Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 16 KR 2943/07
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 862/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 1. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 bei der Beigeladenen zu 1. versicherungspflichtig beschäftigt war.
Der 1981 geborene Kläger war vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 Mitglied der T. Betriebskrankenkasse, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagte). Die Beigeladene zu 1. ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Vater des Klägers ist. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Tischlerei sowie die damit üblicherweise verbundenen Handelsgeschäfte.
Am 18. Juli 2001 schlossen die Beigeladene zu 1. und der Kläger einen "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft". Danach ist der Kläger mit einem Betrag von 50.000 DM an der Beigeladenen zu 1. beteiligt. Nach § 2 Satz 2 des Vertrages sei die stille Beteiligung steuerlich als Mitunternehmerschaft zu behandeln. Zur Geschäftsführung und Vertretung ist nach § 5 Abs. 1 des Vertrages nur der Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. berechtigt; die Kontrollrechte des § 233 des Handelsgesetzbuches (HGB) stehen dem Kläger nach § 5 Abs. 2 des Vertrages in vollem Umfang zu. Am Gewinn und Verlust und an den stillen Reserven ist er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages mit einem Anteil von 30 vom Hundert (v.H.) beteiligt. In einem Nachtrag vom 1. August 2001 wurde vereinbart, dass der "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" erst zum 1. August 2002 in Kraft treten soll.
Die Beigeladene zu 1. stellte den Kläger ab 1. Juni 2001 als Tischler ein. Sie schlossen am 30. Mai 2001 einen schriftlichen "Arbeitsvertrag". Der Kläger sollte als "vollbeschäftigter Arbeitnehmer" tätig sein. Die "Probe- bzw. Anlernzeit" betrage sechs Monate Der Bruttostundenlohn betrug zunächst 15 DM mit Überstundenzuschlag. Der Kläger hatte Anspruch auf 24 Tage Erholungsurlaub, für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sollten die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Nebenabreden wurden ausdrücklich nicht getroffen. Änderungen des Vertrages bedürften der Schriftform. Zum 1. Juli 2001 wurde der Bruttostundenlohn auf 16 DM erhöht. Zum 1. September 2002 und zum 1. Dezember 2004 erfolgte eine Erhöhung der zugunsten des Klägers durch die Beigeladene zu 1. abgeschlossenen Direktversicherung. Mit "Änderungs-Arbeitsvertrag" vom 1. Mai 2005 wurde der Kläger als Tischlermeister eingestellt (§ 1 Abs. 1). Die tägliche Arbeitszeit betrage 8,75 Stunden (§ 1 Abs. 2), das Bruttomonatsgehalt belief sich auf 2.200 EUR (§ 4 Abs. 1). Im Gehalt seien 1,25 Überstunden/Tag eingerechnet, darüber hinaus würden sie mit 13 EUR/Stunde entlohnt oder auf einem Zeitkonto angespart.
Dem Kläger und seiner Schwester wurde am 13. April 2006 durch die Eltern eine notarielle Generalvollmacht erteilt. Die Vertretung sollte insbesondere in persönlichen Angelegenheiten wie der Entscheidung über die häusliche Pflege und die Einwilligung in ärztliche Behandlung erfolgen. Der Widerruf der Vollmacht wurde nicht ausgeschlossen.
Mit Schreiben vom 21. August 2006 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Zwar habe zu Beginn ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestanden, das tatsächliche Arbeitsgebiet habe sich aber in den letzten Jahren erheblich verändert und erweitert. Er habe allein und eigenverantwortlich entschieden, was die Arbeitsvorbereitung, die Arbeitsplanung, das Bestellen von Rohmaterial bei Zulieferern, Projektkalkulationen sowie die Produktionsleitung betrifft. In diesen Betriebssegmenten habe er alles alleinverantwortlich und gleichberechtigt neben seinem Vater entschieden. Er legte eine schriftliche Bestätigung seines Vaters vom 21. August 2006 vor, in welcher dieser angab, dass sein Sohn in seiner Tätigkeit "in der Praxis" nicht dem Direktionsrecht der Gesellschafterversammlung unterliege. Da dieser über die Branchen- und Marktkenntnisse "zur teilweisen Führung" der Beigeladenen zu 1. verfüge, habe er maßgeblich die Unternehmensrichtung vorgegeben. Zu keinem Zeitpunkt habe es Einzelweisungen gegeben oder sei es zu Beschlüssen der Gesellschafterversammlung gekommen.
