L 11 R 4053/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 4334/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4053/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.08.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.11.2011 aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit für den Kläger seit dem 25.09.2010 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Streitwert für das Klage- und Berufungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 1) als Fahrerin seit September 2010 der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegt.

Der Kläger nimmt in H. mit seinem inhabergeführten Einzelunternehmen als Franchisenehmer an dem von der Franchisegesellschaft M. betriebenen Brötchen-Lieferdienst teil. Dabei werden Backwaren einer Bäckerei, die mit dem Kläger einen Vertrag hat, auf Bestellung morgens an Kunden ausgeliefert. Die 1972 geborene Beigeladene zu 1) ist seit 25.09.2010 als Fahrerin für den Kläger tätig. Sie holt die Brötchen bei der Bäckerei ab und liefert sie zwischen 04:00 Uhr und 06:30 Uhr (Montag bis Freitag) bzw 08:30 Uhr (Samstag und Sonntag) an die Kunden des Klägers aus. Für die Fahrten benutzt sie ihren eigenen Pkw.

Sie und der Kläger haben am 20.09.2010 einen schriftlichen Vertrag geschlossen (Service-Fahrervertrag). Danach übernimmt die Beigeladene zu 1) in einem bestimmten Gebiet, welches als Vertragsgebiet bezeichnet wird und das als Anlage dem Vertrag beigefügt ist, eigenverantwortlich für den Kläger die Auslieferung der vom Auftraggeber "vertriebenen Erzeugnisse" (Nr 1.1 des Vertrages). Aufgrund der Kundenbestellungen hat sie sicherzustellen, dass die vom Kläger vertriebenen Erzeugnisse bis spätestens 6:30 Uhr bei den Kunden ausgeliefert werden (Nr 1.2 Satz 2 des Vertrages). Sie hat dabei das Recht - und im Falle ihrer Verhinderung die Pflicht - eigene Mitarbeiter einzusetzen (Nrn 1.3 und 3 des Vertrages). Der Kläger stellt der Beigeladenen zu 1) die Aufstellung der Kundenbestellungen für das Vertragsgebiet jeweils am Tag der Auslieferung in der Bäckerei oder am Vortag über seine Homepage zur Verfügung (Nr 1.4 des Vertrages). Zu Beginn ihrer Tätigkeit erhielt sie vom Kläger eine Einschulung (Nr 2 des Vertrages). Die Beigeladene zu 1) erhält als Entgelt für Waren, die an Privathaushalte ausgeliefert werden, eine Vergütung von 0,05 EUR pro Stück und Tag. Großkunden (über 30 Gebäckstücke pro Tag) werden pauschal mit 1,50 EUR pro Tag vergütet (Nr 4.1 des Vertrages). Für jeden gefahrenen Kilometer erhält die Beigeladene zu 1) 0,15 EUR. Die anrechenbaren Kilometer werden ab der Bäckerei berechnet und enden in der Wohnstraße des Auftragnehmers jedoch maximal 5 Kilometer ab dem letzten Kunden (Nr 4.2 des Vertrages). Die jeweils gültige Mehrwertsteuer wird auf die Vergütung hinzugerechnet. Es ist vereinbart, dass die Beigeladene zu 1) dem Kläger monatlich eine Rechnung stellt (Nr. 3 des Vertrags). Bei schuldhaften Verstößen gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen - dazu gehören zB das Unterlassen der Leistungserbringung oder eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung des Vertrages durch die Beigeladene zu 1) - muss die Beigeladene zu 1) eine Vertragsstrafe zahlen (vgl Nr 6 des Vertrages). Die Beigeladene zu 1) ist während der Vertragsdauer nicht berechtigt, ohne ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Klägers für ein Konkurrenzunternehmen unmittelbar oder mittelbar, selbständig oder unselbständig auf eigene oder fremde Rechnung tätig zu werden oder sich an einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt zu beteiligen oder dieses sonst zu unterstützen (7.1 des Vertrages). Nebenabreden, Ergänzungen und Abänderungen des Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für die Abbedingung des Schriftformerfordernisses (8.1 des Vertrages). Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall waren vertraglich nicht vereinbart. Wegen weiterer Einzelheiten des zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) geschlossenen Vertrages wird auf Bl 9 bis 15 der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Am 11.11.2010 hat die Beigeladene zu 1) bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status gestellt. Sie hat beantragt festzustellen, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht vorliegt. In dem Formularantrag hat sie ua angegeben, sie sei neben dem zu beurteilenden Vertragsverhältnis selbständig tätig. Das Arbeitseinkommen aus dieser selbständigen Tätigkeit stelle den überwiegenden Teil ihres Gesamteinkommens dar. Das monatliche Einkommen aus der zu beurteilenden Tätigkeit übersteige nicht den Betrag von 400 EUR. Ihren Auftragsbestand könne sie durch Eigenakquise selbst bestimmen. Sowohl die Beigeladene zu 1) als auch der Kläger haben eine Anfrage der Beklagten schriftlich beantwortet, die Klägerin hat auch eine Kopie des Fahrzeugbriefs für das von ihr erworbene Fahrzeug (Renault Kangoo) sowie Kopien der Rechnungen für die Monate Oktober 2010 sowie Januar und Februar 2011 vorgelegt. Auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten hat der damalige Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.05.2011 (Bl 35/45 der Verwaltungsakten der Beklagten) Stellung genommen und ua ausgeführt, die Klägerin sei berechtigt, Mitarbeiter oder andere Unterauftragnehmer einzusetzen, die Auslieferung der Backwaren innerhalb eines bestimmten Zeitraums ergebe sich aus der Natur der Sache (Frühstücksbackwaren) und die Anzahl der zu liefernden Backwaren hänge von den Wünschen der Kunden ab. Die Fahrtrouten seien von der Beigeladenen zu 1) selbst geplant worden. Die Beigeladene zu 1) sei nicht in die betriebliche Organisation des Klägers eingebunden gewesen und habe auch keinem Weisungsrecht unterlegen. Mit zwei Bescheiden vom 30.06.2011 entschied die Beklagte gegenüber der Beigeladenen zu 1) und dem Kläger, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) als Kurierfahrerin beim Kläger im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In diesem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sei ausgeschlossen, weil die Beigeladene zu 1) hauptberuflich selbständig erwerbstätig sei.

