Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 192 SB 1261/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 213/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Eine Behörde gibt in der Regel Anlass zur Klageerhebung, wenn sie den Sachverhalt unzureichend aufklärt.
2. Eine Behörde unterliegt im sozialgerichtlichen Verfahren einer prozessualen Fürsorgepflicht. Sie ist insbesondere gehalten, darauf hin zu wirken, dass das Sozialgericht den Sachverhalt aufklärt. Eine Verletzung dieser Pflicht kann vorliegen, wenn eine Behörde erkennen muss, dass das Gericht den Rechtsstreit vorschnell entscheiden wird.
3. Eine Verletzung dieser Fürsorgepflicht kann zur Folge haben, dass die Behörde Anlass zur Berufungseinlegung gibt.
2. Eine Behörde unterliegt im sozialgerichtlichen Verfahren einer prozessualen Fürsorgepflicht. Sie ist insbesondere gehalten, darauf hin zu wirken, dass das Sozialgericht den Sachverhalt aufklärt. Eine Verletzung dieser Pflicht kann vorliegen, wenn eine Behörde erkennen muss, dass das Gericht den Rechtsstreit vorschnell entscheiden wird.
3. Eine Verletzung dieser Fürsorgepflicht kann zur Folge haben, dass die Behörde Anlass zur Berufungseinlegung gibt.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten noch über die außergerichtlichen Kosten des durch Vergleich erledigten Rechtsstreits, der die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) betroffen hat.
Auf den Antrag des 1949 geborenen Klägers vom 20. April 2009 stellte der Beklagte bei ihm nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten Befundberichte mit Bescheid vom 27. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2010 einen Gesamt-GdB von 20 fest. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (20), b) Funktionsbehinderung des Schultergelenks links, Riss der Bizepssehne links (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. S vom 5. Dezember 2011 eingeholt. Auf dessen Grundlage hat der Beklagte, der versorgungsärztlichen Anregung folgend, den Einzel-GdB zu b) wegen Verschlimmerung der Schulterleiden auf 20 anzuheben, bei dem Kläger mit Bescheid vom 7. März 2012 einen Gesamt-GdB von 30 ab Dezember 2011 festgestellt.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. August 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist im Wesentlichen den von dem Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen gefolgt.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren zunächst weiter verfolgt hat. Er hat hierzu vorgebracht, eine Gesamtbeurteilung seiner Erkrankungen müsse zu einem höheren GdB als dem festgestellten führen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den Rechtsstreit durch folgenden Vergleich beendet:
1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die bisher streitbefangenen Bescheide gegenstandslos sind.
2. Der Beklagte sichert zu, dass ausgehend von einem Antrag vom April 2009 eine Neubescheidung des klägerischen Antrages erfolgen wird, und zwar nach weiterer medizinischer Sachverhaltsaufklärung.
3. Eine Kostenentscheidung soll durch den Senat ergehen.
4. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
II.
Nach der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch Vergleich ist auf den Antrag der Beteiligten nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Diese Kostenentscheidung ist nach billigem Ermessen des Gerichts unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen.
1. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Hierbei ist im vorliegenden Fall allerdings nicht darauf abzustellen, wer den Prozess voraussichtlich gewonnen hätte. Denn die Erfolgsaussicht der Klage war bis zum Abschluss des Klageverfahrens erster Instanz – und ist es immer noch – nicht einzuschätzen, da der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt ist. Dem Befundbericht der chirurgischen Praxis Dres. S und M vom 5. Dezember 2011 ist die ärztliche Einschätzung zu entnehmen, dass bei dem Kläger Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt beständen. Aufgrund welcher Befunde der behandelnde Arzt zu dieser Bewertung gelangt ist, erschließt sich dem Bericht nicht. Es ist lediglich mitgeteilt worden, dass die Halswirbelsäule von Abnutzungserscheinungen betroffen sei. Bewegungsmaße sind von dem behandelnden Arzt ebenso wenig erhoben worden wie die Zeichen nach Ott, Schober und Trendelenburg. Weiter ist seitens der chirurgischen Praxis Dres. S und M berichtet worden, dass bei dem Kläger eine Funktionseinschränkung des Schultergelenks mit Bewegungseinschränkung vorliege, bei welcher der Arm nur um 90° zu erheben sei. Die ausdrücklich gestellte Frage, seit wann diese Funktionseinschränkung bestehe, ist nicht beantwortet worden. Im Befundbericht findet sich hierzu nur die Mitteilung, dass der Kläger seit Beginn des Jahres 2011 Schmerzen im linken Schultergelenk geäußert habe. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann weder die Höhe des GdB noch der betreffende Feststellungszeitraum bestimmt werden.
