Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 2669/09
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 757/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 7. Juni 2010 insoweit aufgehoben, als der an den Kläger zu 1 gerichtete Bescheid vom 23. Ok-tober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 26. Oktober 2008 hinaus aufgehoben wurde und der an den Kläger zu 2 gerichtete Bescheid vom 23. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 30. März 2008 hinaus aufgehoben wurde. Insoweit werden die Klagen abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt 9/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1 und 6/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Beendigung der Familienversicherung des Klägers zu 2 und des Beigeladenen in dem Zeitraum vom 31. Januar 2007 bis 31. Dezem-ber 2008 streitig.
Der Kläger zu 1 ist bei der Beklagten pflichtversichert; seine Ehefrau ist selbstständig tätig und seit November 2003 privat krankenversichert. Im August 2003 beantragte er bei der Be-klagten für die Kinder P.-G. (Kläger zu 2), geboren am 27. Juli 1987, und B. (Beigeladener), geboren am 13. Dezember 1992, die Familienversicherung ab 1. September 2003. Dabei machte er Angaben zu dem monatlichen Bruttoeinkommen seiner Ehefrau und erklärte, er werde die Beklagte über künftige Änderungen unverzüglich informieren. Dies gelte insbeson-dere, wenn sich das Bruttoeinkommen der angegebenen Familienangehörigen ändere. Im März 2005 gab er das monatliche Bruttoeinkommen seiner Ehefrau mit 2.939,10 EUR an. Im Mai 2005 übersandte der Kläger zu 1 einen Gewinnermittlungsbericht der Steuerberater G. S. & J. R. für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 (Gewinn: 52.227,41 EUR) nach § 4 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) sowie betriebswirtschaftliche Kurzberichte zum Dezember 2004. Unter dem 8. Juni 2005 teilte die Beklagte ihm Folgendes mit: "Familienversicherung ab 2003 - Weiterführung der Familienversicherung Sehr geehrter Herr Z., vielen Dank für die Übersendung des Einkommensnachweises ihrer Ehefrau. Die Voraussetzungen zur Durchführung der Familienversicherung Ihrer Kinder sind nach unserer Feststellung weiterhin erfüllt. Es ergeben sich somit keine Änderungen. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass uns Veränderungen, insbesondere die des Bruttoein-kommens ihrer Ehegattin, unverzüglich mitzuteilen sind. Bitte reichen Sie den Einkommens-steuerbescheid 2004 deshalb unmittelbar nach Erhalt bei uns ein. Wir werden dann die Erfül-lung der Voraussetzungen zur Familienversicherung erneut prüfen. "
Im November 2007 übersandte die Beklagte ihm einen weiteren Fragebogen zur Prüfung der Versicherungszeiten für Familienversicherte ab dem 1. Januar 2006. Im Januar 2008 reichte der Kläger zu 1 den am 7. Januar 2008 ausgefüllten Fragebogen der Beklagten zurück und gab ein monatliches Bruttoeinkommen seiner Ehefrau in Höhe von 3.135,91 EUR an. Beigefügt war ein betriebswirtschaftlicher Kurzbericht der Steuerberater G. S. & J. R. vom 21. Dezember 2007, in dem ein "vorläufiges betriebswirtschaftliches Ergebnis der Einnahmen-Ausgaben-BWA" für die Zeit vom 1. Januar bis November 2007 in Höhe von 34.495,06 EUR ausgewiesen ist. Im Januar 2008 übersandte die Beklagte ihm einen weiteren Fragebogen für die Zeit ab 1. Januar 2007. In dem am 18. Januar 2007 ausgefüllten Fragebogen gab der Kläger zu 1 das monatliche Bruttoeinkommen seiner Ehefrau ebenfalls mit 3.135,91 EUR an. Mit Schreiben vom 21. Februar 2008 und 25. Juni 2008 forderte die Beklagte die Vorlage der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2005 an, woraufhin der Kläger zu 1 wie-derum betriebswirtschaftliche Kurzberichte der Steuerberater G. S. & J. R. vom 12. Januar und 9. März 2005, vom 21. Dezember 2007 und vom 4. Juni 2008 vorlegte. Auf nochmalige Aufforderung der Beklagten legte er einen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht vom 29. Sep-tember 2008 vor, in dem ein "vorläufiges betriebswirtschaftliches Ergebnis der Einnahmen-Ausgaben-BWA" für die Zeit von Januar bis August 2008 von 7.680,15 EUR ausgewiesen wird.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 forderte die Beklagte den Kläger zu 2 auf, die Kranken-versicherungskarte zurückzusenden. Aufgrund der fehlenden Einkommensnachweise müsse sie davon ausgehen, dass er die Voraussetzungen für eine kostenfreie Familienversicherung nicht mehr erfülle. Sie sei verpflichtet, seine Familienversicherung zum 30. März 2008 zu beenden. Ein Bescheid mit entsprechendem Wortlaut ging an den Kläger zu 1 bezüglich der Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen zum 13. Dezember 2007. Hiergegen erhob der Kläger zu 1, auch im Namen des Klägers zu 2, Widerspruch.
