L 3 U 147/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 98 U 278/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 147/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Berlin vom 28. Juni 2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die rechtsseitige Sprunggelenksfraktur, die der Kläger bei einem Sturz in seinem Haus am 28. November 2003 erlitt, die Folge eines früheren Versicherungsfalles ist.

Der 1943 geborene Kläger absolvierte in der DDR von September 1958 bis August 1961 eine Lehre zum Gleisbaufacharbeiter und arbeitete anschließend bis August 1969 in diesem Beruf. Von Mai 1965 bis November 1966 leistete er seinen Grund-wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) ab. Beim Judo-Sport im Rahmen dieses Grundwehrdienstes erlitt der Kläger im Juni 1965 eine Distorsion des rechten Kniegelenks mit Knorpelschädigung im Bereich der Kniescheibe und eine Meniskuslä-sion. Das Ereignis wurde als Arbeitsunfall mit einem Körperschaden von v. 20 v. H. anerkannt. Im Oktober 1975 wurde eine Meniskektomie rechts vorgenommen. Im Jahr 1981 wurde beim Kläger eine beidseitige Hüftgelenksarthrose diagnostiziert (vgl. Ar-beitsmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes des Verkehrswesens der DDR vom 27. August 1981 und vom 26. März 1985). Die Hüftgelenksarthrose wurde als Berufskrankheit (BK) Nr. 71 der Liste der Berufskrankheiten der DDR vom 21. April 1981 ("Verschleißkrankheiten von Gliedmaßengelenken einschließlich der Zwischengelenkscheiben durch langjährige mechanische Überlastungen", Gesetzbl. I Nr. 12 S. 139, Ber. Nr. 25, S. 312) anerkannt. Der Kläger erhielt ab dem 01. April 1981 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1965 und der BK Nr. 71 eine Un-fallrente nach einem Gesamtkörperschaden von 25 v. H. (Bescheid des Freien Deut-schen Gewerkschaftsbundes vom 21. März 1986). Nach der Wiedervereinigung ge-währte die Beklagte dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfä-higkeit (MdE) von 25 v. H.

Der Facharzt für Orthopädie Dr. K erstattete im Auftrag der Beklagten am 09. August 1994 ein Gutachten. Er führte aus, dass sich die Hüftgelenksarthrose im Vergleich zu den Befunden aus dem Jahr 1985 verschlimmert habe, jedoch nicht aufgrund beruflich bedingter Belastung. Im rechten Kniegelenk sei es im Vergleich zum Jahr 1985 zu einer leichten Zunahme der Beuge- und Streckhemmung gekommen, sie betrage nunmehr jeweils etwa 20°. Das Gangbild lasse ein "leichtes Entlastungshinken rechts mit gering vermehrter Schrittgröße" erkennen. An den Beinen zeige sich ein seiten-gleich ausgebildetes Muskelrelief ohne sichtbare Beinumfangsdifferenzen. Die MdE wurde weiterhin mit 25 v. H. eingeschätzt.

Vom 18. Oktober bis zum 08. November 2000 hielt sich der Kläger zur Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in der T Fachklinik B auf. Im Entlassungsbericht vom 13. November 2000 führten die Ärzte aus, dass der Kläger mit deutlich gebeugtem rechten Kniegelenk und leicht abgehobener Ferse rechts stehe. Im Aufnahmebefund habe sich ein Gangbild mit deutlichem rechtsseitigem Hinken gezeigt, im Abschluss-befund lediglich noch ein leichtes Hinken.

Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin (S 67 U 497/01), in dem es um die Höhe der dem Kläger gewährten Verletztenrente ging, erstellte der Facharzt für Or-thopädie Dr. W als gerichtlicher Sachverständiger am 13. Dezember 2002 ein Gutach-ten. Er führte aus, dass sich die Hüftgelenksarthrose des Klägers in den letzten 20 Jahren weder in radiologischer noch in klinisch funktioneller Hinsicht nennenswert verschlimmert habe. Die Bewegungsreduzierung der Hüftgelenke sei leichtgradig. Im rechten Kniegelenk bestehe ein Streckdefizit (Beugekontraktur um 20°), welches zu einer relativen Verkürzung der Beinlänge um ca. 1,5 cm und zu einem Abkippen des Beckens nach rechts führe. Das Gangbild des Klägers sei durch das Streckdefizit im rechten Kniegelenk geprägt, es zeige ein leichtes Entlastungshinken. Es sei aber kei-ne einseitige Muskelatrophie an den Beinen festzustellen.

Am 28. November 2003 erlitt der Kläger bei einem Sturz in seiner Wohnung eine Sprunggelenksfraktur am rechten Fuß und wurde anschließend bis zum 11. Dezem-ber 2003 stationär im V-Klinikum behandelt. Im Entlassungsbericht vom 11. Dezember 2003 ist vermerkt, dass der Kläger "nach reichlich Alkoholgenuss" gestürzt sei.

Den Hergang des Unfalls schilderte der Kläger gegenüber der Beklagten wie folgt: Ich bin aus dem Arbeitszimmer gekommen und wollte in die Küche gehen. In der Diele vor der Küche liegt ein runder Teppich, der seit Anfang November 2003 mit beidseiti-gem Klebeband gegen Wegrutschen auf dem Parkettboden befestigt ist. Aufgrund meiner unten angeführten Gangprobleme stieß ich mit meinem rechten Fuß gegen den Teppich, welcher nicht nachgab (Fußzehen gerieten unter den Teppich) und stürzte zu Boden und brach mir das Sprunggelenk. Aufgrund meiner Gangprobleme stolperte ich (trotz größter Vorsicht!) des Öfteren ü-ber den losen Teppich (bin auch schon hingefallen!), welcher dann immer verrutschte. Um diese Gefahrenquelle zu beseitigen, befestigten wir "leider" den Teppich mit beid-seitigem Klebeband. Meine Geh- und Standunsicherheit hat folgende Ursachen: Funktionseinschränkung beider Hüftgelenke sowie des rechten Kniegelenks - aner-kannt als Berufserkrankung. Anerkannte Schwerbehinderung: 10.12.02 vom Versorgungsamt.

Gegenüber seiner Krankenkasse führte der Kläger mit Schreiben vom 15. Februar 2004 aus, dass er nicht vor, sondern erst nach seinem Sturz Alkohol zu sich genom-men habe. Er sei durch den Sturz nervlich so angeschlagen gewesen, dass er nach den halbgefüllten Flaschen gegriffen habe, die aufgrund seines 60. Geburtstages noch in der Küche gestanden hätten.

In einer von der Beklagten eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme führte der Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. R am 10. Oktober 2004 aus, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 28. November 2003 um eine Alltagssituation gehandelt habe, die nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der leichten Gang-störung des Klägers stehe.

In der Folgezeit wurden mehrere orthopädische Gutachten über den Kläger erstellt (Gutachten von Dr. V vom 25. November 2004 im Auftrag des Versorgungsamtes, Gutachten Dr. W vom 26. April 2005 im Verfahren des SG Berlin (S 25 U 229/04) betreffend die Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen, Gutachten Dr. R vom 01. Oktober 2007 im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialge-richt (LSG) Berlin-Brandenburg (L 22 U 105/08)).

Mit Bescheid vom 19. November 2008 lehnte die Beklagte eine Entschädigung für den am 28. November 2003 erlittenen Unfall ab. Um einen Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Sieb-tes Buch Sozialgesetzbuh – SGB VII –) handele es sich deshalb nicht, weil sich der Sturz in der Häuslichkeit des Klägers zugetragen habe. Es sei auch nicht wahrschein-lich, dass der Unfall rechtlich wesentlich durch die Folgen des Arbeitsunfalls aus dem Jahre 1965 bzw. der BK 71 verursacht worden sei. Ursächlich für den Sturz sei das Stolpern über eine Teppichkante gewesen. Dies sei ein Alltagsrisiko, dass gleicher-maßen auch einen Gesunden hätte treffen können.

Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Wider-spruchsbescheid vom 06. April 2009 als unbegründet zurück.

Mit seiner vor dem SG Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Feststellung seiner rechtsseitigen Sprunggelenksfraktur als mittelbare Folge des Un-falles aus dem Jahre 1965 bzw. seiner BK weiter verfolgt und vorgetragen, dass in den medizinischen Gutachten immer wieder das Anstoßen der rechten Fußspitze an Bordsteinkanten etc. erwähnt worden sei. Zu dem Unfall sei es deshalb gekommen, weil er mit dem rechten Fuß gegen die Kante des etwas ausgebeulten Teppichs ge-stoßen sei, so dass er mit dem Fußgelenk etwas darunter gerutscht sei. Sein Lauf-gang sei, wie vorgesehen, vorwärtsgerichtet gewesen, so dass er sich beim Stürzen das Sprunggelenk gebrochen habe. Er habe einschlägige Ratgeber zur Unfallverhü-tung beachtet und seinen Teppich, soweit bei einem runden Teppich möglich, mit beidseitigen Klebestreifen festgeklebt.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2012 hat das SG Berlin die Klage abgewiesen. Zwar habe es sich bei dem Unfall des Klägers aus dem Jahr 1965 und der Hüftge-lenksarthrose um Versicherungsfälle nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversiche-rung gehandelt (§ 215 Abs. 1 SGB VI i. v. m. § 1150 Abs. 2 Reichsversicherungsord-nung (RVO) in der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Fassung). Die Sprungge-lenksfraktur, die der Kläger am 28. November 2003 erlitten habe, sei jedoch keine mit-telbare Folge dieser Versicherungsfälle, wie die Beklagte zu Recht entschieden habe.

Zwar hätten beim Kläger zum Zeitpunkt des Sturzes in Folge des Arbeitsunfalls aus 1965 und der BK Nr. 71 funktionelle körperliche Einschränkungen bestanden. Wie der Facharzt für Orthopädie Dr. W in seinem Sachverständigengutachten vom 13. Sep-tember 2002 im Verfahren des SG Berlin (S 67 U 497/01) nachvollziehbar dargelegt habe, hätten infolge der BK – der Hüftgelenksarthrose – beim Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung lediglich leichtgradige Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke bestanden. Als Folge des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1965 habe ein Streckdefizit (Beugekontraktur um 20°) des rechten Kniegelenks vorgelegen, welches zu einer rela-tiven Verkürzung der Beinlänge um ca. 1,5 cm und zu einem Abkippen des Beckens nach rechts geführt habe. Das Gangbild sei aufgrund des Streckdefizits des Kniege-lenks durch ein leichtes rechtsseitiges Entlastungshinken gekennzeichnet gewesen. Die Beinumfangmaße seien ausweislich der Messergebnisse nahezu identisch gewe-sen. Einseitige Muskelatrophien hätten sich nicht gezeigt. Diese, von dem Sachver-ständigen erhobenen Befunde entsprächen im Wesentlichen auch denjenigen, die bereits Dr. K im Gutachten vom 09. August 1994 und die Ärzte der T Fachklinik Blan-kenburg im Entlassungsbericht vom 13. November 2000 dokumentiert hätten. Es gebe auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers zwi-schen der Begutachtung im Dezember 2002 und dem Sturz im November 2003 nen-nenswert verändert hätte, so dass davon auszugehen sei, dass die von Dr. W be-schriebenen Funktionseinschränkungen im gleichen Maß zum Zeitpunkt des Sturzes am 28. November 2003 bestanden hätten.

