Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 20 KR 220/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 KR 34/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 114/13 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. März 2012 wird zurückgewiesen
Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Hormonbehandlung bei Transsexualität Mann-zu-Frau.
Die Klägerin ist 1968 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist anatomisch männlich geboren. Seit dem 17. Dezember 2003 trägt sie nach Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen des Transsexuellengesetzes den weiblichen Vornamen. Sie leidet an einer intellektuellen Minderbegabung.
In einem Gutachten vom 9. Oktober 1999 diagnostizierte Privatdozent Dr. B. eine leichte Intelligenzminderung (sprachliche Intelligenz 56 IQ und handlungspraktische Fähigkeiten 70 IQ). Weiterhin liege ein manifester Transsexualismus vor. Es bestehe der dringende Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlungsoperation. Naturgemäß sei ein Abwägen der Vorteil und Nachteile einer solchen Operation bei der vorliegenden Intelligenzbeeinträchtigung nicht vollständig in gleicher Weise wie bei einem umfassend gebildeten und intellektuell gut strukturierten Menschen gegeben; die Grenze der Einwilligungsfähigkeit werde aber deutlich überschritten.
Im Jahre 2004 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin wegen einer Hormonbehandlung ab führte zur Begründung aus, dass die Klägerin eine Lösung ihrer Probleme ausschließlich darin sehe, "dass er äußerlich eine Frau sein möchte, um dann auch Frauenkleider tragen zu dürfen. Die vom Versicherten gemachten Angaben bezüglich seines Wunsches auf eine Geschlechtsumwandlung wirkten sehr infantil zum Teil als Fluchtreaktion bei den zahlreichen Problemen".
Im Jahre 2008 beantragte die Klägerin erneut eine Hormontherapie. Die Beklagte zog ein Gutachten von Privatdozent Dr. S. - Psychologischer Psychotherapeut - vom 1. Juli 2007 bei. Dieser kam darin zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Transsexualität vorliege, die durch Psychotherapien nicht heilbar sei. Er befürworte die Einleitung der längst überfälligen Hormonbehandlung. Eine weitere - operative - Maßnahme sollte angedacht werden, wenn die weiblichen Hormone etwa ein halbes Jahr lang genommen worden seien.
Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt von Dipl.-Med. L. vom 20. März 2009 ein. Dieser bestätigte die Diagnose Transsexualismus; hieran sei offensichtlich nach Bestätigung durch mehrere verschiedene Gutachter nicht zu zweifeln. Im Rahmen der Begutachtung hätte jedoch festgestellt werden müssen, dass die Klägerin die Möglichkeiten der Hormonbehandlung idealisiere und völlig unrealistisch einschätze. Sie könne weder Wirkungen noch Nebenwirkungen noch langfristige Folgen abschätzen. Die Vorstellungen der Klägerin im Hinblick auf die erhofften Veränderungen durch Hormone und bessere Akzeptanz seien auch unter Berücksichtigung der konstitutionellen Voraussetzungen unrealistisch. Aus gutachterlicher Sicht bestünden erhebliche Zweifel, dass die Klägerin die Nachhaltigkeit des irreversiblen Eingriffs (Hormontherapie und operative Maßnahmen) und die langfristigen Folgen abschätzen könne. Aus diesem Grunde könne eine Hormontherapie nicht befürwortet werden.
Mit Bescheid vom 26. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf eine Hormonbehandlung ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begründete diesen näher mündlich. Daraufhin holte die Beklagte erneut ein Gutachten des MDK durch Dr. B. ein, welches die bisherige Ansicht des MDK bestätigte. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und schloss sich zur Begründung der Argumentation des MDK an.
Hiergegen hat die Klägerin am 17. September 2009 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben. In einem vom Gericht eingeholten Befundbericht haben die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S. sowie der praktische Arzt Dipl.-Med. S. angegeben, die Klägerin habe bereits bei dem ersten Kontakt im Jahre 2002 den Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung geäußert. Der Wunsch auf eine Hormonbehandlung sei dem Krankheitsbild der Transsexualität zuzuordnen. Bei solchen Maßnahmen würden die psychosomatischen Beschwerden (Kopfschmerz, depressive Verstimmung und erheblicher Leidensdruck) aus hausärztlicher Sicht wahrscheinlich gelindert. Ein Leben in der jetzigen körperlichen Geschlechtsrolle mache es der Klägerin subjektiv unmöglich, ein gesundes und zufriedenes Leben zu führen.
