L 3 AS 1068/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 4014/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 1068/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für medizinische Behandlungsmaßnahmen i.H.v. 5.216,62 EUR nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der am 13.12.1951 geborene alleinstehende Kläger ist ausgebildeter Gymnasiallehrer. Er verfügt über Zusatzausbildungen zum Industriekaufmann und zum Betriebsinformatiker. Ab dem 01.01.2005 bezog er mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von unterschiedlichen Grundsicherungsträgern.

Ab dem 15.08.2008 bewohnte er eine 40 m² große Ein- Zimmer- Wohnung in Elzach, für die eine Warmmiete i.H.v. 270,- EUR monatlich zzgl. Müllgebühren i.H.v. 5,25 EUR monatlich zu entrichten war. Nachdem der Kläger ab dem 07.09.2008 von der Bundesagentur für Arbeit bis zum 06.03.2009 Arbeitslosengeld i.H.v. 28,75 EUR täglich bezogen hatte, beantragte er am 20.01.2009 beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die ihm mit Bescheid vom 30.01.2009 bewilligt wurden. Der Beklagte gewährte hierbei Leistungen für die Zeit vom 01.03.2009 - 31.08.2009 i.H.v. 596,20 EUR für März 2009 und i.H.v. 765,37 EUR monatlich für April bis August 2009. Neben dem monatlichen Regelleistungsbetrag von 351,- EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 254,37 EUR gewährte der Beklagte einen befristeten Zuschlag i.H.v. 160,- EUR monatlich. Ein gegen die Leistungsbewilligung betriebenes Widerspruchs- und Gerichtsverfahren verlief für den Kläger erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 09.04.2009; klageabweisender Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg [SG] vom 17.12.2009 - S 3 AS 955/09 - und anschließender Zurücknahme der hiergegen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegten Berufung im Verfahren - L 3 AS 948/11 - am 17.03.2011).

Mit Bescheid vom 22.07.2009 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01.09.2009 - 28.02.2010 i.H.v. 782,21 EUR monatlich (Regelleistungsbetrag: 359,-EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung: 263,21 EUR, befristeter Zuschlag: 160,- EUR). Ein hiergegen betriebenes Widerspruchs- und Gerichtsverfahren verlief für den Kläger gleichfalls erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.08.2009; klageabweisender Gerichtsbescheid des SG vom 17.12.2009 - S 3 AS 4358/09 - und anschließender Zurücknahme der hiergegen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegten Berufung im Verfahren - L 3 AS 949/11 - am 17.03.2011.

Mit Bescheid vom 10.02.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.03. - 31.08.2010 i.H.v. 718,53 EUR für März 2010 und i.H.v. 702,53 EUR monatlich für April bis August 2010. Der Beklagte berücksichtigte neben dem monatlichen Regelleistungsbetrag von 359,- EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 263,53 EUR einen befristeten Zuschlag i.H.v. 96,- EUR (April 2010) bzw. 80,- EUR monatlich für April bis August 2010. Einen hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2010 zurück. Die hiergegen zum SG erhobene Klage (- S 14 AS 3145/10 -) wurde mit Gerichtsbescheid vom 17.02.2011 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung (- L 3 AS 1067/11 -) hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2013 zurückgenommen.

Am 05.07.2010 beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der "Kosten für Gesundheit aus dem Jahr 2009". Konkret gehe es, so der Kläger, um diejenigen Kosten, die die gesetzlich vorgegebene Belastungsgrenze, in seinem Fall ein Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen, überstiegen und nicht von der Krankenkasse übernommen worden seien. Der Kläger legte hierzu einen Bescheid der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) vom 29.06.2010 vor, mit dem diese entschieden hatte, dass die jährliche Belastungsgrenze für den Kläger 42,60 EUR betrage. Der Kläger habe 2009 Zuzahlungen i.H.v. 155,- EUR geleistet, die die Belastungsgrenze um 112,40 EUR überstiegen, die dem Kläger erstattet würden. Ferner legte der Kläger eine Aufstellung seiner "Gesundheitskosten 2009" vor, die von der HEK nicht "akzeptierte" Ausgaben für professionelle Zahnreinigung i.H.v. 40,- EUR, Schmerztabletten i.H.v. 35,99 EUR, Kosten für die Früherkennung eines Glaukoms i.H.v. 20,- EUR, Kosten für Zahnimplantate i.H.v. 165,- EUR, 579,45 EUR und 104,80 EUR sowie ein Zahnprothese i.H.v. 4.271,38 EUR benennt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe, so der Kläger weiter, klargestellt, dass Pauschalierungen alleine nicht ausreichten, um ein sozio-kulturelles Dasein zu garantieren, weswegen der Beklagte den Betrag von 5.216,62 EUR übernehmen müsse.

