L 15 SF 87/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SF 87/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine bloße verspätete Beantragung der Entschädigung kann nicht als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt werden; eine Wiedereinsetzung von Amts wegen gibt es im JVEG nicht.
Wiedereinsetzung ist nicht zu gewähren. Die Entschädigung für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 11.11.2009 wird auf 0,- EUR festgesetzt.



Gründe:


I.

Streitig ist die Entschädigung der Antragstellerin für die Teilnahme an einem Gerichtstermin nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG).

Am 11.11.2009 nahm die Antragstellerin und Klägerin in den Verfahren L 18 SO 96/09 und L 18 SO 97/09 nach Anordnung des persönlichen Erscheinens an der mündlichen Verhandlung beim Bayer. Landessozialgericht teil. Am 12.02.2010 ging der auf den 11.12.2009 datierte Entschädigungsantrag der Antragstellerin für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 18.02.2010 lehnte die Kostenbeamtin eine Entschädigung ab, weil der Entschädigungsanspruch erloschen sei; der Anspruch sei nicht binnen drei Monaten ab der Zuziehung geltend gemacht worden.

Dagegen hat sich die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.03.2010 gewandt. Sie habe - so die Antragstellerin - am Verhandlungstag das Antragsformular abgeben wollen, sei aber abgewiesen worden. Zudem bezweifle sie, dass die Unterlagen nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen seien. Wenn eine Verspätung von nur einem Tag vorgelegen haben sollte, sei "so etwas wie Kulanz" angebracht. Auch habe im "Richterschreiben" von Fristen nichts gestanden.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier die Berechtigte mit Schreiben vom 17.03.2010 sinngemäß die richterliche Festsetzung dadurch beantragt, dass sie der von der Kostenbeamtin durchgeführten Festsetzung widerspricht.

Die Entschädigung für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 11.11.2009 ist auf 0,- EUR festzusetzen, da der Entschädigungsanspruch wegen Versäumung der Antragsfrist erloschen ist und Wiedereinsetzung nicht zu gewähren ist.

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Berechnung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Kostenfestsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 24.04.2013, Az.: L 15 SF 62/13; vgl. auch Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, Rdnr. 4.12 - m.w.N.). Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Kostenfestsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung kann deshalb auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 17.07.2012, Az.: L 15 SF 29/12; vgl. auch Meyer/Höver/Bach, a.a.O., Rdnr. 4.12 - m.w.N).

Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich - wie hier - um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinne des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.

1. Anzuwendendes Recht

Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall auch nach Erlass des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz -
2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl I S. 2586, 2681 ff.) gemäß der Übergangsvorschrift des § 24 JVEG die Regelungen des JVEG in der bis zum 31.07.2013 geltenden Fassung. Denn die Beschwerdeführerin als Berechtigte ist vor dem gemäß Art. 55
2. KostRMoG am 01.08.2013 erfolgten Inkrafttreten des 2. KostRMoG herangezogen worden.

2. Entschädigungsanspruch zu spät geltend gemacht

Der Entschädigungsanspruch war bereits erloschen, als er geltend gemacht wurde.

Der Anspruch auf Entschädigung erlischt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat. Die Frist beginnt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG im Falle der Teilnahme an einem Gerichtstermin mit der Beendigung dieses Termins zu laufen. Der Eingang der Entschädigungsforderung bei Gericht muss im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein.

Vorliegend hat der Termin der mündlichen Verhandlung, für den eine Entschädigung begehrt wird, am 11.11.2009 stattgefunden. Bei Eingang des auf den 11.12.2009 datierten Entschädigungsantrags bei Gericht am 12.02.2010 war die dreimonatige Frist zur Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs bereits abgelaufen; Fristende war der 11.02.2010 (Donnerstag). Eines weiteren Hinweises des Gerichts auf den bevorstehenden Ablauf der Frist oder einer Aufforderung zur Bezifferung der Entschädigungsforderung bedurfte es nicht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 30.10.2013, Az.: L 15 SF 231/13 E).

Ein früherer Rechnungseingang - und zwar noch innerhalb der dreimonatigen Frist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG - ist nicht in dem dafür erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen.

Eine "Kulanzregelung" für Fälle, in denen wie hier die Frist nur geringfügig überschritten ist, gibt es nicht.

Ein fristgerechter Eingang des Entschädigungsantrags für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 11.11.2009 ist damit nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen. Dies hat zur Konsequenz, dass der Entschädigungsanspruch erloschen ist.

3. Keine Wiedereinsetzung

Wiedereinsetzung ist schon deshalb nicht zu gewähren, weil kein Wiedereinsetzungsantrag vorliegt.

Das Schreiben der der Antragstellerin vom 17.03.2010, mit dem sie lediglich den nicht fristgemäßen Eingang ihres Entschädigungsantrags bei Gericht anzweifelt, trotz ansonsten umfangreicher Einlassungen aber nichts dazu vorträgt, warum der Eingang fristgerecht hätte erfolgen sollen und was sie dafür getan hätte, kann auch bei wohlwollender Auslegung nicht als Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gesehen werden. Zwar kann der Vortrag, alles fristgemäß gemacht zu haben, einen Wiedereinsetzungsantrag begründen (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2013, Az.: L 15 SF 253/12 - m.w.N.). Einer Interpretation als Wiedereinsetzungsantrag steht jedoch vorliegend entgegen, dass die Antragstellerin lediglich die Verfristung anzweifelt, ohne irgendetwas dazu vorzutragen, dass diese Verfristung ihr nicht vorzuwerfen wäre. Eine Auslegung als Wiedereinsetzungsantrag würde daher zu weit gehen und im Ergebnis auf eine Wiedereinsetzung von Amts wegen hinauslaufen, die im JVEG ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 30.10.2013, Az.: L 15 SF 231/13 E).

Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass, auch wenn das Schreiben vom 17.03.2010, anders als dies der Senat tut, als Wiedereinsetzungsantrag gesehen würde, eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren wäre.

Zum einen wäre mit dem am 22.03.2010 bei Gericht eingegangenen Schreiben der Antragstellerin vom 17.03.2010 die Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags nicht eingehalten. Zumindest ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 18.02.2010, der bei entsprechender Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post fingiert werden kann, musste der Antragstellerin bewusst sein, dass ihr Entschädigungsantrag verspätet war. Sie hätte ab diesem Zeitpunkt zwei Wochen Zeit gehabt, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Diese Frist hat sie aber nicht eingehalten, sondern rund einen Monat verstreichen lassen, bevor sie mit ihrem Schreiben vom 17.03.2010 reagiert hat.

Zum anderen würde eine Wiedereinsetzung auch daran scheitern, dass die Antragstellerin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG keinen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht hat (zur verfassungsrechtlichen Problematik und den sich daraus ergebenden vergleichsweise geringen Anforderungen an die Glaubhaftmachung in diesem Zusammenhang: vgl. Beschluss des Senats vom 13.11.2012, Az.: L 15 SF 168/12). Vom Vortrag eines Wiedereinsetzungsgrunds kann zwar dann ausgegangen werden, wenn ein Antragsteller angibt, die Frist überhaupt nicht versäumt zu haben, da er alles fristgemäß erledigt habe. Eine Fristversäumung kann nämlich nicht nur dadurch eintreten, dass eine erforderliche Handlung nicht rechtzeitig vorgenommen wird, sondern auch dadurch, dass der Betroffene selbst zwar alles rechtzeitig unternimmt, dann aber durch Umstände außerhalb seines Einflussbereichs oder infolge der Einschaltung Dritter die Einhaltung der Frist vereitelt wird (vgl. Beschluss des Senats vom 21.12.2011, Az.: L 15 SF 208/10 B E). Ein geradezu typischer Fall, in dem eine Wiedereinsetzung in Betracht kommt, wäre es, wenn ein Schreiben rechtzeitig zur Post gegeben wird, dann aber wegen Umständen im Verantwortungsbereich der Post die Einhaltung der Frist vereitelt wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.12.1994, Az.: 2 BvR 106/93; Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 30.09.1996, Az.: 10 RAr 1/96) oder der Zugang beim Empfänger sich überhaupt nicht nachweisen lässt (vgl. Bundesfinanzhof, Beschlüsse vom 19.06.1996, Az.: I R 13/96, und vom 23.12.2005, Az.: VI B 110/05; BGH, Beschluss vom 03.02.2011, Az.: I ZB 74/09; BSG, Beschluss vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 293/03 B). An einem solchen Vortrag fehlt es aber vorliegend. Die Antragstellerin behauptet nicht einmal, alles getan zu haben, um den rechtzeitigen Eingang der Rechnung zu bewirken, ein rechtzeitiger Eingang lasse sich aber nicht nachweisen. Vielmehr bestreitet sie nur unsubstantiiert den rechtzeitigen Eingang bei Gericht, ohne irgendetwas dazu vorzutragen, wann sie den Entschädigungsantrag zur Post gegeben hat oder warum er rechtzeitig bei Gericht hätte eingehen sollen. Keinen Wiedereinsetzungsgrund kann es zudem darstellen, wenn der Antragstellerin die Annahme des Entschädigungsantrags unmittelbar anschließend an die mündliche Verhandlung tatsächlich verweigert worden wäre. Ganz abgesehen davon, dass schon die Datierung des Entschädigungsantrags auf den 11.12.2009 dem Vortrag der Antragstellerin entgegen steht, den Antrag schon am 11.11.2009, also einen Monat vor dem Ausfüllen, abgeben haben zu wollen, hatte die Antragstellerin auch nach der behaupteten, aber unglaubwürdigen Verweigerung der Annahme die volle Antragsfrist von drei Monaten zur Verfügung, um ihren Antrag (z.B. per Post) bei Gericht einzureichen. Dass sie diese lange Frist, über die die Antragstellerin auch durch den "wichtigen Hinweis" oben rechts auf dem Entschädigungsantrag hingewiesen worden war, versäumt hat, wäre mit einer Verweigerung der Annahme des Antrags am ersten Tag der Frist nicht zu begründen.

Auch kann sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, von der Antragsfrist überhaupt keine Kenntnis gehabt zu haben, weil über Fristen nichts im "Richterschreiben" gestanden sei. Denn auf dem der Antragstellerin zur Verfügung gestellten und auch ausgefüllten Formular für den Entschädigungsantrag ist oben rechts hervorgehoben der "wichtige Hinweis" auf die Antragsfrist von drei Monaten enthalten.

Eine Wiedereinsetzung würde damit nicht in Betracht kommen.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt; für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung ergibt sich seine Zuständigkeit aus § 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG; für die Ablehnung der Wiedereinsetzung: § 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG; für die Ablehnung der Wiedereinsetzung: (§ 2 Abs. 2 Satz 6, § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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