L 8 SO 188/13 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 SO 447/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 188/13 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Einstweilige Anordnung auf Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken und Pflegeversicherung
Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund auf Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken und Pflegeversicherung durch den zuständigen Sozialhilfeträger bestehen nicht, wenn der Hilfebedürftige freiwillig versichert ist, obwohl er eine Familienversicherung in Anspruch nehmen kann.
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Gegenstand im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bis zur Entscheidung über die unter dem Az.: L 8 SO 92/13 anhängige Berufung sind Ansprüche des Antragstellers auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel SGB XII in Form der Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 15.05.2012 bis 31.08.2013 (Streitgegenstand im Berufungsverfahren) und mutmaßlich darüber hinaus.

Der 1980 geborene Antragsteller ist seit Dezember 2002 unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert. Er erhält von der Beklagten laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Bis 29.02.2012 war der Antragsteller freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert. Die Antragsgegnerin berücksichtigte die entsprechenden Beiträge als Bedarf des Antragstellers und überwies diese unmittelbar an den Versicherungsträger. Mit Bescheid vom 03.08.2011, geändert durch Bescheid vom 22.12.2011, gewährte die Antragsgegnerin für die Zeit von 01.09.2011 bis 31.08.2012 Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 921,59 EUR bzw. ab 01.01.2012 in Höhe von monatlich 931,59 EUR einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 157,59 EUR.

Mit Schreiben vom 10.01.2012 forderte die Antragsgegnerin den Kläger auf, bei der Familienkasse einen Antrag auf Kindergeld zu stellen und meldete gleichzeitig bei der Familienkasse einen Erstattungsanspruch an. Wegen des Wegfalls der Einkommensgrenze für volljährige Kinder ab 01.01.2012 sei der Kindergeldanspruch des Antragstellers erneut zu prüfen. Der Antragsteller teilte daraufhin mit, dass es für ihn unerträglich sei, wenn die Antragsgegnerin in dieser Sache Kontakt zu seiner Mutter aufnehme. Er habe große datenschutzrechtliche Bedenken.
Mit Schreiben vom 15.03.2012 bat die Antragsgegnerin die Krankenkasse, die Voraussetzungen für die unbefristete Fortsetzung einer beitragsfreien Familienversicherung zu prüfen. Die Krankenkasse teilte am 19.04.2012 mit, dass der Antragsteller ab 01.03.2012 familienversichert sei. Darüber erhielt der Antragsteller von der Krankenkasse am 03.05.2012 eine Bestätigung.

Die Antragsgegnerin setzte daraufhin mit Bescheid vom 09.05.2012 die Leistungen ab 01.03.2012 auf 774,00 EUR fest und hob den Bescheid vom 22.12.2011 ab 01.03.2012 auf. Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung wurden nicht mehr gewährt. Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 16.05.2012 Widerspruch ein. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen und auf welcher Rechtsgrundlage nach fast zehn Jahren die Einstellung der Zahlung der freiwilligen Versicherungsbeiträge erfolgt sei.

Der Antragsteller wandte sich außerdem an die Krankenkasse und teilte mit, dass eine Familienversicherung nicht möglich sei, weil keine Behinderung vorliege und er keine Familie habe. Außerdem würde dabei fortlaufend gegen das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen.

Mit Bescheid vom 07.08.2012 bewilligte die Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen für die Zeit von 01.09.2012 bis 31.08.2013 in Höhe von 774,00 EUR, wieder ohne Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen. Dagegen legte der Antragsteller erneut Widerspruch ein.
Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 09.05.2012 und 07.08.2012 wies die Regierung von Oberbayern als Widerspruchsbehörde mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2012 als unbegründet zurück.

Auf die hiergegen gerichtete Klage vom 07.09.2012 hat das Sozialgericht München (SG) mit Gerichtsbescheid vom 16. April 2013 den Teilaufhebungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 insoweit aufgehoben, als eine Neufeststellung von Leistungen für die Zeit von 01.02.2012 bis 14.05.2012 erfolgte und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Die Kranken- und Pflegeversicherung des Antragstellers sei von der Krankenkasse zum 01.03.2012 auf eine beitragsfreie Familienversicherung umgestellt worden, so dass der Antragsteller keine Beiträge mehr entrichten müsse, um seinen Versicherungsschutz zu erhalten. Ein entsprechender Bedarf des Antragstellers sei entfallen. Darin liege eine wesentliche Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 22.12.2011 vorgelegen hätten. Hinsichtlich des Bewilligungsbescheides vom 07.08.2012 habe der Antragsteller keinen Anspruch auf höhere Leistungen, weil Sozialhilfe dem Grunde nach nur in Betracht komme, wenn es sich um einen bestehenden und anderweitig nicht zu deckenden Bedarf handele. Der Antragsteller schulde jedoch aufgrund seiner beitragsfreien Familienversicherung der Krankenkasse keine Beiträge, so dass diesbezüglich kein aktueller Bedarf vorliege, der durch die Sozialhilfe zu decken wäre. Die Antragsgegnerin habe daher bei der Berechnung der Leistungshöhe Versicherungsbeiträge zu Recht nicht berücksichtigt.
Es sei dem Antragsteller auch zuzumuten, vorrangig die Möglichkeit einer beitragsfreien Versicherung zu nutzen. Leistungen der Sozialhilfe seien nachrangig gegenüber anderen Leistungen. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen könne oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Die Familienversicherung bestehe - soweit die Voraussetzungen erfüllt seien - kraft Gesetzes.

