L 22 R 989/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 R 197/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 989/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. August 2011 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. Juni 2011 bis 31. Mai 2014.

Die im Dezember 1957 geborene Klägerin, die eine abgeschlossene Ausbildung zur Zootechnikerin-Mechanisator absolvierte (September 1975 bis Juli 1977) arbeitete nach eigenen Angaben als Mitarbeiterin Kälberaufzucht (Juli 1977 bis Dezember 1979), Sachbearbeiterin Rechnungswesen (Dezember 1979 bis Oktober 1986), wobei sie sich zur Wirtschaftskauffrau qualifizierte, und Sachbearbeiterin (Oktober 1986 bis Juni 1990). Nach einer Beschäftigung als Betriebswirtin (März 1991 bis August 1998) war sie von November 1999 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 08. Juni 2007 als Paketzustellerin beschäftigt.

Im Oktober 2008 beantragte die Klägerin wegen eines Morbus Sudeck nach schwerer Handprellung im Juni 2007 Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach Beiziehung verschiedener ärztlicher Unterlagen und Einholung des Gutachtens des Arztes für Orthopädie Dr. M vom 12. November 2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2009 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab: Mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Zustand nach Arbeitsunfall mit Sturz auf beide Hände und Ausbildung eines Morbus Sudeck der rechten Hand mit persistierender funktioneller Einschränkung, Kraftminderung und Hypersensibilität, Atrophie der Muskulatur der rechten oberen Extremität, partielle Schultersteife und Einschränkung der Ellenbogengelenksfunktion rechts) sei die Klägerin noch in der Lage, körperliche leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen, insbesondere ohne wesentliche Beanspruchung der rechten Hand/des rechten Armes und ohne besondere Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit rechts, mindestens 6 Stunden täglich auf dem zumutbaren allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

Dagegen hat die Klägerin am 30. April 2009 beim Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben.

Sie hat vorgetragen, infolge des Morbus Sudeck lägen ein hochgradiges Defizit der Langfinger der rechten Hand, ein unvollständiger Faustschluss und Fingerstreckung rechts, ein endgradiges Defizit der Beweglichkeit des rechten Handgelenks und eine Muskelminderung am rechten Ober- und Unterarm vor. Darüber hinaus leide sie an einer partiellen Schultersteife und einer Einschränkung der Ellenbogengelenksfunktion rechts. Den rechten Arm könne sie nicht einmal unterstützend einsetzen, so dass de facto eine funktionelle Einarmigkeit vorliege.

Die Klägerin hat nach Klagerücknahme im Übrigen beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2009 zu verurteilen, der Klägerin ab 01. Juni 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.

Das Sozialgericht hat den Befundbericht des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 24. August 2009 eingeholt sowie Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Allgemein- und Arbeitsmedizin Lvom 25. November 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 24. Mai 2011.

Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, auch wenn aufgrund der fehlenden Funktionsfähigkeit der rechten Hand Schreibarbeiten nicht mehr abgefordert werden könnten, erscheine ein unterstützender Einsatz des rechten Armes weiterhin möglich. Nach den vom Sachverständigen Lfestgestellten Bewegungsausmaßen für das Schulter- und Ellenbogengelenk müsse davon ausgegangen werden, dass der Arm als Beiarm eingesetzt werden könne. Selbst im Handgelenk bestünden keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen. Soweit das auf unter 3 Stunden täglich beurteilte Leistungsvermögen vom Sachverständigen mit dem ausgeprägten Schmerzbefund begründet werde, sei dies kritisch zu bewerten, da der Schmerzmittelwirkspiegel unterhalb der Nachweisgrenze gelegen habe. Der vom Sachverständigen mitgeteilte Einnahmemodus lasse auf eine Bedarfsmedikation schließen, so dass keine permanent anhaltenden Schmerzen anzunehmen seien. Der Aufstellung zu den Schmerzmitteln sei zudem zu entnehmen, dass keine stark wirksamen Analgetika wie Opioide oder ähnliches benötigt würden.