Die Beklagte lehnte im Rahmen einer versicherungsrechtlichen Beurteilung vom 23. Mai 2007 eine Einstufung des Klägers als Selbständigen ab; dieser sei als Beschäftigter in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. November 2007).
Im Klageverfahren hat der Kläger einen Prüfbericht des Finanzamts G. vom 27. November 2006 vorgelegt. Dort kommen die Prüfer zum Ergebnis, dass der an den Kläger gezahlte Lohn eine steuerliche Vorwegvergütung der atypischen stillen Gesellschaft und keine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darstellt. Der Kläger hat u.a. seine Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2005 vorgelegt, in denen keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ausgewiesen sind.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Juni 2010 abgewiesen. Es seien hier die unbefristeten Arbeitsverträge zu berücksichtigen, das Bestehen einer stillen Gesellschaft ändere hieran nichts. Der Kläger habe rechtlich keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Gesellschaft. Aufgrund dieser Umstände sei das Ergebnis des Prüfberichts nicht nachvollziehbar.
Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend, dass er sowohl an Gewinnen als auch an Verlusten unmittelbar beteiligt sei, er müsse daher als Mitunternehmer eingestuft werden. Dies habe die Finanzverwaltung entsprechend festgestellt. Daran müsse sich der Staat festhalten lassen, er könne ihn nicht einmal als selbständig und einmal als Angestellten behandeln und sich so das einkommengenerierendste Szenario aussuchen. Er beruft sich darüber hinaus auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. November 2009 - L 1 KR 222/07, die eine Ehegatteninnengesellschaft zum Gegenstand hatte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 1. Juni 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2007 aufzuheben und festzustellen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1. März 2003 bis zum 30. November 2007 nicht der Versicherungspflicht der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus abhängiger Beschäftigung unterlag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist es unerheblich, dass der Kläger seinen Arbeitsablauf selbständig bestimmen konnte. Gerade bei Arbeiten unter Familienangehörigen oder bei Diensten höherer Art sei die Abhängigkeit weniger stark ausgeprägt.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 17. Juni 2003 einen Erörterungstermin durchgeführt. Zum Inhalt wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 145 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte und die Vorinstanz haben den Kläger zu Recht in der Zeit vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 als Beschäftigten eingestuft. Er war damit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie in der sozialen Pflegeversicherung.
Die Beklagte entscheidet nach § 28h Abs. 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) als Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Versicherungspflichtig sind in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und seit dem 1. Januar 1995 in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen.
Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2011 - B 12 R 17/09 R, nach juris). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Untergeordnete und einfache Arbeiten sprechen eher für eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch eigenes Unternehmerrisiko, Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 - B 12 KR 10/09 R, nach juris). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist im streitigen Zeitraum von einer Beschäftigung auszugehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Frage der Einstufung als Selbständiger oder Beschäftigter zunächst auf das Vertragsverhältnis der Beteiligten abzustellen, wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer erlebten Beziehung erschließen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 16). Die in diesem Sinne rechtlich relevanten Vertragsbeziehungen des Kläger und der Beigeladenen zu 1. bestimmen sich im streitigen Zeitraum nach dem "Arbeitsvertrag" vom 30. Mai 2001, dem "Änderungs-Arbeitsvertrag" vom 1. Mai 2005 und dem "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" vom 18. Juli 2001 in Verbindung mit der Nachtragsvereinbarung vom 1. August 2001. Darüber hinaus ist die dem Kläger erteilte Generalvollmacht zu berücksichtigen.
Das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. erlaubt unter Zugrundelegung des "Arbeitsvertrages" vom 30. Mai 2001 und des "Änderungs-Arbeitsvertrages" vom 1. Mai 2005 eine uneingeschränkte Zuordnung zum Typus der abhängigen entgeltlichen Beschäftigung. Beide Verträge werden als Arbeitsverträge bezeichnet, der Kläger sollte ausdrücklich als vollbeschäftigter Arbeitnehmer tätig werden. Es findet sich im ersten Vertrag eine für Beschäftigte typische Probezeit. Der Kläger hat Anspruch auf einen festen Stunden- bzw. Monatslohn mit Überstundenvergütung. Er kann Arbeitnehmerrechte wie Erholungsurlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wahrnehmen. Auch die für den Kläger abgeschlossene und für Arbeitnehmer typische Direktversicherung spricht für eine Beschäftigung. Dass der Kläger in weiten Teilen selbständig agieren konnte, spricht nicht gegen die Einstufung als abhängig Beschäftigter, dies ist gerade bei Diensten höhere Art nicht selten der Fall.
