Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 291/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 13.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2010 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Vergrößerungssoftware Zoom Text 9.1 zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Im März 2010 beantragte die Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, unter Vorlage einer Verordnung sowie eines Angebots die Kostenübernahme für die Software "Zoom Text 9.1". Zur Begründung trug sie vor, dass es ihr durch ihre starke Sehbehinderung nicht mehr möglich sei, den PC ohne eine Vergrößerungssoftware zu benutzen. Sie könne den PC für ihre Korrespondenz für das Onlinebanking, für Bestellungen und Einkäufe im Internet und Internetrecherchen benutzen. Auch könne sie über E-Mail dann mit Personen aus dem Bekanntenkreis kommunizieren. Einschließlich Einrichten des Arbeitsplatzes vor Ort sowie einer Schulung im Einzelunterricht beliefen sich die Kosten nach dem Kostenvoranschlag auf rund 3.175,00 EUR.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin sei seitens der Krankenkasse mit Blick auf die Informationsbeschaffung ausreichend mit einem vorhandenen Bildschirmlesegerät versorgt. Sofern das Bildschirmlesegerät für die Informationsbeschaffung unzureichend sei, könne im Rahmen der Versorgungspauschale eine Umversorgung mit einem Vorlesegerät erfolgen. Dagegen legte die Klägerin am 28.04.2010 mit Schreiben vom 21.04.2010 Widerspruch ein. Sowohl die vorhandene Versorgung mit einem vorhandenen Lesegerät als auch die Umversorgung mit einem Vorlesegerät sei nicht ausreichend, um dem Ausgleich der Behinderung gerecht zu werden. Das Grundbedürfnis der Informationsversorgung im Alltag umfasse in der heutigen Zeit auch die Möglichkeit, sich Zugang zu Informationen durch Recherchen zu verschaffen. Es beschränke sich nicht nur auf das Lesen von Druckschriften. Die Beklagte schaltete daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen ein, die am 08.06.2010 eine sozialmedizinische Stellungnahme abgaben. Bei dem vorliegenden Krankheitsbild mit den genannten aktuellen Visus-Werten sei zum Erhalt der Lesefähigkeit eine elektronische Vergrößerung der Schrift nachvollziehbar erforderlich. Allerdings beschränke sich die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die wirtschaftlichere Hilfsmittelversorgung. Bei der bestehenden medizinischen Indikation einer elektronischen Vergrößerung bleibe es der Krankenkasse überlassen, diese in Form des beantragten Programms zu erstatten oder gegebenenfalls auf die bereits bestehende Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät zu verweisen.
Mit weiterem Bescheid vom 07.07.2010 lehnte die Beklagte erneut den Antrag ab. Der MDK sei in seinem Gutachten zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Bildschirmlesegerät ausreichend sei. Aus diesen Gründen könne eine Kostenübernahme für die Vergrößerungssoftware nicht erfolgen. Die Klägerin hielt den Widerspruch aufrecht mit der Begründung, dass mit einem Vorlesegerät der Zugang und die Nutzung von elektronischen Medien nicht möglich seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 33 SGB V sei die Versorgung mit einem Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich um u. a. eine Behinderung auszugleichen, sofern es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des alltäglichen Lebens handele. Außerdem sei nach § 12 Abs. 1 SGB V zu beachten, dass die Leistung ausreichend, aber auch wirtschaftlich sein müsste und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfte. Das Grundbedürfnis auf umfassende Information zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben könne durch Radio hören, ein von der Kasse angebotenes Bildschirmlesegerät und natürlich durch persönliche Kommunikation ausreichend befriedigt werden. Die Möglichkeit, sich Literatur eigener Wahl zugänglich zu machen, zähle nicht zu den Grundbedürfnissen des alltäglichen Lebens. Die Krankenkasse habe im März 2007 ein Bildschirmlesegerät zum Ausgleich der Sehbehinderung zur Verfügung gestellt, die beantragte Software zur Informationsbeschaffung aus dem Internet würde das Maß des Notwendigen übersteigen.
