L 8 SB 2489/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 259/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2489/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.

Bei der 1963 geborenen Klägerin stellte das Landratsamt K. auf Antrag der Klägerin vom 29.06.2006 wegen Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 10), wiederkehrendem Mittelohrerguss links (Teil-GdB 10), einer seelischen Störung und einem chronischen Schmerzsyndrom (Teil-GdB 30) mit Bescheid vom 11.09.2009 den GdB mit 30 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 29.06.2009 fest. Der gegen diesen Bescheid am 09.10.2009 erhobene Widerspruch der Klägerin wurde vom Regierungspräsidium S. - Landesversorgungsamt - mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2010 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 20.01.2010 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung trug sie vor, die vom Beklagten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen hätten mittlerweile ein derartiges Ausmaß erlangt, dass zumindest ein GdB von 50 hätte angesetzt werden müssen. Ein GdB von mindestens 50 sei schon durch die Wirbelsäulenverformung gerechtfertigt.

Das SG hörte den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Ge. , den Diplom-Psychologen S. , den Orthopäden Dr. Ba. , den Arzt für Neurologie Dr. Ha. , den Frauenarzt Dr. Kr. und den HNO-Arzt Dr. Hü. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. Ge. teilte in seiner Stellungnahme vom 10.03.2010 - unter Vorlage zahlreicher medizinischer Befundunterlagen - den Behandlungsverlauf sowie die erhobenen Befunde/Diagnosen (Migräne, mittelgradige depressive Episoden bei rezidivierender depressiver Störung, Somatisierungsstörung, rezidivierendes BWS-LWS-Syndrom bei Skoliose, Varizen, Refluxösophagitis und subklinischer Diabetes mellitus) mit. Dr. Ge. schätzte den GdB für die Depression auf 50 und für die Refluxösophagitis und Skoliose auf jeweils 20 ein. Der Diplom-Psychologe S. teilte in seiner Stellungnahme vom 20.03.2010 den Behandlungsverlauf, die erhobenen Befunde und Diagnosen (Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, anhaltende somatoforme Schmerzstörung) mit. Zu einer Einschätzung des GdB sah er sich nicht in der Lage. Dr. Ba. teilte in seiner Stellungnahme vom 24.03.2010 den Behandlungsverlauf und die Befunde mit. Er stimmte der Ansicht des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zu. Dr. Ha. teilte in seiner Stellungnahme vom 06.04.2010 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen (Depression, Somatisierungsstörung und Schmerzsymptomatik) mit. Für die Depression schätzte Dr. Ha. den GdB auf 40 oder 60 und für das Schmerzsyndrom und die Somatisierungsstörung unter Berücksichtigung der Depression auf jeweils 20 ein. Dr. Kr. teilte in seiner Stellungnahme vom 09.04.2010 den Behandlungsverlauf, die Befunde und Diagnosen mit und verneinte einen fachspezifischen GdB. Dr. Hü. teilte in seiner Stellungnahme vom 10.05.2010 den Behandlungsverlauf und die vorliegenden Gesundheitsstörungen (chronischer Paukenerguss, Tinnitus jeweils links) mit und schätzte auf seinem Fachgebiet den GdB auf 15 ein. Dr. Hü. legte tonaudiometrische Untersuchungsbefunde vor.

Das SG holte von Amts wegen das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. Be. vom 30.11.2010 ein. Er diagnostizierte an Gesundheitsstörungen eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (Teil-GdB 30) und eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (Teil-GdB 20). Ein chronischer Kopfschmerz sei vermutlich im Rahmen der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung zu sehen. Darüber hinaus bestehe ein leichter Haltungs- und Aktionstremor der Arme und Hände (Teil-GdB 10) sowie eine leichte Lumbalskoliose und leichte degenerative Wirbelsäulenveränderungen ohne radikuläre Ausfallerscheinungen (Teil-GdB 10). Unter Mitberücksichtigung des Mittelohrergusses links (Teil-GdB 10) schätzte er den Gesamt-GdB auf 40 ein.

