L 4 KR 35/13 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 16 KR 23/13
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 35/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 29. Mai 2013 - S 16 KR 23/13 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, Kläger und Beschwerdeführer (im Weiteren nur Antragsteller) wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten. Diesem Beschluss des Sozialgerichts liegt ein Klageverfahren zugrunde, in denen sich der Antragsteller gegen die Zwangsvollstreckung aus bestandskräftigen Beitragsbescheiden der Antragsgegnerin und Beklagten (nachfolgend: Antragsgegnerin) betreffend versicherungspflichtig beschäftige Arbeitnehmer vom 21. April 1997 und 22. Mai 1997 über einen Betrag von jeweils 6.520 DM bzw. aus einem Bescheid vom 24. Juli 1997 über 5.865,62 DM wendet.

Zur Durchsetzung seiner Forderung hat der Antragsteller am 16. Januar 2013 am Sozialgericht Halle Klage erhoben. Er verlangt, die Zwangsvollstreckung aus den Bescheiden für unzulässig zu erklären sowie die Beklagte zu verurteilen, die vorliegenden vollstreckbaren Ausfertigungen an ihn herauszugeben. Er räumt ein, insgesamt der Antragsgegnerin noch 8.472,39 Euro inklusive Säumniszuschläge, Mahngebühren und sonstige Kosten zu schulden. Allerdings sehe er sich wirtschaftlich nicht in der Lage, eine Zahlung vorzunehmen. Darüber hinaus sei die Vollstreckung nach 15 Jahren unzulässig, da die Forderungen verwirkt seien. Er habe sich in seiner Lebensführung darauf eingerichtet, dass diese nicht mehr gegen ihn geltend gemacht würden. Für dieses Verfahren hat der Antragsteller die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass in den Jahren 1998, 2000 sowie 2003 Vollstreckungsversuche fruchtlos verlaufen seien. Aus Kostengründen habe man - auch im Interesse des Antragstellers - von weiteren Vollstreckungsversuchen zunächst Abstand genommen.

Mit Beschluss vom 29. Mai 2013 hat das Sozialgericht Halle den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, eine Verwirkung eines Anspruchs liege nur vor, wenn der Berechtigte mit seinem Geltendmachen längere Zeit gewartet habe und besondere Umstände hinzugetreten seien, die die nunmehrige Erhebung des Anspruchs dem Dritten gegenüber als unzulässig erscheinen ließen. Besondere Umstände, die die Verwirkung eines Rechts auslösten, lägen nur dann vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Eine solche Fallgestaltung sei vorliegend nach dem bisherigen Sachvortrag und dem Inhalt der Verwaltungsakte nicht gegeben. Neben dem bloßen Zeitablauf fehlten trotz richterlicher Aufforderung Angaben dazu, welche Dispositionen der Antragsteller im Hinblick darauf getätigt habe, dass die Antragsgegnerin ihre Forderung vermeidlich nicht mehr durchsetzen werde. Der bloße Verweis auf die Umstellung der allgemeinen Lebensführung sei hierfür nicht ausreichend. Im Hinblick auf die 30-jährige Verjährungsfrist bei Vollstreckung müssten besondere Gesichtspunkte vorgetragen werden, aus denen sich ein Vertrauen ergeben soll. Allein durch die Untätigkeit über einen Zeitraum von neun Jahren und drei Monaten habe die Antragsgegnerin keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Die hier geltende Verjährungsfrist von 30 Jahren rechtfertige nur ausnahmsweise die Bejahung einer Verwirkung. Die Regelverjährung von 30 Jahren müsse dem Gläubiger grundsätzlich ungekürzt zur Verfügung stehen, so dass hier strenge Anforderungen an die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes zu stellen seien. Das bloße Unterlassen einer Beitragsvollstreckung könne nicht ausreichend sein, da ansonsten die verlängerten Verjährungsfristen ins Leere gehen würden. Erforderlich sei ein positives Tun des Berechtigten; ein solches sei hier nicht erkennbar.