Laut Auskunft des Finanzamtes J. vom 11. November 2008 erzielten der Kläger zu 1 und sei-ne Ehefrau folgende Einkünfte: 2004 53.315 EUR (Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit) und 20.456 EUR (Einkommen aus abhängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 20. September 2005 2005 71.107 EUR (Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) und 19.956 EUR (Einkommen aus ab-hängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 20. Januar 2007 2006 87.822 EUR (Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) und 17.571 EUR (Einkommen aus ab-hängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 31. Januar 2008
Mit Schreiben vom 17. März 2009 informierte die Beklagte den Kläger zu 1 über die Ergeb-nisse der Ermittlungen beim Finanzamt J ... Der Inhalt der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 könnten gegebenenfalls zu dem Ergebnis führen, dass die Familienver-sicherung für den Kläger zu 2 und den Beigeladenen bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden sei. Er erhalte Gelegenheit sich bis zum 3. April 2009 zum Sachverhalt zu äußern. Der Kläger zu 1 verwies darauf, dass die betriebswirtschaftlichen Auswertungen im Allgemeinen als Gehaltsnachweis akzeptiert würden und deshalb nicht von fehlender Mitwirkung auszugehen sei. Zwischenzeitlich habe er die Familienversicherung selbst zum 31. Dezember 2008 gekündigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009, adressiert an den Klä-ger zu 1, wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung u.a. aus, die Familienversicherung sei rückwirkend zum 31. Januar 2007 für beide Kinder zu beenden. Der Fortbestand der Voraussetzungen für die Familienversicherung sei jeweils nachzuweisen. Sie bestehe, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wobei beim Einkommen eine vorausschauende Betrachtungsweise zulässig sei. Die Familienversicherung ende mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen entfallen seien. Hätte er die Änderung in den Ein-kommensverhältnissen seiner Ehefrau mitgeteilt, hätte sie ab 1. Februar 2007 die Prognose stellen müssen, dass die jeweiligen Einkommensgrenzen überschritten werden. Eine Verböse-rung im Widerspruchsverfahren sei zulässig, weil der Kläger zu 1 auf den Bestand der rechtswidrigen Bescheide vom 23. Oktober 2008 nicht habe vertrauen dürfen. Er sei mehrfach aufgefordert worden, Einkommenssteuerbescheide zur Verfügung zu stellen. Der Inhalt der Einkommenssteuerbescheide sei ihm bekannt. Zu den Voraussetzungen für die Familienversi-cherung sei er jeweils mit Zusendung eines Überprüfungsbogens auf einem Informationsblatt aufgeklärt worden. Ein Vertrauen in den Bescheid vom 23. Oktober 2008 habe auch deshalb nicht entstehen können, weil er diesem widersprochen habe. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 23. Oktober 2008 für die Vergangenheit liegen nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) vor. Er habe den Inhalt der Einkommenssteu-erbescheide für die Jahre 2005 und 2006 nicht bekannt gegeben. Unter Berücksichtigung die-ser besonderen Umstände sei es unter Abwägung der Interessen der Versichertengemeinschaft erforderlich, für die Vergangenheit den gebotenen Rechtszustand herzustellen.
Auf die Klageerhebung hat das Sozialgericht G. (SG) mit Urteil vom 7. Juni 2010 die Be-scheide der Beklagten vom 23. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2009 aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide seien "nicht vorschriftsmäßig begründet" worden. Die rückwirkende Versagung des Krankenversicherungsschutzes stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar und verlange nach einer speziellen Eingriffsgrundlage. Diese sei den Bescheiden nicht zu entnehmen. Die Beklagte habe § 45 SGB X fehlerhaft angewandt.
Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, bei der Beendigung der Familienversi-cherung handele es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Sie habe jährlich festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Familienversicherung gegeben seien. Bei hauptberuflich selbstständig Tätigen könnten nur amtliche Unterlagen der Finanzverwaltung, zum Beispiel Einkommenssteuer- oder Vorauszahlungsbescheide, als Einkommensnachweise anerkannt werden. Sofern das Vorliegen der Voraussetzungen der Familienversicherung auf Verlangen nicht nachgewiesen werde, sei das Versichertenverzeichnis für die nicht nachge-wiesenen Familienversicherungszeiten zu berichtigen. Hierüber sei der Betroffene durch Be-scheid zu informieren. Dem Kläger zu 1 habe aufgrund der Einkommenssteuerbescheide klar sein müssen, dass sich die Einkünfte seiner Ehefrau wesentlich verändert bzw. erhöht hätten. Dies wäre ihr anzuzeigen gewesen. Die Familienversicherung sei daher ab 1. Februar 2007 für die beiden Kinder nach § 10 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ausge-schlossen. Auch wenn es sich bei dem Schreiben vom 8. Juni 2005 um einen Verwaltungsakt handeln sollte, habe dieser unter den Voraussetzungen der §§ 45 SGB X aufgehoben werden können, weil er offenkundig keinen Vertrauensschutz begründen konnte. Zudem sei eine Ver-trauensschutzprüfung durchgeführt worden, wie sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 eindeutig ergebe. Der Kläger zu 1 habe es zumindest grob fahrlässig unterlassen, ihr die Einkommenssteuerbescheide vorzulegen. Die fehlende Mitwirkung habe sich das fa-milienversicherte Mitglied im Zweifel zuzurechnen. Zudem sei das Schreiben vom 8. Juni 2005 mit einem Auflagenvorbehalt im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 5 SGB X versehen worden. Sie verweise auf § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, eingeführt mit Wirkung zum 1. April 2007, wo-nach in der Zeit, in der keine andere Versicherung bestand, dennoch eine Absicherung im Krankheitsfall bestehe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts G. vom 7. Juni 2010 aufzuheben und die Klagen ab-zuweisen.
Die Kläger zu 1 und 2 beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Während der Zeit der Familienversicherung seien alle Schreiben der Beklagten beantwortet worden. Diese habe die vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) auch ak-zeptiert, ansonsten hätte die Familienversicherung ja nicht weitergeführt werden können. In-soweit könne nicht von fehlender Mitwirkung ausgegangen werden. Die Verböserung im Wi-derspruchsbescheid sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Sie überreichen den Bescheid über Einkommenssteuer Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag (Einkommenssteuerbescheid) für das Jahr 2007 vom 2. Februar 2009 und für das Jahr 2008 vom 3. August 2009.
Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 13. März 2012 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Die Beklagte hat erklärt, dass der Wider-spruchsbescheid vom 30. September 2009 auch an den Kläger zu 2, vertreten durch den Klä-ger zu 1, gerichtet war. Der Kläger zu 1 hat erklärt, er habe die Klage beim SG auch im Na-men des Klägers zu 2 erhoben. Die Beteiligten haben sich mit einer Berichtigung des Rubrums einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Ent-scheidung war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ent-scheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
Die erstinstanzlich erhobenen Klagen waren zulässig. Der Kläger zu 1 war als Adressat des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2009 zur Klageerhebung befugt. Darüber hinaus war er als Mitglied der Beklagten (Stammversicherter) befugt, das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung seines damals noch minderjährigen Sohnes B. zu klären. Die Fami-lienversicherung ist streng akzessorisch; ihr Bestehen oder Nichtbestehen betrifft zugleich Ausgestaltung und Umfang der Stammversicherung, sodass Entscheidungen hierüber zugleich die eigene Rechtsposition des Stammversicherten berühren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. Juli 2003 - Az.: B 12 KR 16/02 R, nach juris). Der Kläger zu 2 war als Adres-sat des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2009 ebenfalls zur Klageerhebung befugt.
Die Berufung der Beklagten ist insoweit begründet, als das SG den an den Kläger zu 1 gerich-teten Bescheid vom 23. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 26. Oktober 2008 hinaus und den an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 23. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 30. März 2008 hinaus aufgehoben hat. Die Klagen sind insoweit unbegründet. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet, weil die Beklagte für die vorangegangenen Zeiträume die Familienversicherung nicht beenden durfte. Sie durfte den Bescheid vom 8. Juni 2005 gegenüber dem Kläger zu 1 nur mit Wirkung für die Zukunft aufheben und ist gegenüber dem Kläger zu 2 an die mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 mit-geteilte Beendigung der Familienversicherung zum 30. März 2008 gebunden.
1) Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende Beendigung der Famili-enversicherung des Beigeladenen in dem Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis 12. Dezember 2007 und des Klägers zu 2 in dem Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis 29. März 2008 im Wi-derspruchsbescheid vom 30. September 2009 liegen nicht vor.
Mit Bescheiden vom 23. Oktober 2008 hat die Beklagte dem Kläger zu 1 die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen zum 13. Dezember 2007, dem Kläger zu 2 die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung zum 30. März 2008 mitgeteilt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 hat sie die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung des Klägers zu 2 und des Beigeladenen bereits zum 1. Februar 2007 mitgeteilt und die Bescheide vom 23. Oktober 2008 nach § 45 SGB X damit teilweise zurückgenommen. Der Widerspruchsbescheid enthält insoweit eine Verböserung / Ver-schlechterung (reformatio in peius) zu Ungunsten der Kläger, als die angefochtenen Bescheide vom 23. Oktober 2008 eine Belastung durch die Beendigung der Familienversicherung erst ab 13. Dezember 2007 bzw. ab 30. März 2008 festlegten. Die in dem Verwaltungsakt getroffene begünstigende Entscheidung wird mit dem Widerspruch hiergegen nicht - erneut - zur Disposition der Verwaltung gestellt. Insoweit bleibt die Verwaltung grundsätzlich an die begünstigende Regelung gebunden. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 39 SGB X und § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist allerdings auch im laufenden Verwaltungsverfahren, also auch im Widerspruchsverfahren, nach den §§ 44 ff SGB X eröffnet. Hiergegen bestehen keine rechtsstaatlichen Bedenken, denn die Vorschriften der §§ 45, 48 SGB X regeln die Voraussetzungen für die gebotene Ab-wägung zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen des Einzelnen und dem öffentlichen Inte-resse an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Der Betroffene wird zusätzlich durch das strikte Anhörungsgebot des § 24 SGB X in Verbindung mit § 41 Abs. 2 SGB X vor Überraschungs-entscheidungen geschützt (so BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 - Az.: 9/9a RVs 2/92, nach juris).
Es kann hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen nach § 45 SGB X für eine Rücknahme der Bescheide vom 23. Oktober 2008 vorliegen, weil es vor Erlass der im Widerspruchsbescheid erfolgten Verböserung einer Anhörung der Kläger nach § 24 SGB X bedurft hätte.
Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erhebli-chen Tatsachen zu äußern. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann davon unter bestimmten - hier je-doch nicht einschlägigen - Ausnahmen abgesehen werden. Insbesondere ist auch § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht erfüllt, weil es selbst wenn es sich bei der Familienversicherung um eine einkommensabhängige Leistung in diesem Sinne handeln würde, eine vollständige Aufhebung oder Rücknahme der Bewilligung nicht unter diesen Tatbestand fällt (vgl. Franz in jurisPK - SGB X § 24 Rn. 51).
Entscheidungserheblich i.S.v. § 24 Abs. 1 SGB X sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, d.h. auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat. Die Beklagte ging erstmals im Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 davon aus, dass sie den Bescheid vom 23. Oktober 2008 wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit nach § 45 SGB X zurücknehmen kann. Sie sah auch die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit als erfüllt an, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Kläger zu 1 vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe und der Kläger zu 2 sich dies zurechnen lassen müsse.
Die Beklagte hat dem Kläger zu 1 im Verwaltungsverfahren zu der erstmals im Wider-spruchsbescheid angeführten inneren Tatsache, er habe vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, keine Gelegenheit zu einer vorherigen Stellungnahme eingeräumt. In dem als "Anhörung gemäß § 24 SGB X" bezeichneten Schreiben vom 17. März 2009 hat sie ihm lediglich mitgeteilt, dass aufgrund des Inhalts der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 die Familienversicherung bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden sein könnte. Den Kläger zu 2 hat sie über-haupt nicht darüber informiert, dass sie beabsichtigt, den Bescheid vom 23. Oktober 2008 zu seinen Ungunsten abzuändern. Hierdurch hat sie § 24 SGB X verletzt. Die fehlende Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Insoweit setzt die Nachholung der Anhörung im Gerichtsverfahren nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedenfalls ein entsprechendes "mehr oder minder" förmliches Verwaltungsverfahren voraus. Ein solches Verfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde dem Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - Az.: B 14 AS 144/10 R m.w.N., nach juris). Dass die Beklagte ein solches Verfahren nach dem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 13. März 2012 durchgeführt hat, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat sich zu den Hinweisen der Berichterstatterin in diesem Termin letztmalig mit Schriftsatz vom 15. August 2012 geäußert und keine weiteren Unterlagen hierzu vorgelegt.
2) Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 rückwirkend die Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen für die Zeit vom 13. Dezember 2007 bis 26. Oktober 2008 festgestellt hat, fehlt es ebenfalls an der Anhörung nach § 24 SGB X. Die Beklagte ist offensichtlich nicht davon ausgegangen, dass es einer Aufhebung der mit Bescheid vom 8. Juni 2005 getroffenen Regelung über das Bestehen der Familienversicherung bedarf und hat dem Kläger zu 1 daher weder vor Erlass, noch mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 entschei-dungserhebliche Tatsachen für eine Aufhebung für die Vergangenheit, die in § 48 Abs. 2 SGB X geregelt ist, mitgeteilt. Zu der erstmals im Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 ange-führten inneren Tatsache, für den Kläger zu 1 sei ersichtlich gewesen, dass sich die Einkünfte seiner Ehefrau ab dem Kalenderjahr 2006 wesentlich verändert haben und er dies gegenüber der Beklagten hätte anzeigen müssen, hat sie ihm ebenfalls keine Gelegenheit zu einer vorhe-rigen Stellungnahme eingeräumt. Dadurch hat sie § 24 Abs. 1 SGB X verletzt. Die Vorausset-zungen unter denen nach § 24 Abs. 2 SGB X von einer Anhörung abgesehen werden kann, liegen hier ebenfalls nicht vor.
Der reinen Feststellung der Beendigung der Familienversicherung, die dann möglich ist, wenn die Beklagte das Bestehen einer Familienversicherung nicht durch Verwaltungsakt festgestellt hat und daher die aus den §§ 45, 48 SGB X folgenden Einschränkungen nicht beachten muss (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris), steht hier der Bescheid vom 8. Juni 2005 entgegen.
