Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AL 77/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage des Wohnens außerhalb des Elternhaushaltes als persönliche Voraussetzung für die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der bis zum 31.3.2012 gültigen Fassung - hier bejaht. Ein gemeinsamer Haushalt zwischen Auszubildendem und seinen Eltern setzt die jederzeitigen zur Wohnung der Eltern bzw. eines Elternteils voraus. Das Fehlen eines Kühlschranks in den abgeschlossenen Wohnräumen des Auszubildenden führt allein nicht zur Annahme, er sei in den Haushalt der Eltern integriert.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.1.2012 verurteilt, der Klägerin auf deren Antrag vom 20.9.2011 Berufsausbildungsbeihilfe dem Grunde nach zu gewähren.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die am xx.x.1990 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 21.9.2011 für die Ausbildung zur Köchin in P.
Die Klägerin wohnt seit dem 4.1.2011 im Hause der Lebenspartnerin ihres Vaters in F. Sie bewohnt einen abgetrennten Bereich im Obergeschoss des Hauses, bestehend aus einem Zimmer, Flur sowie Bad und Balkon, auf der Grundlage eines mit der Lebenspartnerin des Vaters am 31.12.2010 geschlossenen Mietvertrags. Die Wohnfläche beträgt ca. 38 m². Bis zu dem genannten Zeitpunkt lebte sie im Haushalt ihrer Mutter im schleswig-holsteinischen R.
Die Berufsausbildungsbeihilfe beantragte die Klägerin am 20.9.2011.
Mit Bescheid vom 1.11.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe ab. Zur Begründung hieß es: Eine räumliche Trennung der Klägerin von ihrem väterlichen Elternteil liege nur teilweise vor. Laut Angaben der Vermieterin benutze die Klägerin die Küche in der Wohnung ihres Vaters gemeinsam.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2011 Widerspruch ein. Sie trug vor: Ihr Vater bewohne mit seiner Lebenspartnerin einen abgeschlossenen Bereich im 2. OG. Die Küche in der Wohnung ihres Vaters nutze sie nur ab und an. Sie könne an ihrer Arbeitsstelle kochen. Im Übrigen versorge sie sich ohne Nutzung einer eigenen Küche. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Widerspruch Bezug genommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.1.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Es reiche zwar aus, wenn keine häusliche Gemeinschaft bestehe, aber es liege keine eigene Wohnung vor. Der Begriff der Wohnung sei genau definiert: Es sei eine in sich geschlossene Einheit von Räumen, in denen ein selbstständiger Haushalt geführt werden könne. Wesentlich sei, dass eine Wasserversorgung und –entsorgung, zumindest eine einer Küche vergleichbare Kochgelegenheit sowie eine Toilette vorhanden sein müsse. Danach sei auch ein Einzimmerappartement mit Küchenzeile und WC als Nebenraum eine Wohnung. Daher könne man hier davon ausgehen, dass es sich bei dem Einzimmerappartement der Klägerin nicht um eine Wohnung handele, die die Führung eines eigenen Haushalts möglich mache. Es liege daher keine räumliche Trennung von ihrem Vater vor.
Mit ihrer am 6.2.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Darlegung im Einzelnen weiter. Im Wesentlichen heißt es: Die Grundannahmen der Beklagten seien unzutreffend. Die Klägerin wohne außerhalb des Haushalts ihres Vaters.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.1.2012 zu verurteilen, der Klägerin eine Berufsausbildungsbeihilfe gemäß §§ 59 ff. SGB III a.F. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf Widerspruchsbescheid und den Akteninhalt.
