L 1 KR 280/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 2605/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 280/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2012 wird geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger insgesamt 253,26 EUR nebst Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozent über dem Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 110,00 EUR seit dem 11. Oktober 2009, von 98,84 EUR seit dem 28. November 2007 und von 44,42 EUR seit dem 9. Januar 2008 und weitere 46,41 EUR an die Klägerin zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 3/4 und die Klägerin zu 1/4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, ein Krankentransportunternehmen, begehrt von der Beklagten die Vergütung verschiedener Krankentransporte.

Am 15. November 2007 beförderte die Klägerin die Versicherte der Beklagten H aufgrund einer Verordnung des behandelnden Arztes Dr. K vom 15. November 2007 von der Wohnung zur ambulanten Behandlung in die Arztpraxis und zurück. In der Verordnung der Krankenbeförderung hatte der Vertragsarzt das Kästchen "Dauerhafte Mobilitätseinschränkung (Merkzeichen "AG", "BI", "H" oder Pflegestufe 2 bzw. 3 vorgelegt)" angekreuzt. Das Beförderungsmittel Krankentransportwagen begründete er mit "Immobilität, Transfer nur mit Hilfe möglich". Es sei ein Tragestuhl erforderlich. Eine medizinisch-fachliche Betreuung sei nicht notwendig. Mit zwei Rechnungen vom 21. November 2007 forderte die Klägerin für die Fahrten jeweils 49,42 EUR. Mit Schreiben vom 26. November 2007 (Eingang 28. November 2007) lehnte die Beklagte die Begleichung dieser Rechnung mit der Begründung ab, das Fahrten im Zusammenhang mit einer ambulanten Behandlung der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse bedürften.

Am 19. Dezember 2007 beförderte die Klägerin den Versicherten der Beklagten D zu seinem behandelnden Arzt Dr. K. In der Verordnung einer Krankenbeförderung (ohne Datum) hatte der Vertragsarzt den Transport mit einem Krankentransportwagen mit "Zur Koloskopie" begründet. Es sei ein Tragestuhl und eine medizinisch-fachliche Betreuung ("Rettungssanitäter") notwendig. Die Verordnung war nur für die Hinfahrt ausgestellt. Das Kästchen "Rückfahrt hatte der Vertragsarzt nicht angekreuzt. Auf der Kopie der Verordnung findet sich der handschriftliche Vermerk: "Taxi/MW-Tragegestell" genehmigt. Mit zwei Rechnungen vom 27. Dezember 2007 verlangte die Klägerin die Zahlung von jeweils 44,42 EUR. Diese Rechnungen sandte die Beklagte mit Schreiben vom 7. Januar 2008 (Eingang 10. Januar 2008) mit dem Vermerk "Lt. unserer Kenntnis wurde Tragestuhl genehmigt, kein KTW" zurück.

Am 11. November 2008 beförderte die Klägerin die Versicherte der Beklagten W von ihrer Wohnung zu einer ambulanten Behandlung bei der Allgemeinmedizinerin Wund zurück. In der Verordnung einer Krankenbeförderung vom 23. Oktober 2008 hatte die Vertragsärztin keine Begründung für die Beförderung der Versicherten mit einem Krankentransportwagen angegeben. Die Klägerin stellte der Beklagten hierfür mit zwei Rechnungen vom 17. November 2008 jeweils 49,50 EUR in Rechnung. Diese Rechnungen sandte die Beklagte mit Schreiben vom 27. November 2008 mit dem Vermerk "hier TSW genehmigt, kein KTW" und "Fahrten im Zusammenhang mit einer ambulanten Behandlung dürfen der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse".

Am 27. August 2009 beförderte die Klägerin die Versicherte der Beklagten S von ihrer Wohnung zur ambulanten Behandlung bei ihrem Allgemeinmediziner Dr. Mund zurück. In der Verordnung der Krankenbeförderung vom 25. August 2009 hatte der Vertragsarzt das Kästchen "Dauerhafte Mobilitätseinschränkung (Merkzeichen "AG", "BI", "H" oder Pflegestufe 2 bzw. 3 vorgelegt)" angekreuzt. Das Beförderungsmittel Krankentransportwagen begründete er mit "Immobilität." Er gab an, dass die Versicherte sei "nicht umsetzbar aus dem Rollstuhl" und eine medizinisch-fachliche Betreuung sei notwendig. Mit zwei Rechnungen vom 02. September 2009 beanspruchte die Klägerin die Zahlung von jeweils 55,00 EUR. Die Beklagte sandte diese Rechnung mit Schreiben vom 09. Oktober 2009 ebenfalls mit dem Vermerk "Fahrten im Zusammenhang mit einer ambulanten Behandlung dürfen der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse" zurück.

Nachdem verschiedene Schreiben der Klägerin und der Beklagten unbeantwortet geblieben waren, forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 16. Juli 2010 auf, für die erbrachten Beförderungsleistungen insgesamt 465,90 EUR (Hauptforderung: 396,68 EUR und 69,22 EUR Zinsen) sowie 83,54 EUR für die anwaltliche Vertretung aus dem Gesichtspunkt des Verzuges zu zahlen. Die Beklagte beglich diese Forderungen nicht.