Zugrunde gelegt werde weiterhin, dass sich das Unfallereignis vom 28. November 2003 so zugetragen habe, wie der Kläger es gegenüber seiner Krankenkasse am 16. Dezember 2003 beschrieben habe. Hierbei könne offenbleiben, ob der Kläger bereits beim Sturz alkoholisiert gewesen sei, oder ob er – wie er behaupte – erst nach dem Sturz alkoholische Getränke zu sich genommen habe. Selbst wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Sturzes nicht unter Alkholeinfluss gestanden hätte, sei die Sprungge-lenksfraktur nicht als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 1965 bzw. der BK anzuerkennen. Es sei zwar möglich, dass die durch diese Versicherungsfälle verursachten Gesund-heitsschäden, insbesondere die auf den Arbeitsunfall aus dem Jahre 1965 zurückzu-führende Beugekontraktur des rechten Kniegelenks und die hierdurch bedingten Gangstörungen die wesentliche Ursache für den Sturz gewesen seien, jedoch sei ein solcher Kausalzusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich. Es spreche nicht mehr dafür als dagegen, dass der Sturz bzw. die Sprunggelenksfraktur gerade durch die beim Kläger bestehenden Funktionseinschränkungen verursacht worden wären. Für einen Ursachenzusammenhang spreche, dass der Kläger hinke und sein Geh- und Stehvermögen daher nicht so stabil wie das eines Gesunden sei. So sei der Klä-ger seinen eigenen Angaben gegenüber Dr. K zufolge bereits in der Vergangenheit gelegentlich durch Anstoßen mit der rechten Fußspitze, z. B. an einer Bordsteinkante, gestolpert (vgl. Gutachten Dr. K vom 09. August 1994, dort Seite 7). Gegen einen Ur-sachenzusammenhang spreche indes, dass der Kläger bereits vor dem Sturz im No-vember 2003 seit geraumer Zeit gehinkt habe und gewissermaßen auf die Behinde-rung eingestellt gewesen sei. Die Muskulatur des rechten Beines, die ausweislich der nahezu identischen Bewegungsumfangsmaße nicht weniger ausgebildet gewesen sei, als die des linken, sei ein Beleg dafür, dass der Kläger das rechte Bein beim Laufen durchaus belasten könne. Es sei daher gut möglich, dass nicht die Bewegungsein-schränkung im Hüftgelenk und/oder im rechten Kniegelenk, sondern eine Unachtsam-keit zu dem Sturz geführt habe. Nach allgemeiner Lebenserfahrung seien Erhöhungen im Bereich des Fußbodens, so wie z. B. Teppichkanten, eine gefährliche Stolperquelle auch für gesunde Menschen, die sich bei einem derartigen Sturz ebenfalls einen Bruch zuziehen könnten. Nach alledem sei ein Ursachenzusammenhang nicht hinrei-chend wahrscheinlich und die rechtseitige Sprunggelenksfraktur demzufolge keine mittelbare Folge des Arbeitsunfalls aus dem Jahre 1965 bzw. der BK.

Mit seiner hiergegen bei dem LSG Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass allein seine Geh- und Stehunsicherheit, sein deutli-ches Hinken sowie seine Körperfehlhaltung am 28. November 2003 zu dem häusli-chen Unfall geführt habe. So belegten auch mehrere medizinische Gutachten seine Stolperneigung bzw. das Anstoßen der rechten Fußspitze an Bordsteinkanten etc. Eine Alkoholbeeinflussung habe zum Unfallzeitpunkt nicht bestanden. Er sei aufgrund seiner Funktionseinschränkungen in der Vergangenheit mehrfach nachweislich ge-stolpert und zwar trotz Anspannung und jeglicher Aufmerksamkeit und Vorsicht beim Gehen. Die fehlende Koordinationsfähigkeit und schiefe Fußhaltung zeige sich auch durch unregelmäßigen Abrieb von Schuhsohlen und führe zu einem permanenten und erhöhten Stolperrisiko. Ein körperlich gesunder Versicherter wäre gar nicht erst mit den Zehen unter den Teppichrand geraten oder er hätte einen Sturz verhindern bzw. eine Fraktur vermeiden können. Er selbst aber habe sich die schweren Folgen nur deshalb zugezogen, weil er schädigungsbedingt den verletzten Fuß nicht mehr recht-zeitig unter dem Teppichrand habe hervorziehen und damit die Sturzfolgen abmildern können. Unfallunabhängige Faktoren würden an ursächlicher Bedeutung nur dann überwiegen, wenn sie die tatsächlich und auch rechtlich allein wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens darstellen würden. Diese Grundsätze seien jedoch auf vorgeschädigte Personen mit nachgewiesener Stolperneigung nicht anzu-wenden. Der Versicherte sei in dem Gesundheitszustand geschützt, in dem er sich bei Aufnahme seiner Tätigkeit befinde, auch wenn dieser Zustand eine größere Gefähr-dung begründe. Versichert seien daher alle im Unfallzeitpunkt bestehenden Krankhei-ten, Anlagen, konstitutionell oder degenerativ bedingte Schwächen und Krankheits-dispositionen. Mit Befund- und Behandlungsbericht (BB) vom 27. Februar 2013 hat der Facharzt für Orthopädie Dr. M auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, der Kläger habe sich zwischen Juni 2003 und Dezember 2012 quartalsweise unregelmäßig vorgestellt. Weiter füh-rende Angaben über den hier interessierenden Unfall befinden sich jedoch nicht in dem BB.