Es deutet nichts darauf hin, dass die Feststellung der Familienversicherung nur vorläufig gel-ten sollte. Soweit die Beklagte meint, bei dem Zusatz, den Bescheid erneut zu prüfen, wenn er den Einkommensteuerbescheid 2004 einreiche, handele es sich um eine Auflage nach § 32 Abs. 1 Nr. 5 SGB X, ist insoweit die rechtliche Relevanz nicht ersichtlich. Die Wirksamkeit der Hauptregelung hängt grundsätzlich nicht von der Wirksamkeit und Erfüllung der Auflage ab. Zudem wäre die Auflage unwirksam, weil Gegenstand einer Auflage grundsätzlich nicht eine Pflicht sein kann, deren Erfüllung bereits unmittelbar vom gesetzlichen Leistungstatbe-stand vorausgesetzt wird (vgl. Engelmann, in von Wulffen SGB X, 7. Auflage 2010). Aus dem Zusatz kann auch nicht auf eine nur einstweilige Regelung der Familienversicherung geschlossen werden. Derartige Zusätze können den behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, aus allgemeinen Gründen nicht hinreichend bestimmt verlautbaren. Sie zeigen nämlich allenfalls an, dass die Verwaltung - hier die Beklagte - die Sache für sich noch nicht als in jeder Hinsicht endgültig abgeschlossen erachtet. Eindeutig gesagt wird nur, dass die Behörde möglicherweise auf die Angelegenheit zurückkommen und ihre Entscheidung revidieren will. Daher wird eine endgültige Entscheidung verlautbart und nur die Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides in Aussicht gestellt, die in den gesetzlich geregelten Fällen ohnehin auch immer besteht, ohne dass deswegen die abschließende Natur des Bescheides fraglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 - Az.: 4 RA 57/89, nach juris).
Die fehlende Anhörung ist auch - soweit es die Mitteilung der entscheidungserheblichen Tat-sachen für eine Aufhebung des entgegenstehenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit betrifft - nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Insoweit nimmt der Senat auf die oben getätigten Ausführungen Bezug.
3) Gegenüber dem Kläger zu 2 hat die Beklagte das Bestehen einer Familienversicherung nicht durch Verwaltungsakt festgestellt, so dass es keiner Anhörung vor Erlass des Bescheides vom 23. Oktober 2008, mit dem die Beendigung der Familienversicherung rückwirkend zum 30. März 2008 festgestellt wurde, bedurfte. Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor, kann die Beklagte rückwirkend durch Bescheid feststellen, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden hat, ohne - wie bereits ausgeführt - die in §§ 45, 48 Abs. 1 SGB X folgenden Einschränkungen beachten zu müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris).
Die Voraussetzungen für eine Familienversicherung des Klägers zu 2 lagen für den dann noch streitigen Zeitraum ab dem 31. März 2008 tatsächlich nicht mehr vor.
Nach § 10 Abs. 3 SGB V sind Kinder nicht (mehr) versichert, wenn der mit den Kindern ver-wandte Ehegatte oder Lebenspartner des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist.
Gesamteinkommen nach § 10 SGB V ist das in § 16 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) definierte Gesamteinkommen, weil die Vorschriften des SGB IV nach § 1 Abs. 1 SGB IV u.a. für die gesetzliche Krankenversicherung gelten. Nach § 16 SGB IV ist das Ge-samteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Mit dem in Halbsatz 1 enthalte-nen Verweis auf das Steuerrecht sind diejenigen Einkünfte gemeint, die der Steuerpflicht un-terliegen, sodass zum Beispiel steuerfreie Beträge oder Werbungskosten abzuziehen sind. Bei schwankenden Einkommen - wie bei Einkommen aus selbständiger Tätigkeit typisch - ist für die Feststellung, ob ein Gesamteinkommen "regelmäßig im Monat" überschritten wird, vom gezwölftelten Jahreseinkommen auszugehen. Maßgebend für die Feststellung des Einkom-mens ist letztlich der Einkommenssteuerbescheid (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2004 - Az.: B 12 KR 36/03 R, nach juris). Hierbei ist, wie die Beklagte auch ausgeführt hat, grund-sätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt. Dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen: Auch dann bestand - rückblickend - nur für solche Zeiträume keine Famili-enversicherung, zu deren Beginn - gegebenenfalls anhand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt würden. Nach dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2005 vom 20. Januar 2007 hat die Ehefrau des Klägers, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, Einkünfte in Höhe von 71.107 EUR aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Unabhängig davon, ob die negativen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung (9.111,00 EUR) vom Einkommen abzurechnen sind (dann: 61.996 EUR), überschreitet ihr Einkommen sowohl die Jahresarbeitsent-geltgrenze 2005 in Höhe von 46.800 EUR, als auch die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das Jahr 2007 in Höhe von 47.700 EUR sowie die monatlichen Entgeltgrenzen in Höhe von 3.900 EUR (2005) und 3.975 EUR 5 (2007). Hätte der Beklagten der Einkommenssteuerbescheid vom 20. Januar 2007 im Januar 2007 vorgelegen, hätte sie in vorausschauender Betrachtungsweise eine Prognose dahingehend treffen können, dass die Voraussetzungen für eine Familienversi-cherung nicht mehr vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris).
Der Ausschluss von der Familienversicherung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, ins-besondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ((GG), vgl. BSG, Urteil vom 27. August 2004 - Az. B 12 KR 36/03, nach juris).
4) Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 eine Aufhebung der Familienver-sicherung des Beigeladenen für die Zukunft, das heißt für die Zeit nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes am 27. Oktober 2008, ausgesprochen hat, liegen die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 SGB X vor. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnis-sen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine we-sentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1).
In den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2005 zu Grunde lagen, ist insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten, als die Beklagte aufgrund der Nichtvorlage des Einkommenssteuerbescheides durch den Kläger zu 1 davon ausgegangen ist, dass ein Nachweis dafür, dass der Beigeladene die Voraussetzungen für eine kostenfreie Familienversicherung erfüllt, nicht mehr vorliegt. Diese Tatsachen teilte sie dem Kläger zu 1 auch mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 mit, so dass der Senat davon ausgeht, dass die auch insoweit fehlende Anhörung wirksam nachgeholt wurde. Weitere Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides vom 8. Juni 2005 für die Zukunft bestehen nicht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Beendigung der Familienversicherung des Klägers zu 2 und des Beigeladenen in dem Zeitraum vom 31. Januar 2007 bis 31. Dezem-ber 2008 streitig.
