Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 258/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1589/10
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 verurteilt, den Klägern vom 01.02.2009 bis 30.04.2009 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 175,50 EUR monatlich zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Folgen eines an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Absenkungsbescheides für die Übernahme der Unterkunftskosten der gesamten Bedarfsgemeinschaft.
Die Klägerin zu 1. ist die Mutter des am 00.00.1994 geborenen Klägers zu 2. Sie bildeten mit dem am 00.00.1987 geborenen E T (im Folgenden E), einem weiteren Sohn der Klägerin zu 1., eine Bedarfsgemeinschaft. Für die von der Bedarfsgemeinschaft bewohnte Wohnung fielen im streitigen Zeitraum Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt monatlich 526,50 EUR (Kaltmiete 406,50 EUR, Heizkostenvorauszahlung 50,00 EUR, Betriebskostenvorauszahlung 50,00 EUR, Hausmeisterpauschale 12,00 EUR, SAT-/Antennenpauschale 8,00 EUR) an. Die Beklagte zahlte die Leistungen für Unterkunft und Heizung unmittelbar an den Vermieter.
Mit Bescheid vom 11.09.2008 beschränkte die Beklagte das E zustehende Arbeitslosengeld II für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2008 auf die Kosten für die Unterkunft und Heizung, da er trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Maßnahme abgebrochen habe, § 31 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 SGB II.
Mit Bescheid vom 13.10.2008, mehrfach geändert auf Grund schwankenden Einkommens der Klägerin zu 1., bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.11.2008 bis 30.04.2009. Hierbei berücksichtigte die Beklagte die Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe. Auf E entfielen daher insoweit Leistungen in Höhe von monatlich 175, 50 EUR.
Eine weitere Maßnahme, an der E teilnehmen sollte, beendete der Träger am 01.12.2008 auf Grund erheblicher unentschuldigter Fehlzeiten des E. Dies führte dazu, dass die Beklagte mit Bescheid vom 06.01.2009 eine vollständige Absenkung des E. zustehenden Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum Februar bis April 2009 und damit auch der auf ihn entfallenden Leistungen für Unterkunft und Heizung feststellte, § 31 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 SGB II. Soweit aus der Verwaltungsakte der Beklagten ersichtlich, sind diese Absenkungsbescheide bestandskräftig geworden. E. erhielt in dem Absenkungszeitraum einmalige Leistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen.
Diese Sanktion setzte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 02.04.2009 um und änderte die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum 01.11.2008 bis 30.04.2009.
Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 21.04.2009 Widerspruch. Die Kürzung der Miete auf Grund der Sanktion für E sei rechtswidrig. Sanktionen dürften andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht beeinträchtigen. Die Klägerin zu 1. wohne auch nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit E, sondern habe ihn seit Wochen nicht gesehen und teile seine Einstellung, zumutbare Arbeit abzulehnen, in keiner Weise. Wegen der nicht vollständigen Übernahme der Unterkunftskosten seien auch bereits Mietrückstände entstanden, deren Begleichung der Vermieter schon angemahnt habe.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2009 als unbegründet zurück, da die Sanktion in Höhe von 100% gegen E rechtmäßig gewesen sei. Er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ohne den Nachweis eines wichtigen Grundes eine Eingliederungsmaßnahme abgebrochen. Es habe sich auch um eine wiederhole Pflichtverletzung gehandelt, so dass die Rechtsfolge des § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II eingetreten und das Arbeitslosengeld II um 100% gemindert worden sei. Hierbei falle das Arbeitslosengeld II komplett und vollständig weg, so dass auch die Unterkunfts- und Heizkosten von der Minderung betroffen seien. Die Beklagte habe bei dieser Entscheidung kein Ermessen gehabt. Auch die Voraussetzungen des § 31 Abs. 5 Satz 5 SGB II hätten nicht vorgelegen, da E durch sein Verhalten nachhaltig dokumentiert habe, dass er nicht bereit sei, seine Weigerungshaltung aufzuheben und seinen Pflichten nachzukommen. Dem Urteil des SG Aurich schließe sich die Beklagte auf Grund der eindeutigen Gesetzeslage nicht an. Die hier streitgegenständliche Rechtsfrage sei auch höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Mit ihrer Klage vom 07.10.2009, beim Sozialgericht Düsseldorf am 09.10.2009 eingegangen, verfolgen die Kläger ihr Begehren auf vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung weiter.
Sie tragen vor, es sei unzulässig, dass sich die Sanktion gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf die anderen Mitglieder erstrecke. Sie verweisen auf den Beschluss des SG Aurich vom 06.06.2008 (S 25 AS 298/08 ER), wonach die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung haben. Dies hätten auch das LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER) und das SG Düsseldorf (Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER) bestätigt. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen jüngere Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern lebten und die Eltern im Außenverhältnis zum Vermieter für die Zahlung der Unterkunftskosten einzustehen hätten. Der auf den von der Sanktion Betroffenen entfallende Unerkunftskostenanteil sei daher für die Dauer der Sanktion den Eltern zuzurechnen.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 aufzuheben und den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheides. Ergänzend weist sie darauf hin, dass auch die bislang ergangenen sozialgerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Revision der Ansicht der Beklagten führen könnten, da diese in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangen seien, in denen die rechtliche Problematik nur grob summarisch geprüft werde und keine abschließende Entscheidung ergehe.
Die die Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
Die Klage ist des Weiteren auch begründet. Die Kläger haben im Zeitraum vom 01.02.2009 bis 30.04.2009 gegen die Beklagte Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten in voller Höhe. In diesem Zusammenhang kann die Kammer es dahingestellt lassen, ob die mit Bescheid vom 06.01.2009 festgestellte vollständige Absenkung des Arbeitslosengeldes II für E rechtmäßig war. Es ist bereits fraglich, ob dies in dem vorliegenden Verfahren, an dem E nicht als Kläger beteiligt ist, hätte überprüft werden können, da der Bescheid vom 06.01.2009 bestandskräftig geworden ist und die Kläger den Eintritt der Bestandskraft nicht verhindern konnten, da er allein Es individuellen Anspruch regelte und dieser Widerspruch nicht einlegte. Hiervon unabhängig rechtfertigt jedoch bereits die vorliegende Fallgestaltung ein Abweichen von dem Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl, da ein Festhalten an diesem Prinzip auf eine Sippenhaftung hinauslaufe, die dem Sozialrecht fremd ist.
Die Kammer schließt sich hierbei nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen insbesondere des SG Aurich (Beschluss vom 06.06.2008, S 25 AS 298/08 ER, n.v.), des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, zitiert nach juris) sowie des SG Düsseldorf (Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER, n.v.)an. Durch die Versagung des Anteils des E an den Kosten für Unterkunft und Heizung ist eine im Ergebnis unzulässige Erstreckung der Sanktion auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfolgt.
Werden – wie im hier gegebenen Sachverhalt – auf Grund der gegen einen volljährigen unter 25-Jährigen, der Mitglied einer aus mehreren Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft ist, nach § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II rechtmäßig ausgesprochenen Sanktion dessen Kosten für Unterkunft und Heizung für die Dauer von drei Monaten eingestellt, sind den davon mitbetroffenen übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft in Abweichung von der grundsätzlichen Aufteilung nach Kopfteilen für diese Zeit gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlich zu entrichtenden Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren. Ansonsten würde ihnen das Fehlverhalten ihres volljährigen Familienmitgliedes zugerechnet. Auf diese Weise würden sie in "sippenhaftähnlicher" Weise in die Mitverantwortung gezogen und faktisch mitsanktioniert. Dem steht bereits der personenbezogene Charakter einer nach § 31 Abs. 1 oder 4 SGB II sanktionierten Pflichtverletzung entgegen, demzufolge eine Sanktion allein den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu treffen hat, dem ein sanktionswürdiges Verhalten vorgeworfen werden kann.