Dagegen erhob die Klägerin am 07.10.2010 Klage. Bei der Vergrößerungssoftware handele es sich um ein Produkt, welches speziell für stark sehbehinderte Menschen hergestellt sei. Zu den Grundbedürfnissen gehöre es auch z. B. ordentliche Briefe zu schreiben, sich im Internet Informationen zu verschaffen und selbst elektronische Mitteilungen zu versenden. In der heutigen Informationsgesellschaft könne die Beklagte vor der Nutzung des Internets nicht mehr die Augen verschließen. Die von der Beklagten vorgeschlagene Umversorgung mit einem Vorlesegerät stelle keine wirtschaftlichere Versorgung dar. Sie sei mit der beantragten Versorgung in keiner Weise vergleichbar. Dies deshalb, weil es sich um eine geschlossenes System handele, dass nur vorgefertigte Texte vorlesen könne. Damit könne die Klägerin nicht mit Behörden, Banken oder etc. über das Internet kommunizieren.
Beigefügt war die Beschreibung der Vergrößerungssoftware Zoom Text 9.1, auf die Beschreibung Blatt 23 nimmt die Kammer Bezug. Das Gericht hat ergänzend Befundberichte angefordert. Die hausärztliche Gemeinschaftspraxis E. und F. diagnostiziert u. a. eine weitgehende Blindheit bei schwerer Retinopathie.
Hinzugekommen sei eine diabetische Polyneuropathie und eine depressive Entwicklung. Der behandelnde teilte mit, dass die Klägerin gesetzlich als blind zu betrachten sei bei den Visus-Werten, die sie habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2010 aufzuheben und der ihr die Vergrößerungssoftware Zoom Text 9.1 mit Bildschirmvergrößerung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die von ihr erlassenen Bescheide. Die Klägerin könne mit dem vorhandenen Bildschirmlesegerät gedruckte Texte visuell vergrößern. Auf diese Weise könnten neben Büchern auch Bankauszüge, Rechnungen und andere Dokumente gelesen und bearbeitet werden. Vorliegend sei lediglich der Ausgleich der Behinderung betroffen und daher gehe es nur um den Ausgleich eines Basisgrundbedürfnisses. Dieses sei unstreitig u. a. auch die Informationsbeschaffung, die allerdings ausreichend mit der vorhandenen Versorgung ausgeglichen sei. Eine zu dem vorhandenen Bildschirmlesegerät zusätzliche Nutzung durch eine Vergrößerungssoftware mit Sprachausgabe zur Informationsbeschaffung aus dem Internet sei weder hinreichend begründet und es sei damit das Maß des Notwendigen überstiegen. Darüber hinaus könne die Klägerin doch auch die Bildschirmlupe ihres PCs benutzen. Damit könnte sie z. B. E-Mails in entsprechender Vergrößerung lesen. Unwidersprochen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.09.2011 mitgeteilt, dass sie die Bildschirmlupe von Windows nicht verwenden könne, da sie auf dem linken Auge über nicht mehr als 2 % Sehstärke verfüge und auf dem rechten Auge überhaupt nichts mehr sehe. Es sei ihr nicht möglich die Bildschirmlupe zu bedienen.
Die Kammer hat sodann über die Beteiligten und über die Deutsche Blindenstudienanstalt versucht einen Sachverständigen zu finden. Leider hat sich die Blindenstudienanstalt trotz Nachfrage nicht mehr gemeldet. Der Hersteller des Hilfsmittels kam ebenso wenig nach Auffassung der Kammer wie der MDK in Betracht.
Nach rechtlichen Hinweisen hat die Kammer mit Schreiben vom 22.05.2013 die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und eine Kopie der Beklagtenakte hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg. Die streitigen Bescheide sind aufzuheben und der Klägerin ist die beantragte Vergrößerungssoftware zu gewähren. Die ablehnende Entscheidung verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit der Bildschirmvergrößerungssoftware Zoom Text 9.1.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, die sich wiederum nach § 33 SGB V richtet. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder aber nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst dabei auch die notwendigen Änderungen, Instandhaltungen sowie evtl. die Ausbildung in ihrem Gebrauch. § 12 SGB V schreibt allerdings vor, dass die Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig, aber auch wirtschaftlich sein müssen und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nach dieser Vorschrift dann nicht beanspruchen.
Die beantragte Zoom Software ist weder nach § 34 SGB V ausgeschlossen noch handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil dieser Gegenstand speziell für den Gebrauch durch Kranke und Behinderte konzipiert wurde und folglich auch nur von diesem Personenkreis regelmäßig in Anspruch genommen wird.
Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Vergrößerungssoftware grundsätzlich als Hilfsmittel in Betracht kommt. Da das Hilfsmittel nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzt, wie z. B. ein Körperersatzstück, dient es hier vorliegend nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich. Ein solches Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. In diesem Zusammenhang sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel nur dann zu gewähren ist, wenn ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Unstreitig gehört hier zu dem allgemeinen Grundbedürfnis des täglichen Lebens auch Kommunikations- und Informationsbeschaffung.
Die Kammer kann nicht der Ansicht der Beklagten folgen, dass für der Informationsbeschaffung in der heutigen modernen Dienstleistungsgesellschaft, in der zunehmend und überwiegend mit dem Internet kommuniziert wird und über soziale Netzwerke Kontakte gepflegt werden oder Einkäufe getätigt werden in Online-Shops die vorhandene Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät oder einem Vorlesegerät ausreicht. Zum einen hat die Beklagte hier nicht dargetan, dass diese Versorgung wirtschaftlicher ist. Selbst unterstellt, sie ist wirtschaftlicher, so ist sie allerdings dennoch zum mittelbaren Behinderungsausgleich nicht ausreichend. Zur Informationsbeschaffung und auch zur Schaffung eines geistigen Freiraums gehört auch die Möglichkeit sich unter Nutzung des bei der Klägerin vorhandenen Computers mit Internetanschluss ohne Hilfe anderer Menschen diejenigen Informationen zu beschaffen, an denen ein schutzwürdiges Interesse besteht. Mit der beantragten Software kann die Klägerin im Internet z. B. mit anderen Menschen elektronisch kommunizieren oder sich insgesamt Informationen im Internet über Webseiten beschaffen. Die Kammer ist der Ansicht, dass der Kommunikations- und Informationsbedarf über das Internet und den Computer mittlerweile im Rahmen einer normalen Lebensführung Gang und Gäbe ist. Der Zugang zum Internet ist für die Kammer als ein Grundbedürfnis im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Gesellschaft anzusehen. Die Klägerin kann sich damit auch im Alltag druckschriftlich mitteilen z. B. über E-Mails. Auch ist die Kommunikation mit Behörden, Kreditinstituten, Vermietern oder Finanzämtern in lesbarer Form hiermit möglich. Nach Auffassung der Kammer kann sich die Beklagte in ihrer Argumentation gegen diese Neuerungen nicht verwahren (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.08.2010, L 11 KR 3089/09 (Screenreader; SG Aachen, Urteil vom 04.12.2010, S 13 KR 101/10, Kameralesesystem für Schüler).
Ergänzend möchte die Kammer auch darauf hinweisen, dass der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er das Bildschirmlesegerät als ausreichend erachtet. Vielmehr heißt es in der Stellungnahme Blatt 11 der Akte: "Bei dem hier vorliegenden Krankheitsbild mit den genannten aktuellen Visus-Werten ist zum Erhalt der Lesefähigkeit eine elektronische Vergrößerung der Schrift nachvollziehbar erforderlich bei bestehender medizinischer Indikation einer elektronischen Vergrößerung bleibt es somit der Krankenkasse überlassen, diese in Form des beantragten Programms zu erstatten oder ggf. auf die bereits bestehende Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät zu verweisen." Der MDK hat es demgemäß offen gelassen, welche Versorgung er als ausreichend ansieht.
Ob die Klägerin im Gegenzug verpflichtet ist, die bestehende Versorgung an die Beklagte zurückzuerstatten, ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens und hierüber mag die Beklagte gesondert entscheiden. Eine Doppelversorung im reinen Sinne liegt zur Überzeugung der Kammer nicht vor, andernfalls hätte sie die Software nicht zugesprochen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Nach Ansicht der Kammer ist die Berufung zulässig, weil Gesamtkosten von über 3.000,00 EUR in Rede stehen. Legt man lediglich die Software zugrunde mit netto 672,27 EUR, ist unter Hinzufügung der Mehrwertsteuer der Streitwert von über 750,00 EUR überschritten. Einer Zulassung der Berufung durch die Kammer bedurfte es daher nicht.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Im März 2010 beantragte die Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, unter Vorlage einer Verordnung sowie eines Angebots die Kostenübernahme für die Software "Zoom Text 9.1". Zur Begründung trug sie vor, dass es ihr durch ihre starke Sehbehinderung nicht mehr möglich sei, den PC ohne eine Vergrößerungssoftware zu benutzen. Sie könne den PC für ihre Korrespondenz für das Onlinebanking, für Bestellungen und Einkäufe im Internet und Internetrecherchen benutzen. Auch könne sie über E-Mail dann mit Personen aus dem Bekanntenkreis kommunizieren. Einschließlich Einrichten des Arbeitsplatzes vor Ort sowie einer Schulung im Einzelunterricht beliefen sich die Kosten nach dem Kostenvoranschlag auf rund 3.175,00 EUR.