Den hiergegen am 21.07.2011 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2011 als unbegründet zurück. Entscheidend sei, dass die Tätigkeit in einem festen Zustellgebiet ausgeübt werde und die Beigeladene zu 1) zeitliche Vorgaben hinsichtlich der Zustellung erhalte. Der Beginn der Tätigkeit richte sich nach dem Zeitpunkt, zu dem die auszuliefernden Backwaren bereitgestellt werden. Es werde somit ein regelmäßiger Arbeitsbeginn vorgegeben. Die Beigeladene zu 1) trage auch kein Unternehmerrisiko. Sie erhalte eine Vergütung pro Stück und Tag für die ausgelieferte Ware sowie ein Kilometergeld. Eigene Mitarbeiter würden von ihr nicht eingesetzt.

Am 06.12.2011 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte haben ihre jeweiligen Standpunkte bekräftigt. Die Beigeladene zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG ua darauf hingewiesen, sie sei immer noch für den Kläger als Fahrerin tätig. Bisher habe sie einmal eine Ersatzperson für sich einsetzen müssen. Sie sei auch bereits zweimal von anderen Fahrern als Ersatzperson eingesetzt worden. Im Rahmen ihrer Kurierdiensttätigkeit sei sie auch auf der Suche nach weiteren Auftraggebern, da sie noch Kapazitäten frei habe. Allerdings sei das wegen ihrer Teilzeitarbeitsstelle schwierig. Sie arbeite an der Kasse eines Baumarkts mal vormittags, mal nachmittags. Mit Urteil vom 15.08.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beigeladene zu 1) sei den Weisungen des Klägers unterworfen. Sie könne nicht frei über ihre Arbeitszeiten verfügen, weil sie die Backwaren zu bestimmten Zeiten abholen und den vorgegebenen Kunden bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bringen müsse und ihr deshalb nur ein enger zeitlicher Korridor verbleibe. Für eine abhängige Beschäftigung spreche ferner, dass eine feste, pauschale und damit erfolgsunabhängige Vergütung vereinbart und bezahlt werde. Sie setze außerdem im Wesentlichen ihre Arbeitskraft ein, was für abhängig Beschäftigte typisch sei. Bei ihrer Tätigkeit verfüge sie nicht über einen nennenswerten Spielraum für eigene unternehmerische Initiativen. Eine selbständige Tätigkeit könne auch nicht allein am Merkmal eines eigenen Fahrzeugs festgemacht werden. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 27.08.2012 zugestellt worden.