Der Kläger zu 1 ist bei der Beklagten pflichtversichert; seine Ehefrau ist selbstständig tätig und seit November 2003 privat krankenversichert. Im August 2003 beantragte er bei der Be-klagten für die Kinder P.-G. (Kläger zu 2), geboren am 27. Juli 1987, und B. (Beigeladener), geboren am 13. Dezember 1992, die Familienversicherung ab 1. September 2003. Dabei machte er Angaben zu dem monatlichen Bruttoeinkommen seiner Ehefrau und erklärte, er werde die Beklagte über künftige Änderungen unverzüglich informieren. Dies gelte insbeson-dere, wenn sich das Bruttoeinkommen der angegebenen Familienangehörigen ändere. Im März 2005 gab er das monatliche Bruttoeinkommen seiner Ehefrau mit 2.939,10 EUR an. Im Mai 2005 übersandte der Kläger zu 1 einen Gewinnermittlungsbericht der Steuerberater G. S. & J. R. für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 (Gewinn: 52.227,41 EUR) nach § 4 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) sowie betriebswirtschaftliche Kurzberichte zum Dezember 2004. Unter dem 8. Juni 2005 teilte die Beklagte ihm Folgendes mit: "Familienversicherung ab 2003 - Weiterführung der Familienversicherung Sehr geehrter Herr Z., vielen Dank für die Übersendung des Einkommensnachweises ihrer Ehefrau. Die Voraussetzungen zur Durchführung der Familienversicherung Ihrer Kinder sind nach unserer Feststellung weiterhin erfüllt. Es ergeben sich somit keine Änderungen. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass uns Veränderungen, insbesondere die des Bruttoein-kommens ihrer Ehegattin, unverzüglich mitzuteilen sind. Bitte reichen Sie den Einkommens-steuerbescheid 2004 deshalb unmittelbar nach Erhalt bei uns ein. Wir werden dann die Erfül-lung der Voraussetzungen zur Familienversicherung erneut prüfen. "
Im November 2007 übersandte die Beklagte ihm einen weiteren Fragebogen zur Prüfung der Versicherungszeiten für Familienversicherte ab dem 1. Januar 2006. Im Januar 2008 reichte der Kläger zu 1 den am 7. Januar 2008 ausgefüllten Fragebogen der Beklagten zurück und gab ein monatliches Bruttoeinkommen seiner Ehefrau in Höhe von 3.135,91 EUR an. Beigefügt war ein betriebswirtschaftlicher Kurzbericht der Steuerberater G. S. & J. R. vom 21. Dezember 2007, in dem ein "vorläufiges betriebswirtschaftliches Ergebnis der Einnahmen-Ausgaben-BWA" für die Zeit vom 1. Januar bis November 2007 in Höhe von 34.495,06 EUR ausgewiesen ist. Im Januar 2008 übersandte die Beklagte ihm einen weiteren Fragebogen für die Zeit ab 1. Januar 2007. In dem am 18. Januar 2007 ausgefüllten Fragebogen gab der Kläger zu 1 das monatliche Bruttoeinkommen seiner Ehefrau ebenfalls mit 3.135,91 EUR an. Mit Schreiben vom 21. Februar 2008 und 25. Juni 2008 forderte die Beklagte die Vorlage der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2004 und 2005 an, woraufhin der Kläger zu 1 wie-derum betriebswirtschaftliche Kurzberichte der Steuerberater G. S. & J. R. vom 12. Januar und 9. März 2005, vom 21. Dezember 2007 und vom 4. Juni 2008 vorlegte. Auf nochmalige Aufforderung der Beklagten legte er einen betriebswirtschaftlichen Kurzbericht vom 29. Sep-tember 2008 vor, in dem ein "vorläufiges betriebswirtschaftliches Ergebnis der Einnahmen-Ausgaben-BWA" für die Zeit von Januar bis August 2008 von 7.680,15 EUR ausgewiesen wird.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 forderte die Beklagte den Kläger zu 2 auf, die Kranken-versicherungskarte zurückzusenden. Aufgrund der fehlenden Einkommensnachweise müsse sie davon ausgehen, dass er die Voraussetzungen für eine kostenfreie Familienversicherung nicht mehr erfülle. Sie sei verpflichtet, seine Familienversicherung zum 30. März 2008 zu beenden. Ein Bescheid mit entsprechendem Wortlaut ging an den Kläger zu 1 bezüglich der Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen zum 13. Dezember 2007. Hiergegen erhob der Kläger zu 1, auch im Namen des Klägers zu 2, Widerspruch.
Laut Auskunft des Finanzamtes J. vom 11. November 2008 erzielten der Kläger zu 1 und sei-ne Ehefrau folgende Einkünfte: 2004 53.315 EUR (Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit) und 20.456 EUR (Einkommen aus abhängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 20. September 2005 2005 71.107 EUR (Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) und 19.956 EUR (Einkommen aus ab-hängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 20. Januar 2007 2006 87.822 EUR (Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) und 17.571 EUR (Einkommen aus ab-hängiger Beschäftigung) - Steuerbescheid vom 31. Januar 2008
Mit Schreiben vom 17. März 2009 informierte die Beklagte den Kläger zu 1 über die Ergeb-nisse der Ermittlungen beim Finanzamt J ... Der Inhalt der Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 könnten gegebenenfalls zu dem Ergebnis führen, dass die Familienver-sicherung für den Kläger zu 2 und den Beigeladenen bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden sei. Er erhalte Gelegenheit sich bis zum 3. April 2009 zum Sachverhalt zu äußern. Der Kläger zu 1 verwies darauf, dass die betriebswirtschaftlichen Auswertungen im Allgemeinen als Gehaltsnachweis akzeptiert würden und deshalb nicht von fehlender Mitwirkung auszugehen sei. Zwischenzeitlich habe er die Familienversicherung selbst zum 31. Dezember 2008 gekündigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009, adressiert an den Klä-ger zu 1, wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung u.a. aus, die Familienversicherung sei rückwirkend zum 31. Januar 2007 für beide Kinder zu beenden. Der Fortbestand der Voraussetzungen für die Familienversicherung sei jeweils nachzuweisen. Sie bestehe, solange die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, wobei beim Einkommen eine vorausschauende Betrachtungsweise zulässig sei. Die Familienversicherung ende mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen entfallen seien. Hätte er die Änderung in den Ein-kommensverhältnissen seiner Ehefrau mitgeteilt, hätte sie ab 1. Februar 2007 die Prognose stellen müssen, dass die jeweiligen Einkommensgrenzen überschritten werden. Eine Verböse-rung im Widerspruchsverfahren sei zulässig, weil der Kläger zu 1 auf den Bestand der rechtswidrigen Bescheide vom 23. Oktober 2008 nicht habe vertrauen dürfen. Er sei mehrfach aufgefordert worden, Einkommenssteuerbescheide zur Verfügung zu stellen. Der Inhalt der Einkommenssteuerbescheide sei ihm bekannt. Zu den Voraussetzungen für die Familienversi-cherung sei er jeweils mit Zusendung eines Überprüfungsbogens auf einem Informationsblatt aufgeklärt worden. Ein Vertrauen in den Bescheid vom 23. Oktober 2008 habe auch deshalb nicht entstehen können, weil er diesem widersprochen habe. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 23. Oktober 2008 für die Vergangenheit liegen nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) vor. Er habe den Inhalt der Einkommenssteu-erbescheide für die Jahre 2005 und 2006 nicht bekannt gegeben. Unter Berücksichtigung die-ser besonderen Umstände sei es unter Abwägung der Interessen der Versichertengemeinschaft erforderlich, für die Vergangenheit den gebotenen Rechtszustand herzustellen.