Mit Bescheid vom 06.07.2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme von Gesundheitskosten für das Kalenderjahr 2009 ab. Die Regelleistung umfasse, so der Beklagte begründend, auch Kosten für die Gesundheitspflege einschließlich der Kosten für Medikamente. Die übrigen geltend gemachten Kosten fielen in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkasse. Bei Glaukomuntersuchungen übernehme die Krankenkasse die Kosten bei familiärer Vorbelastung, bei Zahnersatz die Regelversorgung. Für Personen, die nicht in der Lage seien, die Regelversorgung zu finanzieren, gebe es eine Härtefallregelung.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2010 zurück. Hierzu führte er aus, die vom Kläger geltend gemachten Kosten seien der Gesundheitspflege zuzuordnen und daher aus der Regelleistung zu bestreiten. Ein Mehrbedarf sei nicht zu gewähren, da Zuzahlungen zu Krankenkosten gesetzlich nicht vorgesehen seien. Auch eine darlehensweise Gewährung sei nicht möglich, weil die Kosten im Jahr 2009 entstanden und daher nicht mehr unabweisbar seien.

Am 06.08.2010 hat der Kläger Klage zum SG erhoben, zu deren Begründung er vorgebracht hat, der Staat habe für ein menschenwürdiges Dasein zu sorgen. Dazu gehöre auch die Gesundheitsversorgung, etwa für Zahnleistungen. Die Pauschale in den Regelleistungen reiche dafür nicht aus. Den geltend gemachten Betrag von mehr als 5.000,- EUR könne er aus der Regelleistung nicht ansparen. Diese Kosten seien üblich und nicht übermäßig.

Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid entgegen getreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.02.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 29.07.2010 verwiesen und ergänzend ausgeführt, auch aus § 21 Abs. 6 SGB II lasse sich der geltend gemachte Anspruch nicht begründen, weil die Vorschrift erst im Jahr 2010 in Kraft getreten sei und deshalb auf die vom Kläger geltend gemachten Bedarfe, die im Jahr 2009 entstanden seien, nicht angewandt werden könne. Auch aus der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 (- 1 BvL 1/09 u.a.) könne der Anspruch nicht hergeleitet werden, weil die Gesundheitsversorgung in ausreichender Weise dadurch gesichert sei, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gesetzlich krankenversichert seien und die Beiträge hierfür durch den Beklagten getragen würden. Darüber hinausgehende Bedarfe seien grundsätzlich aus der Regelleistung zu decken, in deren Berechnung auch Bedarfe für Gesundheitsvorsorge eingeflossen seien. Weitere Bedarfe seien nach der Entscheidung des BVerfG nur dann zu übernehmen, wenn sie unabweisbar, laufend und besonders seien. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag für Implantate und Zahnkronen betreffe indes einen einmaligen Bedarf. Die geltend gemachten Kosten für eine professionelle Zahnreinigung seien kein besonderer Bedarf, sie würden jedem Patienten eines Zahnarztes mindestens einmal jährlich empfohlen. Die vom BVerfG geforderte Sondersituation bestehe beim Kläger nicht. Auch sei das Urteil in zeitlicher Hinsicht nicht einschlägig, da die geltend gemachten Kosten alle im Jahr 2009 entstanden seien, eine Berücksichtigung unabweisbarer Bedarfe jedoch erst ab Verkündung des Urteils vom 09.02.2010 möglich sei.

Gegen den am 28.02.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 03.03.2011 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das BVerfG habe sich in dem vom SG angeführten Urteil nicht mit Gesundheitskosten, insb. nicht mit Zahnersatz befasst. Dem Urteil lasse sich insb. nicht entnehmen, dass der geltend gemachte Bedarf nicht übernommen werden dürfe. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend vorgetragen, die ihm entstandenen Gesundheitskosten seien so hoch, dass sie nicht aus dem Regelbedarf gedeckt werden könnten. es müsse eine Härtefallregelung und eine Einzelfallprüfung geben. Zahnersatz falle zwar nicht regelmäßig, jedoch in einigen Jahren erneut an.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Februar 2011 sowie den Bescheid vom 06. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 30. Juni 2009 und 22. Juli 2009 zu verurteilen, ihm Kosten für Zahnersatz, professionelle Zahnreinigung, Schmerztabletten und eine Glaukomfrüherkennungsuntersuchung in Höhe von 5.216,62 EUR zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages verweist der Beklagte auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge und die beim Beklagten für den Kläger geführte Verwaltungsakte, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2013 geworden sind sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG) wurde form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt und ist daher zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet; das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren den Bescheid des Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2010, mit dem dieser die Übernahme der geltend gemachten "Kosten für Gesundheit aus dem Jahr 2009" abgelehnt hat, angefochten. In der Sache macht der Kläger hiermit höhere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltend. Die Gewährung eines Mehrbedarfs für die im Jahr 2009 entstandenen Gesundheitskosten kann vom Kläger nicht zulässigerweise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt werden, denn die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten über die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lassen sich mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft nicht in weitere Streitgegenstände aufspalten (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R - veröffentlicht in juris).

Der Antrag des Klägers in seinem Schreiben vom 05.07.2010 ist dahin auszulegen, dass er die Notwendigkeit der Gewährung eines Bedarfs für die ihm entstandenen "Gesundheitskosten", die von seiner Krankenkasse nicht übernommen wurden, sieht. Nachdem dem Kläger die Kosten im Jahr 2009 entstanden sind, macht er mit der Geltendmachung gegenüber dem Beklagten eine Überprüfung der, das Jahr 2009 betreffenden Bewilligungsbescheide vom 30.01.2009 und vom 22.07.2009 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geltend. Auf diesen Antrag hin hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 06.07.2010 in der Sache eine Überprüfung der Bewilligungsbescheide vom 30.01.2009 und vom 22.07.2009 abgelehnt. Der Bescheid des Beklagten vom 06.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2010 lässt zwar eine ausdrückliche Bezugnahme auf diese Bescheide vermissen, jedoch wird aus der Begründung des Bescheides und dem dortigen Hinweis auf die dem Kläger gewährte Regelleistung hinreichend deutlich, dass der Beklagte die begehrten Leistungen als von den Bewilligungsbescheiden betroffen erachtet (vgl. zum Streitgegenstand bei einer isolierten Entscheidung über einen nicht abtrennbaren Streitgegenstand: BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 146/10 R - veröffentlicht in juris, dort Rn. 14 f).

In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Leistungsklage des Klägers damit auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.03.2009 - 31.12.2009.

Soweit der Beklagte mit Bescheid vom 30.01.2009 (Widerspruchsbescheid vom 09.04.2009) über die Höhe der dem Kläger in der Zeit vom 01.03. - 31.08.2009 bzw. mit Bescheid vom 22.07.2009 (Widerspruchsbescheid vom 25.08.2009) über den Zeitraum vom 01.09.2009 - 28.02.2010 entschieden hat, sind diese Entscheidungen nach den jeweiligen Berufungsrücknahmen des Klägers rechtskräftig. Jedoch bestimmt § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dass, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist. Mit § 44 SGB X lässt sich daher eine materielle Rechtswidrigkeit korrigieren, die wiederum anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des unanfechtbaren Verwaltungsaktes aus heutiger Sicht zu beurteilen ist. Der Beklagte ist jedoch auch aus heutiger Sicht bei Erlass der Bescheide vom 30.01.2009 und vom 22.07.2009 weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, noch hat es das Recht unrichtig angewandt; die Bescheide waren nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der von ihm geltend gemachten Gesundheitskosten zu erhalten.