Eine Beteiligung des Beklagten an den außergerichtlichen Kosten ist jedoch deshalb angezeigt, weil er zu der Erhebung der Klage (mit-) veranlasst hat. Zu berücksichtigen ist, dass der Beklagte der ihn nach § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch treffenden Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, im Feststellungs- und Widerspruchsverfahren nicht hinreichend genügt hat. Vielmehr hat der Beklagte sich darauf beschränkt, Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte einzuholen und die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst auswerten zu lassen. Diese Ermittlungen "vom Schreibtisch aus" sind jedoch in dem durch medizinische Fragen geprägten Gebiet des Schwerbehindertenrechts in der Regel nicht ausreichend. Um im vorliegenden Fall seiner Aufgabe – nämlich einerseits der Ermittlung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen des Klägers und deren Ausmaßes in tatsächlicher und zeitlicher Hinsicht sowie der aus den Funktionsbeeinträchtigungen folgenden Auswirkungen in allen Lebensbereichen, andererseits der Bewertung der hiernach gewonnenen Erkenntnisse durch Zuerkennung (bzw. Versagung) eines bestimmten Grades der Behinderung – gerecht zu werden, hätte der Beklagte den Kläger ärztlicherseits, und zwar auf orthopädischem oder chirurgischen Fachgebiet, untersuchen lassen müssen. Da er dies unterlassen und damit Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er dem Kläger die Hälfte dessen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten hat.
Eine weitergehende Beteiligung des Beklagten ist vorliegend nicht dadurch gerechtfertigt, dass er, abweichend von seiner ursprünglichen Entscheidung, nach Klageerhebung mit Bescheid vom 7. März 2012 bei dem Kläger mit Wirkung ab Dezember 2011 einen GdB von 30 festgestellt hat. Insoweit hat er der sich während des Klageverfahrens aufgetretenen Verschlimmerung des Schulterleidens des Klägers Rechnung getragen, wobei der Senat ausdrücklich offen lässt, ob diese Behinderung – sowohl hinsichtlich der Höhe des GdB als auch hinsichtlich des anerkannten Zeitraumes – ausreichend gewürdigt wurde oder nicht.
2. Der Beklagte hat dem Kläger auch dessen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Diese anteilige Kostentragungspflicht des Beklagten folgt daraus, dass er die Einlegung der Berufung zu einem nicht gänzlich unerheblichen Teil (mit-) veranlasst hat.
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet – abgesehen davon, dass es durch Gerichtsbescheid entschieden hat, obwohl die dafür in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren – an einem wesentlichen Verfahrensmangel, da das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Es hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf sich in einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um der richterlichen Amtsermittlungspflicht gerecht zu werden. Vielmehr bedarf es im gerichtlichen Verfahren (zumal den Gerichten – anders als dem Beklagten – kein versorgungsärztlichen Dienst angegliedert ist) zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist. Dies ist, wie bereits dargelegt worden ist, im Verfahren des ersten Rechtszuges versäumt worden. Anstatt sich darauf zu beschränken, einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Orthopäden einzuholen, hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen und welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen.
Dieser in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallende Verfahrensmangel allein führt allerdings noch nicht zu einer Beteiligung des Beklagten an den außergerichtlichen Kosten des Klägers. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass den Beklagten nicht nur im behördlichen, sondern auch noch im gerichtlichen Verfahren eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger trifft. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass § 69 SGG (wie § 61 VwGO und § 57 FGO) den Kläger und den Beklagten als "Beteiligte" bezeichnet. Das sozialgerichtliche Verfahren kennt – anders als die Zivilprozessordnung – keine "Parteien", da es zwar formal als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet ist, jedoch in der Sache nicht dazu dient, einen Streit zwischen zwei Kontrahenten, die widerstreitende Interessen vertreten, zu schlichten bzw. (notfalls durch gerichtliche Entscheidung) zu beenden. Um einen derartigen dem Zivilprozess typischen Zweiparteienstreit kann es in den Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit schon deshalb nicht gehen, weil die Behörde keine "eigenen" Interessen, sondern wegen seiner aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Bindung allein ein dem Gesetz und Recht entsprechendes Ergebnis verfolgen darf. Hieraus erwächst in Fällen wie dem vorliegenden die Verpflichtung des Beklagten, zu Gunsten des Klägers zu intervenieren, wenn abzusehen ist, dass das Sozialgericht dessen Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht genügen wird. Falls – wie hier mit der Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid – erkennbar wird, dass das Sozialgericht trotz fehlender Sachaufklärung das Klageverfahren abzuschließen gedenkt, dann ist der Beklagte gehalten, dem zu widersprechen und nicht etwas durch sein Schweigen seine Zustimmung zu erteilen. Sollte der Beklagte dieser Verpflichtung nicht entsprechen, etwa weil er zu Unrecht den Sachverhalt für aufgeklärt hält, so hat er dem Kläger dessen Kosten des daraufhin angestrengten Berufungsverfahrens zu einem Teil zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten noch über die außergerichtlichen Kosten des durch Vergleich erledigten Rechtsstreits, der die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) betroffen hat.