Mit Urteil vom 16. August 2011 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Juni 2011 bis 31. Mai 2014 zu gewähren: Nach dem Sachverständigen L liege nachvollziehbar ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich vor. Es bestehe eine schwere Ausprägung des Morbus Sudeck, welche als komplexes regionales Schmerzsyndrom nach Handgelenksprellung zu kennzeichnen sei. Im Vordergrund stehe das ausgeprägte Schmerzsyndrom. Es sei nicht nur eine Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand und des rechten Armes festzustellen, sondern aufgrund der starken Schmerzhaftigkeit eine deutlich darüber hinausgehende Funktionsbehinderung. Die Klägerin könne den Arm auch nicht als Beihand nutzen. Die Mitbeteiligung der Bewegungsschmerzhaftigkeit im rechten Ellenbogengelenk und im rechten Schultergelenk zeige die zunehmende Ausstrahlung auf den Schultergürtel. Dies betreffe auch die Bewegung im Alltag. Das Ablegen des rechten Armes und der rechten Hand sei nicht ohne Weiteres oder ständig möglich. Der fehlende Nachweis der eingenommenen Medikamente in der Blutkontrolle sei von den Laborärzten mit den möglichen Ursachen einer fehlenden Patientencompliance oder einer individuell zu niedrigen Dosierung benannt worden. Für eine fehlende Patientencompliance ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte. Die Rente könne nur auf Zeit geleistet werden.

Gegen das ihr am 15. September 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. September 2011 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. August 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Es sei durch den Sachverständigen L nachvollziehbar widerlegt, dass der verletzte Arm als Beiarm eingesetzt werden könne.

Der Senat hat die Auskunft der DAG vom 01. August 2012, die Befundberichte des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 25. Juli und 30. August 2012, des Facharztes für Anästhesiologie Dr. S des Unfallkrankenhauses B vom 28. August 2012, des Prof. Dr. SdesUnfallkrankenhauses Bvom 22. Oktober 2012 und des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. Evom 12. September 2012 und 05. November 2012 eingeholt sowie einen Auszug aus dem Tarifvertrag zwischen der D AG und V, Ve. V., am 01. September 2003 in Kraft beigetreten, beigezogen. Er hat außerdem den Sachverständigen Lergänzend gehört (Stellungnahme vom 21. Januar 2013).

Die Klägerin hat klargestellt, dass sie weiterhin dauerhaft an Schmerzen in der Intensität von 2 bis 7 auf der NSR leide; die vom Unfallkrankenhaus Bmitgeteilte Schmerzintensität von 2 bis 3 auf der NSR habe sich nur auf den Vorstellungstag des 07. Juni 2012 bezogen. Seit Januar 2012 übe sie in der Praxis, in der sie regelmäßig zur ergotherapeutischen Behandlung sei, geringfügig buchhalterische Tätigkeiten aus.

Die Beklagte ist bei ihrer bisherigen Einschätzung des Leistungsvermögens geblieben. Der Befundbericht vom 22. Oktober 2012 bestätige, dass eine Drehung des Handgelenks problemlos möglich, jedoch der Faustschluss schmerzbedingt unvollständig gewesen sei. Damit könne eine leichte Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der Funktionsstörung des rechten Armes ausgeübt werden.

Den Beteiligten ist mit Verfügung vom 13. Mai 2013 mitgeteilt worden, dass eine Entscheidung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Betracht kommt; ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 04. Juni 2013 gegeben worden.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 52 bis 75, 82 bis 83 und 212 bis 221 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Beteiligten bereits ausführlich ihre Argumente vorgetragen haben, nicht für erforderlich hält, hat er nach deren Anhörung von der durch § 153 Abs. 4 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch Beschluss zu entscheiden.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt. Der Bescheid vom 18. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. Juni 2011 bis 31. Mai 2014, denn sie ist zumindest seit dem 11. November 2010, dem Tag der Untersuchung durch den Sachverständigen L, voll erwerbsgemindert.

Nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch 1. Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und 2. Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist hiernach voll erwerbsgemindert, denn sie kann auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht tätig sein. Ihr Leistungsvermögen ist auf unter drei Stunden täglich herabgesunken.

Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen L nebst ergänzender Stellungnahmen.

Nach diesem Sachverständigen bestehen ein Morbus Sudeck der rechten Hand mit anhaltender funktioneller Einschränkung, Kraftminderung und Hypersensibilität, eine Atrophie der Muskulatur der rechten oberen Extremität und eine partielle Schultersteife und Einschränkung der Ellenbogengelenkfunktion rechts.