Auch aus der einschlägigen Ausschussbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/1696, S 27 f.) bezüglich der durch das Fortentwicklungsgesetz mit Wirkung vom 01.08.2006 neu gefassten und hinsichtlich der Rechtsfolgen verschärften besonderen Sanktionsregelung für unter 25-jährige kann ein anderes Ergebnis für die vorliegende Fallgestaltung nicht entnommen werden. Mit der Neufassung dieser Sonderregelung für unter 25-jährige wollte der Gesetzgeber auf die seiner Ansicht nach durch die bisherigen Sanktionsregelungen wegen fehlender Unterscheidung zwischen erstmaliger und wiederholter Pflichtverletzung und des in jedem Falle vollständigen Erhalts von Leistungen für Unterkunft häufig nicht erreichte erzieherische Wirkung. Die durch die vorgenommene Verschärfung der Sanktionsregelung für unter 25-jährige damit offenbar angestrebte Verbesserung des erzieherischen Effektes von Sanktionsmaßnahmen hat also einzig und allein den Personenkreis der unter 25-Jährigen selbst im Blick und nicht mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Hilfebedürftige. Deren erhebliche faktische Mitbetroffenheit im Falle einer vollständigen Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II ist nicht gerechtfertigt.
Denn im Außenverhältnis zum Vermieter besteht für die übrigen hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft – zumeist die Eltern – nach wie vor eine mietvertragliche Verpflichtung zur Entrichtung des vollständigen Mietzinses für die von der mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaft genutzte Wohnung. Da die von der Sanktion mitbetroffenen sonstigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft den fehlenden "Mietanteil" (hier 175,50 EUR) auf Grund ihrer eigenen Hilfebedürftigkeit letztlich nur unter Rückgriff auf die ihnen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden bzw gewährten SGB II-Leistungen ausgleichen könnten, entstehen entweder wie hier Mietrückstände oder es tritt im "Sanktionszeitraum" eine spürbare Bedarfsunterdeckung bei den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ein.
Dies widerspricht dem in § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II angelegten Grundsatz familiengerechter Hilfe, wonach die familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Kinder erziehen, berücksichtigt werden sollen. Des Weiteren unterstreicht auch der Gesichtspunkt des individuellen Anspruchs die Erforderlichkeit eine Abweichens vom Regelfall der Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung bei einem Wegfall des Arbeitslosengeldes II junger Hilfebedürftiger zugunsten der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl. ausführlich SG Aurich, Beschluss vom 06.06.2008, S 25 AS 298/08 ER, n.v.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, zitiert nach juris; SG Düsseldorf, Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER, n.v.; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, 38. EL 2010, § 22 Rn. 21; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 141).
Dem hier vertretenen Ergebnis steht auch nicht die Regelung des § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II entgegen, da der junge Hilfebedürftige selbst insoweit keine Leistungen enthält, vielmehr lediglich die Eltern bzw. die anderen im Außenverhältnis dem Vermieter verpflichteten Personen in die Lage versetzt werden, ihren zum Erhalt auch der eigenen Wohnung erforderlichen Verpflichtungen nachzukommen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009 § 31 Rn. 141).
Die Kammer brauchte nicht zu entscheiden, ob bei der vorliegenden Fallgestaltung von dem Grundsatz der Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach Kopfzahl nur dann abgewichen werden kann, wenn dieser in einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Geschwistern lebt (diese Einschränkung deutet zumindest der erste Leitsatz zu dem Beschluss des LSG Niedersachen-Bremen vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, in der Veröffentlichung in juris an). Denn in der Bedarfsgemeinschaft des E lebte auch sein jüngerer Bruder, der zum damaligen Zeitpunkt 15 Jahre alte Kläger zu 2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Berufung gegen dieses Urteil war zuzulassen, da der Zulassungsgrund gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG einschlägig ist. Denn die Frage, ob ein Wegfall des Arbeitslosengeldes II eines unter 25jährigen Hilfebedürftigen wegen wiederholter Pflichtverletzung von dem Grundsatz abzuweichen ist, dass die Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen nach Kopfzahl erfolgt, hat grundsätzliche Bedeutung.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Folgen eines an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Absenkungsbescheides für die Übernahme der Unterkunftskosten der gesamten Bedarfsgemeinschaft.
Die Klägerin zu 1. ist die Mutter des am 00.00.1994 geborenen Klägers zu 2. Sie bildeten mit dem am 00.00.1987 geborenen E T (im Folgenden E), einem weiteren Sohn der Klägerin zu 1., eine Bedarfsgemeinschaft. Für die von der Bedarfsgemeinschaft bewohnte Wohnung fielen im streitigen Zeitraum Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt monatlich 526,50 EUR (Kaltmiete 406,50 EUR, Heizkostenvorauszahlung 50,00 EUR, Betriebskostenvorauszahlung 50,00 EUR, Hausmeisterpauschale 12,00 EUR, SAT-/Antennenpauschale 8,00 EUR) an. Die Beklagte zahlte die Leistungen für Unterkunft und Heizung unmittelbar an den Vermieter.
Mit Bescheid vom 11.09.2008 beschränkte die Beklagte das E zustehende Arbeitslosengeld II für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2008 auf die Kosten für die Unterkunft und Heizung, da er trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Maßnahme abgebrochen habe, § 31 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 SGB II.
Mit Bescheid vom 13.10.2008, mehrfach geändert auf Grund schwankenden Einkommens der Klägerin zu 1., bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 01.11.2008 bis 30.04.2009. Hierbei berücksichtigte die Beklagte die Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe. Auf E entfielen daher insoweit Leistungen in Höhe von monatlich 175, 50 EUR.
Eine weitere Maßnahme, an der E teilnehmen sollte, beendete der Träger am 01.12.2008 auf Grund erheblicher unentschuldigter Fehlzeiten des E. Dies führte dazu, dass die Beklagte mit Bescheid vom 06.01.2009 eine vollständige Absenkung des E. zustehenden Arbeitslosengeldes II für den Zeitraum Februar bis April 2009 und damit auch der auf ihn entfallenden Leistungen für Unterkunft und Heizung feststellte, § 31 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 SGB II. Soweit aus der Verwaltungsakte der Beklagten ersichtlich, sind diese Absenkungsbescheide bestandskräftig geworden. E. erhielt in dem Absenkungszeitraum einmalige Leistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen.
Diese Sanktion setzte die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 02.04.2009 um und änderte die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum 01.11.2008 bis 30.04.2009.
Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 21.04.2009 Widerspruch. Die Kürzung der Miete auf Grund der Sanktion für E sei rechtswidrig. Sanktionen dürften andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht beeinträchtigen. Die Klägerin zu 1. wohne auch nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit E, sondern habe ihn seit Wochen nicht gesehen und teile seine Einstellung, zumutbare Arbeit abzulehnen, in keiner Weise. Wegen der nicht vollständigen Übernahme der Unterkunftskosten seien auch bereits Mietrückstände entstanden, deren Begleichung der Vermieter schon angemahnt habe.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2009 als unbegründet zurück, da die Sanktion in Höhe von 100% gegen E rechtmäßig gewesen sei. Er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ohne den Nachweis eines wichtigen Grundes eine Eingliederungsmaßnahme abgebrochen. Es habe sich auch um eine wiederhole Pflichtverletzung gehandelt, so dass die Rechtsfolge des § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II eingetreten und das Arbeitslosengeld II um 100% gemindert worden sei. Hierbei falle das Arbeitslosengeld II komplett und vollständig weg, so dass auch die Unterkunfts- und Heizkosten von der Minderung betroffen seien. Die Beklagte habe bei dieser Entscheidung kein Ermessen gehabt. Auch die Voraussetzungen des § 31 Abs. 5 Satz 5 SGB II hätten nicht vorgelegen, da E durch sein Verhalten nachhaltig dokumentiert habe, dass er nicht bereit sei, seine Weigerungshaltung aufzuheben und seinen Pflichten nachzukommen. Dem Urteil des SG Aurich schließe sich die Beklagte auf Grund der eindeutigen Gesetzeslage nicht an. Die hier streitgegenständliche Rechtsfrage sei auch höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Mit ihrer Klage vom 07.10.2009, beim Sozialgericht Düsseldorf am 09.10.2009 eingegangen, verfolgen die Kläger ihr Begehren auf vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung weiter.
