S 20 SO 13/13 WA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 13/13 WA
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin 8.332,97 EUR zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beigeladene. Der Streitwert wird auf 10.151,58 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, wer die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung des Kindes J.T.G. anlässlich dessen Geburt in Höhe von 8.332,97 EUR zu tragen hat.

Am 12.06.2009 kam die am 00.00.0000 geborene arbeitslose rumänische Staatsangehörige L.G. nach Deutschland, um hier als Reinigungskraft vollschichtig in einem Hotel in C. zu arbeiten. Ihr Ehemann F.G. blieb als Gelegenheitsarbeiter in Rumänien, ebenfalls die gemeinsamen drei Kinder. L.G. besaß eine Einstellungszusage des Hotelbesitzers und einen entsprechenden Saisonarbeitsvertrag für eine befristete Tätigkeit vom 19.06. bis 19.12.2009; dafür erhielt sie von der Agentur für Arbeit C. eine entsprechende Arbeitserlaubnis. Allerdings unterließ es der Arbeitgeber in der Annahme, dazu nach EU-Recht nicht verpflichtet zu sein, L.G. bei einer Krankenkasse anzumelden. L.G. nahm die Arbeit in C. auf, wohnte kostenfrei in einer Personalwohnung des Hotels und arbeitete (mehr als) vollschichtig.

Am 29.08.2009 wurde L.G. als Notfall in das Krankenhaus der Klägerin in E. aufgenommen. Noch am selben Tag wurde sie von dem (ehelichen) Kind J.T.G. entbunden; es handelte sich um eine Frühgeburt ca. in der 24. Schwangerschaftswoche, das Geburtsgewicht des Kindes betrug 860 g. Der Vater kam daraufhin am 01.09.2009 nach Deutschland. L.G. wurde bis 02.09.2009 im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Sie hielt sich anschließend noch eine Zeitlang in B. auf und kehrte dann wieder mit ihrem Ehemann nach Rumänien zurück. Ihre dortige Anschrift lautet: "C. 6, N. Rumänien". Das Kind J.T.G. wurde bis 06.09.2009 im Krankenhaus der Klägerin behandelt. Von dort wurde es in das Universitätsklinikum Aachen verlegt, wo es am 23.10.2009 verstarb. Für die Krankenhausbehandlungen der Mutter und des Kindes entstanden der Klägerin Kosten in Höhe von 1.818,61 EUR (für L.G.) und 8.332,97 EUR (für J.T.G.), insgesamt 10.151,58 EUR.

In der Annahme, dass für deren Übernahme der rumänische Versicherungsträger "Casa Nationala Asigurari de Sanatate" zuständig sei, stellte die Klägerin diesem die Kosten in Rechnung. Dieser teilte der Klägerin jedoch mit, dass L.G. nicht im sozialen Krankenversicherungssystem in Rumänien versichert sei. Am 13.10.2009 gegenüber der Beklagten zu 1) und am 24.10.2009 gegenüber der Stadt Aachen bestätigten die Eheleute G., dass sie keinen Krankenversicherungsschutz in Rumänien hätten. Sie wählten am 13.10.2009 für den Fall, dass eine Pflicht- bzw. Familienversicherung möglich sein sollte, für L.G. und das Kind die Beigeladene als Krankenkasse.

Angesichts der ungeklärten Krankenversicherungsverhältnisse der L.G. und des J.T.G. hatte die Klägerin bereits am 01.09.2009 bei der Beklagten zu 1) einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Krankenbehandlungen der L.G. und ihres Kindes aus Mitteln der Sozialhilfe gestellt.

Die Beklagte zu 1) lehnte die Anträge durch zwei Bescheide vom 09.09.2009 ab mit der Begründung sie sei für einen eventuellen Anspruch auf Sozialhilfe der L.G. und J.T.G. örtlich nicht zuständig. L.G. habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt in C. begründen können, da von vornherein festgestanden habe, dass sie als Saisonarbeiterin nach sechs Monaten wieder nach Rumänien zurückkehren werde.

Die dagegen erhobenen Widersprüche wies der Beklagte zu 1) durch zwei Widerspruchsbescheide vom 03.12.2009 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 04.01.2010 beim Sozialgericht Köln (S 27 SO 5/10) Klage erhoben, welche zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Aachen (S 20 SO 11/10) verwiesen worden ist. Im Hinblick auf noch zu klärende Zuständigkeits- und Versicherungsfragen hat das Gericht im Einvernehmen mit den Beteiligten das Ruhen des Verfahrens beschlossen.