Es fehlt an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die entsprechenden Willenserklärungen rechtlich nicht ernst gemeint (§ 118 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB) abgegeben worden wären. Eine formlose Abbedingung der Arbeitsverträge ist nach dem ausdrücklich bekundeten Willen der Vertragsparteien ausgeschlossen, da keine Nebenabreden getroffen wurden und Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen.
An der Eigenschaft des Klägers als abhängig Beschäftigter ändert sich auch nichts durch den "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" vom 18. Juli 2001 in Verbindung mit der Nachtragsvereinbarung vom 1. August 2001. Anders als in der vom Kläger angesprochenen Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. November 2009 - L 1 KR 222/07 bestand nicht lediglich eine konkludent geschlossene Innengesellschaft, vielmehr wurde ausdrücklich eine gesondert geregelte stille Gesellschaft gegründet.
Die - gesetzlich nicht definierte und nur rudimentär geregelte - stille Gesellschaft ist (Personen-)Gesellschaft im Sinne von § 705 BGB und bildet als klassischer Fall einer Innengesellschaft als solche weder ein Gesellschaftsvermögen, noch ist sie rechtsfähig/parteifähig, noch kann sie vertreten werden (vgl. Schmidt in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 3, München 2007, § 230 Rn. 7, 8). In rechtlicher Hinsicht tritt allein der Geschäftsinhaber als Träger des Unternehmens in Erscheinung, sodass eine Außenhaftung der stillen Gesellschafter ausgeschlossen ist (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn. 13). Als Innengesellschaft ist die (typische) stille Gesellschaft in erster Linie Schuldverhältnis mit dem Einlageverhältnis als zentralem vermögensrechtlichen Aspekt (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn. 17). Die Gesellschaft kann aber auch als "GmbH & St." nach dem Modell der Kommanditgesellschaft (KG) ausgestaltet sein, wobei vielfältige "atypische" gesellschaftsrechtliche Gestaltungen denkbar sind. Diese können - jeweils unter Wahrung der Mindestvoraussetzungen der stillen Gesellschaft - im Innenverhältnis zu einer den Handelsgesellschaften angenäherten Organisation führen und insofern sogar die Rollenverteilung zwischen dem "Stillen" und dem Geschäftsinhaber umkehren (vgl. Schmidt, aaO, Rn. 73, 77). In diesem Fall erscheint es zumindest denkbar, den "Stillen" als Selbständigen anzusehen. Eine solche atypische stille Gesellschaft liegt hier aber gerade nicht vor. Der Kläger hat keine Geschäftsführungsbefugnisse, weder bei der Beigeladenen zu 1. noch im Innenverhältnis der GmbH & St ... Der Vertrag weist in § 5 Abs. 1 ausschließlich dem Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. die Geschäftsführung zu. Der Kläger hat keine interne Rechtsmacht, er kann weder an Stelle der Beigeladenen zu 1. tätig werden, noch kann er deren Entscheidungen verhindern. Es bleibt allein dem Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1 - dem Vater des Klägers - vorbehalten, Art und Umfang der Tätigkeit zu bestimmen. Daran ändert auch die dem Kläger erteilte Generalvollmacht nichts, da sie jederzeit widerrufen werden kann. Auch die vereinbarte Gewinn- und Verlustbeteiligung gibt keinen Anlass, allein deshalb eine aufgrund des Gesamtbildes unzweifelhafte Beschäftigung in Zweifel zu ziehen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 28).