Am 25.9.2013 hat die mündliche Verhandlung vor der zuständig gewordenen 26. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz (zuvor 2. Kammer) stattgefunden. Auf die hierüber gefertigte Niederschrift wird wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen. Die Klägerin wurde zu ihren Lebensumständen und dabei insbesondere zu ihrer Haushaltsführung befragt. Sie führte aus: Sie habe zunächst bei ihrer Mutter in R. gelebt und dort die Realschule besucht. Die Schule habe sie im Alter von 18 Jahren abgeschlossen. Ihr Wunsch sei es gewesen, eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau zu absolvieren. Sie habe sich aber im Raum R. vergeblich um einen entsprechenden Ausbildungsplatz bemüht. Zur Überbrückung habe sie ein Jahr lang bei der Imbisskette "W." gearbeitet. Schließlich habe sich die Möglichkeit einer Ausbildungsstelle als Köchin in P. ergeben. Zu diesem Zweck sei sie dann in ihre jetzige Wohnung gezogen. Im Erdgeschoss befinde sich eine weitere Wohnung, in der die Mutter der Lebenspartnerin ihres Vaters wohne. Die Wohnungen seien über ein Treppenhaus zu erreichen und seien durch eine separate Wohnungstür abgetrennt. Eine eigene Wohnungsklingel sei vorhanden. Sie verfüge nicht über einen Schlüssel zur Wohnung ihres Vaters. Die Haushaltsführung sei getrennt. Nur ab und an fänden gemeinsame Essen statt, wenn der Vater ca. alle drei bis vier Wochen nach längeren Montageaufenthalten in England nach Hause zurück kehre. An den dann notwendigen Einkäufen beteilige sich finanziell. Sonst besorge jeder seine Einkäufe selbst. Ihre Wäsche wasche sie in einer für alle Wohnungsparteien nutzbaren gemeinsamen Waschmaschine. Hierfür bezahle sich nichts extra. Zum Trocknen hänge sie die Wäsche auf einem Wäscheständer bei sich im Flur auf. Einen Kühlschrank besitze sie nicht. Diesen benötige sie nicht, da sie auf ihrer Arbeitsstelle als Koch-Auszubildende freie Kost habe. Ihre Ausführungen, dass sie auf ihrer Arbeitsstelle ihre eigenen Mahlzeiten koche, bezögen sich auf diesen Umstand. Kalte Getränke nehme sie nicht zu sich. Gäste müssten sich ggf. mit warmen Getränken zufrie-den geben. Viel Zeit für eine größere Eigenversorgung zu Hause habe sie wegen ihrer Arbeitszeiten ohnehin nicht. Finanziell sei sie durch ihre Ausbildungsvergütung und das Kindergeld über die Runden gekommen. Ihr Vater habe einen Anteil zur Miete beigetragen.
Wegen der näheren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der sich daran anschließenden Kammerberatung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Der Klage ist auf den Erlass eines Grundurteils (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 130 SGG) mit dem Ziel der Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe gerichtet. Die so beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Bisher hatte die Beklagte keine abschließende Prüfung vorgenommen, weil sie auf dem Standpunkt stand, die von der Klägerin bewohnten Räume seien nicht als Wohnung zu qualifizieren, weshalb die Klägerin nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31.3.2012 gültigen Fassung, die hier anwendbar ist, erfülle. Diese Rechtsauffassung trägt indes nicht. Es liegen die genannten persönlichen Voraussetzungen vor. Grundsätzlich gehört die Klägerin für die Zeit ihrer Berufsausbildung zur Köchin zum förderfähigen Personkreis im Sinne von § 59 SGB III a.F. Sie erfüllt zur Überzeugung der Kammer auch die sonstigen persönlichen Voraussetzungen einer Förderung nach § 59 SGB III i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. wird der Auszubildende bei einer beruflichen Ausbildung nur gefördert, wenn er außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt (Nummer 1) und die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreichen konnte (Nummer 2). Dabei gilt die Nummer 2 dieser Vorschrift nicht, wenn der Auszubildende, wie hier, älter als 18 Jahre ist (vgl. § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F.). Die Voraussetzungen des Absatzes 1 liegen hier zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der informatorischen Anhörung der Klägerin sowie der hier zu Tage tretenden Gesamtumstände vor. Auch die Beklagte hatte im Übrigen das Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft im Widerspruchsbescheid ausdrücklich verneint. Soweit die Beklagte dort aber als Mindestvoraussetzung für § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. das Wohnen in einer von der elterlichen abgetrennten Wohnung fordert, findet dies im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Denn dort wird auf den Begriff des Haushalts (der Eltern bzw. eines Elternteils) und nicht auf den der Wohnung abgestellt (vgl. SächsLSG, Urteil vom 25.10.2012, L 3 AL 200/10). Daraus wird deutlich, dass es hier nicht auf das Vorhandensein einer Küche in den von der Klägerin bewohnten Räumen ankommt. Maßgebend ist, ob eine selbständige Haushaltsführung der Klägerin in dem Sinne anzunehmen ist, dass sie nicht in den Haushalt der Eltern bzw. hier des väterlichen Elternteils integriert ist (vgl. SächsLSG a.a.O.). Die Frage, ob zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern bzw. seines Elternteils bei einem Wohnen "unter einem Dach" eine gemeinsame oder eine getrennte Haushaltsführung besteht, ist durch eine Gesamtwürdigung der Umstände anhand von Indizien zu entscheiden (vgl. SächsLSG a.a.O.; Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, Kommentar, 5. Auflage 2010, § 64 RdNr. 3). Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, bedingt der hier formell bestehenden Mietvertrag zwischen der Klägerin und der Lebenspartnerin ihres Vaters nicht als solches ein Wohnen der Klägerin außerhalb Haushalts dieses Elternteils im Sinne von § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F.
Ein Indiz für eine fehlende Integration ist dagegen die Trennung der verschiedenen Wohneinheiten über einen Hausflur und mit getrennten Schlüsselsystemen abschließbaren Woh-nungseingangstüren. Entsprechend verfügten die Wohnungstüren über separate Klingeln. Dazu besaß die Klägerin keinen Schlüssel zur väterlichen Wohnung. Eine gemeinsame Haushaltsführung mit einem Elternteil setzt jedoch regelmäßig eine jederzeitige Zugangsmöglichkeit zu den elterlichen Räumlichkeiten voraus. Auch fehlt es an weiteren wesentlichen Umständen, die den Schluss nahe legen, dass die Klägerin in den väterlichen Haushalt integriert ist. Eine wesentliche Mitversorgung der Klägerin in Bezug auf die täglichen Lebensbedürfnisse wie Nahrung und Kleidung war hier nicht feststellbar. Die Klägerin hat erklärt, dass sie ihre Einkäufe für den täglichen Bedarf selbst vornimmt. Sie beteiligt sich nur an den wenigen gemeinsamen Mahlzeiten, die stattfinden, wenn der Vater aus mehrwöchigen Montageaufenthalten im Ausland zurückkehrt. Im Übrigen führt die Klägerin einen selbstständigen Haushalt. Ihren Lebensunterhalt wie etwa auch ihre monatlichen Fahrtkosten von ca. 90,00 EUR bestreitet sie aus ihrer Ausbildungsvergütung und ihrem Kindergeld. Dabei kam ihr zu Gute, dass ihr an ihrem Arbeitsplatz freie Kost zur Verfügung gestellt wurde. Nur an der Miete hat sich der Vater beteiligt, da die Mittel der Klägerin ansonsten wohl nicht ausgereicht hätten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass sich in den Wohnräumen der Klägerin kein Kühlschrank befindet, ist bei der geschilderten Sachlage kein entscheidender Gesichtspunkt, der gegen eine eigene Haushaltsführung spricht. Die Klägerin hat diesbezüglich angegeben, den Kühlschrank im Haushalt des Vaters nicht zu nutzen und im Weiteren auch plausibel erklärt, weshalb sie nicht zwingend auf einen Kühlschrank angewiesen ist.