Auf den Antrag des 1949 geborenen Klägers vom 20. April 2009 stellte der Beklagte bei ihm nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten Befundberichte mit Bescheid vom 27. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2010 einen Gesamt-GdB von 20 fest. Dieser Entscheidung legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (20), b) Funktionsbehinderung des Schultergelenks links, Riss der Bizepssehne links (10).
Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger einen GdB von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat den Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. S vom 5. Dezember 2011 eingeholt. Auf dessen Grundlage hat der Beklagte, der versorgungsärztlichen Anregung folgend, den Einzel-GdB zu b) wegen Verschlimmerung der Schulterleiden auf 20 anzuheben, bei dem Kläger mit Bescheid vom 7. März 2012 einen Gesamt-GdB von 30 ab Dezember 2011 festgestellt.
Mit Gerichtsbescheid vom 28. August 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es ist im Wesentlichen den von dem Beklagten vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen gefolgt.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren zunächst weiter verfolgt hat. Er hat hierzu vorgebracht, eine Gesamtbeurteilung seiner Erkrankungen müsse zu einem höheren GdB als dem festgestellten führen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den Rechtsstreit durch folgenden Vergleich beendet:
1. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die bisher streitbefangenen Bescheide gegenstandslos sind.
2. Der Beklagte sichert zu, dass ausgehend von einem Antrag vom April 2009 eine Neubescheidung des klägerischen Antrages erfolgen wird, und zwar nach weiterer medizinischer Sachverhaltsaufklärung.
3. Eine Kostenentscheidung soll durch den Senat ergehen.
4. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
II.
Nach der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache durch Vergleich ist auf den Antrag der Beteiligten nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Diese Kostenentscheidung ist nach billigem Ermessen des Gerichts unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen.
1. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Hierbei ist im vorliegenden Fall allerdings nicht darauf abzustellen, wer den Prozess voraussichtlich gewonnen hätte. Denn die Erfolgsaussicht der Klage war bis zum Abschluss des Klageverfahrens erster Instanz – und ist es immer noch – nicht einzuschätzen, da der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt ist. Dem Befundbericht der chirurgischen Praxis Dres. S und M vom 5. Dezember 2011 ist die ärztliche Einschätzung zu entnehmen, dass bei dem Kläger Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt beständen. Aufgrund welcher Befunde der behandelnde Arzt zu dieser Bewertung gelangt ist, erschließt sich dem Bericht nicht. Es ist lediglich mitgeteilt worden, dass die Halswirbelsäule von Abnutzungserscheinungen betroffen sei. Bewegungsmaße sind von dem behandelnden Arzt ebenso wenig erhoben worden wie die Zeichen nach Ott, Schober und Trendelenburg. Weiter ist seitens der chirurgischen Praxis Dres. S und M berichtet worden, dass bei dem Kläger eine Funktionseinschränkung des Schultergelenks mit Bewegungseinschränkung vorliege, bei welcher der Arm nur um 90° zu erheben sei. Die ausdrücklich gestellte Frage, seit wann diese Funktionseinschränkung bestehe, ist nicht beantwortet worden. Im Befundbericht findet sich hierzu nur die Mitteilung, dass der Kläger seit Beginn des Jahres 2011 Schmerzen im linken Schultergelenk geäußert habe. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse kann weder die Höhe des GdB noch der betreffende Feststellungszeitraum bestimmt werden.
Eine Beteiligung des Beklagten an den außergerichtlichen Kosten ist jedoch deshalb angezeigt, weil er zu der Erhebung der Klage (mit-) veranlasst hat. Zu berücksichtigen ist, dass der Beklagte der ihn nach § 20 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch treffenden Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, im Feststellungs- und Widerspruchsverfahren nicht hinreichend genügt hat. Vielmehr hat der Beklagte sich darauf beschränkt, Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte einzuholen und die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen durch den versorgungsärztlichen Dienst auswerten zu lassen. Diese Ermittlungen "vom Schreibtisch aus" sind jedoch in dem durch medizinische Fragen geprägten Gebiet des Schwerbehindertenrechts in der Regel nicht ausreichend. Um im vorliegenden Fall seiner Aufgabe – nämlich einerseits der Ermittlung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen des Klägers und deren Ausmaßes in tatsächlicher und zeitlicher Hinsicht sowie der aus den Funktionsbeeinträchtigungen folgenden Auswirkungen in allen Lebensbereichen, andererseits der Bewertung der hiernach gewonnenen Erkenntnisse durch Zuerkennung (bzw. Versagung) eines bestimmten Grades der Behinderung – gerecht zu werden, hätte der Beklagte den Kläger ärztlicherseits, und zwar auf orthopädischem oder chirurgischen Fachgebiet, untersuchen lassen müssen. Da er dies unterlassen und damit Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er dem Kläger die Hälfte dessen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten hat.