Der Annahme von Sozialversicherungspflicht bei dem Kläger steht die einkommenssteuerrechtliche Betrachtungsweise nicht entgegen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbsatz 1 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb die Gewinnanteile einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG), einer KG und einer anderen Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer anzusehen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) ist eine andere Gesellschaft im Sinne dieser Vorschrift auch die atypisch stille Gesellschaft, d.h. eine stille Gesellschaft, bei der der stille Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist (vgl. BFH, Urteil vom 15. Dezember 1998 - VIII R 62/97, nach juris). Selbst wenn - wovon das Finanzamt G. wohl ausgeht - die Einnahmen des Klägers als Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesehen werden müssen, ergeben sich hieraus für das Sozialversicherungsrecht keine weiter gehenden Schlussfolgerungen. Abgesehen davon, dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich unabhängig von der Entscheidung der Finanzbehörden zu treffen ist, handelt es sich nämlich bei § 15 Nr. 2 EStG um eine allein durch Besonderheiten des dortigen Regelungsgegenstandes bedingte und auf sonstige Rechtsgebiete nicht übertragbare Sonderregelung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 30). Hierbei kann es - wie im Fall des Klägers - steuerrechtlich zu einer anderen Bewertung kommen als in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. Diese "Durchbrechung der Einheit der Rechtsordnung" verstößt aber nicht gegen das Grundgesetz (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 30 unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. Juli 1969 - 1 BvR 457/66).
Die Vereinbarungen weichen letztlich auch nicht von den tatsächlichen Verhältnissen mit der Folge ab, dass letzteren der Vorrang einzuräumen wäre. Nach der Rechtsprechung des BSG geben zwar beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R, nach juris Rn. 27). Jedoch hat es diese Aussage nachfolgend präzisiert: Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 21/06 R, nach juris Rn. 17). Im Hinblick auf die Rechtsbeziehung ist die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen gehört also unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 16). Unter Beachtung dieser Grundsätze sind die in der Bestätigung des Vaters des Klägers vom 21. August 2006 vorgebrachten Umstände ohne Bedeutung. Zwar mag es sein, dass bisher keine Einzelanweisungen oder Gesellschafterbeschlüsse erforderlich waren, dass also die Beigeladene zu 1. bisher von ihren Direktionsrecht keinen Gebrauch machen musste. Der bloße Nichtgebrauch ist jedoch unbeachtlich, solange die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen wurde. Das ist hier nicht der Fall. Letztlich ist entscheidend, dass der Kläger auch aufgrund der tatsächlich praktizierten Verhältnisse nicht die für eine selbständige Tätigkeit sprechende Rechtsmacht hatte. Er hatte weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit, wie ein beherrschender oder zumindest mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 25).
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung einiger Senate des BSG - überwiegend zu Leistungsansprüchen des Arbeitsförderungs- und Unfallversicherungsrechts -, wonach auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet wurde, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 31 mit weiteren Nachweisen). So hat der 11. Senat des BSG eine selbstständige Tätigkeit sogar im Fall eines - nicht an der GmbH beteiligten und nicht zum Geschäftsführer bestellten - Sohnes eines Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers für möglich gehalten, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1990 - 11 RAr 47/88, nach juris Rn. 21). So liegt der Fall hier aber nicht. Der Kläger war nur für Teilbereiche zuständig und konnte im Übrigen die Geschäfte nicht wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führen. Im Übrigen ist der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse größere Bedeutung beizumessen ist. Entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer formal vorliegenden (abhängigen) Beschäftigung ist auch im Zusammenhang mit Familiengesellschaften die Möglichkeit, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw. Dienstberechtigten abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde. Eine solche "SchönwetterSelbstständigkeit" ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 bei der Beigeladenen zu 1. versicherungspflichtig beschäftigt war.
Der 1981 geborene Kläger war vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 Mitglied der T. Betriebskrankenkasse, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (nachfolgend einheitlich: Beklagte). Die Beigeladene zu 1. ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Vater des Klägers ist. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Tischlerei sowie die damit üblicherweise verbundenen Handelsgeschäfte.
Am 18. Juli 2001 schlossen die Beigeladene zu 1. und der Kläger einen "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft". Danach ist der Kläger mit einem Betrag von 50.000 DM an der Beigeladenen zu 1. beteiligt. Nach § 2 Satz 2 des Vertrages sei die stille Beteiligung steuerlich als Mitunternehmerschaft zu behandeln. Zur Geschäftsführung und Vertretung ist nach § 5 Abs. 1 des Vertrages nur der Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. berechtigt; die Kontrollrechte des § 233 des Handelsgesetzbuches (HGB) stehen dem Kläger nach § 5 Abs. 2 des Vertrages in vollem Umfang zu. Am Gewinn und Verlust und an den stillen Reserven ist er nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages mit einem Anteil von 30 vom Hundert (v.H.) beteiligt. In einem Nachtrag vom 1. August 2001 wurde vereinbart, dass der "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" erst zum 1. August 2002 in Kraft treten soll.