Sie tragen vor, es sei unzulässig, dass sich die Sanktion gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf die anderen Mitglieder erstrecke. Sie verweisen auf den Beschluss des SG Aurich vom 06.06.2008 (S 25 AS 298/08 ER), wonach die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung haben. Dies hätten auch das LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER) und das SG Düsseldorf (Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER) bestätigt. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen jüngere Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern lebten und die Eltern im Außenverhältnis zum Vermieter für die Zahlung der Unterkunftskosten einzustehen hätten. Der auf den von der Sanktion Betroffenen entfallende Unerkunftskostenanteil sei daher für die Dauer der Sanktion den Eltern zuzurechnen.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 aufzuheben und den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf die Begründung des Widerspruchsbescheides. Ergänzend weist sie darauf hin, dass auch die bislang ergangenen sozialgerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Revision der Ansicht der Beklagten führen könnten, da diese in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangen seien, in denen die rechtliche Problematik nur grob summarisch geprüft werde und keine abschließende Entscheidung ergehe.
Die die Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.
Die Klage ist des Weiteren auch begründet. Die Kläger haben im Zeitraum vom 01.02.2009 bis 30.04.2009 gegen die Beklagte Anspruch auf Übernahme der Unterkunftskosten in voller Höhe. In diesem Zusammenhang kann die Kammer es dahingestellt lassen, ob die mit Bescheid vom 06.01.2009 festgestellte vollständige Absenkung des Arbeitslosengeldes II für E rechtmäßig war. Es ist bereits fraglich, ob dies in dem vorliegenden Verfahren, an dem E nicht als Kläger beteiligt ist, hätte überprüft werden können, da der Bescheid vom 06.01.2009 bestandskräftig geworden ist und die Kläger den Eintritt der Bestandskraft nicht verhindern konnten, da er allein Es individuellen Anspruch regelte und dieser Widerspruch nicht einlegte. Hiervon unabhängig rechtfertigt jedoch bereits die vorliegende Fallgestaltung ein Abweichen von dem Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl, da ein Festhalten an diesem Prinzip auf eine Sippenhaftung hinauslaufe, die dem Sozialrecht fremd ist.
Die Kammer schließt sich hierbei nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen insbesondere des SG Aurich (Beschluss vom 06.06.2008, S 25 AS 298/08 ER, n.v.), des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, zitiert nach juris) sowie des SG Düsseldorf (Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER, n.v.)an. Durch die Versagung des Anteils des E an den Kosten für Unterkunft und Heizung ist eine im Ergebnis unzulässige Erstreckung der Sanktion auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfolgt.
Werden – wie im hier gegebenen Sachverhalt – auf Grund der gegen einen volljährigen unter 25-Jährigen, der Mitglied einer aus mehreren Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft ist, nach § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II rechtmäßig ausgesprochenen Sanktion dessen Kosten für Unterkunft und Heizung für die Dauer von drei Monaten eingestellt, sind den davon mitbetroffenen übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft in Abweichung von der grundsätzlichen Aufteilung nach Kopfteilen für diese Zeit gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die tatsächlich zu entrichtenden Kosten für Unterkunft und Heizung zu gewähren. Ansonsten würde ihnen das Fehlverhalten ihres volljährigen Familienmitgliedes zugerechnet. Auf diese Weise würden sie in "sippenhaftähnlicher" Weise in die Mitverantwortung gezogen und faktisch mitsanktioniert. Dem steht bereits der personenbezogene Charakter einer nach § 31 Abs. 1 oder 4 SGB II sanktionierten Pflichtverletzung entgegen, demzufolge eine Sanktion allein den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu treffen hat, dem ein sanktionswürdiges Verhalten vorgeworfen werden kann.