Eine weitergehende Beteiligung des Beklagten ist vorliegend nicht dadurch gerechtfertigt, dass er, abweichend von seiner ursprünglichen Entscheidung, nach Klageerhebung mit Bescheid vom 7. März 2012 bei dem Kläger mit Wirkung ab Dezember 2011 einen GdB von 30 festgestellt hat. Insoweit hat er der sich während des Klageverfahrens aufgetretenen Verschlimmerung des Schulterleidens des Klägers Rechnung getragen, wobei der Senat ausdrücklich offen lässt, ob diese Behinderung – sowohl hinsichtlich der Höhe des GdB als auch hinsichtlich des anerkannten Zeitraumes – ausreichend gewürdigt wurde oder nicht.
2. Der Beklagte hat dem Kläger auch dessen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Diese anteilige Kostentragungspflicht des Beklagten folgt daraus, dass er die Einlegung der Berufung zu einem nicht gänzlich unerheblichen Teil (mit-) veranlasst hat.
Die Entscheidung des Sozialgerichts leidet – abgesehen davon, dass es durch Gerichtsbescheid entschieden hat, obwohl die dafür in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren – an einem wesentlichen Verfahrensmangel, da das Sozialgericht den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hat. Es hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht gemäß § 103 SGG verstoßen, wonach alle entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats darf sich in einem – wie dem Schwerbehindertenrecht – medizinisch geprägtem Sachgebiet ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um der richterlichen Amtsermittlungspflicht gerecht zu werden. Vielmehr bedarf es im gerichtlichen Verfahren (zumal den Gerichten – anders als dem Beklagten – kein versorgungsärztlichen Dienst angegliedert ist) zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens, wobei sowohl im Hinblick auf das jeweilige medizinische Fachgebiet als auch im Hinblick auf die sozialmedizinischen Erfordernisse auf eine hinreichende Qualifikation und Erfahrung von Sachverständigen zu achten ist. Dies ist, wie bereits dargelegt worden ist, im Verfahren des ersten Rechtszuges versäumt worden. Anstatt sich darauf zu beschränken, einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Orthopäden einzuholen, hätte das Sozialgericht sich zu weiteren medizinischen Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Da es dies unterlassen hat, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden, welche Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger bestehen und welche Teilhabebeeinträchtigungen sie zeitigen.
Dieser in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallende Verfahrensmangel allein führt allerdings noch nicht zu einer Beteiligung des Beklagten an den außergerichtlichen Kosten des Klägers. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass den Beklagten nicht nur im behördlichen, sondern auch noch im gerichtlichen Verfahren eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger trifft. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass § 69 SGG (wie § 61 VwGO und § 57 FGO) den Kläger und den Beklagten als "Beteiligte" bezeichnet. Das sozialgerichtliche Verfahren kennt – anders als die Zivilprozessordnung – keine "Parteien", da es zwar formal als kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet ist, jedoch in der Sache nicht dazu dient, einen Streit zwischen zwei Kontrahenten, die widerstreitende Interessen vertreten, zu schlichten bzw. (notfalls durch gerichtliche Entscheidung) zu beenden. Um einen derartigen dem Zivilprozess typischen Zweiparteienstreit kann es in den Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit schon deshalb nicht gehen, weil die Behörde keine "eigenen" Interessen, sondern wegen seiner aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Bindung allein ein dem Gesetz und Recht entsprechendes Ergebnis verfolgen darf. Hieraus erwächst in Fällen wie dem vorliegenden die Verpflichtung des Beklagten, zu Gunsten des Klägers zu intervenieren, wenn abzusehen ist, dass das Sozialgericht dessen Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht genügen wird. Falls – wie hier mit der Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid – erkennbar wird, dass das Sozialgericht trotz fehlender Sachaufklärung das Klageverfahren abzuschließen gedenkt, dann ist der Beklagte gehalten, dem zu widersprechen und nicht etwas durch sein Schweigen seine Zustimmung zu erteilen. Sollte der Beklagte dieser Verpflichtung nicht entsprechen, etwa weil er zu Unrecht den Sachverhalt für aufgeklärt hält, so hat er dem Kläger dessen Kosten des daraufhin angestrengten Berufungsverfahrens zu einem Teil zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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