Die fehlende Integration in den Haushalt ihres Vaters lässt sich auch anhand der früheren Lebensumstände der Klägerin erklären. So lebte die Klägerin bis Anfang 2011 jahrelang im Haushalt ihrer in R. wohnhaften Mutter. Auch nach dem Ende ihrer Schulausbildung versuchte sie zunächst einen Ausbildungsplatz im Einzugsbereich der mütterlichen Wohnung zu finden. Zur Überbrückung arbeitete die Klägerin dann ein Jahr lang bei der Imbisskette "W.". Erst nachdem sie keine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf als Einzelhandelskauffrau sah, entschloss sie sich, die Gelegenheit einer überbetrieblichen Ausbildung zur Köchin in P. wahrzunehmen und hierfür die Wohnmöglichkeit im Hause der Lebenspartnerin des Vaters zu nutzen. Insofern war die Klägerin zu keiner Zeit vor Bezug der hier in Rede stehenden Wohnräume in den väterlichen Haushalt integriert. Es lag daher keine Situation vor, aus der heraus die Einschätzung nahe gelegen hätte, dass sich eine vorher gegebene gemeinsame Haushaltsführung auch während der Berufsausbildung fortgesetzt hat.
Nach alledem kann eine Integration der Klägerin in den Haushalt ihres Vaters nach dem Bezug der ihr inmitten stehenden Räumlichkeiten nicht festgestellt werden.
Für die getroffene Einschätzung konnte sich die Kammer zu wesentlichen Teilen auf das Ergebnis der informatorischen Befragung der Klägerin stützen. Die Kammer hatte den Eindruck, dass die Klägerin ihre Lebensumstände wahrheitsgemäß geschildert hat. Die Klägerin hat auf die Fragen des Gerichts spontan ohne langes Überlegen geantwortet. Dabei hat sie auch Angaben gemacht, die für sie durchaus nachteilig sein konnten, wie etwa zu dem fehlenden Kühlschrank in ihrer Wohnung. Die Angaben waren darüber hinaus in sich schlüssig, nachvollziehbar und ohne Widersprüche. Die Persönlichkeit der Klägerin gab, so wie sie sich in der mündlichen Verhandlung darstellte, keinen Anlass zum Misstrauen. Anhand dieser Angaben konnte sich die Kammer in Verbindung mit dem weiteren Akteninhalt ein hinreichendes Bild über die Lebensumstände der Klägerin und insbesondere ihre Haushaltsführung machen. Eine weitere Beweisaufnahme war damit entbehrlich.
Im Sinne dieses Grundurteils hatte die Klage damit Erfolg. Die Beklagte wird nun noch zu prüfen haben, ob der Klägerin nach Anrechnung des elterlichen bzw. ihres eigenen Ein-kommens ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe verbleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die am xx.x.1990 geborene Klägerin begehrt die Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 21.9.2011 für die Ausbildung zur Köchin in P.
Die Klägerin wohnt seit dem 4.1.2011 im Hause der Lebenspartnerin ihres Vaters in F. Sie bewohnt einen abgetrennten Bereich im Obergeschoss des Hauses, bestehend aus einem Zimmer, Flur sowie Bad und Balkon, auf der Grundlage eines mit der Lebenspartnerin des Vaters am 31.12.2010 geschlossenen Mietvertrags. Die Wohnfläche beträgt ca. 38 m². Bis zu dem genannten Zeitpunkt lebte sie im Haushalt ihrer Mutter im schleswig-holsteinischen R.
Die Berufsausbildungsbeihilfe beantragte die Klägerin am 20.9.2011.
Mit Bescheid vom 1.11.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe ab. Zur Begründung hieß es: Eine räumliche Trennung der Klägerin von ihrem väterlichen Elternteil liege nur teilweise vor. Laut Angaben der Vermieterin benutze die Klägerin die Küche in der Wohnung ihres Vaters gemeinsam.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2011 Widerspruch ein. Sie trug vor: Ihr Vater bewohne mit seiner Lebenspartnerin einen abgeschlossenen Bereich im 2. OG. Die Küche in der Wohnung ihres Vaters nutze sie nur ab und an. Sie könne an ihrer Arbeitsstelle kochen. Im Übrigen versorge sie sich ohne Nutzung einer eigenen Küche. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Widerspruch Bezug genommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6.1.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Es reiche zwar aus, wenn keine häusliche Gemeinschaft bestehe, aber es liege keine eigene Wohnung vor. Der Begriff der Wohnung sei genau definiert: Es sei eine in sich geschlossene Einheit von Räumen, in denen ein selbstständiger Haushalt geführt werden könne. Wesentlich sei, dass eine Wasserversorgung und –entsorgung, zumindest eine einer Küche vergleichbare Kochgelegenheit sowie eine Toilette vorhanden sein müsse. Danach sei auch ein Einzimmerappartement mit Küchenzeile und WC als Nebenraum eine Wohnung. Daher könne man hier davon ausgehen, dass es sich bei dem Einzimmerappartement der Klägerin nicht um eine Wohnung handele, die die Führung eines eigenen Haushalts möglich mache. Es liege daher keine räumliche Trennung von ihrem Vater vor.