Das Gericht hat den Facharzt für Orthopädie Dr. W mit der Erstattung eines Gutach-tens beauftragt. In seinem Sachverständigengutachten vom 18. Mai 2013 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass das Stolpern des Klägers zu Hause nicht hinreichend wahrscheinlich auf die Folgen des früheren Arbeitsunfalls aus 1965/bzw. der BK Nr. 71 zurückzuführen sei.

Die Defizite am Bewegungsapparat des Klägers (vorzeitigen Kniegelenksverschleiß rechts, beidseitiger Hüftgelenksverschleiß) würden keine ungewöhnliche Summation von Störungen mit Einfluss auf das Gehverhalten bilden. Zudem habe sich der Kläger nicht in einer ungewohnten Umgebung bewegen müssen, vielmehr sei anzunehmen, dass er den beschriebenen Weg im eigenen Wohnbereich unzählige Male zuvor ohne Stolpern bewältigt habe. Vor allem aber seien die vom Kläger behauptete Stolpernei-gung sowie die Steh- oder Gangunsicherheiten nicht durch regelmäßige Untersu-chungsprotokolle gesichert, so dass sich aus der Anamnese und der fehlenden Be-handlungsbedürftigkeit ein ausgeprägtes Stolperproblem nicht identifizieren lasse. Der Kläger würde bereits seit vielen Jahren (damit Gewöhnungseffekt) das rechte Bein geringer belasten und auch das Streckdefizit im rechten Knie mit relativer Verkürzung sei seit längerer Zeit bekannt gewesen. Eine relevante Unsicherheit beim Laufen oder Stehen drücke sich regelmäßig dadurch aus, dass der Bedarf, dieses Problem mit Hilfsmitteln auszugleichen, steige, was aber seit Ende 2002 nicht erforderlich gewe-sen sei. Erst 2007 sei der Kläger beim Gutachter Dr. R mit zwei Unterarmgehstützen erschienen. Bei dem Sturz handele es sich damit um einen Gelegenheitsanlass oder eine Alltagssituation, die nicht durch die Unfallschäden oder die BK begüns-tigt/herbeigeführt worden sei.

Der Kläger hat kritische Einwendungen zu dem Gutachten von Dr. W erhoben und vorgetragen, er sei gar nicht dazu gefragt worden, ob er bereits vor dem Unfall mehr-fach regelmäßig mit der rechten Fußspitze an Hindernissen des Gehweges hängen geblieben bzw. darüber gestolpert sei. Seine Stolperneigung führe dazu, dass die Be-klagte darlegen und beweisen müsse, dass der Sturz nicht auf die Funktionsein-schränkung zurückgehe. Er habe normal zielgerichtet die Küche seiner Wohnung auf-suchen wollen, sei weder abgelenkt noch unvorsichtig gewesen, so dass sich sein körperliches Risiko in dem Sturz realisiert habe. Er habe auch nicht reichlich Alkohol zu sich genommen gehabt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2008 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 06. April 2009 aufzuheben und festzustellen, dass die am 28. November 2003 erlittene rechtsseitige Sprunggelenksfraktur eine mittelbare Folge des Unfalls aus dem Jahre 1965 bzw. seiner Berufskrankheit (Hüftge-lenksarthrose) sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W an, der nachvollziehbar dargelegt und begründet habe, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 01. Juni 1965/der BK Nr. 71 und dem Er-eignis vom 28. November 2003 nicht bestehe und eine Anerkennung als mittelbarer Folgeschaden dieser Versicherungsfälle nicht erfolgen könne.

