S 19 AY 5/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AY 5/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AY 43/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AY 6/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 21. Februar 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2007 und unter Abänderung aller entgegenstehenden nicht rechtskräftigen Ablehnungsbescheide bis zum 18. Juni 2008 verpflichtet, der Klägerin Leistungen nach § 3 AsylbLGB ohne Anrechnung des Einkommens der Familie des Sohnes zu bewilligen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Verfahrenskosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt mit der vorliegenden Klage Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - ohne unmittelbare Anrechnung des Einkommens des Sohnes und der Schwiegertochter.

Die 76-jährige Klägerin ist Staatsangehörige von Bosnien/Herzogowina kroatischer Volkszugehörigkeit. Die zuständige Ausländerbehörde hat ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltG) erteilt. Als eigene Einkünfte hat sie eine (deutsche) Witwenrente in Höhe von monatlich 52,11 EUR sowie eine kroatische Rente in Höhe von monatlich 111,66 EUR. Sie wohnt zusammen mit ihrem Sohn, der Schwiegertochter und der Enkeltochter in einem Haushalt in Aachen. Der Sohn ist bei der Deutschen Post beschäftigt und erzielt als Postzusteller ein monatliches schwankendes Nettoeinkommen von durchschnittlich ca. 1400,- EUR bis 1700,- EUR. Im Dezember 2006 erhielt er außerdem eine Jahressonderzahlung. Die Schwiegertochter der Klägerin übt eine geringfügige Nebentätigkeit aus, bei der sie monatlich schwankende Einkünfte in Höhe von ca. 130,- EUR bis 220,- EUR erzielt. Die Enkeltochter der Klägerin besucht noch die Schule und hat keine eigenen Einkünfte.

Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen hat die Klägerin in den Jahren 2003 bis 2004 ergänzende Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen. Im Anschluss daran bewilligte der Beklagte mit Unterbrechungen seit Januar 2005 Leistungen nach den § 3 AsylbLG.

Mit Bescheid vom 07. Dezember 2006 stellte der Beklagte die Leistungen ein. Gemäß § 7 AsylbLG seien vor der Bewilligung von Leistungen nach diesem Gesetz Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden könne, aufzubrauchen. Wie sie anhand der beiliegenden Berechnungen entnehme könne, übersteige das Erwerbseinkommen ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter deren Bedarf, den er im Übrigen nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - bemesse, in der Zeit vom 01. bis zum 31. Dezember 2006 um 1.085,99 EUR. Mit Bescheid vom 08.01.2007 lehnte der Beklagte die Hilfegewährung für den Monat Januar 2007 ab. Nach Auswertung der Gehaltsabrechnung ihres Sohnes und der Schwiegertochter könne sie mit dem den Bedarf der Familie des Sohnes übersteigenden Einkommen aus dem Monat Dezember 2006 ihren eigenen Bedarf einschließlich der Krankenhilfekosten für den Monat Januar 2007 decken.

Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 08.01.2007 Widerspruch. Sie legte eine Gehaltsabrechnung ihres Sohnes und der Schwiegertochter vor, wonach diese im Monat Januar 2006 ein Nettoeinkommen von insgesamt ca. 1.675,- EUR erzielten. Die Einkünfte ihres Sohnes und der Schwiegertochter könnten nicht entsprechend den Vorschriften des SGB II angerechnet werden. Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen sei in § 7 AsylbLG i.V.m. § 94 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - abschließend geregelt. Die Familie ihres Sohnes gehöre nicht zu den dort genannten Familienangehörigen. Soweit dennoch ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Sohn in Ansatz gebracht werde, könne dieser insbesondere nicht nach dem SGB II sondern nur unter Berücksichtigung der entsprechenden unterhaltsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unterhaltsgewährung gegenüber den Eltern ermittelt werden. Mit Bescheid vom 20.02.2007 half der Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als er den Bescheid vom 08.01.2007 aufhob. Zugleich traf er für die Monate Januar und Februar 2007 mit Bescheid vom 21.02.2007 eine Neuregelung der Hilfegewährung. Danach wurden der Klägerin unter Anrechnung der Einkünfte der Familie ihres Sohnes im Januar 2007 ein Betrag von 92,61 EUR und im Monat Februar 2007 in Höhe von 274,30 EUR ausgezahlt.

Auch gegen den Bescheid vom 21.02.2007 erhob die Klägerin mit Schreiben vom 07. März 2007 Widerspruch, der zunächst nicht beschieden wurde.

Die Klägerin hat am 22. Mai 2007 Untätigkeitsklage - S 19 AY 6/07 - erhoben.