Der Beklagte unterbreitete der Klägerin unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 01.04.2011 ein Vergleichsangebot dahin, wegen einer seelischen Störung, chronischem Schmerzsyndrom, funktionellen Organbeschwerden (Teil-GdB 40), Wirbelsäulenverformung (Teil-GdB 10), einem wiederkehrenden Mittelohrerguss links (Teil-GdB 10) und einem essenziellen Tremor (Teil-GdB 10) den GdB mit 40 ab dem 29.06.2009 festzustellen. Dieses Vergleichsangebot nahm die Klägerin nicht an.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2011 verurteilte das SG den Beklagten, bei der Klägerin den GdB mit 40 ab dem 29.06.2009 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 bestehe nicht. Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung einschließlich des chronischen Spannungskopfschmerzes sei mit einem Teil-GdB von 30 und die Anpassungsstörung mit längerer reaktiv depressiver Reaktion mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Es ergebe sich ein Gesamt-GdB von 40. Dieser werde durch den Tremor, den wiederkehrenden Mittelohrerguss links und die Wirbelsäulenverformung, die jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten seien, nicht erhöht.

Mit Ausführungsbescheid vom 17.05.2011 stellte das Landratsamt K. bei der Klägerin den GdB mit 40 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 29.06.2009 fest.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 10.05.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 03.06.2011 beim SG Berufung eingelegt, die dem Landessozialgericht Baden-Württemberg vorgelegt worden ist. Sie hat zur Begründung ausgeführt, die jeweils in Ansatz gebrachten Teil-GdB-Werte seien viel zu niedrig, insbesondere die Wirbelsäulenverformung betreffend. Die Entscheidung könne nicht auf das Gutachten von Dr. Be. gestützt werden. Die Klägerin hat die Berichtigung des Rubrums wegen eines Umzugs nach O./M. beantragt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. Mai 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 11. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2010 in der Fassung des Ausführungsbescheids vom 17. Mai 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Grad der Behinderung mit 50 ab dem 29. Juni 2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 05.09.2011 hat der Senat das bisher beklagte Land Baden-Württemberg aus dem Rechtsstreit entlassen und zum neuen Beklagten das Land Hessen bestimmt.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat weiter Professor Dr. Bre. zum Hauptgutachter und Dr. We. zum Zusatzgutachter bestellt. Dr. We. diagnostizierte in seinem orthopädischem Zusatzgutachten vom 09.06.2012 eine leichte Lendenwirbelsäulenskoliose mit zufriedenstellender Beweglichkeit ohne Hinweise auf periphere Nervenwurzelreizerscheinungen sowie einen Bandscheibenteilaufbrauch zwischen dem 5. und 6. Halswirbel mit zufriedenstellender Halswirbelsäulenbeweglichkeit ohne periphere Nervenwurzelreizerscheinungen. Die Wirbelsäulenschäden an der Hals- und Lendenwirbelsäule mit geringen Funktionseinschränkungen bewertete Dr. We. mit einem Teil-GdB von 10 und schätzte den Gesamt-GdB auf 40 seit dem 29.06.2009 ein. Professor Dr. Bre. diagnostizierte in seinem Hauptgutachten vom 27.05.2012 eine rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradige Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (Teil-GdB 40), eine mittelgradige Hörminderung beidseits und Tinnitus links (Teil-GdB 20) sowie den Verdacht auf einen essentiellen Tremor (ohne gesonderten Behinderungsgrad). Unter Einbeziehung des Zusatzgutachtens des Dr. We. vom 09.06.2012 bewertete Professor Dr. Bre. den Gesamt-GdB mit 50 mindestens seit dem 29.06.2009 (ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 13.07.2012).

Der Beklagte hat die Stellungnahmen der Medizinaldirektorin Dr. T. vom 28.11.2012 sowie des Leitenden Medizinaldirektors Dr. K. vom 20.08.2012 vorgelegt und ist der Berufung weiter entgegengetreten. Außerdem hat er mitgeteilt, dass die (vom Senat zur Stellungnahme übersandte) SB-Akte nicht mehr auffindbar ist.