Der Kläger war zwar ab dem 01.03.2009 dem Grunde nach berechtigt, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, da er das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hatte, erwerbsfähig und hilfebedürftig war und seinem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl. § 7 Abs. 1 SGB II in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 23.12.2007 [BGBl. I 3254]), weswegen er Anspruch auf Arbeitslosengeld II, das sich § 19 Satz 1 SGB II aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der vorliegend nicht streitgegenständlichen angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zusammensetzte, hatte.

Daneben kam der anspruchsberechtigte Kläger zur Sicherung des grundsicherungsrechtlich aus Art 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG zu gewährenden menschenwürdigen Existenzminimum, das auch die Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung umfasst (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, a.a.O.; BSG, Urteil vom 22.04.2008 - B 1 KR 10/07 R - veröffentlicht in juris), in den Genuss der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 5 Abs. 2a SGB V); d.h. durch den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung wird die medizinische Versorgung gewährleistet und dem Recht des Klägers auf Leben (Gesundheit) und körperliche Unversehrtheit gemäß Art 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) Genüge getan (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - veröffentlicht in juris).

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. So umfasst der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auch Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten (§ 25 SGB V). Nach § 25 Abs. 1 SGB V haben Versicherte, die das 35. Lebensjahr vollendet haben, jedes zweite Jahr Anspruch auf eine ärztliche Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten, insbesondere zur Früherkennung von Herz-, Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie der Zuckerkrankheit. Dabei bestimmt nach § 25 Abs. 4 Satz 2 SGB V der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 SGB V das Nähere über Art und Umfang der Untersuchungen sowie die Erfüllung der (weiteren) Voraussetzungen nach § 25 Abs. 3 SGB V. Dem ist der Bundesausschuss hinsichtlich der Glaukom-Früherkennungsuntersuchungen mit Beschluss vom 21.12.2004 (BAnz. Nr. 61 vom 01.04.2005) nachgekommen. In diesem Beschluss hat der Ausschuss bestimmt, dass eine präventive Untersuchung der Versicherten auf Glaukom-Verdachtsmomente, auf der Grundlage des gegenwärtigen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Früherkennung von Krankheiten gem. § 25 Abs. 3 SGB V nicht empfohlen werden könne. Ein Sachleistungs- oder Kostenerstattungsanspruch betreffend der Glaukomuntersuchung des Klägers gegen seine Krankenkasse besteht daher nicht (vgl. Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.08.2006 - L 9 KR 23/03 - veröffentlicht in juris).

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB V besteht im Rahmen des Behandlungsanspruchs nach § 27 Abs. 1 SGB V u.a. auch ein Anspruch auf die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen. Die zahnärztliche Behandlung (§ 28 Abs. 2 SGB V) beinhaltet auch konservierend chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Für Zahnersatzleistungen enthalten die §§ 55, 56 SGB V spezielle Regelungen, nach denen Versicherte wie der Kläger nach den Vorgaben der Sätze 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse, jedoch keinen darüber hinausgehenden Leistungsanspruch haben (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB V)

Die Lücke im Bereich der Versorgung mit Zahnersatz kann krankenversicherungsrechtlich auch nicht unter Rückgriff auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (- 1 BvR 347/98 - veröffentlicht in juris) geschlossen werden, weil eine dem vom BVerfG geforderten Schweregrad entsprechende lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung hier nicht vorliegt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2013 - L 11 KR 4024/11 - veröffentlicht in juris).

Da der Anspruch auf zahnärztliche Behandlung implantologische Leistungen nicht umfasst (§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V) und die vom Kläger ferner geltend gemachten Kosten für Arzneimittel (Schmerzmittel) und Zahnreinigung vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst sind (vgl. § 34 SGB V für nicht verschreibungspflichtige Medikamente), insofern gelten für Leistungsempfänger nach dem SGB II keine anderen Voraussetzungen als für die übrigen Versicherten nach dem SGB V (vgl. BSG, Urteils vom 15.12.2010 - B 14 AS 44/09 R - veröffentlicht in juris), sind die dem Übernahmebegehren zu Grund liegenden medizinischen Maßnahmen grundsicherungsrechtlich nicht bereits durch den Krankenversicherungsschutz des Klägers gewährt.

Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitskosten sind vom Hilfebedürftigen vielmehr aus der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts selbst zu tragen (vgl. für Osteoporosemedikamente: BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O.). Diese umfasst nach § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Da diese Aufzählung jedoch nicht abschließend ist ("insbesondere") und in der Abteilung 06 (Gesundheitspflege) der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, die Grundlage der Regelsatzbemessung war, ein Gesamtbetrag i.H.v. 13,19 EUR monatlich für Gesundheitskosten berücksichtigt ist, unterfallen die geltend gemachten Kosten dem pauschalierten Regelbedarf.

Soweit sich der Kläger zur Begründung seines Antrages auf das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 stützt und hierzu anführt, das Gericht habe entschieden, dass Pauschalierungen alleine nicht ausreichend seien, richtet sich dieser Angriff im Kern gegen die Höhe der Regelleistung. Bezogen auf den vorliegend streitigen Leistungszeitraum vor dem 01.01.2011 hat das BVerfG (a.a.O., Rn. 210 ff) jedoch hinsichtlich der Höhe der Regelleistung klargestellt, dass deren rückwirkende Erhöhung ausscheidet.

Auch aus § 21 Abs. 6 SGB II kann der Kläger in der vorliegenden Konstellation keinen Anspruch auf Übernahme der genannten Kosten herleiten. Nach Satz 1 dieser Bestimmung wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II). § 21 Abs. 6 SGB II ist jedoch erst mit Wirkung zum 03.06.2010 durch das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates vom 27.05.2010 eingeführt worden, so dass für den streitbefangenen Zeitraum keine höheren Leistungsansprüche abgeleitet werden können.

Auch unmittelbar aus der vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 geschaffenen Härtefallregelung, die zwar für die Zeit bis zur Schaffung einer gesetzlichen Härtefallregelung (die mit § 21 Abs. 6 SGB II mit Wirkung ab dem 03.06.2010 geschaffen wurde) im Sinne einer Übergangsregelung die verfassungsrechtlich (Art 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG) notwendige einfachgesetzliche Regelung zur Deckung von unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfen ersetzt, lässt sich der geltend gemacht Anspruch nicht herleiten, weil sie, wie sich aus der Entscheidung ergibt, nur für die Zeit ab der Verkündung des Urteils und damit nicht für Leistungszeiträume vor dem 09.02.2010 gilt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 - 1 BvR 395/09 - veröffentlicht in juris).

Überdies ist vorliegend auch der vom BVerfG geforderte und in § 21 Abs. 6 SGB II normierte unabweisbare, laufende, nicht nur einmalige besondere Bedarf nicht gegeben. Der vom Kläger geltend gemachte Betrag für Zahnersatz betrifft bereits keinen laufenden sondern einen einmaligen Bedarf. Der Einwand des Klägers, der Zahnersatz falle ggf. in ein paar Jahren erneut an, geht fehl, weil Zahnersatz bestimmungsgemäß für einen längeren Zeitraum konzipiert und eingesetzt wird, weswegen der Bedarf jedenfalls nicht (regelmäßig) laufend anfällt. Die geltend gemachten Kosten für eine professionelle Zahnreinigung stellen keinen besonderen Bedarf dar, da sie jedem Bürger regelmäßig anempfohlen werden. Auch die Nutzung von Schmerzmitteln ist kein besonderer, sondern ein regelmäßig auftretender Bedarf. Der Kläger befindet sich mit den geltend gemachten Kosten daher nicht in der vom BVerfG geforderten Sondersituation.

Der Kläger kann die geltend gemachten Kosten von insg. 5.216,62 EUR nicht vom Beklagten beanspruchen.

Mithin hat der Beklagte in seinen Bescheiden vom 30.01.2009 und vom 22.07.2009 das Recht weder unrichtig angewandt, noch ist er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Die im Bescheid vom 09.07.2010 getroffene Entscheidung, die Bescheide vom 30.01. und vom 22.07.2009 betreffend der dem Kläger in der Zeit vom 01.03.2009 - 28.02.2010 zu gewährenden Leistungen nicht nach § 44 SGB X zurückzunehmen, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Bescheid vom 09.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2010 erweist sich hiernach als rechtmäßig; die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 17.02.2011 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved