L 13 AS 881/13 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 3495/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 881/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 20. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist - entgegen der Rechtsbehelfsbelehrung des Sozialgerichts Ulm (SG) - statthaft, da ein Ausschlusstatbestand des § 172 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 24. Oktober 2013 geltenden Fassung nicht einschlägig ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR nicht übersteigen muss (Beschluss des erkennenden Senates vom 12. August 2011, L 13 AS 1830/11 B). Sie ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zu Recht die hinreichende Erfolgsaussicht für die gegen den Bescheid vom 3. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2012 gerichtete Anfechtungsklage verneint und die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist - wie in den Tatsacheninstanzen der Sozialgerichtsbarkeit - eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben, wird auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet, wenn diese Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs. 2 ZPO). Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden; hinreichende Erfolgsaussicht ist z. B. zu bejahen, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der die Prozesskostenhilfe begehrenden Partei ausgehen wird (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. September 2004 - 1 BvR 1281/04, Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 und Beschluss vom 12. Januar 1993 - 2 BvR 1584/92 - alle veröffentlicht in Juris; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 - SozR 3-1500 § 62 Nr. 19, veröffentlicht auch in Juris). Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl BSG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, Aktenzeichen: B 2 U 165/06 B; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rdnr. 7a, jeweils m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht zu Recht und mit zutreffender Begründung verneint. Nach der auch hier nur vorzunehmenden summarischen Prüfung erweist sich der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. September 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Oktober 2013 als rechtmäßig.

Die Beklagte war gem. §§ 31 Abs.1 Nr. 2, 31 a Abs. 1, 31 b Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) berechtigt eine monatliche Minderung des Arbeitslosengeldes um 30% des maßgeblichen Regelbetrags für die Zeit vom 1. Oktober 2012 bis zum 31. Dezember 2012 festzusetzen. Nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. Eine solche Pflichtverletzung mindert gem. § 31a Abs. 1 SGB II das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Nach § 31b Abs.1 SGB II mindert sich der Auszahlungsanspruch mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt. Der Minderungszeitraum beträgt drei Monate. Die Feststellung der Minderung ist nur innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig.

Die genannten Voraussetzungen einer Minderung nach den § 31 Abs. 1 Nr. 2, 31a Abs. 1, 31b Abs. 1 SGB II liegen vor. Der Senat nimmt zur Begründung zunächst gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe der mit der Beschwerde angegriffenen Entscheidung des SG Bezug und sieht insoweit von einer (weiteren) eigenen Begründung ab.

Auch das Vorbringen im Beschwerdeverfahren ist nicht geeignet, die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht zu begründen.

Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger trotz vorheriger ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung durch sein Verhalten im Bewerbungsgespräch am 16. August 2012 die Anbahnung eines ihm zumutbaren Arbeitsverhältnisses verhindert, ohne dass er für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte.

Mit Vermittlungsvorschlag vom 9. August 2012 hat die Beklagte dem Kläger einen Arbeitsplatz als Produktionsmitarbeiter bei der Firma Sch. Personal OHG vorgeschlagen. Diese Tätigkeit war dem Kläger zumutbar. Eine angebotene Arbeit ist gemäß § 10 Abs. 2 SGB II nicht schon deswegen unzumutbar, weil sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entspricht oder weil sie im Hinblick auf die Ausbildung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als geringwertiger anzusehen ist oder die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Die Zumutbarkeit der Tätigkeit wird vom Kläger letztlich auch nicht in Abrede gestellt.

Soweit der Kläger mit seiner Beschwerde vielmehr sinngemäß geltend macht, die ihm mit dem Vermittlungsvorschlag vom 9. August 2012 erteilte Rechtsfolgenbelehrung sei nicht bestimmt genug und daher nicht ausreichend gewesen, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Im Vermittlungsvorschlag 9. August 2012 wird u.a. wörtlich folgendes ausgeführt: "Die §§ 31 bis 31b SGB II sehen bei einer Weigerung eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder mit einem Beschäftigungszuschuss geförderte Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach - auch mehrfach nacheinander - gemindert werden oder vollständig entfallen. Wenn Sie sich weigern, die Ihnen mit dem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit aufzunehmen oder fortzuführen, wird das Ihnen zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II gemindert. Ein solcher Pflichtverstoß liegt auch vor, wenn sie die Aufnahme der angebotenen Arbeit durch negatives Bewerbungsverhalten vereiteln." Diese Rechtsfolgenbelehrung erläutert in zutreffender und verständlicher Form, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf den Leistungsanspruch, eine unbegründete Arbeitsablehnung haben kann. Die Rechtsfolgenbelehrung erschöpft sich im Übrigen auch nicht in einer reinen Wiederholung des Gesetzestextes, sondern weist darüber hinausgehend zutreffend darauf hin, dass ein Pflichtverstoß auch in einem negativem Bewerbungsverhalten gesehen werden kann.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist dabei weder die Rechtsfolgenbelehrung noch das Gesetz zu unbestimmt. Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus. Der Gesetzgeber muss in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben. Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. zu alledem BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2013, Aktenzeichen: 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12, Juris, m.w.N.). Die Beurteilung, ob ein Leistungsberechtigter pflichtwidrig die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses durch sein Verhalten verhindert hat, ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar, ohne dass der Beklagten hierbei ein der gerichtlichen Prüfung nicht zugänglicher Beurteilungsspielraum verbliebe. Daher ist auch die vom Kläger in seiner Beschwerde geäußerte Befürchtung unzutreffend, der "Willkür der Leistungsbehörde" werde Tür und Tor geöffnet, wenn das pflichtwidrige Verhalten im Gesetz nicht genau definiert werde. Entgegen der Annahme des Klägers in der Beschwerdeschrift, kommt es demgemäß auch nicht darauf an, ob einem Personalverantwortlichen "ein Piercing an der Augenbraue, ein zu langer Bart oder das Tragen einer Sonnenbrille" stört.