Die Klägerin hält das Gutachten des Professor Dr. Bre. für zutreffend.

Der Senat hat den HNO-Arzt Dr. Hü. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. Hü. hat in seiner Stellungnahme vom 19.07.2013 unter Vorlage von Befundberichten und tonaudiometrischen Untersuchungsbefunden den Behandlungsverlauf (letzte Behandlung Mitte Mai 2010), die Befunde und Diagnosen mitgeteilt. Zu Funktionsbeeinträchtigungen hat er ausgeführt, bei der Klägerin liege eine andauernde Belüftungsstörung des Raumes hinter dem Trommelfell vor, die den Paukenerguss bedinge. Die Belüftung sei über ein dauerhaft gelegtes Paukenröhrchen mit dauerhaftem Loch im Trommelfell bewerkstelligt, was einer chronischen Mittelohrentzündung entspreche. Hierfür betrage der GdB 10. Unter Einbeziehung eines Tinnitus mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen schätzte Dr. Hü. den GdB auf 15 ein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Nachdem die Klägerin im Verlaufe des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens ihren Wohnsitz von Baden-Württemberg nach O./M. in das Bundesland Hessen verlegt hat, ist ein Beklagtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten (vgl. BSG Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 2/07 R -). Neuer Beklagter ist das Hessische Amt für Versorgung und Soziales, vertreten durch das Regierungspräsidium Gießen - Landesversorgungsamt Hessen -. Dies folgt aus § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG). Diese Regelung gilt gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX auch für den Bereich des SGB IX (vgl. BSG Urteil vom 05.07.2007 a.a.O.). Nach § 3 Abs. 1 KOVVfG ist örtlich die Verwaltungsbehörde zuständig, in deren Bezirk der Antragsteller oder Berechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (im Inland) hat. Auf die örtliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts hat der Beklagtenwechsel keine Auswirkungen (BSG vom 08.05.2007 - B 12 SF 3/07 S -). Dem entspricht der Beschluss des Senats vom 05.09.2011. Hiergegen haben die Beteiligten auch keine Einwendungen erhoben.

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 40 zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist - in der Sache - nicht zu beanstanden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. In diesem Zusammenhang waren bis zum 31.12.2008 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 B 9 SB 3/08 R Rn. 27, 30 mwN). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009, SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 Rn. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., Rn. 30).

Nach diesen Kriterien steht der Klägerin kein Gesamt-GdB von über 40 zu.

Die bei der Klägerin im Vordergrund stehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind mit einem Teil-GdB von 40 angemessen bewertet. Dabei kommt es nicht relevant darauf an, ob bei der Klägerin zusätzlich zu einer rezidivierenden depressiven Störung und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, wovon Dr. Be. und Professor Dr. Bre. in ihren Gutachten übereinstimmend ausgehen, zusätzlich eine Anpassungsstörung vorliegt, die Dr. Be. bejaht und Professor Dr. Bre. verneint hat. Maßgeblich für die Beurteilung des GdB sind nicht die Diagnosen, sondern die mit der seelischen Gesundheitsstörung verbundenen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Die durch die psychischen Gesundheitsstörungen verbundenen Einschränkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind bei der Klägerin nach der überzeugenden Bewertung von Dr. Be. mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten. Dem entspricht auch die Bewertung durch Professor Dr. Bre ... Dieser Bewertung schließt sich der Senat an. Diese übereinstimmende Bewertung des Teil-GdB entspricht nach den in den Gutachten von Dr. Be. und Professor Dr. Bre. beschriebenen Befunden den rechtlichen Vorgaben der VG Teil B 3.7 (sowie den übereinstimmenden AHP). Danach ist bei stärker behindernden Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) von einem Teil-GdB von 30 bis 40 auszugehen. Solche stärker behindernden Störungen liegen bei der Klägerin zur Überzeugung des Senates vor, die mit einer Ausschöpfung des GdB-Bewertungs-Rahmens nach oben angemessen und ausreichend bewertet sind. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die nach den VG Teil B 3.7 einen Teil-GdB von 50 bis 70 rechtfertigen, lässt sich den Befundbeschreibungen in den Gutachten von Dr. Be. und Professor Dr. Bre. zur Überzeugung des Senats nicht entnehmen. Hiervon gehen auch Dr. Be. und Dr. Be. bestätigend Professor Dr. Bre. übereinstimmend nicht aus.