Mit ihrer am 6.2.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren unter Darlegung im Einzelnen weiter. Im Wesentlichen heißt es: Die Grundannahmen der Beklagten seien unzutreffend. Die Klägerin wohne außerhalb des Haushalts ihres Vaters.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.1.2012 zu verurteilen, der Klägerin eine Berufsausbildungsbeihilfe gemäß §§ 59 ff. SGB III a.F. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf Widerspruchsbescheid und den Akteninhalt.
Am 25.9.2013 hat die mündliche Verhandlung vor der zuständig gewordenen 26. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz (zuvor 2. Kammer) stattgefunden. Auf die hierüber gefertigte Niederschrift wird wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen. Die Klägerin wurde zu ihren Lebensumständen und dabei insbesondere zu ihrer Haushaltsführung befragt. Sie führte aus: Sie habe zunächst bei ihrer Mutter in R. gelebt und dort die Realschule besucht. Die Schule habe sie im Alter von 18 Jahren abgeschlossen. Ihr Wunsch sei es gewesen, eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau zu absolvieren. Sie habe sich aber im Raum R. vergeblich um einen entsprechenden Ausbildungsplatz bemüht. Zur Überbrückung habe sie ein Jahr lang bei der Imbisskette "W." gearbeitet. Schließlich habe sich die Möglichkeit einer Ausbildungsstelle als Köchin in P. ergeben. Zu diesem Zweck sei sie dann in ihre jetzige Wohnung gezogen. Im Erdgeschoss befinde sich eine weitere Wohnung, in der die Mutter der Lebenspartnerin ihres Vaters wohne. Die Wohnungen seien über ein Treppenhaus zu erreichen und seien durch eine separate Wohnungstür abgetrennt. Eine eigene Wohnungsklingel sei vorhanden. Sie verfüge nicht über einen Schlüssel zur Wohnung ihres Vaters. Die Haushaltsführung sei getrennt. Nur ab und an fänden gemeinsame Essen statt, wenn der Vater ca. alle drei bis vier Wochen nach längeren Montageaufenthalten in England nach Hause zurück kehre. An den dann notwendigen Einkäufen beteilige sich finanziell. Sonst besorge jeder seine Einkäufe selbst. Ihre Wäsche wasche sie in einer für alle Wohnungsparteien nutzbaren gemeinsamen Waschmaschine. Hierfür bezahle sich nichts extra. Zum Trocknen hänge sie die Wäsche auf einem Wäscheständer bei sich im Flur auf. Einen Kühlschrank besitze sie nicht. Diesen benötige sie nicht, da sie auf ihrer Arbeitsstelle als Koch-Auszubildende freie Kost habe. Ihre Ausführungen, dass sie auf ihrer Arbeitsstelle ihre eigenen Mahlzeiten koche, bezögen sich auf diesen Umstand. Kalte Getränke nehme sie nicht zu sich. Gäste müssten sich ggf. mit warmen Getränken zufrie-den geben. Viel Zeit für eine größere Eigenversorgung zu Hause habe sie wegen ihrer Arbeitszeiten ohnehin nicht. Finanziell sei sie durch ihre Ausbildungsvergütung und das Kindergeld über die Runden gekommen. Ihr Vater habe einen Anteil zur Miete beigetragen.