Mit Änderungsbescheid vom 31.01.2013 hat die Antragsgegnerin wegen der Änderung der Regelleistungen zum 01.01.2013 die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.08.2013 neu berechnet und dem Antragsteller monatliche Leistungen von 782 EUR ohne die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung bewilligt.

Gegen den am 20.04.2013 zugestellten Gerichtsbescheid vom 16. April 2013 hat der Antragsteller am 23.04.2013 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht erhoben (Az.: L 8 SO 92/12) und in einem Schriftsatz vom 29.05.2013 (gerichtet an die AOK A-Stadt, beim LSG eingegangen am 03.06.2013) die Umwandlung des laufenden Berufungsverfahrens in ein Eilverfahren beantragt.
Der Antragsteller hat ein Schreiben der AOK Bayern vom 02.05.2013 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die AOK Bayern auf Wunsch des Antragstellers die kostenlose Familienversicherung wunschgemäß zum 04.04.2013 beendet hat und dem Antragsteller eine freiwillige Versicherung mit monatlichen Beiträgen in Höhe von 154,51 EUR angeboten hat. Aus einem weiteren, vom Antragsteller vorgelegten Schreiben der AOK Bayern, A-Stadt vom 29.08.2013 ergibt sich, dass die AOK Bayern seit dem 05.04.2013 wieder eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung für den Antragsteller führt.

Der Antragsteller begehrt (mutmaßlich),
die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig zu verpflichten, unter Abänderung der Bescheide vom 09.05.2012 und 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2012 vorläufig ab 15.05.2012 die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.

Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass der Antragsteller seit 05.04.2013 wieder als freiwilliges Mitglied bei der AOK Bayern geführt wird. Die wohl seitdem auflaufenden Beitragsschulden führten nicht zu einer Beendigung der Mitgliedschaft (§ 191 SGB V) oder zu einem Ruhen des Anspruches (§ 16 Abs. 3 a S. 2 SGB V). Im Übrigen sei für den nicht mehr streitgegenständlichen Folgezeitraum bereits am 21.08.2013 ein weiterer Bewilligungsbescheid ergangen.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II.

1.
Das LSG ist als Gericht der Hauptsache nach § 86 b Abs. 2 S. 3 SGG für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung zuständig, weil die Hauptsache im Berufungsverfahren L 8 SO 92/13 anhängig ist.

2.
Die beantragte einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Berufungsverfahren L 8 SO 92/13 ist nicht zu erlassen, weil weder ein glaubhafter Anordnungsanspruch noch ein glaubhafter Anordnungsgrund vorliegt und dem Antragsteller ein Abwarten der Berufungsentscheidung L 8 SO 92/13 zuzumuten ist. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient nicht zur Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens.

3.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung). Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Will sich das entscheidende Gericht in einem solchen Fall an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, dann muss es die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Ist dem Gericht hingegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.

4.
Gegenwärtig ist der Krankenversicherungsschutz des Antragstellers durch seine seit 05.04.2013 bestehende freiwillige Mitgliedschaft bei der AOK Bayern sichergestellt. Die Antragsgegnerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die auflaufenden Beitragsschulden weder zu einer Beendigung der Versicherung führen (§ 191 SGB V) noch zu einem Ruhen des Leistungsanspruches führen (§ 16 Abs. 3 a S. 2 SGB V).
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 26. August 2013, Az.: L 8 SO 92/13) über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe bereits darauf hingewiesen, dass der Antragsteller jederzeit den gesetzlichen Versichertenstatus als Familienversicherter durch sein eigenes Zutun wiederherstellen kann (§ 10 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 SGB V, § 191 Nr. 3 SGB V).
Dem Antragsteller drohen damit keine schweren oder unzumutbaren Beeinträchtigungen seiner Grundrechte, so dass anhand der einfachgesetzlichen Regelungen des § 86 b Abs. 1 S. 2 SGG zu entscheiden ist.

5.
Es fehlt bereits an einem glaubhaften Anordnungsanspruch iS eines zu sichernden Rechts auf Grundsicherungsleistungen in Form der Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 42 Nr. 2 SGB XII, § 32 Abs. 2 SGB XII. Wie das SG zutreffend in dem Gerichtsbescheid vom 16. April 2013 ausgeführt hat, liegen beim Antragsteller die Voraussetzungen für eine beitragsfreie Familienversicherung nach § 10 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 SGB V vor und deren Inanspruchnahme ist ihm als Selbsthilfemöglichkeit ("aus eigenen Kräften") auch zumutbar Damit hat er keinen Anspruch auf Übernahme der Beiträge der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 42 Nr. 2 SGB XII, § 32 Abs. 2, Abs. 3, § 27 Abs. 1, 2 SGB XII).

6.
Daneben fehlt es an einem glaubhaften Anordnungsgrund. Für die Zeit vor der Rechtshängigkeit des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz (vom 15.05.2012 bis 03.06.2013) scheidet ein Anordnungsgrund ohnehin aus, weil es sich um Leistungen für die Vergangenheit handelt (Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 10. Auflage, § 86 b Rn. 29 a, 35a). Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass der Antragsteller erst seit dem 05.04.2013 wieder freiwillig kranken- und pflegeversichert ist und damit ohnehin erst ab diesem Zeitpunkt ein Bedarf bestehen könnte. Im Hinblick auf den derzeit bestehenden freiwilligen Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung , bei dem allenfalls Beitragsschulden in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auflaufen, die den Versicherungsschutz nicht beeinträchtigen (s.o) und die jederzeitige Rückkehrmöglichkeit in die beitragsfreie Familienversicherung (so) liegt keine Eilbedürftigkeit vor.

Der Antrag des Antragstellers ist daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG entsprechend.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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