahren Akteneinsicht beantragt. Der Betroffene muss jedoch für eine Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs darlegen, dass er alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen und dass er die ihm insoweit zustehenden prozessualen Möglichkeiten genutzt hat (vgl Keller in Meyer - Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 62 Rdnr 11a ff). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 09.04.2010, soweit er den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf eine Rente wegen voller (bzw. wegen teilweiser) Erwerbsminderung über den 31.03.2012 hinaus ablehnt (Anfechtungsklage) sowie das Begehren des Klägers (Leistungsklage) auf Verurteilung der Beklagten zu einer solchen Leistungsgewährung. Die durch den Bescheid vom 09.04.2010 erfolgte Zuerkennung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 01.04.2003 bis zum 31.03.2012 wird dagegen nicht angefochten (vgl hierzu LSG Baden - Württemberg, 12.11.2009, L 10 R 5737/07, juris). Ein Bescheid, mit dem der Versicherungsträger dem Rentenbewerber trotz eines auf Dauerrente gerichteten Antrags eine Rente nur auf Zeit gewährt, enthält mehrere, voneinander zu trennende Verfügungen (vgl BSG 24.10.1996, 4 RA 31/96, SozR 3-2200 § 300 Nr. 8) und damit mehrere Verwaltungsakte i.S. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X): Zum einen die Rentenbewilligung (Verfügungssatz 1, mit jeweils zu trennenden Verfügungssätzen zu Rentenart, Rentenhöhe und Dauer der Rente), zum anderen die Ablehnung des weitergehend geltend gemachten Anspruchs auf durchgängige, zeitlich nicht beschränkte Rentengewährung (Verfügungssatz 2). Die Rentenbewilligung ist regelmäßig - sofern, wie im vorliegenden Fall, die einzelnen Verfügungssätze der Rentenbewilligung nicht in Streit gestellt werden - ein den Versicherten ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt. Damit wird allein durch die zweite Regelung, die Ablehnung einer Dauerrente, was ausdrücklich ausgesprochen oder konkludent durch die Begrenzung der Bezugsdauer der mit dem Verfügungssatz 1 bewilligten Rente verlautbart werden kann, der Versicherte (formell) beschwert.

Rechtsgrundlage für die Änderung des den Kläger belastenden Verfügungssatzes im Bescheid vom 09.09.2010 ist § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt nach dieser Vorschrift, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Die Voraussetzungen für eine Abänderung des Bescheides vom 09.04.2010 gemäß § 44 Abs 1 SGB X liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die Beklagte hat zu Recht dem Kläger unter Zugrundelegung eines Leistungsvermögens von drei bis unter sechs Stunden eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung gewährt.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im (früheren) Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. Z., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger seit September 2002 leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über drei aber nur noch unter sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger teilweise erwerbsgemindert, ihm steht jedoch wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes Rente wegen voller Erwerbsminderung zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird davon ausgegangen, dass der Teilzeitarbeitsmarkt als verschlossen anzusehen ist, wenn - wie hier - kein zumutbarer Arbeitsplatz innegehalten wird (BSG 10.12.1976, GS 2/75 ua, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Ein Absinken des Leistungsvermögens auf unter drei Stunden ist jedoch nicht gegeben. Der Kläger ist somit nach dem noch bestehenden Restleistungsvermögen nicht voll erwerbsgemindert.

Der Kläger leidet an chronischen therapieresistenten Zervikobrachialgien sowie Lumboischialgien, einer arteriellen Hypertonie, einem Diabetes Mellitus Typ IIb, einer Meniskopathie des linken Kniegelenkes sowie einer Adipositas Grad I. Diese Erkrankungen haben nach der Überzeugung des Senats zu einem Absinken des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich geführt. Leichte Tätigkeiten im zeitlichen Umfang von mindestens drei Stunden sind dem Kläger dagegen zumutbar. Der Senat entnimmt dies den von Dr. Z. bei der ambulanten Untersuchung am 17.12.2009 erhobenen Befunden. Danach war die paravertebrale Muskulatur deutlich eingeschränkt und es war eine hochgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule in allen Bewegungseinschränkungen zu verzeichnen. Es liegen somit nicht nur qualitative, sondern auch eine zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens vor. Der Senat vermag sich dagegen jedoch nicht davon zu überzeugen, dass auch selbst leichte Tätigkeiten im Umfang von mindestens drei Stunden nicht mehr zumutbar sind. Der Senat nimmt diesbezüglich auf den Bericht von Dr. Ko. vom 16.12.2010 (Blatt 611 der Verwaltungsakte) sowie dessen sachverständige Zeugenaussage vom 07.03.2013 Bezug. Dr. Ko. bestätigt darin deutliche Myogelosen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Er weist jedoch zugleich auf eine starke Aggravationstendenz des Klägers hin. Alle Bemühungen, das Beschwerdebild zu bessern, seien an Verständigungsschwierigkeiten gescheitert. Dr. Ko. sieht sogar noch ein Leistungsvermögen im zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr gegeben. Die Aussagen von Dr. Ko. belegen nach Auffassung des Senats zum einen, dass tatsächlich deutliche Einschränkungen auf orthopädischen Gebiet vorliegen, der Kläger jedoch zum anderen die Therapiemöglichkeiten nicht ausschöpft und zudem Aggravationstendenzen bestehen. Die weiteren Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet vermögen eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens nicht zu rechtfertigen. Mittlerweile ist nach der Aussage von Dr. Ko. am 07.03.2013 die streckenweise nicht optimal eingestellte Hypertonie medikamentös zufriedenstellend behandelt.