Am 25.09.2012 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er trägt im Wesentlichen vor, für das Vertragsverhältnis zwischen der Beigeladenen zu 1) und dem Kläger sei im Rahmen der Gesamtwürdigung prägend, dass die Beigeladene zu 1) nicht verpflichtet sei, die vertraglich geschuldete Transportleistung persönlich zu erbringen, sich also in freier Entscheidung Erfüllungsgehilfen bedienen konnte, um den ausschließlich von ihr geschuldeten Transporterfolg sicherzustellen. Sie sei es, die frei darüber entscheide, wann sie in dem hier vorgegebenen Zeitkorridor die Backwaren aufnimmt und wie sie die eigens von ihr geplante Auslieferungstour vollzieht. Es liege in der Natur der Sache, dass Kurierdienstleistungen gegenüber im Voraus bestimmten Kunden vorzunehmen seien. Die Beigeladene zu 1) habe nicht nur die Möglichkeit gehabt, andere selbständige Tätigkeiten auszuüben, sondern sei auch bestrebt gewesen, weitere selbständige Aufträge anzunehmen. Auch bei einfachen Tätigkeiten wie bei der Zustellung von Backwaren sei die Annahme einer selbständigen Tätigkeit möglich. Die Wertung der Tätigkeit als abhängige Beschäftigung sei rechtlich gar nicht zulässig, da von der Beigeladenen zu 1) die Zustellung von Backwaren an 365 Tagen im Jahr geschuldet sei. Bei der Erfüllung dieser Pflichten würde ihm ein Verstoß gegen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes aufgezwungen. Eine Eingliederung der Beigeladenen zu 1) in die Organisation des Klägers sei ebenfalls nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15.08.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2011 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) in ihrer Tätigkeit für den Kläger seit dem 25.09.2010 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegt und keine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV vorliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 05.11.2013 sind der Kläger und die Beigeladene zu 1) persönlich angehört worden. Der Kläger hat ua darauf hingewiesen, dass die Beigeladene zu 1) ihre Tätigkeit auch in der Rechtsform einer GmbH erbringen könnte. Hierzu gebe es von ihm keine Vorgaben. Die Beigeladene zu 1) hat angegeben, sie sei auch für weitere Auftraggeber als Fahrerin tätig. So transportiere sie zB für eine andere Firma Briefpost an Schulen. Sie habe auch weiterhin eine Teilzeitbeschäftigung in einem Baumarkt, die sie mal vormittags, mal nachmittags verrichte. Ihre sonstigen Fahraufträge passe sie ihren Arbeitszeiten im Baumarkt an. Zwischenzeitlich habe sie mit dem Kläger auch eine höhere Vergütung vereinbart. So erhalte sie nicht mehr nur 5 Cent pro Gebäckstück, sondern 9 Cent.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten. Die von der Beigeladenen zu 1) beim Kläger seit dem 25.09.2010 ausgeübte Tätigkeit unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Nach § 7a SGB IV in der hier anzuwendenden, seit 01.01.2009 geltenden Fassung des Art 1 Nr 1 des 2. SGB IVÄndG vom 21.12.2008 (BGBl I S 2933) können die Beteiligten - dies sind im vorliegenden Fall der Kläger und die Beigeladene zu 1) - schriftlich eine Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund (Beklagte) beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet (Abs 1 Satz 1). Nach Abs 4 muss die Beklagte den Beteiligten mitteilen, welche Entscheidung sie zu treffen beabsichtigt, die Tatsachen bezeichnen, auf die sie ihre Entscheidung stützen will, und den Beteiligten Gelegenheit geben, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern.

Die Beklagte hat auf den von der Beigeladenen zu 1) gestellten Antrag als zuständige Behörde entschieden und dabei das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren eingehalten. Sie hat insbesondere nicht gegen die Anhörungspflicht nach § 7a Abs 4 SGB IV iVm § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verstoßen. Sie hat vor Erlass des angefochtenen Bescheides die beabsichtigte Entscheidung und die entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt. Der Kläger hatte (ebenso wie die Beigeladene zu 1) Gelegenheit, weitere Tatsachen und ergänzende rechtliche Gesichtspunkte vorzubringen. Die Beklagte hat auch keine (unzulässige) Elementenfeststellung vorgenommen. Mit dem Bescheid vom 30.06.2011 hat sie die Anforderungen an eine Statusfeststellung (auch hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes) erfüllt, die das BSG in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat (Urteil vom 11.03.2009, B 12 R 11/07 R, BSGE 103, 17; Urteil vom 04.06.2009, B 12 R 6/08 R, juris). Sie hat ausdrücklich entschieden, dass für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) beim Kläger Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ab 25.09.2010, aber nicht in der Krankenversicherung besteht. Aus diesem Grund - unzulässige Elementenfeststellung - hat der Senat nicht die vom Kläger begehrte Feststellung getroffen, dass "keine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV vorliegt."

