L 12 AS 1955/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 458/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1955/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.04.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die schriftliche Umsetzung und Begründung einer zu Protokoll erklärten Aufhebung eines Verwaltungsaktes.

Der 1956 geborene Kläger bezog bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Job-Center R ... Ab dem 01.11.2006 stellte das Job-Center R. mangels örtlicher Zuständigkeit den Leistungsbezug ein.

Am 13.12.2006 wurde der beim Job-Center Landkreis R. gestellte Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II zuständigkeitshalber an den Beklagten weitergeleitet, da der Kläger mit seinem Erstwohnsitz in der G. in R. gemeldet sei, sich jedoch tatsächlich nach eigener Aussage und nach den Ermittlungen des Job-Centers R. in der J. in A. aufhalte.

Mit Schreiben vom 06.01.2007 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten geltend, dass sein gewöhnlicher Aufenthalt weiterhin in R. sei. Zu den Gründen seines Aufenthalts in A. gab er an, dass er zusammen mit seinem Bruder, W. S., die Versorgung und Betreuung seiner pflegebedürftigen und mit einem Grad der Behinderung von 100 schwerbehinderten Mutter, U. S., sichergestellt habe. Aufgrund einer schweren Krebsoperation müsse der Kläger nunmehr auch den Bruder versorgen und betreuen. Dies sei auch zulässig, weil A. im orts- und zeitnahen Bereich des Zuständigkeitsbereichs des Job-Centers R. liege. Die Wohnung in R. sei wegen Eigenbedarfs zum 03.04.2007 gekündigt und aufgrund umfassender Baumaßnahmen nur sehr eingeschränkt bzw. überhaupt nicht mehr nutzbar. Der Aufenthalt in A. werde so lange andauern, bis die Zahlungen der Leistungen nach dem SGB II wieder aufgenommen würden. Abhängig sei der Aufenthalt aber auch davon, ob die Chemotherapie des Bruders bis April 2007 erfolgreich abgeschlossen werden könne und ob dieser danach gesundheitlich in der Lage sein werde, sich wieder selbständig zu versorgen.

Mit Schreiben vom 15.01.2007 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass nach Rücksprache mit dem Job-Center R. der Beklagte davon ausgehe, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers derzeit A. sei. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert den Leistungsantrag auszufüllen und die entsprechenden Unterlagen bis zum 26.01.2007 beizulegen. In diesem Zusammenhang teilte der Kläger mit Schreiben vom 22.01.2007 mit, dass er von seiner Mutter für November und Dezember 2006 ein Darlehen von jeweils 100,- EUR gewährt bekommen habe und sie seit 01.11.2006 auch für seine Lebenshaltungskosten aufkommen würde. Im weiteren Verlauf wurden zwei Darlehensverträge zwischen dem Kläger und seiner Mutter über jeweils 100,- EUR vom 29.11.2006 und 27.12.2006 sowie ein Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und seinem Bruder vom 27.04.2007 über 500,- EUR vorgelegt. Mit Schreiben vom 02.12.2007 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er im November 2007 Einnahmen in Höhe von 2.319,74 EUR aus dem Erbe seines verstorbenen Bruders erzielt habe.

Bereits mit Bescheid vom 02.03.2007 versagte der Beklagte die beantragte Leistungsgewährung mangels Mitwirkung, da der Kläger trotz Aufforderung zur Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen mit Schreiben vom 15.12.2006, 25.01.2007, 07.02.2007 und 12.02.2007 dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sei. Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 04.03.2007 Widerspruch, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2007 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die dagegen unter dem Az. S 9 AS 1981/07 beim Sozialgericht (SG) R. erhobene Klage wurde mit Gerichtsbescheid vom 25.07.2007 abgewiesen. Hiergegen wurde unter dem Az. L 2 AS 4301/07 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2009 erklärte der Beklagtenvertreter der Niederschrift zufolge wörtlich: "Der Bescheid vom 2. März 2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 4. Mai 2007 wird aufgehoben." Dies wurde von den anwesenden Beteiligten nach Vorspielen des Diktats genehmigt. Im Termin wurde der Kläger von seinem Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt P., vertreten.