Die Beigeladene zu 1. stellte den Kläger ab 1. Juni 2001 als Tischler ein. Sie schlossen am 30. Mai 2001 einen schriftlichen "Arbeitsvertrag". Der Kläger sollte als "vollbeschäftigter Arbeitnehmer" tätig sein. Die "Probe- bzw. Anlernzeit" betrage sechs Monate Der Bruttostundenlohn betrug zunächst 15 DM mit Überstundenzuschlag. Der Kläger hatte Anspruch auf 24 Tage Erholungsurlaub, für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sollten die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Nebenabreden wurden ausdrücklich nicht getroffen. Änderungen des Vertrages bedürften der Schriftform. Zum 1. Juli 2001 wurde der Bruttostundenlohn auf 16 DM erhöht. Zum 1. September 2002 und zum 1. Dezember 2004 erfolgte eine Erhöhung der zugunsten des Klägers durch die Beigeladene zu 1. abgeschlossenen Direktversicherung. Mit "Änderungs-Arbeitsvertrag" vom 1. Mai 2005 wurde der Kläger als Tischlermeister eingestellt (§ 1 Abs. 1). Die tägliche Arbeitszeit betrage 8,75 Stunden (§ 1 Abs. 2), das Bruttomonatsgehalt belief sich auf 2.200 EUR (§ 4 Abs. 1). Im Gehalt seien 1,25 Überstunden/Tag eingerechnet, darüber hinaus würden sie mit 13 EUR/Stunde entlohnt oder auf einem Zeitkonto angespart.
Dem Kläger und seiner Schwester wurde am 13. April 2006 durch die Eltern eine notarielle Generalvollmacht erteilt. Die Vertretung sollte insbesondere in persönlichen Angelegenheiten wie der Entscheidung über die häusliche Pflege und die Einwilligung in ärztliche Behandlung erfolgen. Der Widerruf der Vollmacht wurde nicht ausgeschlossen.
Mit Schreiben vom 21. August 2006 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Zwar habe zu Beginn ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestanden, das tatsächliche Arbeitsgebiet habe sich aber in den letzten Jahren erheblich verändert und erweitert. Er habe allein und eigenverantwortlich entschieden, was die Arbeitsvorbereitung, die Arbeitsplanung, das Bestellen von Rohmaterial bei Zulieferern, Projektkalkulationen sowie die Produktionsleitung betrifft. In diesen Betriebssegmenten habe er alles alleinverantwortlich und gleichberechtigt neben seinem Vater entschieden. Er legte eine schriftliche Bestätigung seines Vaters vom 21. August 2006 vor, in welcher dieser angab, dass sein Sohn in seiner Tätigkeit "in der Praxis" nicht dem Direktionsrecht der Gesellschafterversammlung unterliege. Da dieser über die Branchen- und Marktkenntnisse "zur teilweisen Führung" der Beigeladenen zu 1. verfüge, habe er maßgeblich die Unternehmensrichtung vorgegeben. Zu keinem Zeitpunkt habe es Einzelweisungen gegeben oder sei es zu Beschlüssen der Gesellschafterversammlung gekommen.
Die Beklagte lehnte im Rahmen einer versicherungsrechtlichen Beurteilung vom 23. Mai 2007 eine Einstufung des Klägers als Selbständigen ab; dieser sei als Beschäftigter in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. November 2007).
Im Klageverfahren hat der Kläger einen Prüfbericht des Finanzamts G. vom 27. November 2006 vorgelegt. Dort kommen die Prüfer zum Ergebnis, dass der an den Kläger gezahlte Lohn eine steuerliche Vorwegvergütung der atypischen stillen Gesellschaft und keine Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darstellt. Der Kläger hat u.a. seine Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2005 vorgelegt, in denen keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ausgewiesen sind.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Juni 2010 abgewiesen. Es seien hier die unbefristeten Arbeitsverträge zu berücksichtigen, das Bestehen einer stillen Gesellschaft ändere hieran nichts. Der Kläger habe rechtlich keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Gesellschaft. Aufgrund dieser Umstände sei das Ergebnis des Prüfberichts nicht nachvollziehbar.