Parallel zu dem Verfahren bei der Beklagten zu 1) hatte die Klägerin am 21.10.2009 auch bei der Beklagten zu 2) einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Krankenhausbehandlungen der L.G. und ihres Kindes gestellt.

Die Beklagte zu 2) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 07.12.2009 ab. Sie meinte, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen als Nothelfer gemäß § 25 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) seien nicht erfüllt. Zum einen habe L.G. ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in E., allenfalls zuletzt in C. gehabt; zum anderen hätte der Arbeitgeber sie als ausländische Hilfskraft, die eine Arbeitserlaubnis gehabt habe, bei einer Krankenkasse anmelden müssen.

Dagegen legte die Klägerin am 16.12.2009 Widerspruch ein.

In der Zwischenzeit war gegen den Betreiber des Hotels ein Verfahren beim Hauptzollamt Köln – Finanzkontrolle Schwarzarbeit – eingeleitet worden. Dieses mündete in eine Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Rheinland. Diese stellte durch bestandskräftigen Bescheid vom 20.05.2010 die Versicherungspflicht der L.G. aus dem Beschäftigungsverhältnis zu allen Zweigen der Sozialversicherung vom 19.06. bis 28.08.2009 fest und erhob von dem Arbeitgeber die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge. Daraufhin erkannte die Beigeladene eine Krankenversicherungspflichtmitgliedschaft der L.G. gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 19.06. bis 28.08.2009 und das Fortbestehen der Mitgliedschaft gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bis 28.09.2009 an (Schreiben der Beigeladenen an die Beklagte zu 2) vom 16.01.2012). Die Beigeladene übernahm dementsprechend die Kosten der Behandlung der L.G. im Krankenhaus der Klägerin (Schreiben der Beigeladenen an die Klägerin vom 27.08.2012). Dagegen lehnte sie die Durchführung einer Familienversicherung für das Kind J.T.G. ab mit der Begründung, die dafür erforderlichen Voraussetzungen seien nicht feststellbar. Es liege kein Nachweis vor, dass das Kind tatsächlich von L.G. abstamme; es habe nicht festgestellt werden können, ob L.G. verheiratet gewesen und wer der Vater des Kindes sei; außerdem habe sie keine aktuelle Adresse von L.G ... Dementsprechend lehnte die Beigeladene eine Übernahme der Kosten der Behandlung des Kindes ab (Schreiben vom 15.06. und 09.11.2012 gegenüber der Beklagten zu 2); Schreiben vom 06.08.2012 gegenüber der Klägerin).

Daraufhin wies die Beklagte zu 2) den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 07.12.2009 durch Widerspruchsbescheid vom 04.01.2013 zurück. Sie verwies darauf, dass die Kosten der Behandlung der L.G. inzwischen von der Krankenkasse übernommen worden seien, nachdem deren Pflichtkrankenversicherung festgestellt worden sei. Die Beklagte zu 2) meinte, dass Kind sei über die Mutter familienversichert gewesen; falls keine Familienversicherung bestanden hätte, sei das Kind jedenfalls gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V kraft Gesetzes pflichtversichert gewesen.

Im Hinblick auf diese Entscheidung hat die Klägerin am 28.01.2013 das gerichtliche Verfahren fortgesetzt; der Rechtsstreit ist unter dem neuen Aktenzeichen S 20 SO 13/13 WA eingetragen worden.

Die Klägerin hat die Klage auch gegen die Beklagte zu 2) und deren Bescheid vom 07.12.2009 und Widerspruchsbescheid vom 04.01.2013 gerichtet; zugleich hat sie die Klage auf die Erstattung der Kosten für die Behandlung des Kindes J.T.G. in Höhe von 8.332,97 EUR beschränkt.

Die Klägerin trägt vor, die Eltern des Kindes hätten bereits am 13.10.2009 beim Sozialamt der Beklagten zu 1) die Beigeladene als Krankenkasse auch für das Kind gewählt. Sie hat Heirats- und Geburtsurkunden vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass die Eltern des Kindes J.T.G. verheiratet sind und dass das Kind von ihnen abstammt. Die Klägerin ist der Auffassung, dass auch die Kosten der Behandlung des Kindes durch die Beigeladene zu erstatten seien, da die Mutter L.G. selbst bei dieser versichert gewesen sei und für den Sohn Familienversicherung beantragt habe. L.G. sei im Rahmen der allgemeinen Freizügigkeit eingereist und habe im Hinblick auf die in C. ausgeübte Beschäftigung dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt.