Mit Beschluss vom 12. Juli 2013 ist der Rechtsstreit gem. § 153 Abs. 5 Sozialge-richtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung zusam-men mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die zur Verhandlung und Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Die Berichterstatterin konnte aufgrund des Beschlusses des Senats vom 12. Juli 2013 gem. § 153 Abs. 5 SGG als Einzelrichterin zusammen mit den ehrenamtlichen Rich-tern entscheiden.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG Berlin hat die zulässig kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Feststellung, dass die Sprunggelenksfraktur rechts (mittelbare) Folge des Arbeitsun-falls aus dem Jahr 1965 bzw. der BK Nr. 71 ist.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätig-keit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (inne-rer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenz-ten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden des Versi-cherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfall-folgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist (noch) keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Hierbei müssen im Unfallversicherungsrecht die den Anspruch begründenden Tatsa-chen, nämlich die "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfaller-eignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Voll-beweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Gericht fest-stehen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusam-menhänge die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglich-keit (BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84, SozR 2200 § 555 a Nr. 1). Dies be-deutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzel-falls mehr für als gegen ein Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG, Urteile vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R, SozR 3-1300, § 48 Nr. 67 und vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R, SozR 3-2200, § 515 Nr. 16). Kann ein behaup-teter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfah-ren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen al-so zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90, SozR 3-2200, § 548 Nr. 11).

An diesen Grundsätzen gemessen erweist sich die angefochtene Entscheidung des SG Berlin als zutreffend. Die Sprunggelenksfraktur am rechten Fuß, die der Kläger bei seinem Sturz in seinem Haus am 28. November 2003 erlitten hat, ist nicht als eine mittelbare Folge des als Versicherungsfall anerkannten Unfalls aus dem Jahr 1965 bzw. der als BK Nr. 71 anerkannten Hüftgelenksarthrose anzusehen. Das Gericht verweist zur näheren Begründung zunächst auf die umfassenden und zutreffenden Gründe des Gerichtsbescheides vom 28. Juni 2012, denen es sich nach eigener Wür-digung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG).

In Abwägung der Gesamtumstände spricht nicht mehr als eine reine Möglichkeit für die vom Kläger hervorgehobene Kausalkette Arbeitsunfall/BK Nr. 71 – Hinken und Stolperneigung – Sturz in der Häuslichkeit. Eine derartige Stolperneigung müsste je-doch unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze nicht nur wahrschein-lich sein, sondern sie müsste als Gesundheits(folge)schaden im Vollbeweis gesichert sein. Erst dann wäre Raum für die anschließende Prüfung, ob die – so festgestellte – erhöhte Stolperanfälligkeit die wesentliche Ursache für den hier in Rede stehenden Sturz gewesen sein könnte. Das Gericht folgt den Ausführungen des im Berufungsver-fahren beauftragten Facharztes für Orthopädie Dr. W in seinem Gutachten vom 18. Mai 2013. Der Sachverständige hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt und be-gründet, dass dem vom Kläger hervorgehobene Hinken und seiner Stolperneigung nicht die Bedeutung einer wesentlichen Ursache für seinen Sturz zukomme. Eine An-erkennung der Sprunggelenksfraktur als mittelbarer Folgeschaden dieser anerkannten Versicherungsfälle kann daher nicht erfolgen.