Mit Schreiben vom 03.11.2009 beantragte der Kläger beim Beklagten (Eingang dort am 06.11.2009) den Erlass eines schriftlichen Aufhebungsbescheides in Bezug auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG abgegebene Erklärung. Der Beklagte verwies mit Schreiben vom 09.11.2009 auf das Protokoll des LSG vom 30.09.2009 und erklärte, dass es eines weiteren schriftlichen Verwaltungsaktes nicht bedürfe. Den Widerspruch hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2009 als unzulässig zurück. In dem Schreiben vom 09.11.2009 sei kein Verwaltungsakt zu sehen. Eine Entscheidung über den Rechtsanspruch des Klägers werde nicht getroffen.

Der Kläger hat deswegen am 16.04.2010 zum SG (Az.: S 7 AS 458/12) Klage erhoben. Einen konkreten Antrag hat er nicht gestellt, eine Klagebegründung hat er nicht vorgelegt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.04.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Klagebegehren werde dahingehend ausgelegt, dass der Kläger Untätigkeit des Beklagten im Hinblick auf das Unterlassen eines schriftlichen Umsetzungsbescheids geltend mache. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Klägers vom 03.11.2009, mit dem er eine solche Untätigkeitsklage ankündigt habe. Die Auslegung als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen das Schreiben vom 09.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2009 liege bereits deswegen fern, weil der Kläger die einmonatige Klagefrist bewusst nicht eingehalten habe.

Eine Untätigkeit des Beklagten liege allerdings nicht vor. Vielmehr habe er zu Recht den Erlass des begehrten Bescheides abgelehnt. Ein irgendwie geartetes berechtigtes Interesse oder ein Anspruch des Klägers auf eine solche Umsetzungsentscheidung lägen nicht vor. Denn der Beklagte habe mit der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärung die Beschwer des Klägers bereits vollständig und verbindlich beseitigt. Einer zusätzlichen schriftlichen Umsetzungsentscheidung bedürfe es zur Wirksamkeit der Aufhebung des seinerzeit angefochtenen Bescheides vom 02.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2007 nicht. Daher bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf die begehrte Entscheidung. Ein berechtigtes Interesse des Klägers sei weder ersichtlich noch dargelegt. Nach § 33 Absatz 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) handele es sich bei der Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG um eine zulässige Form des Erlasses eines Verwaltungsaktes. Zwar sei ein mündlicher Verwaltungsakt nach § 33 Absatz 2 Satz 2 SGB X schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn der Betroffene dies unverzüglich verlange, doch setze dies ein berechtigtes Interesse des Betroffenen voraus. Vorliegend sei der mündliche Verwaltungsakt durch eine nach den Protokollvorschriften geführte Niederschrift über eine mündliche Verhandlung vor dem LSG dokumentiert. Daher sei nicht ansatzweise ein berechtigtes Interesse des Kläger an einer zusätzlichen Verschriftlichung erkennbar.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 06.05.2013 eingelegten Berufung. Die jahrelange rechtswidrige Verweigerung der Leistungen habe der Beklagte schuldhaft und vorsätzlich provoziert, indem er mehrfach rechtswidrige Bescheide erlassen und diese bis in die Berufungsinstanz aufrecht erhalten habe. Nach der mündlichen Aufhebung des Bescheids habe der Beklagte wenig später einen Bescheid mit gleichem Wortlaut erneut erlassen. Hierbei handele es sich um eine missbräuchliche und rechtswidrige Vorgehensweise des Beklagten. Ferner ergebe sich aus dem Protokoll keine Begründung für die Aufhebung. Die Begründung benötige er für die ausführliche Begründung der Berufung in anderen laufenden Verfahren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 09.04.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten die zu Protokoll erklärte Aufhebung vom 30.09.2009 schriftlich umzusetzen und zu begründen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet.