Die Entscheidung der Beklagten ist aber inhaltlich unrichtig. Die Beigeladene zu 1) unterlag und unterliegt in ihrer Fahrertätigkeit für den Kläger nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen ua in Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 1 Satz 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), § 25 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)). Nach § 7 Abs 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen BSG 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111,257 mwN).

Zur Feststellung des Gesamtbilds kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu. Zwar hat das BSG noch im Urteil vom 22.6.2005 (BSG, B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 5) ausgeführt, dass beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag geben. Jedoch hat es diese Aussage in Zusammenfassung älterer Entscheidungen nachfolgend präzisiert: Danach sind die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG 29.08.2012 aaO).

Ausgangspunkt der Prüfung ist deshalb der vom Kläger und der Beigeladenen zu 1) am 20.09.2010 geschlossene Vertrag (Service-Fahrervertrag). Ein Weisungsrecht des Klägers in Bezug auf Zeit, Ort und Art der Ausführung der von der Beigeladenen zu 1) geschuldeten Arbeit ist in dem Fahrervertrag nicht ausdrücklich vereinbart worden. Dies war auch nicht notwendig, da die von der Klägerin zu erledigenden Aufgaben bereits durch den Service-Fahrervertrag detailliert geregelt worden sind. Umstände, die schon im Voraus vertraglich festgelegt sind, begründen jedoch idR kein Weisungsrecht des Auftraggebers (vgl BSG 04.04.1979, 12 RK 37/77, juris in Bezug auf die Verpflichtung eines Orchestermusikers, eine Tracht zu tragen und ein bestimmtes Instrument zu spielen). Offen bleibt nach dem Vertrag lediglich, an welchen Kunden des Klägers welche Backwaren zu liefern sind. Insoweit handelt es sich bei dem Fahrervertrag um eine Rahmenvereinbarung. Zur Konkretisierung der von der Beigeladenen zu 1) geschuldeten Leistungen bedurfte es aber keiner zusätzlichen Einzelweisungen des Klägers. Dafür genügten die über die Homepage des Klägers oder die Vertragsbäckerei des Klägers der Klägerin zur Verfügung gestellten Informationen. Aus der Weitergabe von Informationen, die zur Erfüllung einer vertraglich geschuldeten Pflicht benötigt werden, kann keine arbeitsrechtliche Direktionsbefugnis abgleitet werden. Der Klägerin sind auch keine einzelnen Weisungen erteilt worden. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, und die Beigeladene zu 1) hat dies bestätigt. Der Senat nimmt deshalb an, dass dies zutrifft.

Die Beigeladene zu 1) ist auch nicht so in den Betrieb des Klägers eingegliedert, dass sie dabei einem umfassenden Weisungsrecht des Klägers unterliegt. Zwar hängt eine Eingliederung in einen fremden Betrieb nicht davon ab, ob die Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des Betriebsgeländes ausgeübt wird. Maßgebend sind auch insoweit die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit verrichtet wird. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Bedingungen, unter denen die Auslieferung der Backwaren erfolgt, ist eine Verfügungsmöglichkeit der Beigeladenen zu 1) über die eigene Arbeitskraft und eine frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit zwar eingeschränkt, aber noch vorhanden. Die Beigeladene zu 1) hat nach Nr 1.2 Satz 2 des Vertrages sicherzustellen, dass die vom Kläger vertriebenen Erzeugnisse gemäß den Kundenbestellungen bis spätestens 6:30 Uhr bei den Kunden ausgeliefert werden. Diese Verpflichtung ist zum einen bereits in dem Fahrervertrag im Voraus vereinbart worden und zum anderen ist die Vereinbarung einer konkreten Lieferfrist bei Transportaufträgen nicht ungewöhnlich. Im Übrigen kann die Beigeladene zu 1) innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne von der Bereitstellung der Backwaren in der Vertragsbäckerei bis zum spätesten Auslieferungstermin an die Kunden ihre Arbeitszeit einteilen und die Transportrouten selbst bestimmen. Mit einer Verpflichtung zur termingerechten Lieferung kann jedenfalls nicht eine Eingliederung des Fahrers in den Betrieb des Auftraggebers begründet werden. Auch der Umstand, dass die Beigeladene zu 1) die Auslieferung der Backwaren nur in dem vertraglich vereinbarten Gebiet vornehmen kann, beruht auf einer im Voraus zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) getroffenen vertraglichen Regelung.

Die Klägerin unterliegt auch nicht deshalb der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Klägers, weil in dem Fahrervertrag ein Vertragsstrafe vereinbart worden ist. Grundsätzlich können vereinbarte Vertragsstrafen für eine selbstständige Tätigkeit sprechen (BSG 28.5.2008, B 12 KR 13/07 R, USK 2008-45). Vertragsstrafen können aber auch für Verstöße gegen Pflichten aus einer abhängigen Beschäftigung vereinbart werden. Bedeutung für die Gesamtwürdigung haben daher als Indizien vorrangig die (vertragsstrafenbewehrten) Verpflichtungen und die tatsächliche Durchführung, nicht jedoch das Vertragsstrafenversprechen selbst (BSG 11.03.2009, B 12 KR 21/07 R, USK 2009-25 = juris). Nach Nr 6 des Fahrervertrages ist die Beigeladene zu 1) verpflichtet, bei "schuldhaften Verstößen" gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen eine vom Kläger nach billigem Ermessen festzusetzende Vertragsstrafe zu zahlen. Was unter einem schuldhaften Verstoß zu verstehen ist, wird nicht genau definiert. Es werden lediglich einige Beispiele ("insbesondere") hierfür aufgeführt. Damit hat der Kläger theoretisch jederzeit die Möglichkeit, durch Androhung einer Vertragsstrafe seine Vorstellungen über die korrekte Vertragserfüllung durchzusetzen. Dies kommt der Direktionsbefugnis eines Arbeitgebers sehr nahe. Dennoch wertet der Senat hier die Vertragsstrafenregelung nicht als Indiz für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung. Denn es sind über die genannten Beispiele hinaus so gut wie keine vertraglichen Regelungen denkbar, gegen die die Beigeladene zu 1) verstoßen könnte. Der Kläger kann zB die Beigeladene zu 1) nicht einseitig aus ihrem Vertragsgebiet abziehen und einem anderen Vertragsgebiet zuordnen. Dieser Gesichtspunkt spricht für eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1), selbst wenn in Rechnung gestellt wird, dass der Kläger durch die vertragliche Regelung sichergestellt hat, dass seine Fahrer im Verhinderungsfalle selbst für eine Vertretung sorgen müssen.

Für eine abhängige Beschäftigung könnte das vereinbarte Verbot, für andere Frühstücksdienste tätig zu werden, sprechen. Nach Nr 7.1 ist die Beigeladene zu 1) während der Vertragsdauer nicht berechtigt, ohne ausdrückliche schriftliche Einwilligung des Klägers für ein Konkurrenzunternehmen unmittelbar oder mittelbar, selbständig oder unselbständig auf eigene oder fremde Rechnung tätig zu werden oder sich an einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt zu beteiligen oder dieses sonst zu unterstützen. Damit scheidet die denkbare Auslieferung von Backwaren für andere Frühstücksdienste bzw Bäckereien aus. Dieser Gesichtspunkt kann nach der Rechtsprechung des BSG zur Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses herangezogen werden (BSG 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 5 Rn 26). Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass die Beigeladene zu 1) in dem von ihr ausgehandelten Vertragsgebiet keiner Konkurrenz durch andere Fahrer des Klägers ausgesetzt ist. Deshalb misst der Senat diesem Wettbewerbsverbot keine entscheidende Bedeutung bei.

