L 6 KR 780/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 687/08
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 780/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 7. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für insgesamt 4 intravitreale Injektionen (IVI) mit Avastin® in Höhe von 1.577,12 EUR zu erstatten hat.

Bei der 1946 geborenen Klägerin wurde laut Arztbrief der Dr. R. (H. K. E. GmbH Klinik für Augenheilkunde) vom 22. August 2007 am rechten Auge die Verdachtsdiagnose auf juxtapapilläre chorioidale Neovaskularisationen (CNV) ohne altersbedingte Makuladegenera-tion (AMD) erhoben sowie u.a. ein deutliches subretinales Ödem bis unter die Fovea ziehend festgestellt.

Am 23. August 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine dreimalige IVI mit dem Wirkstoff Bevacizumab (Handelsname: Avastin®) in Höhe von 721,86 EUR unter Beifügung des Arztbriefes der Dr. R. vom 22. August 2007 und der Vereinbarung mit der H. K. E. GmbH über eine gewünschte Privatbehandlung "Injektion eines Medikamentes in den Glaskörper" als individuelle Gesundheitsleistung vom selben Tag. Bestätigt wurde das Vorliegen einer CNV ohne AMD. Die behandelnde Ärztin führte aus, erfolge keine Behandlung, drohe an dem betroffenen Auge der irreversible Verlust der zentralen Sehschärfe. Der korrigierte Visus betrage am rechten Auge 0,3, am linken Auge 1,0. Eine Injektions-Therapie mit Anti-VEGF sei indiziert, eine therapeutische Alternative bestehe nicht.

Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Thü-ringen e.V. (MDK) - Dr. W. - vom 3. September 2007 ein und lehnte mit Bescheid vom 4. September 2007 die Kostenübernahme ab.

Am 10. September 2007 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für eine IVI mit dem Wirkstoff Ranibizumab (Handelsname: Lucentis®) bei extrafovealer CNV am rechten Auge in Höhe von 5.709,78 EUR. Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK vom 13. Sep-tember 2007 - Dr. W. - ein. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, die medizinischen Voraussetzungen für die Injektion von Lucentis am rechten Auge lägen vor. Nach Hinweis der Beklagten, dass laut Bericht der H. K. E. GmbH vom 22. August 2007 bei der Klägerin keine AMD vorliege, führte Dr. W. in dem Gutachten des MDK vom 9. Oktober 2007 aus, bei den vorliegenden Läsionen sei eine Laserbehandlung therapeutischer Standard, d.h. die Klägerin sei aktuell nicht als austherapiert anzusehen.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme von IVI mit Lucentis® ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 13. November 2007 Widerspruch. Sie habe sich nunmehr am 22. Oktober 2007 im Rahmen einer Privatbehandlung das Medikament Avastin® injizieren lassen. Sie überreichte die Rechnung der Dr. G. vom 22. Oktober 2007 über 394,28 EUR. Weitere IVI mit Avastin® erfolgten im November 2007, Januar und Februar 2008. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die IVI von Medikamenten werde privat außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erbracht und sei damit den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zuzuordnen. Diese dürften nur dann in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden, wenn sie in ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizini-schen Erkenntnisse entsprechen. Die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Behand-lungsmethode sei grundsätzlich ausgeschlossen, solange sich der Gemeinsame Bundesaus-schuss (G-BA) zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode nicht geäu-ßert habe. Eine Empfehlung des G-BA liege für die IVI mit Avastin® nicht vor. Zudem seien die Arzneimittel Avastin® und Lucentis® für die vorliegende Erkrankung nicht zugelassen. Avastin® sei von der Europäischen Zulassungsbehörde nur zur Behandlung bestimmter For-men von Krebs freigegeben worden. Lucentis® sei zur Anwendung bei der feuchten AMD zugelassen, diese Erkrankungsform des Auges bestehe bei ihr jedoch nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die Krankenkassen grundsätzlich nicht leistungspflichtig, wenn Arzneimittel außerhalb des zugelassenen Anwendungsgebietes ein-gesetzt würden. Eine Kostenübernahme komme auch nicht ausnahmsweise in Betracht.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie sei erfolgreich mit dem Arzneimittel Avastin® behandelt worden und werde auch zukünftig hiermit behandelt. Praktiker seien sich darüber einig, dass dieses Arzneimittel auch für andere Erkrankungen geeignet sei. Ohne Be-handlung hätte ihr eine erhebliche Sehbeeinträchtigung bis zur Blindheit gedroht. Die Beklag-te hat darauf hingewiesen, dass Studien zur Wirksamkeit des Arzneimittels Avastin® bei der Behandlung von Netzhauterkrankungen nicht vorliegen und auch in Zukunft nicht erfolgten. Da der Bescheid vom 4. September 2007 keine unmittelbare Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe, gehe sie davon aus, dass sich der Klageantrag in zulässiger Weise auch auf die Kos-tenerstattung für Avastin® beziehe. Ein Anspruch bestehe allerdings auch nicht unter Berück-sichtigung der Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use. Auch unter verfassungsrechtli-chen Gesichtspunkten ergebe sich ein solcher Anspruch nicht, weil es sich bei einer juxta-fovealen CNV als Netzhauterkrankung am Punkt des schärfsten Sehens nicht um eine lebens-bedrohliche oder regelmäßig zum Tode führende Erkrankung handele. Insoweit komme es nicht darauf an, ob es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) handele. Sie hat den Bericht der sozialmedizini-schen Expertengruppe 6 "Arzneimittelversorgung" der MDK-Gemeinschaft "Inhibitoren der vaskulären endothelialen Wachstumsfaktoren bei der feuchten AMD unter besonderer Be-rücksichtigung von Bevacizumab (Avastin®) von November 2008 vorgelegt. Danach ist Avastin® in der Europäischen Union (EU) seit dem 12. Januar 2005 zur intravenösen An-wendung bei Tumorpatienten zugelassen. Eine Zulassung zur intravitrealen Injektion und zur Behandlung von Augenerkrankungen besteht nicht. Der Hersteller (R. P. AG) befürwortet eine intravitreale Injektion bei der Indikation AMD ausdrücklich nicht und lehnt eine Haftung hierfür ab. Es liegen zu dem Wirkstoff Bevacizumab (Avastin®) keine Phase-III-Studien, sondern lediglich vier kleine und mit Mängeln behaftete randomisierte und kontrollierte Stu-dien sowie kasuistische Beschreibungen vor. Das Sozialgericht (SG) hat einen Befundbericht der Dr. G. vom 31. Mai 2008 (Diagnose: intraretinale Blutung im maculo-papillären Bündel (rechtes Auge)) und der Dr. G. (Diagnose: juxtapapilläre CNV mit Maculablutung und Exsudation bei AMD (rechtes Auge)) eingeholt und Dr. W. und Dr. G. in der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2010 als Zeuginnen vernommen. Bezüglich deren Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7. Juni 2010 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 7. Juni 2010 hat das SG die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren vertritt die Klägerin die Ansicht, die Erkrankung an AMD, bei der es sich um eine schwere Erkrankung handele, sei unstreitig. Aufgrund der Ablehnung der IVI mit Lucentis® mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 sei ihr keine andere Wahl geblieben, als die IVI mit Avastin® durchführen zu lassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 7. Juni 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 4. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen ihr die entstandenen Kosten für die IVI mit Avastin® in Höhe von 1.577,12 EUR nebst 5 v.H. Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Gründe des Widerspruchsbescheids vom 11. Januar 2008 und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Hätte bei der Klägerin eine feuchte AMD vorgelegen, hätte das zugelassene Arzneimittel Lucentis® eingesetzt werden können. Lediglich eine Kostenübernahme für die IVI als solche hätte beantragt werden müs-sen, da es hierfür keine Gebühren im Einheitlichen Bewertungsmaßstab-Ärzte (EBM-Ä) gebe. Dies sei nicht erfolgt, stattdessen sei eine privatärztliche Behandlung mit Avastin® vereinbart worden. Stehe die CNV und das dadurch bedingte Makulaödem im rechten Auge nicht mit einer AMD in Zusammenhang, seien weder das Arzneimittel Avastin® noch Lucentis® zur Behandlung zugelassen.