Gesundheitsstörungen auf neurologischem Fachgebiet mit GdB-relevanten Funktionseinschränkungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Dr. Be. beschreibt in seinem Gutachten vom 30.11.2010 einen bei der Untersuchung in allen Teilen regelgerechten neurologischen Befund. Dem entspricht auch das Gutachten von Professor Dr. Bre. , der ebenfalls keinen neuropathologischen Befund erhoben hat.

Der bei der Klägerin bestehende Tremor rechtfertigt zur Überzeugung des Senats keinen Teil-GdB von 10. Nach den Beschreibungen von Dr. Be. und Professor Dr. Bre. in ihren Gutachten besteht ein feinschlägiger Händetremor (links mehr als rechts), der nicht ausgeprägt in Erscheinung tritt. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin bei der Untersuchung durch Professor Dr. Bre. nach ihren im Gutachten beschriebenen Angaben zu ihren Hobbies mitgeteilt hat, gerne Handarbeiten durchzuführen (Stricken und Nähen) geht der Senat (mit Professor Dr. Bre. ) davon aus, dass durch den Tremor keine Einschränkungen bestehen, die die Annahme einer gesonderten Behinderung rechtfertigen. Dafür spricht auch der von Dr. We. in seinem Gutachten vom 09.06.2012 beschriebene orthopädische Befund, dem sich hinsichtlich der Hände/Finger der Klägerin beidseits keine Funktionseinschränkung entnehmen lässt. Allenfalls kann mit Dr. Be. bei Tätigkeiten, die eine hohe Feinbeweglichkeit erfordern, von einer leichten Beeinträchtigung ausgegangen werden. Eine wesentliche funktionelle Beeinträchtigung besteht jedoch auch nach der Bewertung von Dr. Be. durch den Tremor nicht. Damit kommt maximal ein Teil-GdB von 10 für den Tremor beidseits in Betracht, wovon Dr. Be. ausgeht.

Auf orthopädischem Fachgebiet besteht bei der Klägerin keine Funktionsbeeinträchtigung, die einen Teil-GdB von über 10 rechtfertigt. Insbesondere ist der vom Beklagten berücksichtigte Teil-GdB von 10 für die Wirbelsäulenschäden - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht zu niedrig bewertet. Nach dem Gutachten von Dr. We. vom 09.06.2012 besteht eine leichte Lendenwirbelsäulenskoliose bei zufriedenstellender Beweglichkeit ohne Hinweise auf periphere Nervenwurzelreizerscheinungen. Im Bereich der Halswirbelsäule besteht ein Bandscheibenteilaufbrauch zwischen dem 5. und 6. Halswirbel bei zufriedenstellender Halswirbelsäulenbeweglichkeit ohne periphere Nervenwurzelreizerscheinungen. Die aktive und passive Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist in einem altersentsprechenden Maß gegeben. Entsprechendes gilt für die Brust- und Lendenwirbelsäule der Klägerin. Damit bestehen bei der Klägerin geringe Störungen der Wirbelsäule, die nach den VG Teil B 18.9 mit keinem höheren Teil-GdB als 10 bewertet werden können. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen, die einen Teil-GdB von 20 rechtfertigen, liegen bei der Klägerin in keinem Wirbelsäulenabschnitt vor. Dem entspricht auch die Bewertung von Dr. We. in seinem Gutachten, der hinsichtlich der Wirbelsäulenschäden der Klägerin von einem Teil-GdB von 10 ausgeht. Soweit die Klägerin Rückenschmerzen beklagt, nimmt sie nach ihren im Gutachten von Dr. We. beschriebenen Angaben dauerhaft Schmerzmitteln nicht ein, weshalb zu der bereits berücksichtigten somatoformen Schmerzstörung ein (außergewöhnliches) Schmerzsyndrom der Wirbelsäule nicht zusätzlich zu berücksichtigen ist. Sonstige Funktionseinschränkungen, insbesondere der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten, liegen nach den Befundbeschreibungen von Dr. We. in seinem Gutachten bei der Klägerin nicht vor und werden im Übrigen von ihr auch nicht geltend gemacht.

