L 9 U 2919/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 997/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2919/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30. Mai 2011 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 17.02.2006 über den 31.07.2008 hinaus Verletztenrente zusteht.

Der 1952 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt im Tiefkühllager der Firma O. S. GmbH E. als Kommissionierer beschäftigt. Am 17.02.2006 fuhr ein Mitarbeiter der Firma mit einem Stehstapler rückwärts mit Palette in die Tiefkühlhalle, wobei er gegen den rechten Fuß des Klägers stieß. Hierbei zog sich der Kläger eine distale Unterschenkelfraktur rechts zu (vgl. DA-Bericht von Dr. H. vom 17.02.2006).

Mit Bescheid vom 04.09.2007 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung für die Zeit vom 18.06.2007 bis 31.07.2008 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H. in Form einer Gesamtvergütung. Als Unfallfolgen berücksichtigte sie dabei: "Außendrehfehlstellung am Fuß. Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk. Muskelminderung am Oberschenkel und der Wade. Schwellneigung am Knöchel. Empfindungsstörungen im Bereich des Sprunggelenkes und des Fußrückens. Röntgenologisch nachweisbare Veränderungen und Minderung des Knochenkalksalzgehaltes im ehemaligen Bruchbereich. Gang- und Standbehinderung. Herabsetzung der Gebrauchs- und Belastungsfähigkeit des Beines."

Grundlage hierfür war das Gutachten von Professor Dr. W. Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Ludwigshafen, vom 07.08.2007.

Am 13.05.2008 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Verletztenrente.

Die Beklagte ließ den Kläger von dem Orthopäden und Chirurgen Dr. H. begutachten. Dieser stellte beim Kläger im Gutachten vom 01.10.2008 als Unfallfolgen "Narben im Bereich des rechten Unterschenkels und Sprunggelenks, eine Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk sowie ein Taubheitsgefühl am rechten Fußrücken lateral vom Sprunggelenk beginnend bis zu den Zehen" fest. Die MdE hierfür schätzte er ab 31.07.2008 auf 10 v.H.

Mit Bescheid vom 20.11.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes ab, da eine rentenberechtigende MdE nicht mehr vorliege. Als Folgen des Arbeitsunfalls habe sie eine Bewegungseinschränkung im rechten oberen und unteren Sprunggelenk, Empfindungsstörungen im Bereich des rechten Sprunggelenks und des Fußrückens, eine Herabsetzung der Gebrauchs- und Belastungsfähigkeit des rechten Beines bei röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen im ehemaligen Verletzungsbereich sowie die Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk berücksichtigt.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.2009 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 19.03.2009 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, mit der er die Gewährung von Verletztenrente weiter verfolgt.

Das SG hat Gutachten auf orthopädischem bzw. chirurgischem Gebiet eingeholt.

Der Arzt für Orthopädie Dr. K. hat im Gutachten vom 10.09.2009 beim Kläger als Unfallfolgen einen Zustand nach Fraktur des oberen Sprunggelenks rechts, eine radiologisch gesicherte Fehlstellung des oberen Sprunggelenks mit Einsteifung der Malleolengabel durch knöcherne Verwachsungen der Fibula mit der Tibia, posttraumatisch, eine Beinlängenverkürzung rechts um 1 cm, eine reaktive Außenrotationsfehlstellung im rechten Fuß bei Belastung, eine Hyperpig-mentierung und Hyposensibilität im oberen Sprunggelenksbereich rechts, eine Bewegungseinschränkung im oberen (rechts 10-0-20; links 10-0-40) und unteren (rechts ½; links 1/1) Sprunggelenk sowie einen Zustand nach Hauttransplantation festgestellt. Die MdE hierfür hat er auf 10 v.H. geschätzt.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG den Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. B. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat im am 24.12.2009 beim SG eingegangenen Gutachten ausgeführt, beim Kläger lägen eine in Fehlstellung mit 10° Valgus verheilte distale Unterschenkeltrümmerfraktur mit Synostose von Schienbein und Wadenbein, sekundärer unfallbedingter Arthrose des oberen Sprunggelenks, Beinverkürzung rechts um 1 cm, eine deutliche Muskelminderung am rechten Ober- und insbesondere Unterschenkel, eine erheblich eingeschränkte Beweglichkeit im rechten oberen und unteren Sprunggelenk und der Zehen, endgradig auch im rechten Kniegelenk, eine ausgeprägte Narbenbildung am rechten lateralen Sprunggelenk und Fuß mit Sensibilitätsstörungen und Überempfindlichkeiten, Narben auch ventral und medial am rechten Sprunggelenk, rechten Fuß und am rechten Unterschenkel nach Fixateur-extern-Versorgung, ein erheblich gestörter Abrollvorgang des rechten Beines mit der Notwendigkeit, einen Arthrodesestiefel rechts zu tragen, eine erheblich eingeschränkte Belastbarkeit des rechten Fußes mit glaubhaft einschießenden Schmerzen, deutlich eingeschränkter Gehstrecke sowie die Unfähigkeit von Fahrradfahren und selbstständigen Autofahrten über 10 Kilometer vor. Die MdE schätze er ab 01.08.2008 auf 25 v.H. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin würden Sprunggelenksfrakturen mit sekundärer Arthrose und wesentlicher Funktionsstörung mit einer MdE bis zu 30 v.H. bewertet. Da zu der Sprunggelenksfraktur mit sekundärer Arthrose noch eine fehlverheilte distale Unterschenkelfraktur und ein schwerer Weichteilschaden mit persistierender Gefühlsstörung am rechten Fuß hinzukämen, sei eine MdE um 25 v.H. angemessen.