Der Senat hat die Behandlungsunterlagen der K. E. GmbH Klinik für Augenheilkunde, einen Befundbericht der Dr. G. vom 15. Februar 2012 und eine Auskunft des Dr. B. vom 29. Feb-ruar 2012 beigezogen. Nach dem Arztbrief des Dr. W. - H. K. E. GmbH Klinik für Augen-heilkunde - vom 16. Februar 2007 hat sich die Klägerin an diesem Tag wegen eines kleinen Schattens auf dem rechten Auge vorgestellt. Als Diagnosen werden Zysten in der Netzhaut, Netzhautblutung, Epiretinale Gliose sowie ein Verdacht auf ein Grönblad-Strandberg-Syndrom genannt. Dr. B. erklärte, bei der Klägerin liege ein Grönblad-Strandberg-Syndrom vor, er halte die von Dr. G. gestellte Diagnose für falsch. Theoretisch sei die Entstehung einer AMD bis Oktober 2007 möglich, dies sei aber unwahrscheinlich.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der geheimen Beratung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ent-scheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I Seite 378) auf Erstattung der Kosten für die IVI mit Avastin® am rechten Auge in Höhe von 1.577,12 EUR.

Da die Behandlung der Klägerin mit Avastin® erfolgt ist und sie die Kostenübernahme für diese Behandlung begehrt, war ihr Antrag im Berufungsverfahren nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung dahingehend auszulegen, dass sie die Aufhebung des Bescheids vom 4. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Januar 2008 begehrt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 2. Juli 2009 - Az.: B 14 AS 75/08 R, nach juris). Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 wurde die Kostenübernahme für Lucentis® abgelehnt; die-ses Arzneimittel hat die Klägerin nicht in Anspruch genommen.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alter-native 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2) und sich der Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft.

Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbst be-schaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Kranken-kassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungsgrundsat-zes (§ 2 Abs. 2 SGB V) trägt § 13 Abs. 3 SGB V dem Umstand Rechnung, dass die gesetzli-chen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen müssen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und infolge-dessen für ein Versagen des Beschaffungssystems - sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels - einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht ist (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 10, 11 m.w.N). Hier fehlt es bereits an einem Naturalleistungsanspruch der Klägerin auf die IVI mit Avastin®. Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst neben der ärztli-chen Behandlung u.a. auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).

Die Voraussetzungen für eine Versorgung der Klägerin mit dem Arzneimittel Avastin® lagen nicht vor. Eine Versorgung der Klägerin nach den allgemeinen Grundsätzen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Avastin® mangels Arzneimittelzulassung für die Erkrankung der Klägerin nicht verordnungsfähig ist. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der GKV grundsätzlich ungeachtet weiterer Ein-schränkungen (vgl. §§ 31, 34 SGB V) nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarz-neimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V, § 12 Abs. 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - Az.: B 1 KR 25/11 R - Avastin, m.w.N., nach juris).

So liegt es hier. Das begehrte Fertigarzneimittel Avastin® ist zulassungspflichtig. Es ist weder in Deutschland noch EU-weit als Arzneimittel für die Indikation CNV oder für ein Indika-tionsgebiet zugelassen, das die genannte Erkrankung mit umfasst. Dies ist zwischen den Be-teiligten unstreitig und ergibt sich auch aus dem, dem Bericht der Sozialmedizinischen Exper-tengruppe 6 "Arzneimittelversorgung" der MDK-Gemeinschaft anliegenden Schreiben der R. P. AG vom 9. Juli 2008.

Die Klägerin konnte eine Versorgung mit Avastin® auch im Rahmen eines Off-Label-Use zur Behandlung ihrer CNV mit deutlichem subretinalen Ödem auf Kosten der GKV weder nach § 35c SGB V noch nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung beanspruchen. Die Klä-gerin hat die IVI mit Avastin® nicht im Rahmen einer klinischen Studie i.S.d. § 35c SGB V erhalten.

Die nach den allgemeinen vom BSG entwickelten Grundsätzen erforderlichen Voraussetzun-gen sind ebenfalls nicht erfüllt. Ein Off-Label-Use kommt danach nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie ver-fügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Ab-zustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 a.a.O.).

Hier fehlt es bereits an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht. Hiervon ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretba-ren Risiken belegen. Nach dem Bericht der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 "Arznei-mittelversorgung" der MDK-Gemeinschaft liegen solche abgeschlossenen, veröffentlichten Studien in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III mit Relevanz für die Erkrankung der Klägerin nicht vor.