Die Klägerin beantragt,

die Beigeladene zu verurteilen, ihr 8.332,97 EUR zu zahlen, hilfsweise, die Beklagte zu 2) unter Aufhebung des Bescheides vom 07.12.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.01.2013 zu verurteilen, ihr 8.332,97 EUR zu zahlen, äußerst hilfsweise, die Beklagte zu 1) unter Aufhebung der Bescheide vom 09.09.2009 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 03.12.2009 zu verurteilen, ihr 8.332,97 EUR zu zahlen.

Die Beklagte zu 1) beantragt dem Sinne ihres schriftsätzlichen Vorbringens nach,

die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Die Beklagte zu 2) beantragt,

die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

Sie verbleibt ebenfalls bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Sie meint, dass sich die Mutter L.G. rechtmäßig als Arbeitnehmerin und erwerbstätige Unionsbürgerin gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) in Deutschland aufgehalten habe, sodass § 4 FreizügG/EU keine Anwendung gefunden habe bzw. finde. Die Erklärung der L.G. vom 13.10.2009 gegenüber der Beklagten zu 1) sei als Anzeige auf Feststellung einer Familienversicherung bzw. einer Pflichtversicherung zu werten.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage, soweit sie sich gegen sie richtet, abzuweisen.

Sie wiederholt ihre Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Durchführung einer Familienversicherung nicht feststellbar seien. Sie meint, bei der Beschäftigung der L.G. habe es sich um eine "illegale Beschäftigung" gehandelt; illegal seien alle Arbeitsverhältnisse, in denen Arbeitnehmer bewusst nicht zur Sozialversicherung angemeldet gewesen seien. Die Beigeladene ist der Auffassung, es sei nicht erkennbar, dass für L.G. ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach dem FreizügG/EU bestanden habe. Sie sei in Deutschland nicht gemeldet gewesen, somit liege kein rechtmäßiger Aufenthalt bzw. gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vor; wenn aber kein rechtmäßiger Aufenthalt der L.G. vorgelegen habe, gelte dies auch für das Kind. Sodann macht die Beigeladene geltend, ein Sozialhilfeträger als Dritter könne bei einer Krankenkasse den Status eines Familienversicherten nicht beantragen; dasselbe gelte für die Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V; auch diese Statusentscheidung können nicht über einen Sozialhilfeträger beantragt werden; sie sei auch bei ihr als Krankenkasse nicht beantragt worden und könne daher nicht durchgeführt werden. Unabhängig von der bestrittenen Leistungspflicht hat die Beigeladene die Forderung der Klägerin in Höhe von 8.332,97 EUR für die Krankenhausbehandlung des Kindes nach Art und Höhe akzeptiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten zu 1) und 2) sowie der Beigeladenen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und mit ihrem gegen die Beigeladene gerichteten Hauptantrag auch begründet.

Im Verhältnis zur Beigeladenen ist die Klage als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Bei einer Klage eines Krankenhausträgers gegen eine Krankenkasse auf Vergütung von Krankenhausbehandlungskosten geht es um einen so genannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 17.06.2000 – B 3 KR 33/99 R; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin als Betreiberin eines gem. § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses ist § 109 Abs. 4 SGB V i.V.m. dem aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgenden Krankenhausbehandlungsanspruch der Versicherten. Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 13.12.2001 – B 3 KR 11/01 R; Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R). Die näheren Einzelheiten über Aufnahme und Entlassung der Versicherten, Kostenübernahme, Abrechnung der Entgelte sowie die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung sind in den zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen einerseits und verschiedenen Krankenkasse sowie Landesverbänden der Krankenkassen andererseits geschlossenen Verträgen nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB V geregelt. Der Krankenhausbehandlungsanspruch des Kindes J.T.G. und dementsprechend der Vergütungsanspruch der Klägerin folgt t aus der Familienversicherung des Kindes, die aus der Pflichtmitgliedschaft seiner Mutter L.G. abgeleitet ist.