Daraufhin erhob die Klägerin am 29. Dezember 2010 Klage beim Sozialgericht Berlin. In diesem erstinstanzlichen Verfahren haben die Beteiligten im Wesentlichen darüber gestritten, ob die verordneten Transporte mit dem Krankentransportwagen einem Genehmigungsvorbehalt der Beklagten unterliegen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 8. Mai 2012 verurteilt, an die Klägerin 44,42 EUR zuzüglich Zinsen von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 3. Februar 2008 zu zahlen, im Übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass "unverzichtbare" Voraussetzung des Anspruchs auf Vergütung der Krankentransporte mit einem Krankentransportwagen die Genehmigung des Transportes durch die Krankenkasse sei. Für die Transporte der Versicherten H, W und S sei eine solche Genehmigung nicht erteilt worden. Die Beklagte habe indes die Kosten der Hinfahrt für den Versicherten D sowie die entsprechenden Verzugszinsen ab einem Monat nach Rechnungslegung zu übernehmen. Insofern sei die Verordnung noch ausreichend gewesen. Es seien keinerlei medizinische Umstände erkennbar, die gegen die Richtigkeit der ärztlichen Forderung sprechen würden.

Gegen das der Klägerin am 7. Juni 2012 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 6. Juli 2012 mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt und im Wesentlichen ihr Vorbringen wiederholt und vertieft.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin insgesamt 396,68 EUR zuzüglich Zinsen von 82,83 EUR bis zum 27. Dezember 2010 und weitere Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 28. Dezember 2010 zu zahlen und die Beklagte zu verurteilen ihr 83,54 EUR Anwaltskosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 12. September 2012 - B 3 KR 17/11 R -, zitiert nach juris) entschieden hat, dass der allgemeine Genehmigungsvorbehalt für Fahrten zu ambulanten Behandlungen in § 60 Abs. 1 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht für Krankenbeförderungen nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V mithin auch nicht für die als Kassenleistung verordneten Krankentransportwagen-Transporte nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V gilt, hat der Berichterstatter mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durchgeführt und einen Vergleichsvorschlag unterbreitet.

Die Beklagte hat diesem Vergleichsvorschlag nicht zugestimmt. Sie hat nunmehr vorgetragen, dass die Angaben in den Verordnungen für die Krankenbeförderung nicht vollständig seien. Den Verordnungen könne eine medizinische Notwendigkeit des Einsatzes eines qualifizierten Krankentransportes mit einer medizinischen-fachlichen Betreuung nicht entnommen werden. Eine Immobilität begründe nicht allein einen qualifizierten Krankentransport mit medizinisch- fachlicher Betreuung. Der Grund für eine notwendige medizinisch-fachliche Betreuung sei auf den Verordnungen nicht angegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Vergütung eines weiteren Teils der verschiedenen Krankentransporte mit dem Krankentransportwagen, auf Zinsen sowie auf Ersatz des entstandenen Verzugsschadens.

Der Vergütungsanspruch folgt aus § 60 und § 133 SGB V in Verbindung mit der Vereinbarung nach § 133 SGB V.

Danach besteht ein Anspruch auf Vergütung der Krankentransporte mit dem Krankentransportwagen, wenn auf eine vertragsärztliche Verordnung eines zugelassenen Unternehmens hin eine Beförderungsleistung erbracht wird, die Verordnung gegenüber der Kasse nachgewiesen wird, in der Verordnung die Notwendigkeit des Krankentransports bestätigt wird, die Leistung wie ärztlich verordnet erbracht und ordnungsgemäß abgerechnet wird. Nachdem das BSG (Urteil vom 12. September 2012, a. a. O.) entschieden hat, dass der allgemeine Genehmigungsvorbehalt für Fahrten zu ambulanten Behandlungen in § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V nur für die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB erlassenen Krankentransport-Richtlinien selbst definierten Ausnahmefälle für Fahrten mit Taxi oder Mietwagen, nicht aber für Krankenbeförderung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V, mithin auch nicht für die hier nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V als Krankenkassenleistung verordneten Transporte mit dem Krankentransportwagen nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V gilt, ist zwischen den Beteiligten lediglich noch in Streit, ob die vorliegenden Verordnungen die einen Vergütungsanspruch auslösenden Voraussetzungen erfüllen.