Im Berufungsverfahren macht der Kläger geltend, dass er sowohl an Gewinnen als auch an Verlusten unmittelbar beteiligt sei, er müsse daher als Mitunternehmer eingestuft werden. Dies habe die Finanzverwaltung entsprechend festgestellt. Daran müsse sich der Staat festhalten lassen, er könne ihn nicht einmal als selbständig und einmal als Angestellten behandeln und sich so das einkommengenerierendste Szenario aussuchen. Er beruft sich darüber hinaus auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. November 2009 - L 1 KR 222/07, die eine Ehegatteninnengesellschaft zum Gegenstand hatte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 1. Juni 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. November 2007 aufzuheben und festzustellen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1. März 2003 bis zum 30. November 2007 nicht der Versicherungspflicht der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus abhängiger Beschäftigung unterlag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist es unerheblich, dass der Kläger seinen Arbeitsablauf selbständig bestimmen konnte. Gerade bei Arbeiten unter Familienangehörigen oder bei Diensten höherer Art sei die Abhängigkeit weniger stark ausgeprägt.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 17. Juni 2003 einen Erörterungstermin durchgeführt. Zum Inhalt wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 145 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte und die Vorinstanz haben den Kläger zu Recht in der Zeit vom 1. März 2003 bis 30. November 2007 als Beschäftigten eingestuft. Er war damit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie in der sozialen Pflegeversicherung.
Die Beklagte entscheidet nach § 28h Abs. 2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) als Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Versicherungspflichtig sind in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und seit dem 1. Januar 1995 in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen.
Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2011 - B 12 R 17/09 R, nach juris). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Untergeordnete und einfache Arbeiten sprechen eher für eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Eine selbstständige Tätigkeit ist vornehmlich durch eigenes Unternehmerrisiko, Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juli 2011 - B 12 KR 10/09 R, nach juris). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist im streitigen Zeitraum von einer Beschäftigung auszugehen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die Frage der Einstufung als Selbständiger oder Beschäftigter zunächst auf das Vertragsverhältnis der Beteiligten abzustellen, wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer erlebten Beziehung erschließen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 16). Die in diesem Sinne rechtlich relevanten Vertragsbeziehungen des Kläger und der Beigeladenen zu 1. bestimmen sich im streitigen Zeitraum nach dem "Arbeitsvertrag" vom 30. Mai 2001, dem "Änderungs-Arbeitsvertrag" vom 1. Mai 2005 und dem "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" vom 18. Juli 2001 in Verbindung mit der Nachtragsvereinbarung vom 1. August 2001. Darüber hinaus ist die dem Kläger erteilte Generalvollmacht zu berücksichtigen.
Das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. erlaubt unter Zugrundelegung des "Arbeitsvertrages" vom 30. Mai 2001 und des "Änderungs-Arbeitsvertrages" vom 1. Mai 2005 eine uneingeschränkte Zuordnung zum Typus der abhängigen entgeltlichen Beschäftigung. Beide Verträge werden als Arbeitsverträge bezeichnet, der Kläger sollte ausdrücklich als vollbeschäftigter Arbeitnehmer tätig werden. Es findet sich im ersten Vertrag eine für Beschäftigte typische Probezeit. Der Kläger hat Anspruch auf einen festen Stunden- bzw. Monatslohn mit Überstundenvergütung. Er kann Arbeitnehmerrechte wie Erholungsurlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wahrnehmen. Auch die für den Kläger abgeschlossene und für Arbeitnehmer typische Direktversicherung spricht für eine Beschäftigung. Dass der Kläger in weiten Teilen selbständig agieren konnte, spricht nicht gegen die Einstufung als abhängig Beschäftigter, dies ist gerade bei Diensten höhere Art nicht selten der Fall.
