L 11 R 4698/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 179/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4698/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.10.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger macht einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente geltend.

Der am 10.02.1956 in der Türkei geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger; er lebt seit 1972 in Deutschland. Von 1978 bis 1980 absolvierte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Ab 1995 war er als Lkw-Fahrer bei einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörte teilweise auch das Heben und Tragen schwerer Lasten. Seit September 2009 ist der Kläger arbeitsunfähig krank. Nach dem Bezug von Krankengeld erhielt er bis 19.05.2012 Arbeitslosengeld und anschließend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Beim Kläger ist seit 19.06.2012 ein Grad der Behinderung von 60 anerkannt (Bescheid des Landratsamts B. vom 05.09.2012).

Vom 30.9.2009 bis zum 04.11.2009 führte der Kläger eine von der Beklagten bewilligte stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik G. durch. Aus diesem Heilverfahren wurde er als arbeitsunfähig entlassen. Im ärztlichen Entlassungsbericht vom 12.11.2009 werden folgende Diagnosen aufgeführt: mittel- bis schwergradige depressive Episode bei rezidivierend depressiver Störung, chronisches zervikolumbales Schmerzsyndrom, Spannungscephalgien, Nikotinabusus. In Rahmen der sozialmedizinischen Beurteilung wurde ausgeführt, die Entlassung erfolge für die derzeitige Tätigkeit als Lkw-Fahrer als arbeitsunfähig. Die stark einschränkende depressive Symptomatik habe sich nur geringfügig gebessert.

Am 15.04.2010 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in tagesklinischer Behandlung im H. am M., einer Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in B ... Die Behandlungen dauerten vom 08.03. bis 19.04. und vom 26.04. bis zum 14.05.2010. Die Ärzte der Tagesklinik empfahlen in ihrem Abschlussbericht zur Prüfung der Arbeitsfähigkeit die Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens. Die Beklagte holte allerdings zunächst kein Gutachten ein, sondern lehnte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 05.05.2010 ab.

Auf den vom Kläger am 17.05.2010 eingelegten Widerspruch ließ die Beklagte den Kläger durch den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. A., S., untersuchen. In seinem Gutachten vom 12.10.2010 stellte Dr. A. folgende Diagnosen: mittelschweres depressives Residuum bei rezidivierendem Verlauf, somatoforme Schmerzstörung. Die psychische Belastbarkeit des Klägers sei herabgesetzt, insbesondere die Umstellungsfähigkeit, die Anpassungsfähigkeit, die Belastbarkeit unter Zeitvorgaben und die Fähigkeit zur Konfliktbewältigung seien beeinträchtigt. Eine Tätigkeit als Lkw-Fahrer sei unter diesen Bedingungen nicht möglich, dagegen könnten leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes aus psychiatrischer Sicht vollschichtig verrichtet werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

Am 10.01.2011 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ua vorgetragen, seine Erkrankungen seien im Entlassungsbericht der Klinik G. und der Tagesklinik H. am M. beschrieben worden. Auch Dr. A. habe die dort genannten Diagnosen bestätigt. Dessen sozialmedizinischer Bewertung, wonach noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichtet werden könnten, könne aber nicht gefolgt werden. Darüber hinaus lägen auch Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet vor. Es sei daher die Einholung eines weiteren Gutachtens erforderlich. Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt (Schreiben Dr. K. vom 11.05.2011 und Dr. M. vom 11.05.2011).

Vom 06.09. bis 30.09.2011 hat sich der Kläger erneut in eine tagesklinische Behandlung im H. am M. begeben. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik vom 12.10.2011 ist der Kläger mit dem Ziel, seine häusliche Situation in den Griff zu bekommen, in die Behandlung gekommen.

Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P., E., mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 11.01.2012 diagnostiziert der Sachverständige beim Kläger schwere soziale Anpassungsstörungen mit rezidivierenden depressiven Phasen, derzeit leicht- bis mittelgradig vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen Zügen. Außerdem bestehe eine somatoforme Schmerzstörung. Aus seiner Sicht ergäben sich bezüglich der Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit Einschränkungen hinsichtlich der Teamfähigkeit des Klägers. Gemieden werden sollten auch Tätigkeiten, die mit Publikumsverkehr verbunden sind, sowie - schon in Anbetracht des Alters - Nachtschicht und Fließbandarbeiten. Mit einer dem Kläger möglichen Willensanspannung könne er dennoch leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zudem Prof. Dr. K., Abteilungsleiter an der M.-B.-K. in K., gutachtlich gehört worden. Auch dieser ist in seinem Gutachten vom 22.05.2012 zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger unter Beachtung gewisser Einschränkungen noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten über sechs Stunden täglich auszuführen. Zu diesem Gutachten hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 25.06.2012 kritisch geäußert. Das SG hat daraufhin Prof. Dr. K. zu der Kritik des Klägers schriftlich angehört. Der Sachverständige hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2012 darauf hingewiesen, dass er eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen Zügen beim Kläger nicht habe feststellen können. Dies möge auch daran liegen, dass er sich mit dem Kläger in seiner Muttersprache habe unterhalten können. Dies von ihm festgestellten Diagnosen seien idR durch eine Psychotherapie in der Muttersprache des Klägers gut behandelbar.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.10.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Gestützt auf die Gutachten von Dr. P. und Prof. Dr. K. hat es die Auffassung vertreten, dass dem Kläger noch leichte körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung gewisser Einschränkungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar seien. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.10.2012 zugestellt worden.

Am 09.11.2012 hat der Kläger beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung eingelegt. Der Kläger hat ausführlich dargelegt, weshalb seiner Meinung nach die sozialmedizinischen Bewertungen der Gutachter Dr. A ... Dr. P. und Prof. Dr. K. in sich unschlüssig, nicht nachvollziehbar und mit den tatsächlich erhobenen Befunden nicht vereinbar seien.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.10.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, jedenfalls aber teilweiser Erwerbsminderung ab 01.04.2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet eingeholt. Der Chefarzt der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I des Psychiatrischen Zentrums N. Dr. S. hat den Kläger am 06.06.2013 ambulant untersucht. In seinem Gutachten vom 25.06.2013 hat er dargelegt, unter Verwendung der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10, Kapitel V (F), Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis, 5. Aufl 2011 sei auf der Basis der erhobenen Befunde, der eruierten eigenanamnestischen Angaben sowie der aktenkundigen Vorbefunde folgende Diagnose zu stellen: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode (ICD-10:F33.0). Nebenbefundlich könne die Diagnose eines chronischen zervikalen und lumbalen Schmerzsyndroms (M54.80) bestätigt werden. Die depressive Störung führe zu einer Minderung der Stressbelastbarkeit des Klägers. Daher kämen für den Kläger Tätigkeiten, die mit erhöhter Stressbelastung (Zeitdruck, Akkord) einhergingen oder durch unphysiologische psychovegetative Belastungen gekennzeichnet seien (zB Nachtarbeit), nicht mehr in Frage. Zu vermeiden seien auch Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeitsleistung, mit erhöhter Verantwortung für Menschen und Maschinen sowie Arbeiten mit regelmäßigem Publikumskontakt. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könnten noch leichte bis vorübergehend mittelschwere Arbeiten sechs und mehr Stunden an fünf Tagen in der Woche ausgeübt werden.

Der Kläger und die Beklagte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakten, die Akten des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom SG und vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Dr. A., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne erhöhte Stressbelastung (Zeitdruck, Akkord), ohne Nachtarbeit und ohne Tätigkeiten mit anhaltend hohen Anforderungen an die Aufmerksamkeitsleistung noch mindestens sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche ausüben kann. Zu vermeiden sind auch Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Menschen und Maschinen sowie Arbeiten mit regelmäßigem Publikumskontakt. Der Kläger ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit der Krankschreibung des Klägers im September 2009 und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist der Kläger nicht erwerbsgemindert.

Der Kläger leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD-10:F33.0) sowie einem chronischen zervikalen und lumbalen Schmerzsyndroms (M54.80). Beide Erkrankungen sind aber nicht schwer ausgeprägt, so dass sich eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht (quantitative Leistungseinschränkung) daraus nicht ergibt. Dies folgt in erster Linie aus dem vom Senat eingeholten Gutachten des Dr. S., dessen Beurteilung sich der Senat anschließt. Dr. S. hat sich eingehend mit der Authenzität der vom Kläger angegebenen Beschwerden und der von ihm geltend gemachten Funktionseinschränkungen befasst. Bei seiner Untersuchung zeigten sich deutliche Auffälligkeiten zwischen den vom Kläger angegebenen schmerzbedingten Beeinträchtigungen und den beobachtbaren Befunden. So gab der Kläger zB bei der Erfassung des Schmerzerlebens extrem hohe Schmerzintensitäten an, denen das nur gering ausgeprägte schmerztypische Verhalten in der konkreten Untersuchungssituation entgegenstand. So behauptete der Kläger zwar, bestimmte einfache Bewegungsabläufe nicht mehr ausführen zu können, die er dann aber bei konkreten Untersuchungsmaßnahmen problemlos bewältigen konnte. Auch stellte der Sachverständige fest, dass der Kläger zu seinem Arbeitsverlauf und biographisch einschneidenden Ereignissen (Gerichtsverfahren wegen Verkehrsunfall) nur auffällig unpräzise Angaben machen konnte, dagegen eine solche Erinnerungsschwäche bei biographisch neutralen oder positiv bewerteten Sachverhalten nicht aufwies. Diese und andere Auffälligkeiten rechtfertigen den vom Sachverständigen gezogenen Schluss, dass beim Kläger massive Verdeutlichungstendenzen vorhanden sind. Jenseits der negativen Antwortverzerrungen und instruktionswidrigen Anstrengungsminderleistungen ergaben sich allerding auch Hinweise auf das Vorliegen klinisch relevanter psychopathologischer Befunde. So war die Stimmungslage etwas herabgemindert bei jedoch voll erhaltener Schwingungsfähigkeit. Das formale Denken war etwas eingeengt auf das Insuffizienzerleben. Zeichen einer schwergradigen Depression fanden sich aber nicht. Der Sachverständige hat damit die von ihm gestellte Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode, unter Berücksichtigung auch der Vorbefunde ausführlich und nachvollziehbar begründet. Da die depressive Entwicklung zu einer Minderung der Stressbelastbarkeit führt, ergeben sich daraus die von Dr. S. genannten Einschränkungen in Bezug auf einzelne Verrichtungen bzw Tätigkeiten (qualitative Leistungseinschränkungen).

Dr. S. hat sich auch mit den Einschätzungen der anderen Sachverständigen auseinandergesetzt. Dem von Dr. A. diagnostizierten mittelschweren depressiven Residuum stimmte er nicht zu, weil die psychopathologischen Befunde hierfür nicht ausreichten und es keine Hinweise dafür gebe, dass eine solches Residuum in der absehbaren Vergangenheit vorgelegen habe. Die Diagnose einer somatoformen Schmerzstörung, die auch Prof. Dr. K. genannt hatte, könne seiner Meinung nach nicht gestellt werden, da nicht alle hierfür erforderlichen Kriterien hätten nachgewiesen werden können. Die diagnostischen Zuordnungen von Dr. P. enthielten keine Bezugnahme auf ein wissenschaftlich übliches Klassifikationssystem. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und histrionischen Zügen könne - insoweit übereinstimmend mit Prof. Dr. K. - nicht bestätigt werden; für die doch weitreichende Diagnose einer Persönlichkeitsstörung hätten keine ausreichenden Belege gefunden werden können. In Bezug auf die Leistungsbeurteilung stimme er mit Prof. Dr. K. überein. Damit haben alle im Widerspruchsverfahren, im Klageverfahren und im Berufungsverfahren gehörten Gutachter bestätigt, dass sich eine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht beim Kläger nicht begründen lässt.

Den auf orthopädischem Fachgebiet vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen - chronisches zervikales und lumbales Schmerzsyndrom (M54.80) - wird bereits durch die Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur leichte bis vorübergehend mittelschwere Tätigkeiten in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S ... Schließlich hat auch der behandelnde Orthopäde Dr. M. in seiner schriftlichen Auskunft als sachverständiger Zeuge vor allem auf die psychiatrischen Befunde abgestellt.

Durch die vom SG und vom Senat durchgeführte Beweiserhebung ist die Leistungseinschätzung des behandelnden Arztes Dr. K. wiederlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st Rspr des Senats (vgl Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens idR keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Die Notwendigkeit einer solchen Konsistenzprüfung hat das Gutachten von Dr. S. eindrucksvoll belegt.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit des Klägers - leichte Arbeiten mindestens sechsstündig - muss dem Kläger eine konkrete Tätigkeit, die er noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann.

Beim Kläger müssen zwar bestimmte Einschränkungen in Bezug auf seine kognitive Leistungsfähigkeit gemacht werden. Die für jede Tätigkeit notwendigen Mindestvoraussetzungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit und Stressverträglichkeit werden dadurch jedoch nicht berührt. Eine erhöhte Stressbelastung (Zeitdruck, Akkord), Nachtarbeit und anhaltend hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeitsleistung gehen über bloße Mindestvoraussetzungen für die Ausübung leichter Tätigkeiten hinaus. Sein Restleistungsvermögen erlaubt dem Kläger noch körperliche Verrichtungen, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Die beim Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen lassen deshalb keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass dieser noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus den bestehenden Einschränkungen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen (vgl BSG 09.05.2012, B 5 R 68/11 R, juris) dar. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht aus allen Gutachten hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1956 und damit vor dem Stichtag geboren, er ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind (§ 240 Abs 2 Satz 3 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs 2 Satz 4 SGB VI). Im Rahmen der Beurteilung, ob einem Versicherten eine Tätigkeit iSd § 240 Abs 2 Sätze 2 bis 4 SGB VI sozial zumutbar sind, kann ein Versicherter auf eine Tätigkeit derselben Stufe bzw auf Tätigkeiten jeweils nächstniedrigeren Stufe verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG vgl BSG 22.10.1996, 13 RJ 35/96, SozR 3-2200 § 1246 Nr 55; BSG 18.02.1998, B 5 RJ 34/97 R, SozR 3-2200 § 1246 Nr 61, jeweils mwN). Der Kläger hat zuletzt nicht in seinem erlernten Beruf als Kfz-Mechaniker, sondern als Lkw-Fahrer gearbeitet. Im Hinblick auf diese Tätigkeit kann der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden, ein Berufsschutz besteht nicht. Dies hat das SG zutreffend entschieden. Derartige leichte Tätigkeiten kann der Kläger, wie bereits ausgeführt, sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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