Die Beigeladene zu 1) ist bei ihrer Tätigkeit bestimmten Risiken ausgesetzt. So muss sie nicht nur - wie bereits erwähnt - mit einer Vertragsstrafe, sondern auch mit Schadensersatzansprüchen rechnen (vgl Nr 6 des Fahrervertrages). Daraus resultiert hier ein rechtlich relevantes Unternehmerrisiko. Die Belastung mit Risiken ist zwar nur dann ein Hinweis auf eine selbständige Tätigkeit, wenn ihr auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüber stehen (BSG 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R, SGb 2013, S 364, 365 m Anm Littmann). Im vorliegenden Fall ist aber von Bedeutung, dass die Beigeladene zu 1) täglich nur ca zwei bis drei Stunden als Fahrerin für den Kläger tätig wird. Sie kann deshalb neben ihrer Tätigkeit für den Kläger unproblematisch noch weitere Aufträge anderer Auftraggeber annehmen. Von dieser Möglichkeit macht sie auch Gebrauch. Außerdem erbrachte und erbringt sie die Transportleistungen mit dem eigenen Fahrzeug. Die Nutzung des eigenen Fahrzeugs reicht zwar für sich genommen für eine Bewertung des Vorliegens eines selbständigen Tätigkeit nicht aus (BSG 11.03.2009, B 12 KR 21/07 R, juris). Zusammen mit anderen Kriterien, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen, kann es aber Annahme von Selbständigkeit bestätigen.

Die vertraglich eingeräumte Möglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung durch andere Fahrer erbringen zu lassen, spricht weder für noch gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Die Befugnis zur Delegation allein ist kein entscheidendes Kriterium für eine selbständige Tätigkeit, weil sie nichts darüber aussagt, inwieweit von ihr Gebrauch gemacht wird und realistischerweise überhaupt Gebrauch gemacht werden könnte (BSG 11.03.2009, aaO). Die Vergütung der Beigeladenen zu 1) spricht ebenfalls weder für noch gegen eine abhängige Beschäftigung. Die Beigeladene zu 1) erhält als Entgelt für Waren, die an Privathaushalte ausgeliefert werden, eine Vergütung von 0,05 EUR (jetzt: 0,09 EUR) pro Stück und Tag. Großkunden (über 30 Gebäckstücke pro Tag) werden pauschal mit 1,50 EUR pro Tag vergütet (Nr 4.1 des Vertrages). Für jeden gefahrenen Kilometer erhält die Beigeladene zu 1) 0,15 EUR. Die anrechenbaren Kilometer werden ab der Bäckerei berechnet und enden in der Wohnstraße des Auftragnehmers jedoch maximal 5 Kilometer ab dem letzten Kunden (Nr 4.2 des Vertrages). Derartige Vergütungssysteme können sowohl bei abhängig Beschäftigten als auch bei Selbständigen vereinbart werden.

Die Argumentation des Klägers, eine Wertung der Tätigkeit als abhängige Beschäftigung sei rechtlich gar nicht zulässig, da von der Beigeladenen zu 1) die Zustellung von Backwaren an 365 Tagen im Jahr geschuldet sei, so dass ihm ein Verstoß gegen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes aufgezwungen werde, betrachtet der Senat allerdings als verfehlt. Eine abhängige Beschäftigung wird nicht allein deshalb zu einer selbständigen Tätigkeit, weil der Arbeitgeber nur auf diese Weise die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes umgehen kann.

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Beigeladene zu 1) beim Kläger nicht abhängig beschäftigt ist. Ausschlaggebend hierfür ist, dass die vertraglichen Regelungen zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) kein Weisungsrecht des Klägers begründen, der Kläger konkrete Weisungen auch nicht erteilt bzw erteilt hat, die Beigeladene zu 1) nicht in die Betriebsorganisation des Klägers eingegliedert ist und keine sonstigen Kriterien festgestellt werden können, die dennoch eine Wertung der Fahrertätigkeit als abhängige Beschäftigung erfordern oder rechtfertigen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 1 Abs 2 Nr 3, 47 Abs 1 Satz 1, 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz. Für Streitigkeiten, die das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV betreffen, ist der Regelstreitwert festzusetzen (BSG 05.03.2010, B 12 R 8/09 R). Die teilweise von anderen Gerichten vertretene Auffassung, wonach für die Festsetzung des Streitwerts in diesen Verfahren die mögliche Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags maßgebend ist (so zB LSG Nordrhein-Westfalen 14.05.2012, L 8 R 158/12 B, juris), teilt der Senat auch weiterhin nicht. Die bei einer Statusfeststellung nach § 7a SGB IV zu treffende Entscheidung betrifft nur die Versicherungspflicht, nicht zu entscheiden ist über die konkrete Höhe der ggf geschuldeten Beiträge.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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