Wegen der näheren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der sich daran anschließenden Kammerberatung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Der Klage ist auf den Erlass eines Grundurteils (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 130 SGG) mit dem Ziel der Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe in gesetzlicher Höhe gerichtet. Die so beschränkte Klage ist zulässig und begründet. Bisher hatte die Beklagte keine abschließende Prüfung vorgenommen, weil sie auf dem Standpunkt stand, die von der Klägerin bewohnten Räume seien nicht als Wohnung zu qualifizieren, weshalb die Klägerin nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der bis zum 31.3.2012 gültigen Fassung, die hier anwendbar ist, erfülle. Diese Rechtsauffassung trägt indes nicht. Es liegen die genannten persönlichen Voraussetzungen vor. Grundsätzlich gehört die Klägerin für die Zeit ihrer Berufsausbildung zur Köchin zum förderfähigen Personkreis im Sinne von § 59 SGB III a.F. Sie erfüllt zur Überzeugung der Kammer auch die sonstigen persönlichen Voraussetzungen einer Förderung nach § 59 SGB III i.V.m. § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. Nach § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. wird der Auszubildende bei einer beruflichen Ausbildung nur gefördert, wenn er außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils wohnt (Nummer 1) und die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern oder eines Elternteils aus nicht in angemessener Zeit erreichen konnte (Nummer 2). Dabei gilt die Nummer 2 dieser Vorschrift nicht, wenn der Auszubildende, wie hier, älter als 18 Jahre ist (vgl. § 64 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III a.F.). Die Voraussetzungen des Absatzes 1 liegen hier zur Überzeugung des Gerichts auf der Grundlage der informatorischen Anhörung der Klägerin sowie der hier zu Tage tretenden Gesamtumstände vor. Auch die Beklagte hatte im Übrigen das Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft im Widerspruchsbescheid ausdrücklich verneint. Soweit die Beklagte dort aber als Mindestvoraussetzung für § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. das Wohnen in einer von der elterlichen abgetrennten Wohnung fordert, findet dies im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Denn dort wird auf den Begriff des Haushalts (der Eltern bzw. eines Elternteils) und nicht auf den der Wohnung abgestellt (vgl. SächsLSG, Urteil vom 25.10.2012, L 3 AL 200/10). Daraus wird deutlich, dass es hier nicht auf das Vorhandensein einer Küche in den von der Klägerin bewohnten Räumen ankommt. Maßgebend ist, ob eine selbständige Haushaltsführung der Klägerin in dem Sinne anzunehmen ist, dass sie nicht in den Haushalt der Eltern bzw. hier des väterlichen Elternteils integriert ist (vgl. SächsLSG a.a.O.). Die Frage, ob zwischen dem Auszubildenden und seinen Eltern bzw. seines Elternteils bei einem Wohnen "unter einem Dach" eine gemeinsame oder eine getrennte Haushaltsführung besteht, ist durch eine Gesamtwürdigung der Umstände anhand von Indizien zu entscheiden (vgl. SächsLSG a.a.O.; Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, Kommentar, 5. Auflage 2010, § 64 RdNr. 3). Da es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, bedingt der hier formell bestehenden Mietvertrag zwischen der Klägerin und der Lebenspartnerin ihres Vaters nicht als solches ein Wohnen der Klägerin außerhalb Haushalts dieses Elternteils im Sinne von § 64 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F.