Es fehlt an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die entsprechenden Willenserklärungen rechtlich nicht ernst gemeint (§ 118 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) oder unter den rechtlichen Voraussetzungen eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB) abgegeben worden wären. Eine formlose Abbedingung der Arbeitsverträge ist nach dem ausdrücklich bekundeten Willen der Vertragsparteien ausgeschlossen, da keine Nebenabreden getroffen wurden und Vertragsänderungen der Schriftform bedürfen.
An der Eigenschaft des Klägers als abhängig Beschäftigter ändert sich auch nichts durch den "Vertrag über die Einrichtung einer stillen Gesellschaft" vom 18. Juli 2001 in Verbindung mit der Nachtragsvereinbarung vom 1. August 2001. Anders als in der vom Kläger angesprochenen Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. November 2009 - L 1 KR 222/07 bestand nicht lediglich eine konkludent geschlossene Innengesellschaft, vielmehr wurde ausdrücklich eine gesondert geregelte stille Gesellschaft gegründet.
Die - gesetzlich nicht definierte und nur rudimentär geregelte - stille Gesellschaft ist (Personen-)Gesellschaft im Sinne von § 705 BGB und bildet als klassischer Fall einer Innengesellschaft als solche weder ein Gesellschaftsvermögen, noch ist sie rechtsfähig/parteifähig, noch kann sie vertreten werden (vgl. Schmidt in Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Band 3, München 2007, § 230 Rn. 7, 8). In rechtlicher Hinsicht tritt allein der Geschäftsinhaber als Träger des Unternehmens in Erscheinung, sodass eine Außenhaftung der stillen Gesellschafter ausgeschlossen ist (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn. 13). Als Innengesellschaft ist die (typische) stille Gesellschaft in erster Linie Schuldverhältnis mit dem Einlageverhältnis als zentralem vermögensrechtlichen Aspekt (vgl. Schmidt, a.a.O., Rn. 17). Die Gesellschaft kann aber auch als "GmbH & St." nach dem Modell der Kommanditgesellschaft (KG) ausgestaltet sein, wobei vielfältige "atypische" gesellschaftsrechtliche Gestaltungen denkbar sind. Diese können - jeweils unter Wahrung der Mindestvoraussetzungen der stillen Gesellschaft - im Innenverhältnis zu einer den Handelsgesellschaften angenäherten Organisation führen und insofern sogar die Rollenverteilung zwischen dem "Stillen" und dem Geschäftsinhaber umkehren (vgl. Schmidt, aaO, Rn. 73, 77). In diesem Fall erscheint es zumindest denkbar, den "Stillen" als Selbständigen anzusehen. Eine solche atypische stille Gesellschaft liegt hier aber gerade nicht vor. Der Kläger hat keine Geschäftsführungsbefugnisse, weder bei der Beigeladenen zu 1. noch im Innenverhältnis der GmbH & St ... Der Vertrag weist in § 5 Abs. 1 ausschließlich dem Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. die Geschäftsführung zu. Der Kläger hat keine interne Rechtsmacht, er kann weder an Stelle der Beigeladenen zu 1. tätig werden, noch kann er deren Entscheidungen verhindern. Es bleibt allein dem Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1 - dem Vater des Klägers - vorbehalten, Art und Umfang der Tätigkeit zu bestimmen. Daran ändert auch die dem Kläger erteilte Generalvollmacht nichts, da sie jederzeit widerrufen werden kann. Auch die vereinbarte Gewinn- und Verlustbeteiligung gibt keinen Anlass, allein deshalb eine aufgrund des Gesamtbildes unzweifelhafte Beschäftigung in Zweifel zu ziehen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 28).