Gegen den ablehnenden Prozesskostenhilfe-Beschluss hat der Antragsteller noch im gleichen Monat Beschwerde eingelegt und vorgetragen, das Sozialgericht habe sein Vorbringen tatsächlich und rechtlich unzutreffend gewürdigt. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten und die Substantiierung seines Vortrages seien überzogen. Diesbezüglich hat er auf seine bisherigen Schriftsätze verwiesen. Weiter hat er eine Zahlungsaufforderung des Hauptzollamtes M. vom 10. Juli 2013 vorgelegt, wonach er insgesamt nunmehr 8.799,89 Euro schuldet.

Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 29. Mai 2013 - S 16 KR 23/13 aufzuheben und ihm für dieses Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. zu gewähren.

Der Beschwerdegegner und die Antragsgegnerin haben keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte genommen. Diese ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.

Nach § 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Insoweit kann offenbleiben, ob der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln zu bestreiten; denn die Klage bietet jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Rechtsuchenden auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Aufl., § 73a Rn. 7a). Das Grundgesetz (GG) gebietet dabei eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Derartige Vorkehrungen sind im Institut der Prozesskostenhilfe (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO) getroffen. Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dürfen dabei nicht überspannt werden (vgl. zu dem vorstehendem BVerfG, 7. Februar 2012, 1 BvR 1263/11, juris).

Als Fallgruppe, bei welcher regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung solche Sachlagen herausgearbeitet, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Danach muss Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (BVerfG, a.a.O).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. An der Rechtmäßigkeit der Zwangsvollstreckung bestehen keine ernstlichen Zweifel. Diesbezüglich wird auf die umfassenden Ausführungen im Beschluss des Sozialgerichts Halle verwiesen, in dem die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung ausführlich und überzeugend dargestellt wurde.

Der Anspruch der Antragsgegnerin ist auch nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, setzt die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraumes unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) sowie der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (ständige Rechtsprechung, grundlegend BSG, 30. November 1978, 12 RK 6/76, juris).

Ein solches Verhalten hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Es ist auch sonst kein Verwirkungsverhalten ersichtlich. Ob der Antragsteller irrtümlich meinte, die Antragsgegnerin werde von weiteren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen absehen, ist rechtlich unerheblich.

Zutreffend hat das Sozialgericht bereits darauf hingewiesen, dass hier nach § 25 Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) die 30-jährige Verjährungsfrist Anwendung findet. Dies stellt der Antragsteller auch nicht in Abrede. Darüber hinaus stellen die jeweils bestandskräftigen Bescheide unanfechtbare Verwaltungsakte dar; derart festgestellte Ansprüche verjähren gemäß § 52 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ebenfalls in 30 Jahren. Diese lange Verjährungsfrist würde ausgehebelt werden, wenn jahrelanges Unterlassen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu einer Verwirkung führen würde; auch insoweit wird auf die ausführlichen Darlegungen des Sozialgerichts Bezug genommen. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin bereits in den Jahren 1998, 2000 sowie 2003 (erfolglos) Maßnahmen der Zwangsvollstreckung eingeleitet hat und damit zu erkennen gegeben hat, ihren Anspruch durchsetzen zu wollen.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist hier für die Vollstreckung das Hauptzollamt zuständig. Für die Vollstreckung zugunsten der Behörden des Bundes, der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gilt gemäß § 66 SGB X das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG). Nach § 4 VwVG sind im Allgemeinen die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung zuständig, es sei denn, es ist insofern von einer obersten Bundesbehörde eine besondere Bestimmung getroffen worden. Mangels spezieller Regelung bedienen sich daher die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger der Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung (KassKomm/Mutschler, SGB X § 66 Rn. 19). Eine Vollstreckungsklausel ist - wie schon das Sozialgericht auf S. 3 unten der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat - bei einer Vollstreckung nach § 66 Abs. 1 SGB X nicht vorgesehen (anders bei der daneben möglichen Vollstreckung nach § 66 Abs. 4 S. 1 SGB X in Verbindung mit § 704 Abs. 1 ZPO, vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2007 - I ZB 19/07 -, juris; KassKomm/Mutschler SGB X § 66 Rn. 28).

Andere Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zwangsvollstreckung sind nicht erkennbar oder vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO sowie § 197a, § 3 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Anlage 1 GKG Nr. 1812.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved