L 15 VK 8/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 VK 6/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VK 8/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1 Eine unter einer Bedingung gestellte Berufungsrücknahme ist unwirksam, da Prozesshandlungen bedingungsfeindlich sind.
2 Eine Berufungsrücknahme als Prozesshandlung kann weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung angefochten werden.
3. Allenfalls ausnahmsweise kann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage eine Rücknahme widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund gegeben ist.
I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 15 VK 1/13 durch Berufungsrücknahme mit Schreiben des Klägers vom 17. März 2013 erledigt ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Das Berufungsverfahren betrifft eine Angelegenheit aus dem Recht der Kriegsopferversorgung. Die Parteien streiten darüber, ob die Berufung L 15 VK 1/13 des Klägers durch Berufungsrücknahme erledigt worden ist.

Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Würzburg, Az.: S 10 VK 6/12, begehrte der Kläger die Kostenübernahme für Magenschonkost und bestimmte Arzneimittel als Versorgungsleistung nach dem Bundesversorgungsgesetz. Am 02.01.2013 erging in diesem Verfahren ein klageabweisender Gerichtsbescheid. Mit der dagegen mit Schreiben vom "20.02.13" - das Datum beruht auf einem offenkundigen Schreibfehler, da dieses Schreiben bereits am 22.01.2013 beim Sozialgericht eingegangen ist - eingelegten Berufung (Az.: L 15 VK 1/13) verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Mit Schreiben vom 13.03.2013 legte der Berichterstatter nach eingehender Erläuterung der Sach- und Rechtslage und unter Hinweis auf die früher ergangenen rechtskräftigen Entscheidungen in Gerichtsverfahren des Klägers zu den im Raum stehenden Ansprüchen diesem die Berufungsrücknahme nahe. Gleichzeitig wurde auf die Regelung des § 192 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen; eine derartige Kostentragung erscheine - so der Berichterstatter im Schreiben vom 13.03.2013 - in Fällen wie diesem, in denen die Rechtslage so eindeutig sei und trotz Bestandskraft die Gerichte wiederholt in Anspruch genommen würden, nicht fernliegend.

Dazu teilte der Kläger mit Schreiben vom 17.03.2013, bei Gericht eingegangen am 21.03.2013, mit, dass er "nach Androhung der Geldstrafe" zur Rücknahme gezwungen sei, und formulierte dies wie folgt:
"Ich nehme hiermit wie gefordert meine Widerspruch-Berufung vom 20.02.13 zurück."
Weiter bat er um Abhilfe für seinen verschlechterten Gesundheitszustand, beantragte die Befreiung von Medikamentenzuzahlungen sowie die Übernahme diverser ihm entstandener Kosten und verlangte die Zusendung eines Befundberichts des Dr. H. vom 08.04.1953.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.04.2013 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass sich der erwünschte Befundbericht nicht in den Akten befinde; gleichzeitig wurde er über das Verfahrensende infolge seiner Rücknahme der Berufung in Kenntnis gesetzt.

Mit Schreiben vom 14.04.2013 hat sich der Kläger dahingehend geäußert, dass er die Berufung nur unter Bedingungen (Abhilfe bezüglich Magenschonkost, Freistellung von Zuzahlungen zu Arzneimitteln, Übersendung medizinischer Unterlagen aus dem Jahr 1953) zurückgenommen habe; seine Berufung bleibe daher weiter bis zur Erfüllung seiner Forderungen bestehen. Die Rücknahme der Berufung sei ungültig.

Mit Schreiben vom 21.09.2013 hat der Kläger mitgeteilt, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem für den 08.10.2013 angesetzten Termin der mündlichen Verhandlung kommen könne.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das ursprüngliche Berufungsverfahren in der Sache fortzusetzen und den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Würzburg vom 02.01.2013 sowie unter Aufhebung der entsprechenden Bescheide zu verurteilen, die Kosten für die vom Kläger näher bezeichneten Arzneimittel und die Magenschonkost zu übernehmen, zudem - so im Schreiben vom 21.09.2013 - ihm die Kosten für eine Koloskopie des MVZ A-Stadt (298,66 EUR), eine Auskunft des Dr. K. (150,- EUR), eine Beratung durch die Anwälte für Sozialrecht K. und W. (100,- EUR) und Kopien (70,- EUR) zu erstatten.

Der Beklagte beantragt festzustellen,
dass die Berufung zurückgenommen ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts in den Verfahren L 15 VK 1/13 und L 15 VK 8/13 verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.



Entscheidungsgründe:


Der Senat war nicht gehindert, trotz Ausbleibens des Klägers mündlich zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden. In der ordnungsgemäßen Ladung war ein korrekter Hinweis auf die Folgen seines Fernbleibens enthalten. Der Kläger hat selbst den Eingang der Ladung bestätigt und mitgeteilt, dass er zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen werde.

Die Berufung des Klägers mit dem Aktenzeichen L 15 VK 1/13 hat dieser mit Schreiben vom 17.03.2013 wirksam zurückgenommen. Diese Rücknahme hat gemäß § 156 Abs. 3 Satz 1 SGG den endgültigen Verlust des Rechtsmittels bewirkt. Die Berufung ist damit nicht mehr anhängig. Der Senat hat sich daher nicht mit der Sache befassen dürfen, sondern die Erledigung durch Urteil feststellen müssen.

Gründe, welche die Berufungsrücknahme von vornherein unwirksam gemacht haben könnten, liegen nicht vor. Zwar wäre eine unter einer Bedingung gestellte Berufungsrücknahme unwirksam, da Prozesshandlungen bedingungsfeindlich sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 8 RV 653/66). Mit dem Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen soll ausgeschlossen werden, dass ein Rechtsstreit in der Schwebe bleibt, also Ungewissheit besteht über Klageerhebung, Klagerücknahme, Rechtsmitteleinlegung oder Beendigung des Rechtsstreits (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.1989, Az.: 10 RKg 16/88). Vorliegend hat der Kläger seine Berufungsrücknahme aber nicht bedingt erklärt, auch wenn er dies mit Schreiben vom 14.04.2013 glauben machen will. Vielmehr ist seine Erklärung der Berufungsrücknahme im Schreiben vom 17.03.2013 - unzweifelhaft und keiner anderen Auslegung zugänglich - unbedingt erklärt worden, wenn der Kläger ausgeführt hat:
"Ich nehme hiermit wie gefordert meine Widerspruch-Berufung vom 20.02.13 zurück."
Irgendwelche Anhaltspunkte, die auch bei für den Kläger wohlwollender Auslegung an eine Bedingung denken lassen könnten, gibt es nicht.

Die Berufungsrücknahme ist auch nicht nachträglich durch das Schreiben des Klägers vom 14.04.2013 vernichtet worden.

Die Berufungsrücknahme als Prozesshandlung kann weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch) angefochten werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 06.04.1960, Az.: 11/9 RV 214/57, und vom 14.06.1978, Az.: 9/10 RV 31/77, Beschlüsse vom 19.03.2002, Az.: B 9 V 75/01 B, und vom 04.11.2009, Az.: B 14 AS 81/08 B). Ganz abgesehen davon, dass der der prozessrechtlichen Informationspflicht des Gerichts entspringende Hinweis auf die möglicherweise in Betracht kommende Verhängung von Verschuldenskosten im Sinn des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG objektiv nicht als Drohung verstanden werden kann, ist es daher hier unbeachtlich, ob sich der Kläger "gezwungen" gefühlt hat, die Berufung zurückzunehmen. Auch eine Drohung, die hier nicht vorliegt, würde ihm eine Anfechtungsmöglichkeit nicht eröffnen.

Allenfalls ausnahmsweise kann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage eine Rücknahme widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs 1 SGG i.V.m. § 580 Zivilprozessordnung - ZPO -) gegeben ist (vgl. BSG, Urteile vom 14.06.1978, Az.: 9/10 RV 31/77, und vom 24.04.1980, Az.: 9 RV 16/79; Urteile des Senats vom 16.10.2001, Az.: L 15 V 37/01, und vom 27.01.2011, Az.: L 15 SB 158/10). Einen solchen Tatbestand hat der Kläger aber nicht vorgetragen. Eine strafbare Verletzung der richterlichen Amtspflichten gegenüber dem Kläger würde nur dann eine Restitutionsklage und damit in diesem Fall einen Widerruf der Berufungsrücknahme begründen, wenn der Richter wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden wäre oder wenn ein Strafverfahren aus anderen Gründen als mangels Beweises nicht eingeleitet oder durchgeführt werden könnte (§ 580 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 581 Abs. 1 ZPO). Beides ist nicht der Fall. Auch vor dem Hintergrund des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ausnahmsweise ein Festhalten des Klägers an seiner Rücknahmeerklärung unbillig erscheinen lassen könnten (vgl. Urteil des Senats vom 27.01.2011, Az.: L 15 SB 158/10). Vor allem ist der Kläger im gerichtlichen Schreiben vom 13.03.2013 nicht vom Berichterstatter zur Berufungsrücknahme gezwungen worden.

Die im Schreiben des Klägers vom 21.09.2013 gestellten Anträge sind nicht Streitgegenstand geworden, so dass der Senat darüber in diesem Verfahren nicht zu entscheiden hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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