L.G. war – dies ist inzwischen geklärt und unstreitig – vom 19.06. bis 28.09.2009 Pflichtmitglied der Beigeladenen in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Ab dem Tag seiner Geburt – 29.08.2009 – war J.T.G. über seine Mutter bei der Beigeladenen familienversichert. Die Eltern haben am 13.10.2009 die Beigeladene als Krankenkasse auch für das Kind gewählt. Auch wenn dieser Antrag beim Sozialamt der Beklagten zu 1) gestellt worden ist, wirkt er, wie sich aus § 16 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ergibt, gegenüber der Beigeladenen. Aufgrund der Wahl war/ist die Beigeladene gem. § 173 Abs. 1, 2 und 6 SGB V die für L.G. und ihr Kind J.T.G. zuständige Krankenkasse. Die Familienversicherung gemäß § 10 SGB V ist keine Versicherung, die auf Antrag oder Anzeige entsteht; vielmehr tritt sie kraft Gesetzes ein, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Soweit § 10 Abs. 6 Satz 1 SGB V dem Mitglied auferlegt, der zuständigen Krankenkasse die zur Durchführung der Familienversicherung notwendigen Angaben zu melden, und L.G. diese Meldung nicht abgegeben hat, steht dies der Familienversicherung des J.T.G. im streitbefangenen Zeitraum nicht entgegen. Die Voraussetzungen seiner Familienversicherung waren – jedenfalls im hier entscheidungserheblichen Behandlungszeitraum vom 29.08. bis 06.09.2009 – erfüllt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind u.a. die Kinder von Mitgliedern familienversichert. Mitglied war L.G., und J.T.G. war – dies ist durch die Geburt und Geburtsurkunde belegt – ihr Kind. Tatbestände nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 5, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 4 SGB V , die eine Familienversicherung ausschließen, haben nicht vorgelegen. Das Kind J.T.G. hatte in dem streitbefangenen Zeitraum auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wie dies nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V weitere Voraussetzung für die Familienversicherung ist.

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Über die allgemeine Definition des § 30 SGB I hinaus ist bei der Auslegung des Begriffes "gewöhnlicher Aufenthalt" der jeweilige Regelungsgegenstand und -zusammenhang mit zu berücksichtigen und der Begriff unter Beachtung des Regelungszwecks und des Sachbereichs zu interpretieren (BSG, Urteil vom 30.04.1997 – 12 RK 30/96). Der gewöhnliche Aufenthalt im Inland im Sinne des § 10 SGB V ist bei Ausländern jedenfalls dann gegeben, wenn ihr ausländerrechtlicher Aufenthaltsstatus beständig ist, d.h. wenn der Aufenthalt des Familienversicherten und des Stammversicherten ausländerrechtlich gestattet ist. Die Familienversicherung als abgeleitete Versicherung besteht nur, wenn der Stammversicherte nach § 5 oder § 9 SGB V versichert ist. Ausländer haben aus eigenem Recht und damit als Stammversicherte Zugang zur Krankenversicherung in der Regel nur nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, d.h. aufgrund einer abhängigen Beschäftigung (BSG, a.a.O.). So war es im Fall der L.G., der Mutter des Kindes. Sie hatte nicht nur einen Arbeitsvertrag, sondern auch eine Arbeitserlaubnis der Agentur für Arbeit für die Beschäftigung in Deutschland, die auf die Zeit vom 19.06. bis 19.12.2009 ausgelegt war. Als Angehörige eines Mitgliedstaats der EU, nämlich Rumänien, war L.G. freizügigkeitsberechtigt. Sie war berechtigt, nach Deutschland einzureisen und hier im Rahmen erlaubter rechtlicher Möglichkeiten einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nicht zuletzt aufgrund der erteilten Arbeitserlaubnis war ihr die Beschäftigung im Hotel in C. gestattet. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen handelte es sich also nicht um eine "illegale Beschäftigung", vielmehr um eine legale Beschäftigung, die Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung begründet hat, wie die DRV Rheinland durch bestandskräftigen Bescheid vom 20.05.2010 festgestellt hat. Allein der Umstand, dass sich L.G. (möglicherweise) nicht beim zuständigen Einwohnermeldeamt gemeldet hat, desweiteren die Tatsache, dass der Arbeitgeber sie (möglicherweise) pflichtwidrig nicht zur Sozialversicherung gemeldet hat, begründet keine "Illegalität" ihrer Beschäftigung.