Auch aus der einschlägigen Ausschussbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/1696, S 27 f.) bezüglich der durch das Fortentwicklungsgesetz mit Wirkung vom 01.08.2006 neu gefassten und hinsichtlich der Rechtsfolgen verschärften besonderen Sanktionsregelung für unter 25-jährige kann ein anderes Ergebnis für die vorliegende Fallgestaltung nicht entnommen werden. Mit der Neufassung dieser Sonderregelung für unter 25-jährige wollte der Gesetzgeber auf die seiner Ansicht nach durch die bisherigen Sanktionsregelungen wegen fehlender Unterscheidung zwischen erstmaliger und wiederholter Pflichtverletzung und des in jedem Falle vollständigen Erhalts von Leistungen für Unterkunft häufig nicht erreichte erzieherische Wirkung. Die durch die vorgenommene Verschärfung der Sanktionsregelung für unter 25-jährige damit offenbar angestrebte Verbesserung des erzieherischen Effektes von Sanktionsmaßnahmen hat also einzig und allein den Personenkreis der unter 25-Jährigen selbst im Blick und nicht mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Hilfebedürftige. Deren erhebliche faktische Mitbetroffenheit im Falle einer vollständigen Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II ist nicht gerechtfertigt.
Denn im Außenverhältnis zum Vermieter besteht für die übrigen hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft – zumeist die Eltern – nach wie vor eine mietvertragliche Verpflichtung zur Entrichtung des vollständigen Mietzinses für die von der mehrköpfigen Bedarfsgemeinschaft genutzte Wohnung. Da die von der Sanktion mitbetroffenen sonstigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft den fehlenden "Mietanteil" (hier 175,50 EUR) auf Grund ihrer eigenen Hilfebedürftigkeit letztlich nur unter Rückgriff auf die ihnen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehenden bzw gewährten SGB II-Leistungen ausgleichen könnten, entstehen entweder wie hier Mietrückstände oder es tritt im "Sanktionszeitraum" eine spürbare Bedarfsunterdeckung bei den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ein.
Dies widerspricht dem in § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II angelegten Grundsatz familiengerechter Hilfe, wonach die familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Kinder erziehen, berücksichtigt werden sollen. Des Weiteren unterstreicht auch der Gesichtspunkt des individuellen Anspruchs die Erforderlichkeit eine Abweichens vom Regelfall der Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung bei einem Wegfall des Arbeitslosengeldes II junger Hilfebedürftiger zugunsten der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl. ausführlich SG Aurich, Beschluss vom 06.06.2008, S 25 AS 298/08 ER, n.v.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, zitiert nach juris; SG Düsseldorf, Beschluss vom 18.09.2009, S 44 AS 129/09 ER, n.v.; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, 38. EL 2010, § 22 Rn. 21; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 141).
Dem hier vertretenen Ergebnis steht auch nicht die Regelung des § 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II entgegen, da der junge Hilfebedürftige selbst insoweit keine Leistungen enthält, vielmehr lediglich die Eltern bzw. die anderen im Außenverhältnis dem Vermieter verpflichteten Personen in die Lage versetzt werden, ihren zum Erhalt auch der eigenen Wohnung erforderlichen Verpflichtungen nachzukommen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009 § 31 Rn. 141).
Die Kammer brauchte nicht zu entscheiden, ob bei der vorliegenden Fallgestaltung von dem Grundsatz der Aufteilung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach Kopfzahl nur dann abgewichen werden kann, wenn dieser in einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Geschwistern lebt (diese Einschränkung deutet zumindest der erste Leitsatz zu dem Beschluss des LSG Niedersachen-Bremen vom 08.07.2009, L 6 AS 335/09 B ER, in der Veröffentlichung in juris an). Denn in der Bedarfsgemeinschaft des E lebte auch sein jüngerer Bruder, der zum damaligen Zeitpunkt 15 Jahre alte Kläger zu 2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Berufung gegen dieses Urteil war zuzulassen, da der Zulassungsgrund gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG einschlägig ist. Denn die Frage, ob ein Wegfall des Arbeitslosengeldes II eines unter 25jährigen Hilfebedürftigen wegen wiederholter Pflichtverletzung von dem Grundsatz abzuweichen ist, dass die Aufteilung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen nach Kopfzahl erfolgt, hat grundsätzliche Bedeutung.
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