Es ist nachvollziehbar, dass die Klägerin deswegen nur unter drei Stunden täglich leistungsfähig ist. Dies folgt nach dem Sachverständigen nicht allein daraus, dass die Funktionsfähigkeit des rechten Arms und der rechten Hand bei Rechtshändigkeit der Klägerin nahezu aufgehoben ist und die Hand auch nicht als Beihand benutzt werden kann, sondern wesentlich daraus, dass eine starke Schmerzhaftigkeit ausgehend von der rechten Hand vorliegt, die jegliche Bewegung im Alltag, jedenfalls soweit sie das beurteilte Leistungsvermögen übersteigt, beeinträchtigt. Bereits das bloße Vorhandensein der rechten oberen Extremität erweist sich wegen der starken Schmerzhaftigkeit als einschränkend.

Dies wird durch die Untersuchung des Sachverständigen unter Berücksichtigung der weiteren ärztlichen Unterlagen bestätigt.

Die rechte Hand hat äußerlich erkennbar eine bräunliche Verfärbung gezeigt. Sie hat im Seitenvergleich atroph, abgeblasst und leicht glänzend gewirkt. An den Langfingern 2 bis 4 sind schuppige Hautabsonderungen auffällig gewesen, wodurch die Haut borkenartig verdickt erschienen ist. Der Faustschluss ist erheblich beeinträchtigt gewesen. Die Finger haben sich der Handinnenfläche nur sehr zögerlich mit grobem Tremor und sehr langsam bei einem Hohlhandabstand von ca. 4 bis 5 cm genähert. Die Langfinger haben aktiv nicht vollkommen gestreckt werden können, wobei sich ein mäßiges Streckdefizit vor allem in den Mittelgelenken gefunden hat. Der grobe Händedruck ist deutlich kraftgemindert erwidert worden. Es hat eine leichte Verschmächtigung des Daumens und Kleinfingerballens vorgelegen. Eine angegebene geringfügige Überwärmung der Hauttemperatur im Bereich des Handgelenks bis zum Ellenbogengelenk hat der Sachverständige jedoch nicht sicher nachvollziehen können. Die Fingerfeinfunktionen haben sich sehr zögerlich ohne wesentliche Kraftaufwendung dargestellt. Die Handgelenksbeweglichkeit handrückenwärts/hohlhandwärts ist mit 60/0/40 (Norm 60/0/60) nicht wesentlich eingeschränkt gewesen. Allerdings ist eine deutliche Schmerzhaftigkeit zu befunden gewesen. So sind sämtliche Bewegungsfunktionen der Langfinger, des Daumens sowie Handbewegungen vor allem schmerzhaft deutlich eingeschränkt gewesen. Fast vollständig mögliche Handumbewegungen sind erheblich unter Schmerzangabe verlangsamt ausgeführt worden; auch Seitwärtsbewegungen im Handgelenk sind bei unauffälligem Bewegungsumfang schmerzbedingt eingeschränkt gewesen. Eine starke Schmerzempfindlichkeit hat die Haut bereits auf leichte Berührung an den Fingern und an der Hohlhand bis etwa Mitte Unterarm gezeigt.

Die Beweglichkeit des rechten Ellenbogengelenks für Streckung/Beugung hat 0/40/130 (Norm 0/0/150) betragen. Sowohl das Streckdefizit als auch die geringfügig eingeschränkte Beugung sind schmerzhaft gewesen.

Armbewegungen im Schultergelenk sind nicht spontan durchgeführt worden. An vorderer und hinterer Schultergelenkskapsel rechts hat sich ein mäßiger Druckschmerz befunden. Mäßig gering schmerzhafte Verspannungen sind im Bereich der Schulter zu befunden gewesen. Im Schultergelenk ist das maximale Bewegungsausmaß aktiv deutlich eingeschränkt gewesen: aktiv Vor-/Rückbewegung 70/0/30, passiv 100/0/30, rückwärts/vorwärts aktiv 30/0/90, passiv 30/0/120. Dabei sind sämtliche Bewegungen nur sehr langsam und zögerlich bei Schmerzangabe durchgeführt worden.