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. K. eingeholt. Unter dem 20.01.2010 hat dieser ausgeführt, die von Dr. B. erhobenen Befunde seien mit den von ihm erhobenen Befunde im Wesentlichen deckungsgleich. Entgegen der Auffassung von Dr. B. bestehe keine wesentliche Funktionsstörung. Es bestehe eine Bewegungseinschränkung im oberen und unteren Sprunggelenk mittleren Grades. Somit verbleibe es bei einer MdE um 10 v.H.

Mit Urteil vom 30.05.2011 hat das SG den Bescheid vom 20.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2009 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 17.02.2006 über den 31.07.2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H. zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund der beim Kläger vorhandenen Unfallfolgen betrage die MdE 25 v.H. ab 01.08.2008. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. seien für das SG überzeugend. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 24.06.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.07.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, das Urteil des SG könne keinen Bestand haben. Neue medizinische Erkenntnisse habe die Begutachtung durch Dr. B. nicht erbracht. Sie halte das Gutachten nicht für überzeugend, da nicht auf die Funktionsbeeinträchtigungen, sondern auf die Diagnosen abgestellt worden sei. Nach Bereiter-H./Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, Stand Juni 2011, J 034 komme bei einer Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks eine MdE von 25 v.H. in Betracht. Beim Kläger bestehe keine Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks, sondern allenfalls eine jeweils endgradige Bewegungseinschränkung. Hierfür sei eine MdE um 10 v.H. sachgerecht, wie Dr. H. und Dr. K. übereinstimmend dargelegt haben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 30.05.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, das SG habe die Beklagte zu Recht verurteilt, ihm über den 31.07.2008 hinaus Verletztenrente nach einer MdE um 25 v.H. zu gewähren. Wesentliche neue Gesichtspunkte ergäben sich aus der Berufungsbegründung nicht. Das SG sei nachvollziehbar dem überzeugenden Gutachten von Dr. B. gefolgt, der die bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen in ihrem Zusammenspiel gewürdigt habe. Dr. K. habe nicht berücksichtigt, dass er auf das Tragen eines Arthrodesestiefels angewiesen sei, der zu einer Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks führe, so dass eine MdE um 25 v.H. gerechtfertigt sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Dem Kläger steht nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes, das heißt nach dem 31.07.2008, weder ein Anspruch auf Gewährung von Rente als vorläufige Entschädigung noch auf Gewährung von Rente auf unbestimmte Zeit zu. Denn nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes liegen die Voraussetzungen für eine Verletztenrente nicht mehr vor, da keine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. besteht.

Nach § 75 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) kann der Unfallversicherungsträger die Versicherten nach Abschluss der Heilbehandlung mit einer Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes abfinden, wenn nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls zu erwarten ist, dass nur eine Rente in Form der vorläufigen Entschädigung zu zahlen ist. Wird für die Zeit nach Ablauf einer Gesamtvergütung eine Verletztenrente begehrt, findet § 75 S. 2 SGB VII Anwendung. Danach ist nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes auf Antrag Rente als vorläufige Entschädigung oder Rente auf unbestimmte Zeit zu zahlen, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Nach § 62 Abs. 1 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden. Nach Abs. 2 wird die vorläufige Entschädigung spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Festsetzung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall) über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls, der hier am 17.02.2006 eingetreten und von der Beklagten auch anerkannt ist, und auch ihrer Berücksichtigung bei der Gewährung von Leistungen ist u. a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (Vollbeweis, siehe oben). Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Weitergewährung der Verletztenrente über den Gesamtvergütungszeitraumes hinaus, denn die durch den Arbeitsunfall vom 17.02.2006 bedingte MdE erreicht jedenfalls ab dem 01.08.2008 nicht mehr den rentenberechtigenden Mindestgrad von 20 v.H.