Ist für den Stammversicherten der Zugang zur Krankenversicherung durch Aufnahme einer Beschäftigung aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Entscheidung (Arbeitserlaubnis) eröffnet, so kann der abgeleitete Zugang des Angehörigen nicht von einem qualifizierteren ausländerrechtlichen Status abhängig gemacht werden, als ihn der Stammversicherte hat. Die Familienversicherung geht von dem Grundsatz aus, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung der Stammversicherte Versicherungsschutz für seine Angehörigen hat, es sei denn, aufgrund einer eigenen Versicherung oder der Einkommenssituation dieses Angehörigen oder des Alters der Kinder erscheint der Schutz nicht notwendig. Die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes für die Versicherung der Angehörigen ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Als Ausnahme wird diese Voraussetzung gefordert, um die Krankenversicherung davor zu schützen, von den Angehörigen eines Mitglieds in Anspruch genommen zu werden, die nur zum Zweck der Behandlung – d.h. um die Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen – ins Inland reisen, im Übrigen aber im Ausland leben, d.h. Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt dort haben. Ist der Aufenthalt des Angehörigen im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer und ausländerrechtlich mit dem des Mitglieds vergleichbar, so wird der Inlandsaufenthalt regelmäßig nicht zum Zweck der Krankenbehandlung begründet worden sein. Es besteht deshalb kein Anlass, die Familienversicherung in diesen Fällen auszuschließen, wenn der Aufenthalt voraussichtlich nicht nur vorübergehend sein wird (BSG, a.a.O.). Dies trifft auf das Kind der Stammversicherten L.G. ab dessen Geburt am 29.08.2009 zu.

Das Kind J.T.G. wurde in Deutschland geboren und ist, ohne das Land jemals verlassen zu haben, hier gestorben. Es hat nie einen anderen Aufenthaltsort als Deutschland gehabt. J.T.G. kam aufgrund einer Frühgeburt in der ca. 24. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 860 g als – dies entnimmt die Kammer den vorliegenden Krankenhausberichten – kaum lebensfähiger Säugling zur Welt. Von Anfang an stand fest, dass durch die Frühgeburtlichkeit und extreme Unreife eine intensivmedizinische Weiterbehandlung für voraussichtlich mehrere Wochen erforderlich sein würde (Bescheinigung des Krankenhauses der Klägerin vom 01.09.2009). Auch die Weiterbehandlung im Universitätsklinikum Aachen ab dem 06.09.2009 war eine intensivmedizinische; sie hat Kosten von 47.077,68 EUR verursacht. Zu keinem Zeitpunkt der Behandlung des Kindes war absehbar, ob es überhaupt und ggf. wann Deutschland würde verlassen können. Unter Berücksichtigung der besonderen durch die Frühgeburt des Kindes bedingten Umstände und seiner gesundheitlichen Verhältnisse musste deshalb davon ausgegangen werden, dass der gewöhnliche Aufenthalt des J.T.G. auf zunächst nicht absehbare Zeit in Deutschland sein würde. Tatsächlich war er es dann auch bis zum Tod des Kindes am 23.10.2009.

Waren nach alledem die Voraussetzungen einer Familienversicherung des Kindes J.T.G. – jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum vom 29.08. bis 06.09.2009 – erfüllt, so hatte das Kind einen eigenen Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Aufgrund der Wahl der Eltern des Kindes ist die Beigeladene die zuständige Krankenkasse. Diese hat den Vergütungsanspruch der Klägerin, der aus dem Leistungsanspruch des Familienversicherten resultiert, zu erfüllen. Die – hier notfallmäßige – Behandlung eines Patienten in einem Krankenhaus ist auch dann eine Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus weder der Patient noch die nach § 173 Abs. 1, 2 und 6 SGB V zuständige Krankenkasse davon Kenntnis haben, dass der Patient familienversichert ist (vgl. entsprechend für eine Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2012 – L 11 KR 3057/10). Die Höhe der Forderung von 8.332,97 EUR ist nicht zu beanstanden und wird auch von der Beigeladenen akzeptiert. Dementsprechend war sie zur Zahlung des Betrages an die Klägerin zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

Der Streitwert bestimmt sich nach der ursprünglichen Klageforderung, die die Kosten der Behandlung sowohl der Mutter als auch des Kindes in Höhe von insgesamt 10.151,58 EUR umfasste. Auch wenn die Beigeladene erst später in das Verfahren einbezogen wurde zu einem Zeitpunkt, als sie die Forderung der Klägerin bezüglich der Kosten der Behandlung der Mutter bereits anerkannt hatte, erscheint es der Kammer sachgerecht und angemessen, dass die Beigeladene die Kosten des Verfahrens in vollem Umfang trägt. Der Klägerin war es kaum zuzumuten, die komplizierten Zuständigkeits- und Versicherungsfragen vorab zu klären; ohnehin war sie durch die Bescheide der Beklagten zu 1) und 2), die sich im Nachhinein als rechtmäßig erwiesen haben, gezwungen, vorsorglich Klage zu erheben, um mögliche Kostenrisiken zu vermeiden. Da letztlich die Beigeladene für die gesamten Kosten der Krankenhausbehandlung der L.G. und ihres Kindes leistungspflichtig war, ist es angemessen, dass sie auch die Kosten des Verfahrens insgesamt trägt.
Rechtskraft
Aus
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