Auf die Klageerhebung hat das Sozialgericht G. (SG) mit Urteil vom 7. Juni 2010 die Be-scheide der Beklagten vom 23. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2009 aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide seien "nicht vorschriftsmäßig begründet" worden. Die rückwirkende Versagung des Krankenversicherungsschutzes stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar und verlange nach einer speziellen Eingriffsgrundlage. Diese sei den Bescheiden nicht zu entnehmen. Die Beklagte habe § 45 SGB X fehlerhaft angewandt.
Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, bei der Beendigung der Familienversi-cherung handele es sich nicht um eine Ermessensentscheidung. Sie habe jährlich festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Familienversicherung gegeben seien. Bei hauptberuflich selbstständig Tätigen könnten nur amtliche Unterlagen der Finanzverwaltung, zum Beispiel Einkommenssteuer- oder Vorauszahlungsbescheide, als Einkommensnachweise anerkannt werden. Sofern das Vorliegen der Voraussetzungen der Familienversicherung auf Verlangen nicht nachgewiesen werde, sei das Versichertenverzeichnis für die nicht nachge-wiesenen Familienversicherungszeiten zu berichtigen. Hierüber sei der Betroffene durch Be-scheid zu informieren. Dem Kläger zu 1 habe aufgrund der Einkommenssteuerbescheide klar sein müssen, dass sich die Einkünfte seiner Ehefrau wesentlich verändert bzw. erhöht hätten. Dies wäre ihr anzuzeigen gewesen. Die Familienversicherung sei daher ab 1. Februar 2007 für die beiden Kinder nach § 10 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) ausge-schlossen. Auch wenn es sich bei dem Schreiben vom 8. Juni 2005 um einen Verwaltungsakt handeln sollte, habe dieser unter den Voraussetzungen der §§ 45 SGB X aufgehoben werden können, weil er offenkundig keinen Vertrauensschutz begründen konnte. Zudem sei eine Ver-trauensschutzprüfung durchgeführt worden, wie sich aus dem Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 eindeutig ergebe. Der Kläger zu 1 habe es zumindest grob fahrlässig unterlassen, ihr die Einkommenssteuerbescheide vorzulegen. Die fehlende Mitwirkung habe sich das fa-milienversicherte Mitglied im Zweifel zuzurechnen. Zudem sei das Schreiben vom 8. Juni 2005 mit einem Auflagenvorbehalt im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 5 SGB X versehen worden. Sie verweise auf § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, eingeführt mit Wirkung zum 1. April 2007, wo-nach in der Zeit, in der keine andere Versicherung bestand, dennoch eine Absicherung im Krankheitsfall bestehe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts G. vom 7. Juni 2010 aufzuheben und die Klagen ab-zuweisen.
Die Kläger zu 1 und 2 beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Während der Zeit der Familienversicherung seien alle Schreiben der Beklagten beantwortet worden. Diese habe die vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) auch ak-zeptiert, ansonsten hätte die Familienversicherung ja nicht weitergeführt werden können. In-soweit könne nicht von fehlender Mitwirkung ausgegangen werden. Die Verböserung im Wi-derspruchsbescheid sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Sie überreichen den Bescheid über Einkommenssteuer Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag (Einkommenssteuerbescheid) für das Jahr 2007 vom 2. Februar 2009 und für das Jahr 2008 vom 3. August 2009.
Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 13. März 2012 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Die Beklagte hat erklärt, dass der Wider-spruchsbescheid vom 30. September 2009 auch an den Kläger zu 2, vertreten durch den Klä-ger zu 1, gerichtet war. Der Kläger zu 1 hat erklärt, er habe die Klage beim SG auch im Na-men des Klägers zu 2 erhoben. Die Beteiligten haben sich mit einer Berichtigung des Rubrums einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Ent-scheidung war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ent-scheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.
Die erstinstanzlich erhobenen Klagen waren zulässig. Der Kläger zu 1 war als Adressat des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2009 zur Klageerhebung befugt. Darüber hinaus war er als Mitglied der Beklagten (Stammversicherter) befugt, das Bestehen oder Nichtbestehen der Familienversicherung seines damals noch minderjährigen Sohnes B. zu klären. Die Fami-lienversicherung ist streng akzessorisch; ihr Bestehen oder Nichtbestehen betrifft zugleich Ausgestaltung und Umfang der Stammversicherung, sodass Entscheidungen hierüber zugleich die eigene Rechtsposition des Stammversicherten berühren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. Juli 2003 - Az.: B 12 KR 16/02 R, nach juris). Der Kläger zu 2 war als Adres-sat des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2009 ebenfalls zur Klageerhebung befugt.
Die Berufung der Beklagten ist insoweit begründet, als das SG den an den Kläger zu 1 gerich-teten Bescheid vom 23. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 26. Oktober 2008 hinaus und den an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid vom 23. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. September 2009 für die Zeit über den 30. März 2008 hinaus aufgehoben hat. Die Klagen sind insoweit unbegründet. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet, weil die Beklagte für die vorangegangenen Zeiträume die Familienversicherung nicht beenden durfte. Sie durfte den Bescheid vom 8. Juni 2005 gegenüber dem Kläger zu 1 nur mit Wirkung für die Zukunft aufheben und ist gegenüber dem Kläger zu 2 an die mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 mit-geteilte Beendigung der Familienversicherung zum 30. März 2008 gebunden.
1) Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende Beendigung der Famili-enversicherung des Beigeladenen in dem Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis 12. Dezember 2007 und des Klägers zu 2 in dem Zeitraum vom 1. Februar 2007 bis 29. März 2008 im Wi-derspruchsbescheid vom 30. September 2009 liegen nicht vor.
Mit Bescheiden vom 23. Oktober 2008 hat die Beklagte dem Kläger zu 1 die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen zum 13. Dezember 2007, dem Kläger zu 2 die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung zum 30. März 2008 mitgeteilt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 hat sie die rückwirkende Beendigung der Familienversicherung des Klägers zu 2 und des Beigeladenen bereits zum 1. Februar 2007 mitgeteilt und die Bescheide vom 23. Oktober 2008 nach § 45 SGB X damit teilweise zurückgenommen. Der Widerspruchsbescheid enthält insoweit eine Verböserung / Ver-schlechterung (reformatio in peius) zu Ungunsten der Kläger, als die angefochtenen Bescheide vom 23. Oktober 2008 eine Belastung durch die Beendigung der Familienversicherung erst ab 13. Dezember 2007 bzw. ab 30. März 2008 festlegten. Die in dem Verwaltungsakt getroffene begünstigende Entscheidung wird mit dem Widerspruch hiergegen nicht - erneut - zur Disposition der Verwaltung gestellt. Insoweit bleibt die Verwaltung grundsätzlich an die begünstigende Regelung gebunden. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 39 SGB X und § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Eine Durchbrechung der Bindungswirkung ist allerdings auch im laufenden Verwaltungsverfahren, also auch im Widerspruchsverfahren, nach den §§ 44 ff SGB X eröffnet. Hiergegen bestehen keine rechtsstaatlichen Bedenken, denn die Vorschriften der §§ 45, 48 SGB X regeln die Voraussetzungen für die gebotene Ab-wägung zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen des Einzelnen und dem öffentlichen Inte-resse an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Der Betroffene wird zusätzlich durch das strikte Anhörungsgebot des § 24 SGB X in Verbindung mit § 41 Abs. 2 SGB X vor Überraschungs-entscheidungen geschützt (so BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 - Az.: 9/9a RVs 2/92, nach juris).
Es kann hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen nach § 45 SGB X für eine Rücknahme der Bescheide vom 23. Oktober 2008 vorliegen, weil es vor Erlass der im Widerspruchsbescheid erfolgten Verböserung einer Anhörung der Kläger nach § 24 SGB X bedurft hätte.
Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erhebli-chen Tatsachen zu äußern. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann davon unter bestimmten - hier je-doch nicht einschlägigen - Ausnahmen abgesehen werden. Insbesondere ist auch § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X nicht erfüllt, weil es selbst wenn es sich bei der Familienversicherung um eine einkommensabhängige Leistung in diesem Sinne handeln würde, eine vollständige Aufhebung oder Rücknahme der Bewilligung nicht unter diesen Tatbestand fällt (vgl. Franz in jurisPK - SGB X § 24 Rn. 51).
Entscheidungserheblich i.S.v. § 24 Abs. 1 SGB X sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, d.h. auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat. Die Beklagte ging erstmals im Widerspruchsbescheid vom 30. September 2009 davon aus, dass sie den Bescheid vom 23. Oktober 2008 wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit nach § 45 SGB X zurücknehmen kann. Sie sah auch die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit als erfüllt an, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der Kläger zu 1 vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe und der Kläger zu 2 sich dies zurechnen lassen müsse.
Die Beklagte hat dem Kläger zu 1 im Verwaltungsverfahren zu der erstmals im Wider-spruchsbescheid angeführten inneren Tatsache, er habe vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, keine Gelegenheit zu einer vorherigen Stellungnahme eingeräumt. In dem als "Anhörung gemäß § 24 SGB X" bezeichneten Schreiben vom 17. März 2009 hat sie ihm lediglich mitgeteilt, dass aufgrund des Inhalts der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 die Familienversicherung bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu beenden sein könnte. Den Kläger zu 2 hat sie über-haupt nicht darüber informiert, dass sie beabsichtigt, den Bescheid vom 23. Oktober 2008 zu seinen Ungunsten abzuändern. Hierdurch hat sie § 24 SGB X verletzt. Die fehlende Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Insoweit setzt die Nachholung der Anhörung im Gerichtsverfahren nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedenfalls ein entsprechendes "mehr oder minder" förmliches Verwaltungsverfahren voraus. Ein solches Verfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde dem Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - Az.: B 14 AS 144/10 R m.w.N., nach juris). Dass die Beklagte ein solches Verfahren nach dem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 13. März 2012 durchgeführt hat, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat sich zu den Hinweisen der Berichterstatterin in diesem Termin letztmalig mit Schriftsatz vom 15. August 2012 geäußert und keine weiteren Unterlagen hierzu vorgelegt.
2) Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 rückwirkend die Beendigung der Familienversicherung des Beigeladenen für die Zeit vom 13. Dezember 2007 bis 26. Oktober 2008 festgestellt hat, fehlt es ebenfalls an der Anhörung nach § 24 SGB X. Die Beklagte ist offensichtlich nicht davon ausgegangen, dass es einer Aufhebung der mit Bescheid vom 8. Juni 2005 getroffenen Regelung über das Bestehen der Familienversicherung bedarf und hat dem Kläger zu 1 daher weder vor Erlass, noch mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 entschei-dungserhebliche Tatsachen für eine Aufhebung für die Vergangenheit, die in § 48 Abs. 2 SGB X geregelt ist, mitgeteilt. Zu der erstmals im Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 ange-führten inneren Tatsache, für den Kläger zu 1 sei ersichtlich gewesen, dass sich die Einkünfte seiner Ehefrau ab dem Kalenderjahr 2006 wesentlich verändert haben und er dies gegenüber der Beklagten hätte anzeigen müssen, hat sie ihm ebenfalls keine Gelegenheit zu einer vorhe-rigen Stellungnahme eingeräumt. Dadurch hat sie § 24 Abs. 1 SGB X verletzt. Die Vorausset-zungen unter denen nach § 24 Abs. 2 SGB X von einer Anhörung abgesehen werden kann, liegen hier ebenfalls nicht vor.
Der reinen Feststellung der Beendigung der Familienversicherung, die dann möglich ist, wenn die Beklagte das Bestehen einer Familienversicherung nicht durch Verwaltungsakt festgestellt hat und daher die aus den §§ 45, 48 SGB X folgenden Einschränkungen nicht beachten muss (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris), steht hier der Bescheid vom 8. Juni 2005 entgegen.