Nach den insoweit im Wesentlichen übereinstimmenden Gutachten von Dr. H. vom 01.10.2008, Dr. K. vom 10.09.2009 und Dr. B. vom 24.12.2009 liegt beim Kläger ein Zustand nach distaler Unterschenkelfraktur rechts mit Valgusfehlstellung um 10° vor, wobei es zu einer knöchernen Verwachsung (Synostose) zwischen Fibula und Tibia direkt oberhalb des oberen Sprunggelenks gekommen ist. Ferner bestehen eine posttraumatische Beinlängenverkürzung rechts um 1 cm und eine reaktive Außenrotationsfehlstellung im rechten Fuß bei Belastung. Darüber hinaus liegt eine Bewegungseinschränkung im oberen (Heben/Senken des Fußes: Gutachten Professor Dr. H. rechts 0-0-40, links 10-0-60; Gutachten Dr. K. rechts 10-0-20, links 10-0-40; Gutachten Dr. B. rechts 5-0-30, links 20-0-50) und im unteren Sprunggelenk (Einwärtsdrehung/Auswärtsdrehung: Gutachten Dr. H. rechts ½, links 1/1; Gutachten Dr. K. rechts ½, links 1/1; Gutachten Dr. B. rechts 1/3, links 3/3) sowie eine Muskelminderung vor.

Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. H. zeigte sich der Gang mit orthopädischem Schuhwerk relativ harmonisch, wobei eine ausgeprägte Außendrehung des rechten Fußes im Seitenvergleich von etwa 40° auffiel. Bei der Untersuchung durch Dr. K. war der freie Gang auf ebener Erde ohne Schuhwerk sicher, aber nicht ganz hinkfrei. Die Schrittgröße war seitengleich, wobei der Kläger mit dem rechten Fuß in Außenrotation lief. Dr. B. stellte bei seiner gutachterlichen Untersuchung ein rechts hinkendes Gangbild, insbesondere bei schnellerem Gehen fest, wobei der rechte Fuß deutlich nach außen gedreht wurde, da er nicht gerade abgerollt werden konnte. Der Kläger gab bei den Untersuchungen Schwellungen im Bereich des rechten oberen Sprunggelenks und Schmerzen im rechten Fuß bzw. Bein, vor allem nach der Arbeit, bei der er viel laufen müsse, an.

Die oben beschriebenen Unfallfolgen führen nach Überzeugung des Senats zu keiner MdE um mindestens 20 v.H. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund der im Wesentlichen übereinstimmenden Einschätzungen von Dr. H. und Dr. K. in den Gutachten vom 01.10.2008 und 20.09.2009 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20.01.2010, die die durch die Unfallfolgen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen mit 10 v.H. einschätzen.

Der hiervon abweichenden Beurteilung von Dr. B. in dem am 24.12.2009 beim SG eingegangenen Gutachten folgt der Senat dagegen nicht. Denn der beim Kläger vorliegende Befund ist nach Auffassung des Senats nicht mit einem Sprunggelenksverrenkungsbruch mit Verbreiterung der Knöchelgabel oder Sprengung der Bandverbindung, sekundärer Verkantung des Sprungbeins oder sekundärer Arthrose mit wesentlicher Funktionsstörung vergleichbar, wofür nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 678 eine MdE von 30 v.H. vorgesehen ist. Denn eine wesentliche Funktionsstörung im rechten Fuß bzw. rechten Bein liegt beim Kläger, der weiterhin seine überwiegend stehende und gehende Tätigkeit als Kommissionierer ausüben kann, nicht vor. Aus den oben beschriebenen Bewegungseinschränkungen im oberen und unteren Sprunggelenk lässt sich ebenfalls keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ableiten, wie Dr. K. in der ergänzenden Stellungnahme vom 20.01.2010 für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Der Umstand, dass der Kläger nach mehrstündiger Belastung des Fußes und Beines – nach einer Arbeitszeit von 8½ Stunden abzüglich einer ½ Stunden Pause – unter glaubhaften Schwellungen und Schmerzen leidet, reicht nicht aus, um eine MdE von mindestens 20 v.H. zu begründen. Denn selbst die Versteifung des oberen und (hinteren) unteren Sprunggelenks führt zu keiner höheren MdE als 25 v.H. (Schönberger/Merten/Valentin, a.a.O. S. 1679), wobei das Tragen von Arthrodese-stiefeln mit einer Versteifung der Sprunggelenke nicht vergleichbar ist. Darüber hinaus führt selbst der Verlust des Fußes in der Fußwurzel nach Lisfranc zu keiner höheren MdE als 25 v.H., der Verlust von drei Zehen (1-3 oder 2-5) zu keiner höheren MdE als 20 v.H. und der Verlust des Unterschenkels an typischer Stelle am Übergang vom mittleren zum unteren Drittel zu keiner höheren MdE als 40 v.H. (Schönberger/Merten/Valentin, a.a.O., Seite 692).

Der Umstand, dass Dr. B. röntgenologisch eine posttraumatische Arthrose des rechten oberen Sprunggelenks festgestellt hat, rechtfertigt – ohne entsprechende wesentliche Befundveränderung bzw. -verschlimmerung, die Dr. B. schon im Vergleich zum Gutachten von Dr. H. vom 01.10.2008 nicht behauptet hat – ebenso wenig wie die beschriebene Muskelminderung eine MdE um mindestens 20 v.H.

Nach alledem konnte das zusprechende Urteil des SG keinen Bestand haben. Auf die Berufung der Beklagten musste das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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