Ein Indiz für eine fehlende Integration ist dagegen die Trennung der verschiedenen Wohneinheiten über einen Hausflur und mit getrennten Schlüsselsystemen abschließbaren Woh-nungseingangstüren. Entsprechend verfügten die Wohnungstüren über separate Klingeln. Dazu besaß die Klägerin keinen Schlüssel zur väterlichen Wohnung. Eine gemeinsame Haushaltsführung mit einem Elternteil setzt jedoch regelmäßig eine jederzeitige Zugangsmöglichkeit zu den elterlichen Räumlichkeiten voraus. Auch fehlt es an weiteren wesentlichen Umständen, die den Schluss nahe legen, dass die Klägerin in den väterlichen Haushalt integriert ist. Eine wesentliche Mitversorgung der Klägerin in Bezug auf die täglichen Lebensbedürfnisse wie Nahrung und Kleidung war hier nicht feststellbar. Die Klägerin hat erklärt, dass sie ihre Einkäufe für den täglichen Bedarf selbst vornimmt. Sie beteiligt sich nur an den wenigen gemeinsamen Mahlzeiten, die stattfinden, wenn der Vater aus mehrwöchigen Montageaufenthalten im Ausland zurückkehrt. Im Übrigen führt die Klägerin einen selbstständigen Haushalt. Ihren Lebensunterhalt wie etwa auch ihre monatlichen Fahrtkosten von ca. 90,00 EUR bestreitet sie aus ihrer Ausbildungsvergütung und ihrem Kindergeld. Dabei kam ihr zu Gute, dass ihr an ihrem Arbeitsplatz freie Kost zur Verfügung gestellt wurde. Nur an der Miete hat sich der Vater beteiligt, da die Mittel der Klägerin ansonsten wohl nicht ausgereicht hätten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass sich in den Wohnräumen der Klägerin kein Kühlschrank befindet, ist bei der geschilderten Sachlage kein entscheidender Gesichtspunkt, der gegen eine eigene Haushaltsführung spricht. Die Klägerin hat diesbezüglich angegeben, den Kühlschrank im Haushalt des Vaters nicht zu nutzen und im Weiteren auch plausibel erklärt, weshalb sie nicht zwingend auf einen Kühlschrank angewiesen ist.
Die fehlende Integration in den Haushalt ihres Vaters lässt sich auch anhand der früheren Lebensumstände der Klägerin erklären. So lebte die Klägerin bis Anfang 2011 jahrelang im Haushalt ihrer in R. wohnhaften Mutter. Auch nach dem Ende ihrer Schulausbildung versuchte sie zunächst einen Ausbildungsplatz im Einzugsbereich der mütterlichen Wohnung zu finden. Zur Überbrückung arbeitete die Klägerin dann ein Jahr lang bei der Imbisskette "W.". Erst nachdem sie keine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz in ihrem Wunschberuf als Einzelhandelskauffrau sah, entschloss sie sich, die Gelegenheit einer überbetrieblichen Ausbildung zur Köchin in P. wahrzunehmen und hierfür die Wohnmöglichkeit im Hause der Lebenspartnerin des Vaters zu nutzen. Insofern war die Klägerin zu keiner Zeit vor Bezug der hier in Rede stehenden Wohnräume in den väterlichen Haushalt integriert. Es lag daher keine Situation vor, aus der heraus die Einschätzung nahe gelegen hätte, dass sich eine vorher gegebene gemeinsame Haushaltsführung auch während der Berufsausbildung fortgesetzt hat.
Nach alledem kann eine Integration der Klägerin in den Haushalt ihres Vaters nach dem Bezug der ihr inmitten stehenden Räumlichkeiten nicht festgestellt werden.
Für die getroffene Einschätzung konnte sich die Kammer zu wesentlichen Teilen auf das Ergebnis der informatorischen Befragung der Klägerin stützen. Die Kammer hatte den Eindruck, dass die Klägerin ihre Lebensumstände wahrheitsgemäß geschildert hat. Die Klägerin hat auf die Fragen des Gerichts spontan ohne langes Überlegen geantwortet. Dabei hat sie auch Angaben gemacht, die für sie durchaus nachteilig sein konnten, wie etwa zu dem fehlenden Kühlschrank in ihrer Wohnung. Die Angaben waren darüber hinaus in sich schlüssig, nachvollziehbar und ohne Widersprüche. Die Persönlichkeit der Klägerin gab, so wie sie sich in der mündlichen Verhandlung darstellte, keinen Anlass zum Misstrauen. Anhand dieser Angaben konnte sich die Kammer in Verbindung mit dem weiteren Akteninhalt ein hinreichendes Bild über die Lebensumstände der Klägerin und insbesondere ihre Haushaltsführung machen. Eine weitere Beweisaufnahme war damit entbehrlich.
Im Sinne dieses Grundurteils hatte die Klage damit Erfolg. Die Beklagte wird nun noch zu prüfen haben, ob der Klägerin nach Anrechnung des elterlichen bzw. ihres eigenen Ein-kommens ein Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe verbleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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