Mit Bescheid vom 13.04.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Klägerin sei seitens der Krankenkasse mit Blick auf die Informationsbeschaffung ausreichend mit einem vorhandenen Bildschirmlesegerät versorgt. Sofern das Bildschirmlesegerät für die Informationsbeschaffung unzureichend sei, könne im Rahmen der Versorgungspauschale eine Umversorgung mit einem Vorlesegerät erfolgen. Dagegen legte die Klägerin am 28.04.2010 mit Schreiben vom 21.04.2010 Widerspruch ein. Sowohl die vorhandene Versorgung mit einem vorhandenen Lesegerät als auch die Umversorgung mit einem Vorlesegerät sei nicht ausreichend, um dem Ausgleich der Behinderung gerecht zu werden. Das Grundbedürfnis der Informationsversorgung im Alltag umfasse in der heutigen Zeit auch die Möglichkeit, sich Zugang zu Informationen durch Recherchen zu verschaffen. Es beschränke sich nicht nur auf das Lesen von Druckschriften. Die Beklagte schaltete daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen ein, die am 08.06.2010 eine sozialmedizinische Stellungnahme abgaben. Bei dem vorliegenden Krankheitsbild mit den genannten aktuellen Visus-Werten sei zum Erhalt der Lesefähigkeit eine elektronische Vergrößerung der Schrift nachvollziehbar erforderlich. Allerdings beschränke sich die Leistungspflicht der Krankenkasse auf die wirtschaftlichere Hilfsmittelversorgung. Bei der bestehenden medizinischen Indikation einer elektronischen Vergrößerung bleibe es der Krankenkasse überlassen, diese in Form des beantragten Programms zu erstatten oder gegebenenfalls auf die bereits bestehende Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät zu verweisen.
Mit weiterem Bescheid vom 07.07.2010 lehnte die Beklagte erneut den Antrag ab. Der MDK sei in seinem Gutachten zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Bildschirmlesegerät ausreichend sei. Aus diesen Gründen könne eine Kostenübernahme für die Vergrößerungssoftware nicht erfolgen. Die Klägerin hielt den Widerspruch aufrecht mit der Begründung, dass mit einem Vorlesegerät der Zugang und die Nutzung von elektronischen Medien nicht möglich seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Gemäß § 33 SGB V sei die Versorgung mit einem Hilfsmittel im Einzelfall erforderlich um u. a. eine Behinderung auszugleichen, sofern es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des alltäglichen Lebens handele. Außerdem sei nach § 12 Abs. 1 SGB V zu beachten, dass die Leistung ausreichend, aber auch wirtschaftlich sein müsste und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfte. Das Grundbedürfnis auf umfassende Information zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben könne durch Radio hören, ein von der Kasse angebotenes Bildschirmlesegerät und natürlich durch persönliche Kommunikation ausreichend befriedigt werden. Die Möglichkeit, sich Literatur eigener Wahl zugänglich zu machen, zähle nicht zu den Grundbedürfnissen des alltäglichen Lebens. Die Krankenkasse habe im März 2007 ein Bildschirmlesegerät zum Ausgleich der Sehbehinderung zur Verfügung gestellt, die beantragte Software zur Informationsbeschaffung aus dem Internet würde das Maß des Notwendigen übersteigen.
Dagegen erhob die Klägerin am 07.10.2010 Klage. Bei der Vergrößerungssoftware handele es sich um ein Produkt, welches speziell für stark sehbehinderte Menschen hergestellt sei. Zu den Grundbedürfnissen gehöre es auch z. B. ordentliche Briefe zu schreiben, sich im Internet Informationen zu verschaffen und selbst elektronische Mitteilungen zu versenden. In der heutigen Informationsgesellschaft könne die Beklagte vor der Nutzung des Internets nicht mehr die Augen verschließen. Die von der Beklagten vorgeschlagene Umversorgung mit einem Vorlesegerät stelle keine wirtschaftlichere Versorgung dar. Sie sei mit der beantragten Versorgung in keiner Weise vergleichbar. Dies deshalb, weil es sich um eine geschlossenes System handele, dass nur vorgefertigte Texte vorlesen könne. Damit könne die Klägerin nicht mit Behörden, Banken oder etc. über das Internet kommunizieren.