Es deutet nichts darauf hin, dass die Feststellung der Familienversicherung nur vorläufig gel-ten sollte. Soweit die Beklagte meint, bei dem Zusatz, den Bescheid erneut zu prüfen, wenn er den Einkommensteuerbescheid 2004 einreiche, handele es sich um eine Auflage nach § 32 Abs. 1 Nr. 5 SGB X, ist insoweit die rechtliche Relevanz nicht ersichtlich. Die Wirksamkeit der Hauptregelung hängt grundsätzlich nicht von der Wirksamkeit und Erfüllung der Auflage ab. Zudem wäre die Auflage unwirksam, weil Gegenstand einer Auflage grundsätzlich nicht eine Pflicht sein kann, deren Erfüllung bereits unmittelbar vom gesetzlichen Leistungstatbe-stand vorausgesetzt wird (vgl. Engelmann, in von Wulffen SGB X, 7. Auflage 2010). Aus dem Zusatz kann auch nicht auf eine nur einstweilige Regelung der Familienversicherung geschlossen werden. Derartige Zusätze können den behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, aus allgemeinen Gründen nicht hinreichend bestimmt verlautbaren. Sie zeigen nämlich allenfalls an, dass die Verwaltung - hier die Beklagte - die Sache für sich noch nicht als in jeder Hinsicht endgültig abgeschlossen erachtet. Eindeutig gesagt wird nur, dass die Behörde möglicherweise auf die Angelegenheit zurückkommen und ihre Entscheidung revidieren will. Daher wird eine endgültige Entscheidung verlautbart und nur die Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides in Aussicht gestellt, die in den gesetzlich geregelten Fällen ohnehin auch immer besteht, ohne dass deswegen die abschließende Natur des Bescheides fraglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 - Az.: 4 RA 57/89, nach juris).
Die fehlende Anhörung ist auch - soweit es die Mitteilung der entscheidungserheblichen Tat-sachen für eine Aufhebung des entgegenstehenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit betrifft - nicht nach § 41 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Insoweit nimmt der Senat auf die oben getätigten Ausführungen Bezug.
3) Gegenüber dem Kläger zu 2 hat die Beklagte das Bestehen einer Familienversicherung nicht durch Verwaltungsakt festgestellt, so dass es keiner Anhörung vor Erlass des Bescheides vom 23. Oktober 2008, mit dem die Beendigung der Familienversicherung rückwirkend zum 30. März 2008 festgestellt wurde, bedurfte. Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor, kann die Beklagte rückwirkend durch Bescheid feststellen, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden hat, ohne - wie bereits ausgeführt - die in §§ 45, 48 Abs. 1 SGB X folgenden Einschränkungen beachten zu müssen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris).
Die Voraussetzungen für eine Familienversicherung des Klägers zu 2 lagen für den dann noch streitigen Zeitraum ab dem 31. März 2008 tatsächlich nicht mehr vor.
Nach § 10 Abs. 3 SGB V sind Kinder nicht (mehr) versichert, wenn der mit den Kindern ver-wandte Ehegatte oder Lebenspartner des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist.
Gesamteinkommen nach § 10 SGB V ist das in § 16 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) definierte Gesamteinkommen, weil die Vorschriften des SGB IV nach § 1 Abs. 1 SGB IV u.a. für die gesetzliche Krankenversicherung gelten. Nach § 16 SGB IV ist das Ge-samteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Mit dem in Halbsatz 1 enthalte-nen Verweis auf das Steuerrecht sind diejenigen Einkünfte gemeint, die der Steuerpflicht un-terliegen, sodass zum Beispiel steuerfreie Beträge oder Werbungskosten abzuziehen sind. Bei schwankenden Einkommen - wie bei Einkommen aus selbständiger Tätigkeit typisch - ist für die Feststellung, ob ein Gesamteinkommen "regelmäßig im Monat" überschritten wird, vom gezwölftelten Jahreseinkommen auszugehen. Maßgebend für die Feststellung des Einkom-mens ist letztlich der Einkommenssteuerbescheid (vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2004 - Az.: B 12 KR 36/03 R, nach juris). Hierbei ist, wie die Beklagte auch ausgeführt hat, grund-sätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt. Dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen: Auch dann bestand - rückblickend - nur für solche Zeiträume keine Famili-enversicherung, zu deren Beginn - gegebenenfalls anhand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt würden. Nach dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2005 vom 20. Januar 2007 hat die Ehefrau des Klägers, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist, Einkünfte in Höhe von 71.107 EUR aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Unabhängig davon, ob die negativen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung (9.111,00 EUR) vom Einkommen abzurechnen sind (dann: 61.996 EUR), überschreitet ihr Einkommen sowohl die Jahresarbeitsent-geltgrenze 2005 in Höhe von 46.800 EUR, als auch die Jahresarbeitsentgeltgrenze für das Jahr 2007 in Höhe von 47.700 EUR sowie die monatlichen Entgeltgrenzen in Höhe von 3.900 EUR (2005) und 3.975 EUR 5 (2007). Hätte der Beklagten der Einkommenssteuerbescheid vom 20. Januar 2007 im Januar 2007 vorgelegen, hätte sie in vorausschauender Betrachtungsweise eine Prognose dahingehend treffen können, dass die Voraussetzungen für eine Familienversi-cherung nicht mehr vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Az.: B 10 KR 3/99 R, nach juris).
Der Ausschluss von der Familienversicherung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, ins-besondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ((GG), vgl. BSG, Urteil vom 27. August 2004 - Az. B 12 KR 36/03, nach juris).
4) Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 eine Aufhebung der Familienver-sicherung des Beigeladenen für die Zukunft, das heißt für die Zeit nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes am 27. Oktober 2008, ausgesprochen hat, liegen die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 SGB X vor. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnis-sen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine we-sentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1).
In den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2005 zu Grunde lagen, ist insoweit eine wesentliche Änderung eingetreten, als die Beklagte aufgrund der Nichtvorlage des Einkommenssteuerbescheides durch den Kläger zu 1 davon ausgegangen ist, dass ein Nachweis dafür, dass der Beigeladene die Voraussetzungen für eine kostenfreie Familienversicherung erfüllt, nicht mehr vorliegt. Diese Tatsachen teilte sie dem Kläger zu 1 auch mit Bescheid vom 23. Oktober 2008 mit, so dass der Senat davon ausgeht, dass die auch insoweit fehlende Anhörung wirksam nachgeholt wurde. Weitere Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides vom 8. Juni 2005 für die Zukunft bestehen nicht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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FST
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