Gemäß § 102 Abs 2 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Wird unmittelbar im Anschluss an eine auf Zeit geleistete Rente diese Rente unbefristet geleistet, verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

§ 102 Abs 2 Satz 5 SGB VI ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn die hier zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nicht unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage. Vielmehr ist nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BSG (10.12.1976, GS 2/75 ua, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13) auch dann volle Erwerbsminderung des Versicherten anzunehmen, wenn dieser zwar noch zwischen drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbsfähig sein kann, er jedoch - wie im vorliegenden Fall - keinen entsprechenden Arbeitsplatz inne hat und ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist. Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes liegt vor, wenn weder der Rentenversicherungsträger noch die zuständige Arbeitsagentur dem Versicherten innerhalb eines Jahres einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten können. Angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktlage gehen die Rentenversicherungsträger in der Regel ohne weitere Ermittlungen davon aus, dass die Vermittlung eines in seinem Leistungsvermögen qualitativ und quantitativ eingeschränkten Versicherten nicht innerhalb der Jahresfrist möglich ist, sodass der Leistungsfall bereits mit dem Absinken des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich angenommen wird (vgl Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd 1, Stand Juni 2012, § 43 Rdnr 30ff sowie Bayerisches LSG, 08.04.2009, L 18 R 875/08, juris). Die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung beruht daher auf der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes, so dass die Frage, ob es unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers behoben werden kann, rechtlich im vorliegenden Fall nicht relevant ist.

Die Befristung der Rente vom 01.04.2003 bis zum 31.03.2012 ist somit nicht zu beanstanden. Der Senat muss auch nicht zu der Frage Stellung nehmen, ob die teilweise Erwerbsminderung über den 31.03.2012 hinaus besteht. Eine Stellungnahme zu der Leistungseinschätzung der Gutachter Dr. B., Dr. W. und Dr. L. bedarf es daher im vorliegenden Verfahren nicht. Über die Weitergewährung der Rente ab dem 01.04.2012 ist von der Beklagten noch zu entscheiden.

Der im Schriftsatz vom 19.07.2012 gestellte Antrag des Klägers, von Amts wegen ein nervenärztliches Gutachten einzuholen, wird abgelehnt. Es ist bereits unklar, ob sich dieser Beweisantrag auf den früheren oder an aktuellen Gesundheitszustand des Klägers bezieht. Vom Rechtsstandpunkt des Senats aus kommt es auf den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers nicht an, weil eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten über den vom Kläger gestellten Antrag auf wiederholte Gewährung einer Erwerbsminderungsrente noch nicht vorliegt. Der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers ist für die hier zu treffende Entscheidung nicht erheblich. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum früheren Gesundheitszustand des Klägers, dh bis zum Eintritt der Bestandskraft des nicht mit einem Rechtsbehelf angegriffenen Bewilligungsbescheides vom 09.09.2010 wird abgelehnt, weil die vorliegenden Beweismittel den Sachverhalt geklärt haben und keine Fragen mehr offen geblieben sind. Das vorhandene Verwaltungsgutachten von Dr. Z. und die sachverständige Zeugenaussage von Dr. Ko. bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Sie haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten von Dr. Z. geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und gibt keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln. Nachdem der behandelnde Arzt Dr. Ko. die Einschätzung von Dr. Z. bestätigt hat und sogar ein zeitlich deutlich höheres Leistungsvermögen angenommen hat, waren weitere Beweiserhebungen von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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