Auf HNO-ärztlichen Fachgebiet liegt bei der Klägerin eine andauernde Belüftungsstörung des Raumes hinter dem linken Trommelfell vor, welche als Folge einen Paukenerguss bedingt. Die Belüftung ist über ein dauerhaft gelegtes Paukenröhrchen mit dauerhaftem Loch im Trommelfell bewerkstelligt und entspricht einer chronischen Mittelohrentzündung, wie Dr. Hü. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft an den Senat vom 29.07.2013 angegeben hat. Nach den VG Teil B 5.4 beträgt bei einer chronischen Mittelohrentzündung ohne Sekretion oder einseitige zeitweise Sekretion der Teil-GdB 0 und bei einseitiger andauernder Sekretion oder zeitweise beidseitiger Sekretion der Teil-GdB 10. Eine andauernde beidseitige Sekretion, die einen Teil-GdB von 20 rechtfertigt, beschreibt Dr. Hü. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 29.07.2013 nicht. Betroffen ist nur das linke Ohr der Klägerin. Damit ist hinsichtlich der dauerhaften Belüftungsstörung des Raumes hinter dem linken Trommelfell von einem Teil-GdB von maximal 10 auszugehen. Dem entspricht die Bewertung von Dr. Hü. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenauskunft vom 10.05.2010 an das SG und vom 29.07.2013 an den Senat. Zusätzlich besteht bei der Klägerin nach den Angaben von Dr. Hü. ein Tinnitus links. Nach den VG Teil B beträgt bei Ohrgeräuschen ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen der Teil-GdB 0 bis 10. Soweit Dr. Hü. hinsichtlich des Tinnitus erhebliche psychovegetative Begleiterscheinungen annimmt, die nach den VG einen Teil-GdB von 20 rechtfertigen, lässt sich seinen schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen vom 10.05.2010 und 29.07.2013 das Ausmaß psychovegetativer Begleiterscheinungen nicht nachvollziehbar entnehmen. Auch Dr. Be. hat in seinem Gutachten vom 30.11.2010 durch den Tinnitus bestehende - neben der mit einem Teil-GdB von 40 bewerteten seelischen Störung - zusätzlich zu berücksichtigende psychovegetative Begleiterscheinungen des Tinnitus nicht beschrieben; insbesondere hat die Klägerin hierzu im Rahmen der Untersuchung keine Beschwerden geäußert. Entsprechendes gilt nach den Befundbeschreibungen im Gutachten von Professor Dr. Bre. , wo die Klägerin lediglich über sehr störende Ohrgeräusche geklagt hat. Hieraus resultierende psychovegetative Begleiterscheinungen, die neben der berücksichtigten seelischen Störung der Klägerin zusätzlich zu berücksichtigen sind, lassen sich seinem Gutachten ebenfalls nicht (nachvollziehbar) entnehmen. Danach ist bei der Klägerin wegen der Belüftungsstörung des Raumes hinter dem linken Trommelfell sowie den Tinnitus links von einem Teil-GdB von 15 auszugehen, wovon Dr. Hü. ausgeht, dem sich der Senat anschließt. Eine dauerhafte, zusätzlich zu berücksichtigende Minderung des Hörvermögens liegt bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht vor. Nach den Angaben des Dr. Hü. in seinen schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen besteht nach der Tonaudiometrie bei Normalhörigkeit rechts eine Herabsetzung des Hörvermögens links unterschiedlichen Ausmaßes (schwankend zwischen hochgradig im April 2009 und Normalhörigkeit im April 2010), wobei sich die Hörminderung nach Einlage der Paukendrainage links am 27.04.2007 deutlich verbesserte. Damit ist die auf dem Paukenerguss beruhende Hörminderung im Teil-GdB von 15 mit abgegolten. Dem entspricht auch die Bewertung des Teil-GdB auf HNO-ärztlichen Gebiet durch Dr. Hü ... Die davon abweichende Bewertung von Professor Dr. Bre. in seinem Gutachten vom 27.05.2012, der ohne nähere Begründung wegen einer beidseitigen Hörminderung und dem Tinnitus links von einem Teil-GdB von 20 ausgeht, ist nach dem Ausgeführten nicht überzeugend, weshalb sich der Senat dieser Bewertung nicht anzuschließen vermag.