Es hat eine äußerlich sichtbare Umfangsverschmächtigung im Bereich des rechten Unterarmes bestanden, die vom Sachverständigen mit 21 cm rechts (gegenüber 23,5 cm links) 10 cm unterhalb des Ellenbogens befundet worden ist.

Der rechte Arm ist bei allen Bewegungen in der Untersuchungssituation an den rechten Körper bei ca. 90 Grad Beugung im rechten Ellenbogengelenk angepresst worden. Die rechte Hand ist auf einem mitgeführten Kissen ständig abgelegt worden. Auch im Bereich des Ellenbogengelenks und des Handgelenks sind nur angedeutete Spontanbewegungen festzustellen gewesen. Insgesamt ist in allen Situationen ein deutliches und andauerndes konsequentes Schonhalten des rechten Arms deutlich gewesen.

Der Sachverständige Lhat schlüssig bei im Vordergrund stehendem ausgeprägten Schmerzsyndrom, wobei inzwischen eine sekundäre Steifigkeit durch anhaltende Schonhaltung eingetreten sein mag, nicht nur eine nahezu aufgehobene Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand, sondern zugleich auch eine erhebliche Funktionsminderung des gesamten rechten Armes beurteilt. Es handelt sich dabei weniger um eine Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit etwa durch mechanische Blockierung, sondern primär um eine starke Schmerzhaftigkeit als schwere Ausprägung des Morbus Sudeck. Die Beschwerden der Klägerin hat der Sachverständige für nachvollziehbar gehalten. Dafür spricht die ständige Schonhaltung bei sämtlichen Bewegungen während der ausführlichen Befragung und Untersuchung, die auch bei Ablenkung und in der Verabschiedungssituation fortbestanden hat. Wegen der starken Schmerzhaftigkeit kann der rechte Arm, so der Sachverständige, nicht als Beihand benutzt werden, wie dies beispielsweise bei einer Versteifung der Fall wäre. Die Schmerzen bedingen, dass jegliche Bewegung im Alltag eine besondere Rücksichtnahme hinsichtlich des rechten Armes erfordern, die bei einer Erwerbstätigkeit gerade nicht gewährleistet ist, denn das gebotene Ablegen des rechten Armes und der rechten Hand zur Vermeidung jeglicher schmerzhafter Bewegung ist dort nicht ohne Weiteres oder ständig möglich. Die besondere Schmerzhaftigkeit hat der Sachverständige auch im Rahmen der Frage nach der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln thematisiert. Wegen der Gefahr des Anstoßens im Gedränge hat er deren Benutzung für nicht zumutbar erachtet. Die Gefahr des Anstoßens besteht in gleicher Weise im Arbeitsprozess. Daraus erschließt sich zugleich, dass der Zustand des rechten Arms nicht lediglich qualitative Leistungseinschränkungen, sondern auch eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens bewirkt. Die erforderliche und von der Klägerin bei der Untersuchung (auch) dargebotene Schonung des rechten Armes im Sinne von Bewegungsverzicht ist bei der Erbringung von Arbeitsleistung jeglicher Art nicht durchzuhalten, da ein darauf gerichteter Wille wegen seiner Inanspruchnahme zur Ausführung der Arbeitsleistung in den Hintergrund tritt. Damit kommt es zwangsläufig zu einer Bewegung des rechten Arms mit einhergehenden starken Schmerzen, die allenfalls vorübergehend ertragen werden können. Wenn der Sachverständige Lden insoweit zumutbaren zeitlichen Umfang einer Arbeitsleistung auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt hat, erscheint dies schlüssig.

