Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 2042/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 79/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2013 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 29. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab 4. August 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Die 1954 geborene Klägerin, bei der der Beklagte 2003 einen GdB von 30 festgestellt hatte, stellte zuletzt am 4. August 2009 einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten ärztlichen Befunde lehnte der Beklagte eine Erhöhung des GdB mit Bescheid vom 29. Oktober 2009 ab. Hiergegen erhob die Klägerin unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen, u.a. des Attests des Internisten Dr. D vom 16. Februar 2010 und des Entlassungsberichts der Rehabilitationseinrichtung Klinik N vom 21. Dezember 2009, Widerspruch. Der versorgungsärztlichen Empfehlung folgend setzte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2010 den GdB auf 40 herauf. Dem legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, verheilter Wirbelbruch, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (30), b) Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (20), c) psychovegetative Störungen, Depression (20), d) Bronchialasthma, Lungenfunktionseinschränkung (20), e) Hautleiden (10), f) Funktionsbehinderung des Kniegelenks rechts (10), g) Funktionsbehinderung des Schultergelenks beidseits (10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. A vom 17. November 2011 eingeholt. Die Sachverständige hat die Feststellungen des Beklagten bestätigt: Im Vordergrund stehe das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 30. Da dem Lungenleiden Relevanz zu bemessen sei, betrage der Gesamt-GdB 40. Es beständen massive Überschneidungen des Wirbelsäulenleidens mit dem psychischen Leiden, weshalb aus beiden Komplexen keine Schwerbehinderung abzuleiten sei. Der Bluthochdruck wirke sich nicht erhöhend aus.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. März 2013 abgewiesen. Ein höherer Gesamt-GdB als 40 komme nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten nicht in Betracht.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, der Gesamt-GdB sei zu gering bewertet worden. Im Übrigen hätten sich ihre Leiden verstärkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2013 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 29. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 4. August 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen, hilfsweise, ein Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz von einem noch zu benennenden Arzt einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch, dass dieser bei ihr mit Wirkung ab 4. August 2009 einen GdB von 50 feststellt.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Bei der Klägerin bestehen nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen seit Antragstellung am 4. August 2009 – neben verschiedenen Behinderungen mit einem Einzel-GdB von 10 – ein Wirbelsäulenleiden, das nach der überzeugenden Einschätzung des Allgemeinmediziners Dr. A einen Einzel-GdB von 30 bedingt, sowie Bluthochdruck, psychische Leiden und Erkrankungen der Atemwege, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 in Ansatz zu bringen sind.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Zwischen den Beteiligten ist – zu Recht – nicht streitig, dass der für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin festgestellte GdB von 30 unter Berücksichtigung des Bronchialasthmas und der Lungenfunktionseinschränkung auf 40 heraufzusetzen ist. Entgegen der gutachterlichen Bewertung des Gesamt-GdB, an die das Gericht nicht gebunden ist (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris) ist im Hinblick auf das psychische Leiden der Klägerin eine weitere Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 50 vorzunehmen. Die von dem Gutachter festgestellten Überschneidungen bestehen im Hinblick auf die psychovegetativen Störungen mit dem Wirbelsäulenleiden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Klägerin unter Depression leidet, die nach den Feststellungen des Gutachters Auswirkungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zeitigen. Der Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung ist durch eine angemessene Erhöhung des GdB um 10 Rechnung zu tragen.
Da der klägerische Hauptantrag erfolgreich war, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.
Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Die 1954 geborene Klägerin, bei der der Beklagte 2003 einen GdB von 30 festgestellt hatte, stellte zuletzt am 4. August 2009 einen Verschlimmerungsantrag. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten ärztlichen Befunde lehnte der Beklagte eine Erhöhung des GdB mit Bescheid vom 29. Oktober 2009 ab. Hiergegen erhob die Klägerin unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen, u.a. des Attests des Internisten Dr. D vom 16. Februar 2010 und des Entlassungsberichts der Rehabilitationseinrichtung Klinik N vom 21. Dezember 2009, Widerspruch. Der versorgungsärztlichen Empfehlung folgend setzte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2010 den GdB auf 40 herauf. Dem legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, verheilter Wirbelbruch, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule (30), b) Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (20), c) psychovegetative Störungen, Depression (20), d) Bronchialasthma, Lungenfunktionseinschränkung (20), e) Hautleiden (10), f) Funktionsbehinderung des Kniegelenks rechts (10), g) Funktionsbehinderung des Schultergelenks beidseits (10).
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte das Gutachten des Allgemeinmediziners Dr. A vom 17. November 2011 eingeholt. Die Sachverständige hat die Feststellungen des Beklagten bestätigt: Im Vordergrund stehe das Wirbelsäulenleiden mit einem Einzel-GdB von 30. Da dem Lungenleiden Relevanz zu bemessen sei, betrage der Gesamt-GdB 40. Es beständen massive Überschneidungen des Wirbelsäulenleidens mit dem psychischen Leiden, weshalb aus beiden Komplexen keine Schwerbehinderung abzuleiten sei. Der Bluthochdruck wirke sich nicht erhöhend aus.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. März 2013 abgewiesen. Ein höherer Gesamt-GdB als 40 komme nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten nicht in Betracht.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Ansicht, der Gesamt-GdB sei zu gering bewertet worden. Im Übrigen hätten sich ihre Leiden verstärkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2013 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 29. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab 4. August 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen, hilfsweise, ein Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz von einem noch zu benennenden Arzt einzuholen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch, dass dieser bei ihr mit Wirkung ab 4. August 2009 einen GdB von 50 feststellt.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Bei der Klägerin bestehen nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen seit Antragstellung am 4. August 2009 – neben verschiedenen Behinderungen mit einem Einzel-GdB von 10 – ein Wirbelsäulenleiden, das nach der überzeugenden Einschätzung des Allgemeinmediziners Dr. A einen Einzel-GdB von 30 bedingt, sowie Bluthochdruck, psychische Leiden und Erkrankungen der Atemwege, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 in Ansatz zu bringen sind.
Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Zwischen den Beteiligten ist – zu Recht – nicht streitig, dass der für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin festgestellte GdB von 30 unter Berücksichtigung des Bronchialasthmas und der Lungenfunktionseinschränkung auf 40 heraufzusetzen ist. Entgegen der gutachterlichen Bewertung des Gesamt-GdB, an die das Gericht nicht gebunden ist (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris) ist im Hinblick auf das psychische Leiden der Klägerin eine weitere Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 50 vorzunehmen. Die von dem Gutachter festgestellten Überschneidungen bestehen im Hinblick auf die psychovegetativen Störungen mit dem Wirbelsäulenleiden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Klägerin unter Depression leidet, die nach den Feststellungen des Gutachters Auswirkungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zeitigen. Der Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbehinderung ist durch eine angemessene Erhöhung des GdB um 10 Rechnung zu tragen.
Da der klägerische Hauptantrag erfolgreich war, bedarf es keiner Entscheidung über den Hilfsantrag.
Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
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