Beigefügt war die Beschreibung der Vergrößerungssoftware Zoom Text 9.1, auf die Beschreibung Blatt 23 nimmt die Kammer Bezug. Das Gericht hat ergänzend Befundberichte angefordert. Die hausärztliche Gemeinschaftspraxis E. und F. diagnostiziert u. a. eine weitgehende Blindheit bei schwerer Retinopathie.
Hinzugekommen sei eine diabetische Polyneuropathie und eine depressive Entwicklung. Der behandelnde teilte mit, dass die Klägerin gesetzlich als blind zu betrachten sei bei den Visus-Werten, die sie habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2010 aufzuheben und der ihr die Vergrößerungssoftware Zoom Text 9.1 mit Bildschirmvergrößerung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die von ihr erlassenen Bescheide. Die Klägerin könne mit dem vorhandenen Bildschirmlesegerät gedruckte Texte visuell vergrößern. Auf diese Weise könnten neben Büchern auch Bankauszüge, Rechnungen und andere Dokumente gelesen und bearbeitet werden. Vorliegend sei lediglich der Ausgleich der Behinderung betroffen und daher gehe es nur um den Ausgleich eines Basisgrundbedürfnisses. Dieses sei unstreitig u. a. auch die Informationsbeschaffung, die allerdings ausreichend mit der vorhandenen Versorgung ausgeglichen sei. Eine zu dem vorhandenen Bildschirmlesegerät zusätzliche Nutzung durch eine Vergrößerungssoftware mit Sprachausgabe zur Informationsbeschaffung aus dem Internet sei weder hinreichend begründet und es sei damit das Maß des Notwendigen überstiegen. Darüber hinaus könne die Klägerin doch auch die Bildschirmlupe ihres PCs benutzen. Damit könnte sie z. B. E-Mails in entsprechender Vergrößerung lesen. Unwidersprochen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19.09.2011 mitgeteilt, dass sie die Bildschirmlupe von Windows nicht verwenden könne, da sie auf dem linken Auge über nicht mehr als 2 % Sehstärke verfüge und auf dem rechten Auge überhaupt nichts mehr sehe. Es sei ihr nicht möglich die Bildschirmlupe zu bedienen.
Die Kammer hat sodann über die Beteiligten und über die Deutsche Blindenstudienanstalt versucht einen Sachverständigen zu finden. Leider hat sich die Blindenstudienanstalt trotz Nachfrage nicht mehr gemeldet. Der Hersteller des Hilfsmittels kam ebenso wenig nach Auffassung der Kammer wie der MDK in Betracht.
Nach rechtlichen Hinweisen hat die Kammer mit Schreiben vom 22.05.2013 die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und eine Kopie der Beklagtenakte hingewiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in vollem Umfang Erfolg. Die streitigen Bescheide sind aufzuheben und der Klägerin ist die beantragte Vergrößerungssoftware zu gewähren. Die ablehnende Entscheidung verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit der Bildschirmvergrößerungssoftware Zoom Text 9.1.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 27 Abs. 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. auch die Versorgung mit Hilfsmitteln, die sich wiederum nach § 33 SGB V richtet. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind oder aber nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Der Anspruch umfasst dabei auch die notwendigen Änderungen, Instandhaltungen sowie evtl. die Ausbildung in ihrem Gebrauch. § 12 SGB V schreibt allerdings vor, dass die Hilfsmittel ausreichend, zweckmäßig, aber auch wirtschaftlich sein müssen und das Maß des notwendigen nicht überschreiten dürfen. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nach dieser Vorschrift dann nicht beanspruchen.
Die beantragte Zoom Software ist weder nach § 34 SGB V ausgeschlossen noch handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil dieser Gegenstand speziell für den Gebrauch durch Kranke und Behinderte konzipiert wurde und folglich auch nur von diesem Personenkreis regelmäßig in Anspruch genommen wird.
Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass die Vergrößerungssoftware grundsätzlich als Hilfsmittel in Betracht kommt. Da das Hilfsmittel nicht unmittelbar an der Behinderung ansetzt, wie z. B. ein Körperersatzstück, dient es hier vorliegend nur dem mittelbaren Behinderungsausgleich. Ein solches Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur dann zu gewähren, wenn es die Auswirkung der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. In diesem Zusammenhang sind die Krankenkassen nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig. Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel nur dann zu gewähren ist, wenn ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist. Unstreitig gehört hier zu dem allgemeinen Grundbedürfnis des täglichen Lebens auch Kommunikations- und Informationsbeschaffung.
Die Kammer kann nicht der Ansicht der Beklagten folgen, dass für der Informationsbeschaffung in der heutigen modernen Dienstleistungsgesellschaft, in der zunehmend und überwiegend mit dem Internet kommuniziert wird und über soziale Netzwerke Kontakte gepflegt werden oder Einkäufe getätigt werden in Online-Shops die vorhandene Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät oder einem Vorlesegerät ausreicht. Zum einen hat die Beklagte hier nicht dargetan, dass diese Versorgung wirtschaftlicher ist. Selbst unterstellt, sie ist wirtschaftlicher, so ist sie allerdings dennoch zum mittelbaren Behinderungsausgleich nicht ausreichend. Zur Informationsbeschaffung und auch zur Schaffung eines geistigen Freiraums gehört auch die Möglichkeit sich unter Nutzung des bei der Klägerin vorhandenen Computers mit Internetanschluss ohne Hilfe anderer Menschen diejenigen Informationen zu beschaffen, an denen ein schutzwürdiges Interesse besteht. Mit der beantragten Software kann die Klägerin im Internet z. B. mit anderen Menschen elektronisch kommunizieren oder sich insgesamt Informationen im Internet über Webseiten beschaffen. Die Kammer ist der Ansicht, dass der Kommunikations- und Informationsbedarf über das Internet und den Computer mittlerweile im Rahmen einer normalen Lebensführung Gang und Gäbe ist. Der Zugang zum Internet ist für die Kammer als ein Grundbedürfnis im Zuge der Modernisierung und Digitalisierung der Gesellschaft anzusehen. Die Klägerin kann sich damit auch im Alltag druckschriftlich mitteilen z. B. über E-Mails. Auch ist die Kommunikation mit Behörden, Kreditinstituten, Vermietern oder Finanzämtern in lesbarer Form hiermit möglich. Nach Auffassung der Kammer kann sich die Beklagte in ihrer Argumentation gegen diese Neuerungen nicht verwahren (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.08.2010, L 11 KR 3089/09 (Screenreader; SG Aachen, Urteil vom 04.12.2010, S 13 KR 101/10, Kameralesesystem für Schüler).
Ergänzend möchte die Kammer auch darauf hinweisen, dass der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass er das Bildschirmlesegerät als ausreichend erachtet. Vielmehr heißt es in der Stellungnahme Blatt 11 der Akte: "Bei dem hier vorliegenden Krankheitsbild mit den genannten aktuellen Visus-Werten ist zum Erhalt der Lesefähigkeit eine elektronische Vergrößerung der Schrift nachvollziehbar erforderlich bei bestehender medizinischer Indikation einer elektronischen Vergrößerung bleibt es somit der Krankenkasse überlassen, diese in Form des beantragten Programms zu erstatten oder ggf. auf die bereits bestehende Versorgung mit einem Bildschirmlesegerät zu verweisen." Der MDK hat es demgemäß offen gelassen, welche Versorgung er als ausreichend ansieht.
Ob die Klägerin im Gegenzug verpflichtet ist, die bestehende Versorgung an die Beklagte zurückzuerstatten, ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens und hierüber mag die Beklagte gesondert entscheiden. Eine Doppelversorung im reinen Sinne liegt zur Überzeugung der Kammer nicht vor, andernfalls hätte sie die Software nicht zugesprochen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Nach Ansicht der Kammer ist die Berufung zulässig, weil Gesamtkosten von über 3.000,00 EUR in Rede stehen. Legt man lediglich die Software zugrunde mit netto 672,27 EUR, ist unter Hinzufügung der Mehrwertsteuer der Streitwert von über 750,00 EUR überschritten. Einer Zulassung der Berufung durch die Kammer bedurfte es daher nicht.
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