Wegen der Genehmigungsfreiheit der Transporte mit dem Krankentransportwagen nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V unterliegt der verordnende Arzt der Verpflichtung, auf dem Verordnungsblatt die medizinische Notwendigkeit des entsprechenden Transports näher zu begründen. Der Krankentransportunternehmer hat seinerseits die Pflicht, darauf zu achten, dass die medizinische Notwendigkeit des Transports auf dem Verordnungsblatt vollständig und nachvollziehbar begründet worden ist. Erforderlichenfalls muss er bei dem verordnenden Arzt nachfragen und um eine entsprechende Ergänzung der Verordnung bitten, die von dem Arzt auch abzuzeichnen und zu datieren ist, um zu verdeutlichen, dass die Änderung von ihm veranlasst und verantwortet wird (Grundsatz der Formstrenge). Nur unter solchen Voraussetzungen kann ein Krankentransportunternehmer aus einer genehmigungsfreien vertragsärztlichen Verordnung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V Rechte gegenüber der Krankenkasse herleiten (BSG, a. a. O.).

Im vorliegenden Fall erfüllen lediglich die Verordnungen vom 15. November 2007 (Versicherte H), vom 25. August 2009 (Versicherter S) und die Verordnung in Sachen D (ohne Datum) diese Voraussetzungen. In Sachen des Versicherten D kann dies im Übrigen offen bleiben, weil das Urteil des Sozialgerichts Berlin insoweit rechtskräftig geworden ist. Die Beklagte ist insoweit nicht in Berufung gegangen.

In Sachen der Versicherten H hat der behandelnde Arzt Dr. K in seiner Verordnung vom 15. November 2007 angegeben, dass die Versicherte unter einer dauerhaften Mobilitätseinschränkung leide. Er hat auf der Verordnung das Kästchen Merkzeichen (außergewöhnliche Gehbehinderung, blind und hilflos im Sinne des Einkommenssteuergesetzes oder Pflegestufe 2 bzw. 3 vorgelegt) angekreuzt und als Begründung des Beförderungsmittels "Immobilität, Transfer nur mit Hilfe möglich" angegeben. Auf der Verordnung der Krankenbeförderung in Sachen der Versicherten S vom 25. August 2009 hat der behandelnde Arzt Dr. med. M entsprechende Angaben gemacht. Er hat ebenfalls das Kästchen dauerhafte Mobilitätseinschränkung angekreuzt und als Begründung des Beförderungsmittels Immobilität angegeben. Dies reicht aus. In dem vom BSG zu entschiedenen Fall hatte der Vertragsarzt als Begründung "MRSA" angegeben. Einem medizinischen Laien ist diese Abkürzung in der Regel nicht bekannt und damit nichtssagend. Die vorliegenden Begründungen gehen hierüber hinaus und erklären sich einem medizinisch unkundigen Leser von selbst. Er kann ohne weitere Erkundigungen nachvollziehen, warum der behandelnde Arzt im vorliegenden Fall einen Krankentransport für notwendig hält. Ob diese Begründung den Transport mit einem Krankentransportwagen rechtlich trägt, kann und muss der Krankentransporteur nicht nachprüfen.

Der Vortrag der Beklagten, dass im vorliegenden Falle die medizinische Notwendigkeit des Einsatzes eines qualifizierten Krankentransportes mit einer medizinisch-fachlichen Betreuung der Verordnung nicht entnommen werden könne, vermag deshalb den Anspruch des Klägers auf Vergütung der hier streitbefangenen Leistungen nicht auszuschließen. Auf dem Verordnungsblatt muss die medizinische Notwendigkeit des Transportes mit einem Krankentransportwagen lediglich vollständig und nachvollziehbar begründet sein. Auf die Frage, ob aufgrund der von dem verordneten Vertragsarzt angegebenen Begründung, ein Transport mit einem Krankentransportwagen nach § 6 Abs. 2 Krankentransport-Richtlinien sachlich fachlich geboten ist, kommt es nicht an, weil ein Krankentransportunternehmer keine vertieften medizinischen Kenntnisse haben muss und er deshalb nur verpflichtet sein kann, die Verordnung auf Vollständigkeit und Plausibilität hin zu überprüfen. Ein ärztlicher Meinungsstreit kann nicht zu seinen Lasten gehen und muss gegebenenfalls im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zum Verordnungsverhalten des Arztes geklärt werden, um ihn gegebenenfalls in Regress zu nehmen (BSG, a. a. O.).

Keinen Vertrauensschutz in diesem Sinne konnte allerdings die Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin W vom 23. Oktober 2008 in Sachen der Versicherten W erzeugen, weil die verordnete Ärztin die Notwendigkeit des Krankentransportwagens-Transportes nicht begründet und auch der Kläger keine Ergänzung herbeigeführt hat.

Der Zinsanspruch folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 2 BGB. Verzug trat jeweils mit Zugang der Zahlungsverweigerung ein. Der weitergehende Zinsanspruch war abzuweisen.

Der Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten als Verzugsschaden folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V in Verbindung mit §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Die Kosten der Anspruchsgeltendmachung können als Nebenforderung besonders geltend gemacht werden. Die Höhe ergibt sich aus dem berechtigten Geschäftswert in Höhe von 253,26 Euro (1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 32,50 Euro, Auslagenpauschale gem. Nr. 7200 VV RVG in Höhe von 6,50 Euro zuzüglich 19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 7,41 Euro, also insgesamt 46,41 Euro).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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