So hat der Sachverständige Dr. W nach Auswertung der bildgebenden Befunde und nach Untersuchung des Klägers zunächst festgestellt, dass sich auch fast 40 Jahre nach dem Arbeitsunfall von 1965 und trotz des Hüftgelenksverschleißes radiologisch und funktionell und auch nach den Angaben des Klägers während der Befragung im Dezember 2002 im Rahmen des von Dr. W im Verfahren des SG Berlin (S 67 U 497/01) erstatteten Gutachtens an den Gelenken nichts Grundlegendes geändert ha-be. Zu Recht hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass es entscheidend darum gehe, ob der Hüftgelenksverschleiß und die Kniegelenksarthrose zu einer auf-fälligen und für den Sturz am 28. November 2003 verantwortlichen Stolperneigung geführt habe und dass es daher vor allem auf die zeitnah zum November 2003 zu-sammengetragenen Untersuchungsbefunde ankomme. Insoweit lassen sich aber kei-ne Umstände verifizieren, die auf eine erhöhte Gangunsicherheit schließen ließen. So benutzte der Kläger keinerlei orthopädische Hilfsmittel, also keine orthopädischen Schuhe, keine Gehilfen. Das Gangbild zeigte aufgrund des Streckdefizits (Beuge-kontraktur von ca. 20°) und der damit verbundenen unvollständigen Belastung des Beins ein leichtes Entlastungshinken zu Ungunsten des rechten Beines. Gleichwohl wurde auch das rechte Bein vom Kläger ständig benutzt, wie der Umstand beweist, dass einseitige Muskelatrophien nicht vorhanden waren. Auch gab es keine entzündli-chen Reizerscheinungen im Kniebereich und der Bandapparat des rechten Kniege-lenkes war stabil. Auch die Hüftgelenke wiesen kein Streckdefizit und keine gröberen Kontrakturen auf. Auch in sensomotorischer Hinsicht gab es keine Auffäligkeiten im Sinne von Paresen oder Schwächen. Es wurde auch keine schmerzhafte Abnutzung der Knie- oder der Hüftgelenke, die Grund für ein gehäuftes Stolpern hätte sein kön-nen, festgestellt, auch bestanden keine Bandlockerungen mit nachgewiesener Instabi-lität. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. W, dass die von ihm festgestell-ten Defizite am Bewegungsapparat des Klägers keine ungewöhnliche Summation von Störungen mit Einfluss auf das Gehverhalten bilden würden, erscheint daher nachvoll-ziehbar. Auch ist zu beachten, dass der Klägers sein rechtes Bein aufgrund des Streckdefizits im rechten Knie bereits seit vielen Jahren geringer belastet und daher an die beste-henden Veränderungen am Bewegungsapparat und das dadurch beeinflusste Gang-verhalten gewöhnt ist. Es bestand für ihn über viele Jahre auch keine Notwendigkeit, etwaige Unsicherheiten beim Laufen oder Stehen mit Hilfsmitteln, etwa einem Geh-stock oder Gehstützen, auszugleichen. Auch zur Zeit des Unfalls war dies noch so. Erst etwa vier Jahre nach dem Unfall erschien der Kläger beim Gutachter Dr. R mit zwei Unterarmgehstützen. Der Vortrag des Klägers, ein regelmäßiges Stolpern, das schon in den 80er Jahren begonnen habe, sei in zahlreichen ärztlichen Untersuchungen belegt worden, lässt sich nicht verifizieren. So hat der Kläger selbst gegenüber dem Sachverständigen Dr. W angegeben, das Stolpern trete lediglich ca. ein bis zwei Mal pro Jahr auf. Dies ist sicher kein gehäuftes Stolpern, sondern dürfte auch bei einem gesunden Menschen so vorkommen. Soweit der Kläger hiergegen einwendet, Dr. W habe ihn nicht dazu befragt, ob er bereits vor dem Unfall mehrfach regelmäßig mit der rechten Fußspitze an Hindernissen des Gehweges hängen geblieben bzw. darüber gestolpert sei, ist dies unter Berücksichtigung der Angaben im Gutachten