Durchgreifende Bedenken an der starken Schmerzhaftigkeit des rechten Arms sieht der Senat nicht. Nicht ausreichend dafür ist, dass die durchgeführten Blutspiegel keinen Nachweis der eingenommenen Medikamente Lyrica (ein schmerzmodulierendes zentral wirkendes Medikament) und Metamizol (ein peripher wirkendes Schmerzmittel) erbracht haben. Der Sachverständige hat dafür eine Erklärung nicht geben können. Er hat jedoch eine mangelnde Compliance für wenig wahrscheinlich gehalten, insbesondere auch deswegen, weil sich die Klägerin regelmäßig, zum Zeitpunkt der Untersuchung, in dreimonatiger schmerztherapeutischer Behandlung befunden hat. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Mai 2011 hat der Sachverständige zum entsprechenden Einwand der Beklagten ausgeführt, dass, selbst wenn eine "objektive Lücke" (Medikamentenspiegel) existiert, dies nachrangig ist. Er hat dies damit begründet, dass die Klägerin ihre Beeinträchtigungen jederzeit nachvollziehbar geschildert hat, jederzeit kooperativ und eine Aggravation nicht zu beobachten gewesen ist, aber insbesondere damit, dass der klinische Befund äußerst ausgeprägt gewesen ist.

Den vom Senat beigezogenen Befundberichten hat der Sachverständige L einer wesentlichen Änderung nicht entnehmen können. Allerdings lässt sich danach ein wechselnder Verlauf etwa ab Juni 2012 feststellen. Für den Senat ist dies einleuchtend.

Nach dem Befundbericht des Prof. Dr. S vom 22. Oktober 2012 erfolgte am 10. Dezember 2010 eine ambulante Vorstellung, wobei die Schmerzintensität mit 4 (Skala von 0 bis 10) angegeben und zugleich mitgeteilt wurde, dass die bisher durchgeführte Therapie unverändert durchgeführt wird. Nach dem Sachverständigen L sind die gemachten Angaben zum Ruheschmerz mit der Intensität von 4 als besonders wertig anzusehen, da keine Begutachtungssituation vorlag, welche etwaig zu interessengesteuerten Angaben durch die Klägerin hätte führen können. Ebenso lag auf der Behandlungsseite keine besondere Patientenbindung vor. Eine weitere ambulante Vorstellung erfolgte danach am 03. Juni 2011, wobei eine leicht zunehmende Beschwerdesymptomatik bei unveränderter Medikation beschrieben wurde. Der Sachverständige List hierbei davon ausgegangen, dass die genannten Medikamente, insbesondere Lyrica, von der Klägerin überwiegend eingenommen wurden, auch wenn der Umstand des bei seiner Untersuchung vorgefundenen fehlenden Wirkspiegels nach wie vor unbefriedigend ist. Er hat es (aufgrund der vom Senat beigezogenen Befundberichte) zwischenzeitlich für wahrscheinlich gehalten, dass die Klägerin seinerzeit eine schmerzärmere Phase und ihre Medikamente doch nicht eingenommen hatte. Nach dem Befundbericht des Prof. Dr. S erfolgte die letzte Vorstellung am 07. Juni 2012, wobei die Klägerin eine gebesserte Beschwerdesymptomatik mit einer Schmerzintensität von 2 bis 3, bei Belastung von 4 bis 5 angab. Es wird daraus ebenfalls ersichtlich, dass seinerzeit die Klägerin nunmehr 7 bis 8 Stunden in der Woche als Buchhalterin arbeitete. Die Drehung im Handgelenk war problemlos zu demonstrieren. Der Faustschluss war schmerzbedingt unvollständig. Das Hautkolorit wirkte im Seitenvergleich blass. Die dem Befundbericht des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. Evom 05. November 2012 beigefügten Berichte dieses Arztes vom 02. Dezember 2011 und 03. Juni 2011 bestätigen die Angaben im genannten Befundbericht des Prof. Dr. S Die Befundberichte des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 25. Juli 2012 und 30. August 2012 benennen einen unveränderten Befund seit der Untersuchung durch den Sachverständigen L. Danach bestehen ein schmerzhafter, fast vollständiger Funktionsverlust des gesamten rechten Arms und der rechten Hand. Das rechte Schultergelenk ist schmerzhaft endgradig bewegungseingeschränkt, was auch für das rechte Ellenbogengelenk und die Unterarmdrehbewegung gilt. Es findet sich eine deutliche Bewegungseinschränkung des Handgelenks rechts und eine schuppige Veränderung der Haut der gesamten Finger, eine Einschränkung der vollen Fingerstreckung als auch des Faustschlusses mit der rechten Hand. Die grobe Kraft rechts ist ebenso wie die Feinmotorik massiv eingeschränkt. Anhand dieser Befundberichte wird zwar ersichtlich, dass, wie vom Sachverständigen gesehen, seit etwa Juni 2012 ein wechselnder Verlauf eingetreten ist. Es ist daraus jedoch eine wesentliche Veränderung nicht erkennbar, so dass schlüssig ist, wenn der Sachverständige Lauf dieser Basis weiterhin von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgeht.