Der Senat folgt im Übrigen der Bewertung des SG, dass allein die vom Kläger selbst eingeräumten Äußerungen genügen, um festzustellen, dass der Kläger hierdurch die Anbahnung einer zumutbaren Arbeit durch sein Verhalten verhindert hat. Bei einem Vorstellungsgespräch soll der Arbeitnehmer sein Interesse an der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der Bewerbung um die Befolgung eines Vermittlungsvorschlags der Beklagten handelt. Ein hilfebedürftiger Arbeitsloser ist bei einer Bewerbung gehalten, alle Bestrebungen zu unterlassen, die dieser Intention (Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses) nach außen hin erkennbar entgegen laufen und den Arbeitgeber veranlassen, ihn aus dem Bewerberkreis auszuscheiden. Maßgebend ist insoweit das Gesamtverhalten, das der Arbeitslose in Ansehung des Arbeitsangebots an den Tag legt (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. März 2009, Az: L 10 AL 84/06; BSG, Urteil vom 5. September 2006, Az.: B 7a AL 14/05 R; LSG Berlin-Potsdam, Urteil vom 15. Mai 2007, Az: L 12 AL 59/04, Juris). Der Arbeitslose muss sich gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber so verhalten, wie dies üblicherweise von einem an einer Arbeitsaufnahme interessierten Arbeitslosen erwartet werden kann. Das Verhalten des Klägers im Bewerbungsgespräch am 16. August 2012 entsprach nicht dem, was üblicherweise von einem Bewerber erwartet werden kann, der an einer Arbeitsaufnahme ernsthaft interessiert ist. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben im Vorstellungsgespräch zum Ausdruck gebracht, es handle sich um "einen Pflichttermin" den er "auf Veranlassung der ARGE wahrnehmen müsse." Weiterhin hat der Kläger nach eigenen Angaben darauf hingewiesen, dass er "auf keinen Fall mehr verdienen wolle, als bis zur Lohnpfändungsgrenze" (vgl. zu alledem: Schreiben des Klägers vom 31. August 2012, Bl. 739 der Verwaltungsakte). Schließlich hat der Kläger im Vorstellungsgespräch unstreitig geäußert, es handle sich bei der Firma Sch. Personal nicht um einen "Arbeitgeber erster Klasse" (vgl. S. 2 der Klageschrift vom 21. Januar 2013). Zur Überzeugung des Senats sind dies durchgehend Äußerungen, die ein ernsthaft an einer Arbeitsaufnahme bei der konkreten Firma interessierter Bewerber nicht treffen würde. Soweit der Kläger in der Beschwerde vorträgt, die Äußerung, er wolle nicht mehr verdienen als die Pfändungsgrenze, sei eher als Witz, denn als ernsthafte Äußerung zu verstehen, kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich einen (misslungenen) Scherz beabsichtigt hat. Denn bereits die Aussage des Klägers, es handle sich um "einen Pflichttermin", den er "auf Veranlassung der ARGE wahrnehmen müsse", lässt für sich genommen bei einem verständigen Arbeitgeber nachvollziehbare Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsmotivation des Klägers aufkommen. Ein Arbeitgeber darf berechtigt erwarten, dass ein Vorstellungsgespräch durch einen Bewerber deswegen wahrgenommen wird, weil er an der angebotenen Arbeitsstelle interessiert ist und nicht nur weil dieses vom Bewerber als Pflichttermin auf Veranlassung der ARGE angesehen wird. Wenn dann ein Bewerber zusätzlich darauf hinweist, die Firma, bei der er sich gerade bewirbt, sei nicht "erstklassig", sondern mithin "zweitklassig", beinhaltet dies eine klare Geringschätzung des potentiellen Arbeitgebers, die im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs deplatziert ist und den fraglichen Arbeitgeber nachvollziehbar veranlassen kann, einen solchen Bewerber aus dem Bewerberkreis auszuscheiden.

Der Kläger hat für dieses Verhalten auch keinen wichtigen Grund dargelegt und nachgewiesen. Insbesondere genügt es für einen wichtigen Grund nicht, wenn sich der Kläger pauschal auf die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit beruft. Der Kläger ist durchaus berechtigt, seine Meinung, über Zeitarbeitsfirmen im Allgemeinen und über die Firma Sch. Personal OHG im Besonderen zu äußern. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt jedoch nicht davor, dass der jeweilige Gesprächspartner eigene Rückschlüsse aus den Äußerungen zieht, die für den Meinungsäußernden von Nachteil sein können. Soweit ein Bewerber meint, im Vorstellungsgespräch dem potentiellen Arbeitgeber vor Augen halten zu müssen, dass es sich bei diesem nur um einen "zweitklassigen" Arbeitgeber handle, nimmt er mit dieser provokanten Äußerung zumindest billigend und damit vorwerfbar in Kauf, vom Arbeitgeber aus dem Bewerberkreis ausgeschieden zu werden. Für eben dieses Verhalten sieht das Gesetz in den § 31 Abs. 1 Nr. 2, 31 a Abs. 1, 31 b Abs. 1 SGB II eine Minderung des Leistungsanspruchs vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO).

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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