zu der diesbezüglichen Schil-derung (S. 11) nicht nachvollziehbar. Es leuchtet auch nicht ein, warum der Kläger diesen für ihn evident wichtigen Umstand nicht oder unvollständig angegeben haben sollte. Jedenfalls ist die behauptete Stolperneigung nicht durch Untersuchungsproto-kolle gesichert, vielmehr lässt gerade die fehlende Behandlungsbedürftigkeit nicht auf ein ausgeprägtes Stolperproblem schließen. Der sehr ausführliche BB vom 27. Febru-ar 2013 des behandelnden Facharztes für Orthopädie Dr. M lässt zwar einige Unfälle erkennen (z. B. "30.06.03: beim Toben mit Enkel li. Wade verletzt, 04.03.04 erneute Distorsion links, 04.03.05: Sturz vor 1 Woche, Sprunggelenk links verstaucht" etc.), besagt jedoch nicht, dass hier eine ausgeprägte Stolperneigung die Ursache gewesen sein könnte. Über den hier interessierenden Unfall finden sich lediglich Angaben über die Nachbehandlung. Soweit der Kläger weiterhin vorträg, dass ein "Einfädeln" unter dem Teppichrand und eine Fixierung der Zehen zwischen Teppich und Klebeband gerade auf dem Streckdefizit und der Beugekontraktur des rechten Kniegelenks sowie dem arthrosebedingten "Abkippen des Beckens nach rechts" beruht habe, spricht er eine bloße Möglichkeit an, die jedoch nicht wahrscheinlich zu machen ist. Da der Klä-ger mit dem geschonten Bein gestolpert ist, hätte das gesunde Standbein das Körper-gewicht zu tragen gehabt. Zudem handelte es sich bei dem Gang in die Küche in ver-trauter Umgebung um eine Alltagssituation, so wie auch das mehrjährige Hinken ei-nen langjährigen gewohnten Prozess dargestellt hat. Dass der Kläger infolge seiner unfallbedingten Fußfehlstellung gestolpert ist und ihm dies bei gesundem Fuß nicht passiert wäre, stellt eine bloße Hypothese dar. Ebenso gut ist es möglich, dass er müde, unachtsam, abgelenkt oder beeinflusst durch größeren Alkoholkonsum war und deshalb gestolpert ist. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass es dem Vortrag des Klägers, er habe erst nach dem Sturz zu Alkoholneigen gegriffen, die noch von seinem 60. Geburtstag stammten, für wenig überzeugend hält. Abgese-hen davon, dass der Geburtstag bereits drei Wochen zurücklag, erscheint auch schwer vorstellbar, wie der Kläger nach seinem Sturz an die angebrochenen Flaschen gelangt sein mag, die nach seinen Angaben in der Speisekammer oder einem von der Küche separaten Teil gestanden haben. Nicht anzuschließen vermag sich das Gericht schließlich der Auffassung, dass die Stolperneigung des Klägers als Folge der durch den Arbeitsunfall und die BK-bedingten Vorschädigungen zu einer Umkehr der Feststellungs- und Beweislast zu-ungunsten der Beklagten führen sollte. Hier wird bereits eine aus früheren Versiche-rungsfällen hervorgerufene Stolperneigung des Klägers unterstellt, die aber erst gera-de festzustellen wäre. Es liegt kein Fall vor, der zu einer Beweislastumkehr führen könne. Weder hat die Beklagte durch ihr Verhalten ihre Ermittlungspflicht verletzt noch hat sie in irgend einer Weise etwa einen Beweisnotstand des Klägers verursacht. Ein in irgendeinem Sinn schuldhaftes Verhalten oder Unterlassen der Beklagten bei der Aufklärung des Sachverhalts ist nicht feststellbar. Eine Beweislastumkehr aus reinen Billigkeits- und/oder Gerechtigkeitsgründen kommt ohnehin nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfah-rens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Zulassungsgrunds nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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