Während der Rechtshängigkeit der Untätigkeitsklage wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2007, der Klägerin zugestellt am 08.08.2007, den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG seien Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden könne, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Zu den Familienangehörigen im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gehören jedenfalls Verwandte in gerader Linie; aber auch andere Verwandte und Verschwägerte würden als Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift angesehen. Deshalb sei hier bei der Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG das Einkommen des Sohnes und der Schwiegertochter zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei ein Einkommens- und Vermögenseinsatz des Familienangehörigen nur insoweit zu erwarten, als er diesen zumutbar sei. Dies sei nur für den Fall anzunehmen, dass diese Person durch die Inanspruchnahme nicht selbst bedürftig würden. Zur Ermittlung der Bedürftigkeitsgrenze sei darauf abzustellen, nach welchen Rechtsvorschriften der Familienangehörige und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen selbst Sozialleistungen beanspruchen könnten. Deshalb habe man hier auf die entsprechenden Regelungen des SGB II abgestellt. Im Monat Dezember 2006 und Januar 2007 liege eine solche Einkommensüberschreitung vor, die eine Hilfegewährung an die Klägerin ausschließe. Soweit mit Bescheid vom 21.02.2007 die Leistungen für Januar und Februar 2007 gewährt worden seien, sei dies unrechtmäßig gewesen. Aus Vertrauensschutzgründen sehe er aber von der Rückforderung dieser Geldbeträge ab.

Die Klägerin hat daraufhin, das Klageverfahren - S 19 AY 6/07 - für erledigt erklärt.

Am 09.08.2007 hat die Klägerin die vorliegende Verpflichtungsklage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Sie hält insbesondere daran fest, dass das Einkommen ihres Sohnes und seiner Ehefrau nicht bei der Festsetzung ihres Hilfeanspruchs nach § 7 AsylbLG berücksichtigt werden dürfe. Ihre Schwiegertochter sei überhaupt nicht verpflichtet, zu ihrem Unterhalt beizutragen. Der Sohn könne nur nach Maßgabe des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts berücksichtigt werden. Wenn aber dennoch sozialrechtliche Bestimmungen außerhalb des AsylbLG Anwendung fänden, so könne der Einkommens- und Vermögenseinsatz ihres Sohnes unter Berücksichtigung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber Ehefrau und Tochter allenfalls nach den §§ 93, 94 SGB XII vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.02.2007 und unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2007 sowie alle anderen noch nicht rechtskräftigen Bescheide des Beklagten zu verpflichten, der Klägerin Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz ohne Anrechnung des Einkommens der Familie des Sohnes zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage unter Bezugnahme auf die Erwägung des Widerspruchsbescheides entgegen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.

Der Beklagte hat im hier streitigen Zeitraum der Leistungsbewilligung vom 01.01.2007 bis zum 28.02.2007 sowie für den Zeitraum vom 1. Juni 2007 bis 29. Februar 2008, über den noch nicht unanfechtbar entschieden ist, zu Unrecht aus dem von dem Sohn und der Schwiegertochter der Klägerin erwirtschafteten Einkommen ein nach den Vorschriften des SGB II ermittelten Unterhaltsbeitrag für die Klägerin berücksichtigt.

Die Klägerin kann sich zur Einbeziehung der in der Zwischenzeit ergangenen Bescheide auf die Regelung des § 96 Abs. 1 SGG berufen. Zwar ist nach der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,

vgl. Urteil vom 07. November 2006 - B 7 b AS 14/06 R

streitig, ob diese uneingeschränkt auf die Leistungen nach dem SGB II bzw. dem SGB XII Anwendung findet. Dies ist aber zumindest in all den Fällen unproblematisch, in denen die Hilfegewährung wegen der identischen Rechtsfrage im Streit steht. Dies ist hier der Fall. Denn in sämtlichen hier streitbefangenen Zeiträumen der Hilfegewährung geht es immer nur um die Frage, ob der Beklagte berechtigt ist, den Hilfeanspruch der Klägerin nach § 3 AsylbLG um den nach den Regelungen des SGB II ermittelten Unterhaltsbeitrag des in Haushaltsgemeinschaft lebenden Sohnes und der Schwiegertochter zu kürzen.