Die Klägerin konnte Avastin® auch nicht nach den Grundsätzen einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung zu Lasten der Beklagten verlangen. Nach den vom 1. Senat des BSG auf-gestellten Grundsätzen, ist diese Rechtsfigur für Arzneimittel nur einschränkend anwendbar. Die Anwendung setzt voraus, dass Versicherte an einer Krankheit leiden, die mit einer le-bensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung wertungsmäßig ver-gleichbar ist. Hierzu zählt etwa der Fall einer drohenden Erblindung, nicht aber eine Krankheit unterhalb dieser Schwelle. So kann selbst zum Beispiel eine hochgradige Beeinträchtigung der Sehfähigkeit nicht mit einer Erblindung auf eine Stufe gestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 a.a.O., m.w.N.). An einer so weit gehenden Betroffenheit der Klägerin fehlt es. Eine wesentliche Visuseinschränkung bestand im Zeitraum der Durchführung der IVI alleine auf dem rechten Auge, während für das linke Auge im Bericht der H. K. E. GmbH Klinik für Augenheilkunde vom 22. August 2007 und im Antrag auf Kostenübernahme vom 5. September 2007 ein Visus von 1,0 bestätigt wurde. Dr. G. nannte in ihrem Befundbericht vom 31. Mai 2008 nur Diagnosen, das rechte Auge betreffend. Dr. G. nannte im Arztbrief vom 8. Juli 2008 für das linke Auge einen Visus von 0,90. Soweit sie im Befundbericht vom 15. Februar 2012 für das linke Auge einen partiellen Visus von 0,7 angibt, ist dieser daher nicht nachvollziehbar. Sollte bei der Klägerin entsprechend den Befunden der Dr. G. eine CNV mit feuchter AMD vorgelegen haben, würde es darüber hinaus daran fehlen, dass keine andere Therapie zur Verfügung stand. Für diese Indikation ist das Arzneimittel Lucentis® zugelassen. Ein Kostenantrag hätte lediglich wegen der fehlenden Abrechnungsmöglichkeit der ärztlichen Leistung nach EBM-Ä gestellt werden müssen.

Die Klägerin konnte Avastin® auch nach den Grundsätzen eines Seltenheitsfalles nicht bean-spruchen Ein Seltenheitsfall liegt vor, wenn sich eine Krankheit oder/und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung aufgrund ihrer Singularität entzieht und aus diesem Grund eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkasse in Betracht zu ziehen ist. Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht oder die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich geklärt sind, deren Kenntnis oder Verwirklichung eines der in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (vgl. hierzu ebenfalls BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 a.a.O.). Die Klägerin selbst trägt nicht vor, dass bei ihr eine seltene Erkrankung vorliegt. Die von Dr. G. diagnostizierte CNV bei feuchter AMD ist keine seltene Erkrankung in diesem Sinne. Zur Behandlung ist, wie bereits ausgeführt, u.a. Lucen-tis® zugelassen. Bei der von der H. K. E. GmbH Klinik für Augenheilkunde diagnostizierten CNV mit Makulaödem handelt es sich ebenfalls nicht um eine seltene Erkrankung, weil sich chorioidale Neovaskularisationen - eine pathologische Neubildung von Gefäßen bei degenera-tiven Erkrankungen z.B. der Makula - auch bei der feuchten (exsudativen) Makuladegenera-tion bilden. Ein Makulödem ist eine Schwellung der zentralen Netzhaut des menschlichen Auges in verschiedenen Ausprägungen (vgl. Pschyrembel, 259. Auflage 2002, Stichwort: Makulaödem). Soweit Dr. B. in seiner Auskunft vom 29. Februar 2012 mitteilt, bei der Kläge-rin liege ein Grönblad-Strandberg-Syndrom vor, ist dies aus den, den Anträgen auf Kosten-übernahme beigefügten Unterlagen der damals behandelnden Ärzte der Klägerin nicht er-sichtlich. Eine weitere Aufklärung ist insofern allerdings nicht erforderlich, weil Avastin® bei der Klägerin nicht zur Behandlung des Grönblad-Strandberg-Syndroms, sondern zur Behand-lung der diagnostizierten Augenerkrankung verabreicht wurde, bei der es sich - läge das Syn-drom vor - um ein Symptom handeln würde, bei dem es sich aber aus den bereits genannten Gründen keinesfalls um eine seltene Erkrankung im oben genannten Sinne handelt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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