Der Annahme von Sozialversicherungspflicht bei dem Kläger steht die einkommenssteuerrechtliche Betrachtungsweise nicht entgegen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Halbsatz 1 des Einkommenssteuergesetzes (EStG) sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb die Gewinnanteile einer Offenen Handelsgesellschaft (OHG), einer KG und einer anderen Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer anzusehen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) ist eine andere Gesellschaft im Sinne dieser Vorschrift auch die atypisch stille Gesellschaft, d.h. eine stille Gesellschaft, bei der der stille Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist (vgl. BFH, Urteil vom 15. Dezember 1998 - VIII R 62/97, nach juris). Selbst wenn - wovon das Finanzamt G. wohl ausgeht - die Einnahmen des Klägers als Einkünfte aus Gewerbebetrieb angesehen werden müssen, ergeben sich hieraus für das Sozialversicherungsrecht keine weiter gehenden Schlussfolgerungen. Abgesehen davon, dass die sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich unabhängig von der Entscheidung der Finanzbehörden zu treffen ist, handelt es sich nämlich bei § 15 Nr. 2 EStG um eine allein durch Besonderheiten des dortigen Regelungsgegenstandes bedingte und auf sonstige Rechtsgebiete nicht übertragbare Sonderregelung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 30). Hierbei kann es - wie im Fall des Klägers - steuerrechtlich zu einer anderen Bewertung kommen als in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. Diese "Durchbrechung der Einheit der Rechtsordnung" verstößt aber nicht gegen das Grundgesetz (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, nach juris Rn. 30 unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 15. Juli 1969 - 1 BvR 457/66).
Die Vereinbarungen weichen letztlich auch nicht von den tatsächlichen Verhältnissen mit der Folge ab, dass letzteren der Vorrang einzuräumen wäre. Nach der Rechtsprechung des BSG geben zwar beim Abweichen der Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen letztere den Ausschlag (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R, nach juris Rn. 27). Jedoch hat es diese Aussage nachfolgend präzisiert: Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 21/06 R, nach juris Rn. 17). Im Hinblick auf die Rechtsbeziehung ist die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen gehört also unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 16). Unter Beachtung dieser Grundsätze sind die in der Bestätigung des Vaters des Klägers vom 21. August 2006 vorgebrachten Umstände ohne Bedeutung. Zwar mag es sein, dass bisher keine Einzelanweisungen oder Gesellschafterbeschlüsse erforderlich waren, dass also die Beigeladene zu 1. bisher von ihren Direktionsrecht keinen Gebrauch machen musste. Der bloße Nichtgebrauch ist jedoch unbeachtlich, solange die Rechtsposition nicht wirksam abbedungen wurde. Das ist hier nicht der Fall. Letztlich ist entscheidend, dass der Kläger auch aufgrund der tatsächlich praktizierten Verhältnisse nicht die für eine selbständige Tätigkeit sprechende Rechtsmacht hatte. Er hatte weder rechtlich noch tatsächlich die Möglichkeit, wie ein beherrschender oder zumindest mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 25).
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung einiger Senate des BSG - überwiegend zu Leistungsansprüchen des Arbeitsförderungs- und Unfallversicherungsrechts -, wonach auch für den Fall, dass der Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügte, eine selbstständige Tätigkeit des Betroffenen für möglich erachtet wurde, wenn dessen Tätigwerden innerhalb einer Gesellschaft durch eine besondere Rücksichtnahme aufgrund familiärer Bindungen geprägt war (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 31 mit weiteren Nachweisen). So hat der 11. Senat des BSG eine selbstständige Tätigkeit sogar im Fall eines - nicht an der GmbH beteiligten und nicht zum Geschäftsführer bestellten - Sohnes eines Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers für möglich gehalten, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 1990 - 11 RAr 47/88, nach juris Rn. 21). So liegt der Fall hier aber nicht. Der Kläger war nur für Teilbereiche zuständig und konnte im Übrigen die Geschäfte nicht wie ein Alleininhaber nach eigenem Gutdünken führen. Im Übrigen ist der aus gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben entspringenden Rechtsmacht als Teil der tatsächlichen Verhältnisse größere Bedeutung beizumessen ist. Entscheidender Gesichtspunkt für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit anstelle einer formal vorliegenden (abhängigen) Beschäftigung ist auch im Zusammenhang mit Familiengesellschaften die Möglichkeit, unliebsame Weisungen des Arbeitgebers bzw. Dienstberechtigten abzuwenden. Dies mag aufgrund familiärer Rücksichtnahme solange der Fall sein, wie das Einvernehmen der Familienmitglieder gewahrt bleibt. Im Falle eines familiären Zerwürfnisses zwischen den Beteiligten käme jedoch allein die den einzelnen Familienmitgliedern zustehende Rechtsmacht zum Tragen, sodass auch nach den gelebten tatsächlichen Verhältnissen eine Weisungsunterworfenheit bestünde. Eine solche "SchönwetterSelbstständigkeit" ist mit Blick auf das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände schwerlich hinnehmbar (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 32).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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