Folgebescheide können aber nur dann in das vorliegende Klageverfahren einbezogen werden, wenn für sie ein entsprechendes Vorverfahren durchgeführt oder zumindest durch Erhebung des Widerspruches eingeleitet wurde und die Frist zur Erhebung der Untätigkeitsklage abgelaufen ist. Bei der Einbeziehung dieser Bescheide in das Klageverfahren handelt es sich um eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG, der der Beklagte hier im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich zugestimmt hat. Allerdings ist in den dem Gericht vorliegenden Verwaltungsvorgängen, nur gegen den Bescheid des Beklagten vom 13.02.2008 mit Schriftsatz vom 4.3.2008 Widerspruch eingelegt worden. In dem Bescheid vom 13.2.2008 war die vom Beklagten angenommene Unterhaltsverpflichtung des Sohnes und der Schwiegertochter der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis 29. Februar 2008 erneut überprüft und für jeden Monat ein Unterhaltsbeitrag ihres Sohnes und der Schwiegertochter in unterschiedlicher Höhe in Ansatz gebracht worden (für den Monat Juni 2007 und Juli 2007 kein Unterhaltsbeitrag, August und September 2007 jeweils 303,75 EUR, Oktober 2007 106,70 EUR, November 2007 49,57 EUR, Dezember 2007 123,28 EUR, Januar 2008 240,61 EUR, Februar 2008 240,12 EUR). Für die übrigen Zeiträume von März 2007 bis einschließlich Juni 2008 lässt sich die Einleitung bzw. Durchführung eines Vorverfahrens für das Gericht nicht feststellen, so dass sie nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind.

In den angefochtenen Bescheiden vom 21. Februar 2007 und 31. Juli 2007 sowie dem Bescheid vom 13. Februar 2008 hat der Beklagte zu Unrecht unter Berücksichtigung Einkommen des Sohnes und der Schwiegertochter bei der Ermittlung der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG berücksichtigt.

Die Klägerin ist Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG, da sie eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthaltG besitzt. Sie erfüllt zur Zeit nur die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG, da sie im streitigen Zeitraum weder die 36 monatige (bis zum 19.8.2007) bzw. die 48 monatige (ab dem 20.8.2007) Wartefrist für die Bewilligung von Leistungen nach § 2 AsylbLG noch nicht erfüllt ist.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sind Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen, die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen. Diese Regelung gilt nur für Leistungsbezieher von Leistungen nach §§ 3 ff. AsylbLG, nicht jedoch für einen Leistungsbezug nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, da bei Leistungsbezug nach dieser Vorschrift abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) - und somit auch § 36 SGB XII - entsprechend anzuwenden ist.

In diesem aufgezeigten Rahmen hat der Beklagte nach § 7 AsylbLG zu Recht die beiden Renten der Klägerin berücksichtigt.

Eine Leistungsgewährung nach den §§ 3, 7 AsylbLG unter Berücksichtigung eines von Sohn und Schwiegertochter nach ihren Einkünften zu erwartenden nach den Vorschriften des SGB II ermittelten Unterhaltsbeitrags für die Klägerin ist hingegen rechtswidrig. Zwar lebten mit der Klägerin der volljährige Sohn, dessen Ehefrau und die minderjährige Enkelin der Klägerin im hier streitbefangenen Zeitraum im gleichen Haushalt. Sie sind aber keine "Familienangehörigen" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG.

Die Kammer ist der Auffassung, dass der Begriff "Familienangehöriger" im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG eng auszulegen ist und von ihm nur die Ehegatten und die minderjährigen Kinder der Leistungsberechtigten umfasst werden.

Dem Beklagten ist einzuräumen, dass die Auslegung des Begriffes des "Familienangehörigen" in § 7 AsylbLG umstritten ist. Dies hat sich bereits in der Verwaltungspraxis niedergeschlagen. In Hamburg wird nach den entsprechenden Richtlinien der enge Familienbegriff angewandt, während in Nordrhein-Westfalen nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften der weite Familienbegriff (also unter Einschluss der Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, Kinder) angewendet werden soll,

vgl. Hohm, Gemeinschaftskommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz (GK-AsylbLG), Band 1 III. § 7 Rdz. 46 mit weiteren Nachweisen.

Die unterschiedlichen Auffassungen prägten auch von Anfang an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung,

vgl. einerseits etwa VG Göttingen, Urteil vom 24. März 2004, 2 A 220/03, juris mit umfangreichen Nachweisen für den engen Familienbegriff, anderseits Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01. März 2004 - 12 A 3543/01 - NDV-RD 2005, 11 ff. = FEVS 56, S. 134 ff. = ZFSH/SGB 2005, 151 ff., siehe auch die Übersicht der Entscheidungspraxis bei Hohm, GK-AsylbLG Band 1 III. § 7 Rdz. 47 f.