Eine echte Migräne (vergleiche hierzu VG Teil B 2.3) liegt bei der Klägerin nicht vor. Die von ihr geklagten Kopfschmerzen sind im Rahmen der somatoformen Störung zu sehen und im Teil-GdB für die somatoforme Schmerzstörung mit berücksichtigt. Hiervon gehen Dr. Be. und Professor Dr. Bre. in ihren Gutachten übereinstimmend aus. Eine klassische Migräne bzw. ein klassisches Migräneleiden hat Professor Dr. Bre. bei der Klägerin nicht erkennen können, wie er in seinem Gutachten ausgeführt hat.

Sonstige Gesundheitsstörungen mit zu berücksichtigenden Behinderungen lassen sich den zu den Akten gelangten zahlreichen medizinischen Unterlagen und auch sonst nicht entnehmen. Dies gilt insbesondere für die von Dr. Ge. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage als Diagnosen genannte Refluxösophagitis und einen subklinischen Diabetes mellitus.

Danach kann bei der Klägerin ein Gesamt-GdB von 50 nicht festgestellt werden. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Die AHP und die VG führen zur Umsetzung dieser Vorschriften aus, dass eine Addition von Einzel-GdB-Werten grundsätzlich unzulässig ist und auch andere Rechenmethoden für die Gesamt-GdB-Bildung ungeeignet sind. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird; ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. AHP Nr. 19 Abs. 3; VG Teil A Nr. 3). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung dieser Bewertungsgrundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG, SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5).

Hiervon ausgehend sind bei der Klägerin ein Einzel-GdB von 40 für die seelische Störung in die Bildung des Gesamt-GdB einzubeziehen. Die übrigen Funktionseinschränkungen bedingen keinen Einzel-GdB von mindestens 20 und sind deshalb bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht erhöhend zu berücksichtigen. Der abweichenden Bewertung von Professor Dr. Bre. in seinem Gutachten vom 27.05.2012, der von einem Gesamt-GdB von 50 ausgeht, kann nicht gefolgt werden. Professor Dr. Bre. berücksichtigt dabei eine nicht nachgewiesene Hörminderung beidseitig sowie einen Tinnitus links mit einem Teil-GdB von 20, der nach dem oben Ausgeführten nicht gerechtfertigt ist, weshalb die Bewertung des Gesamt-GdB mit 50 durch Professor Dr. Bre. den Senat nicht überzeugt.

Anlass für weitere Ermittlungen besteht nicht. Der Senat hält den entscheidungserheblichen Sachverhalt - trotz des Verlustes der Verwaltungsakten - durch die zu den Gerichtsakten gelangten zahlreichen medizinischen Unterlagen und die vom SG sowie im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen für geklärt. Neue Gesichtspunkte, die dem Senat Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, hat die Klägerin nicht aufgezeigt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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