Die Berufung ist unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Gegenstand der Leistungsklage ist das Begehren des Klägers, die am 30.09.2009 zu Protokoll erklärte Aufhebung des Bescheids vom 02.03.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 04.05.2007 schriftlich umzusetzen und zu begründen. Eine Untätigkeitsklage, wie sie das SG angenommen hat, kommt vorliegend nicht in Betracht. Der Kläger begehrt nicht den Erlass eines (weiteren) Verwaltungsaktes, sondern die schriftliche Umsetzung und Begründung eines bereits bestehenden Verwaltungsaktes. Dies kann der Kläger nur im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage erreichen. Im Ergebnis zu Recht hat das SG aber ein berechtigtes Interesse des Klägers an der schriftlichen Umsetzung und Begründung der Aufhebungsentscheidung vom 30.09.2009 verneint. Da der Kläger im Berufungsverfahren keine neuen Sachargumente vorgetragen hat, sieht der Senat daher in Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist nach erneuter Überprüfung durch den Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids des SG vom 09.04.2013.

Ergänzend ist noch anzumerken, dass es letztlich dahingestellt bleiben kann, ob durch die Protokollierung der Bescheidaufhebung nicht bereits ein schriftlicher Verwaltungsakt vorliegt. Folgt man dieser Auffassung, bestünde keine Notwendigkeit der schriftlichen Bestätigung der zu Protokoll erklärten Bescheidaufhebung. Sieht man dagegen in der Protokollierung lediglich die schriftliche Dokumentation einer mündlich erklärten Bescheidaufhebung, scheitert das Verlangen auf schriftliche Bestätigung nicht nur am fehlenden berechtigten Interesse, sondern auch daran, dass es nicht unverzüglich, mithin ohne schuldhaftes Zögern, erfolgte. Der Kläger war im maßgeblichen Termin am 30.09.2009 von seinem Prozessbevollmächtigten vertreten, so dass dessen Kenntnis von der mündlich erklärten Aufhebung dem Kläger zuzurechnen ist. Das Verlangen auf schriftliche Bestätigung ging beim Beklagten erst über einen Monat nach der Verhandlung vor dem LSG ein. Dies kann nicht mehr als "unverzüglich" im Sinne des § 33 Absatz 2 Satz 2 SGB X angesehen werden.

Soweit der Kläger über die schriftliche Umsetzung hinaus die schriftliche Begründung der Aufhebung begehrt (§ 35 Abs. 3 SGB X), hat er mangels eines irgendwie erkennbaren rechtlichen Interesses hierauf keinen Anspruch. Jede Rechtsverfolgung setzt ein solches Interesse voraus; es fehlt, wenn die begehrte Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Antragstellers bzw. Klägers nicht verbessern kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, vor § 51 Rdnr. 16a; BSG, Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R - BSGE 82, 176 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 24 m.w.N.). Im vorliegenden Fall enthielt die in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2009 erklärte Aufhebung des Bescheids vom 02.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2007 ausschließlich die vollständige Beseitigung einer den Kläger belastenden Regelung. Eine schriftliche Begründung dieser Entscheidung kann keinen Einfluss auf seine rechtliche oder wirtschaftliche Position haben. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nichts Anderes.

Eine missbräuchliche und rechtswidrige Vorgehensweise des Beklagten ist nicht erkennbar. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2009 und der darin dokumentierten an den Kläger gerichteten Aufforderung (Vorlage der ausgefüllten Anlage Kosten der Unterkunft [KdU], Einkommen [EK] und Vermögen [VM] zum Antrag auf SGB II Leistungen bis zum 01.11.2009, Vorlage Kontoauszüge der letzten 3 Monate und Erklärung mit wem der Kläger in Haushaltsgemeinschaft lebt und wovon er seit 28.11.2006 seinen Lebensunterhalt bestritten hat), der der Kläger bis zur gesetzten Frist nicht vollständig nachkam, musste dieser mit einer erneuten Versagung der Leistungen rechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war für den Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens ausschlaggebend, dass die Rechtsverfolgung des Klägers insgesamt ohne Erfolg geblieben ist und der Beklagte keinen berechtigten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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