Für die hier Überzeugung der Kammer von der Anwendung des engen Familienbegriffs spricht vor allem die Verwendung des Begriffs des "Familienangehörigen" im Rahmen des AsylbLG. Zwar ist festzustellen, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG selbst nicht umschreibt, wer "Familienangehöriger" im Sinne dieser Vorschrift ist. Als normativer Ansatzpunkt innerhalb des AsylbLG bleibt aber § 1 a Satz 1 AsylbLG, der gleichfalls den Begriff des "Leistungsberechtigten und seiner Familienangehörigen" verwendet und zur Bestimmung des damit umschriebenen Personenkreises auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG verweist. Dort sind als "Familienangehörige" Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder aufgeführt - also die herkömmliche Kleinfamilie. Es ist weder ersichtlich noch vom Beklagten dargetan, dass das Gesetz den Begriff "des Familienangehörigen" mit verschiedenen Bedeutungsinhalten verwendet. Wenn der Gesetzgeber im § 7 AsylbLG einen anderen Personenkreis erfassen wollte, hatte er unter Berücksichtigung dieser Streitfrage bei den zahlreichen Novellierungen des AsylbLG hinreichend Gelegenheit, diese Frage durch eine entsprechende ausdrückliche Regelung klarzustellen.

Auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 7 AsylbLG, so wie sie der Kammer zugänglich sind,

GK-AsylbLG Band 1 II. und III. § 7 S.2 bis 6,

ergibt sich kein der hier vertretenen Auffassung entgegenstehender Hinweis.

Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass § 1a AsylbLG erst mit Wirkung zum 1. September 1998 in das AsylbLG eingefügt wurde. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 1a AsylbLG vordergründig auf eine Einschränkung der Anspruchs-berechtigten und nicht auf eine Klarstellung des Familienbegriffs abzielte, so musste ihm bei einem nur wenige Vorschriften umfassenden Gesetz wie dem AsylbLG klar sein, dass die Klarstellung eines solchen Begriffs, der auch in anderen Normen des Gesetzes verwendet wird, sich auf die - bereits damals umstrittene - Auslegung des § 7 Abs. 1 AsylbLG auswirken wird. Wenn der Gesetzgeber eine andere Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen in § 7 Abs. 1 AsylbLG gewollt hätte, hätte es nahegelegen, auch dies im Gesetz klarzustellen. Im Übrigen enthielt das ursprünglich 1993 in Kraft getretene AsylbLG in § 2 Abs. 2 eine (1998 wieder abgeschaffte) Regelung, die über die Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG auf Familienangehörige im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG 1993 verwies, der seinerseits nur Ehegatten und minderjährige Kinder als Familienangehörige anführte.

Schließlich spricht für die hier vertretene Auffassung vom engen Familienbegriff auch § 7 Abs. 3 AsylbLG. Danach kann die zuständige Behörde den den Lebensunterhalt sichernden Anspruch des Leistungsberechtigten - das sind vorwiegend zivilrechtliche Unterhaltsansprüche - gegen einen anderen, auf sich überleiten. Nach dieser Regelung könnte der Beklagte gegen den Sohn der Klägerin vorgehen, der seiner Mutter nach den §§ 1601 ff. BGB zum Unterhalt verpflichtet ist. Die Regelung des § 7 Abs. 3 AsylbLG würde erheblich an Bedeutung verlieren, wenn sie nicht auf Fälle wie den der Klägerin angewandt würde. Nach der zivilrechtlichen Unterhaltsrechtsprechung dürfte der Sohn der Klägerin unter Berücksichtigung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber Ehefrau und Tochter aller Voraussicht nach seiner Mutter, der Klägerin, nicht zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrags verpflichtet sein.

Wie das Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen (LSG NSB), das gleichfalls bei Auslegung des § 7 Abs. 1 AsylbLG den engen Familienbegriff anwendet,

Urteil vom 19. Juni 2007, L 11 AY 80/06, nicht rechtskräftig, zurzeit in Revision beim Bundessozialgericht anhängig,