Das von der Beklagten vorgebrachte Argument, dass die Klägerin noch stärkere Schmerzmittel wie Opiate hätte einnehmen können, hat der Sachverständige zutreffend als nicht stichhaltig erachtet, denn ohne eine entsprechende Verordnung durch die behandelnden Ärzte scheidet dies aus. Außerdem ist die bestehende erhebliche Schmerzhaftigkeit und Funktionsbehinderung, wie sie sich bei seiner Untersuchung und nach den genannten Befundberichten darstellt, der Beurteilung des Leistungsvermögens zugrunde zu legen. Ob sich daran zukünftig mit Auswirkungen auf das festgestellte Leistungsvermögen etwas ändern wird, berührt die gegenwärtige Bewertung nicht. Der Möglichkeit einer Besserung des Leistungsvermögens trägt die vom Sozialgericht ausgesprochene Verurteilung einer Rente auf Zeit Rechnung.

Wie bereits der Sachverständige L in seinem Gutachten ausgeführt hat, ist maßgebend für das von ihm eingeschätzte Leistungsvermögen weniger die Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit als vielmehr die im Vordergrund stehende ausgeprägte Schmerzhaftigkeit. Angesichts dessen kommt der von der Beklagten angesprochenen problemlosen Drehung des Handgelenks nach dem Befundbericht des Prof. S vom 22. Oktober 2012 keine ausschlaggebende Bedeutung zu, zumal sich die Situation des Handgelenks bei der Untersuchung durch den Sachverständigen im Wesentlichen identisch dargestellt hat. Dementsprechend hat der Sachverständige L in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2013 diesen Umstand nochmals besonders betont. Er hat darauf hingewiesen, dass der Schmerzverlauf von unabhängiger Seite die ausgeprägte Schwere des Krankheitsbildes und die dadurch bestehenden Funktionsbehinderungen bestätigt. Jeder Gebrauch der rechten Hand führt zu einer vermehrten Schmerzverstärkung. Zwar kann die Schmerzstärke nicht durch eine Untersuchung erfasst werden. Der Sachverständige hat jedoch nachvollziehbar auf Befunde hingewiesen, aus denen Rückschlüsse auf die Schmerzhaftigkeit und damit auf die Glaubwürdigkeit der Angaben der Klägerin gezogen werden können. Diese sind in seinem Gutachten bereits genannt worden. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Januar 2013 hat er insbesondere die erheblichen Hautveränderungen an den Langfingern, die ausgeprägte Muskelverschmächtigung und die Schmerzreaktionen bei der Untersuchung nochmals angeführt. Die objektivierbaren Veränderungen zur andauernden Nichtbenutzung der rechten Hand bzw. des rechten Arms begründen schlüssig die von der Klägerin vorgetragene und vom Sachverständigen Lauch beobachtete starke Schmerzhaftigkeit.

Besteht somit wenigstens seit dem Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Lam 11. November 2010 ein aufgehobenes Leistungsvermögen, ist die Klägerin seither voll erwerbsgemindert.

Für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung sind auch die weiteren Voraussetzungen bei einem zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Leistungsfall erfüllt.

Wie aus dem Versicherungsverlauf der Beklagten vom 01. Juli 2013 hervorgeht, hat die Klägerin vor diesem Zeitpunkt wenigstens 5 Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, womit die allgemeine Wartezeit erfüllt ist (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI). Danach sind im maßgebenden Fünfjahreszeitraum von November 2005 bis November 2010 59 Kalendermonate und damit wenigstens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2; § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI).

Die Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnt bei einem im Oktober 2008 gestellten Antrag nach der vom Sozialgericht tenorierten Befristung bis 31. Mai 2014 erst am 01. Juni 2011.

Dies folgt aus § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, wonach eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, und aus § 101 Abs. 1 SGB VI, wonach befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet werden.

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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