dargelegt hat, lassen sich auch aus der Entstehungsgeschichte des AsylbLG vielmehr Anhaltspunkte dafür finden, die gegen den vom Beklagte favorisierten weiten Familienbegriff sprechen. Vor dem AsylbLG waren die Leistungsansprüche von Ausländern in § 120 Bundessozialhilfegesetz - BSHG - geregelt, so dass auch der dem BSHG zugrundeliegende Familienbegriff maßgebend war. § 120 BSHG war seit 1982 in seinen Grundzügen unverändert geblieben. Er verwies auf die Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 BSHG. Der Kreis der Leistungsberechtigten des AsylbLG wurde aus dem Anwendungsbereich des § 120 BSHG herausgenommen und ein Leistungsrecht eigener Art geschaffen. Das bedarfsorientierte Grundsystem wurde übernommen mit dem Ziel einer Neuregelung der "Sozialhilfeleistung" für Ausländer, wobei das Leistungsniveau für bestimmte Gruppen von Ausländern abgesenkt werden sollte. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nach den Darlegungen des LSG NSB nicht erkennen, dass der Gesetzgeber ein vom bisherigen System der Bedarfsgemeinschaft abweichendes Familiensystem einführen wollte. Die Bedarfsgemeinschaft beschränkte sich nach Inkrafttreten des AsylbLG wie bei § 11 BSHG - sowie jetzt nach § 19 Abs. 1 SGB XII - auf die nicht getrennt lebenden Ehegatten und die zum Haushalt gehörenden minderjährigen unverheirateten Kinder. Eine Vorschrift wie den früheren § 16 BSHG (heute noch weitergehend § 36 SGB XII) wurde zu keinem Zeitpunkt in das AsylbLG übernommen. Abgesehen von den Leistungen nach § 2 AsylbLG enthält das AsylbLG auch keinen generellen Verweis auf eine entsprechende Anwendung des BSHG. Es gibt deshalb keine rechtliche Grundlage für die Annahme, der Gesetzgeber wolle die in den § 16 BSHG/36 SGB XIII vorgesehene Versorgungsvermutung auch im Rahmen des AsylbLG einsetzen. Selbst wenn man die - entgegen der Auffassung der Kammer - zu Gunsten des Beklagten eine weite Auslegung für zulässig erachten würde, könnte dies nach der Rechtsprechung nicht über die entsprechende Anwendung der Bedarfssätze des SGB II auf die im Haushalt lebenden Personen ermittelt werden, sondern müsste sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger ausrichten.

Die Erwägungen der Gegenansicht überzeugen nicht. Am ausführlichsten sind diese in der oben erwähnten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen

vgl. Urteil vom 01. März 2004 - 12 A 3543/01 - NDV-RD 2005, 11 ff. = FEVS 56, S. 134 ff. = ZFSH/SGB 2005, 151 ff., ähnlich auch Hess. Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 7. September 2004 - 10 UE 600/04 -, FEVS 56, 111 ff.,

dargelegt. Das erkennende Gericht vermag aber bereits der Erwägung, dass die Verwendung des Begriffs "Familienangehöriger" in anderen Vorschriften des AsylbLG für die Auslegung dieser Vorschrift ohne Bedeutung sei, - wie oben dargelegt - nicht zu folgen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob im allgemeinen Sprachgebrauch als "Familienangehörige" auch Verwandte wie die Großeltern, Onkel und Tanten oder verschwägerte Personen bezeichnet werden. Ebenso ist es für die Entscheidung ohne Bedeutung, dass dieser allgemeine, an der Großfamilie orientierte Gebrauch des Begriffs "Familienangehöriger" in verschiedenen anderen Gesetzen seinen Niederschlag gefunden, beispielsweise in § 11 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB), wonach eine große Zahl von Angehörigen ausdrücklich aufgeführt ist oder die Definition des § 20 Abs. 5 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bzw. § 16 Abs. 5 des Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - SGB X. Es wird nicht in Abrede gestellt, dass diese Vorschriften geltendes Recht sind; es fehlt aber an jeglichem Anhaltspunkt, dass genau diese Vorschriften für die Auslegung des § 7 Abs. 1 AsylbLG heranzuziehen sind. Auch soweit das OVG NRW seine Auffassung auf Sinn und Zweck der Vorschrift des gesamten AsylbLG stützt, vermag dies die Kammer nicht zu überzeugen. Unbestritten stellte das AsylbLG eine vom Bundessozialgesetz und heute vom SGB XII weitgehend abgekoppelte, an Vorschriften des Ausländer- und Asylrechts anknüpfende, eigenständige einfache gesetzliche Grundlage zur Sicherung des Mindestunterhaltes von Asylbewerbern und sonstigen Ausländern mit noch nicht verfestigtem Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland dar. Der Gesetzeszweck, Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Sozialhilferecht herabzustufen und strengeren Beschränkungen zu unterwerfen, rechtfertigt es aber nicht, § 7 Abs. 1 AsylbLG durch eine erweiternde Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Familienangehöriger" den Personenkreis grenzenlos zu erweitern, dessen Einkommen und Vermögen bei der Prüfung zu berücksichtigen sei. Schließlich überzeugt auch nicht die Erwägung, bei Anwendung des engen Familienbegriffs seien die Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG insoweit besser gestellt als Empfänger nach § 2 AsylbLG oder Sozialhilfeempfänger. Das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers, die er jederzeit korrigieren könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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