Das Sozialgericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychotherapie und Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie Privatdozent Dr. G. Dieser hat nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin unter dem 17. Juni 2011 ausgeführt, es bestehe bei der Klägerin ein unbändiger Wunsch, als Frau zu leben und anerkannt zu werden. Es existiere ein massives Unbehagen gegenüber der eigenen bestehenden körperlichen männlichen Ausprägung, woraus letztlich der sehnliche Wunsch nach entsprechender hormoneller als auch chirurgischer Behandlung resultiere. Es komme zeitweilig zu Stimmungstiefs und starker Verzweiflung aufgrund der sozialen Ablehnung als Frau. Es bestehe eine (fremd diagnostizierte) leichte Intelligenzminderung; die Klägerin könne bei teilweiser einfältiger Ausdrucksweise sowie eingeschränktem Wortschatz nicht lesen und schreiben. Dennoch sei sie zur ausreichenden Selbstreflektion fähig und könne ihre derzeitige Gefühlslage und die damit verbundene Problematik verstehen und angemessen darauf reagieren. Privatdozent Dr. G. hat die Diagnose Transsexualismus bestätigt. Diese sei durch eine Therapie nicht heilbar. Ansonsten bestünden keine psychopathologischen Auffälligkeiten.
Nach einer erneuten medizinischen Begutachtung am 2. Januar 2012 hat der MDK ausdrücklich seine bisherige Ansicht revidiert. Der Gutachter Dr. K. hat sich dem Gutachten von Privatdozent Dr. G. angeschlossen. Die sozialmedizinischen Voraussetzungen für die geplante Hormonersatztherapie lägen vor. Auf eine erneute Nachfrage der Beklagten hat Dr. K. unter dem 8. Februar 2012 mitgeteilt, eine Hormonersatztherapie würde nicht irreversiblen Veränderungen führen. Aus gutachterlicher Sicht sollte eine nochmalige Einschätzung nach einjähriger Durchführung der Hormontherapie getroffen werden. Gemäß der aktuellen Begutachtungsanleitung für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität sei davon auszugehen, dass die psychotherapeutische Behandlung beziehungsweise Begleitung auch das Therapieziel habe, die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechterrolle anzunehmen und eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der hormonellen und operativen Behandlung zu ermöglichen.
Die Beklagte hat Zweifel geäußert, ob das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) überhaupt Eingriffe in einen nicht regelwidrigen Körperzustand rechtfertigen könne. Eingriffe in den gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, könnten nicht als Behandlung im Sinne von § 27 SGB V gewertet werden. Die Beklagte hat sich weiterhin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 berufen (1 BvR 3295/07, BVerfGE 128, 109 ff).
Mit Urteil vom 1. März 2012 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine gleichgeschlechtliche Hormontherapie bei Transsexualität zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Transsexualität sei eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Von nichts anderem gehe auch das Bundesverfassungsgericht aus. Lediglich die personenstandsrechtlichen Voraussetzungen habe es abgemildert. Grundsätzlich sei bei operativen Eingriffen oder Hormonbehandlung eine Risikoabwägung notwendig. Unter Würdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen und insbesondere des Gutachtens von Privatdozent Dr. G. sowie der letzten Stellungnahme des MDK spreche alles für die Durchführung einer Hormonbehandlung.
Gegen die ihr am 4. April 2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 20. April 2012 Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, die Klägerin könne nur Psychotherapie beanspruchen. Der Eingriff in einen gesunden Körper sei nicht zu rechtfertigen. Damit habe sich das Bundessozialgericht (BSG) bisher nicht auseinandersetzen müssen. Die Argumentation des Bundessozialgerichts bezüglich eines grundsätzlichen Leistungsanspruchs sei nicht überzeugend. Weder aus den Grundsätzen des Transsexuellengesetzes noch aus § 116b SGB V ergebe sich ein Anspruch auf ein Hormonbehandlung. Auch eine Hormontherapie ziele im Rahmen der Behandlung des Transsexualismus auf einen Eingriff in einen gesunden Körper ab und solle insbesondere zu einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes führen. Die Hormontherapie wirke nur mittelbar auf die Erkrankung ein. Eine Entstellung liege ersichtlich nicht vor. Sowohl bei der Beseitigung einer Entstellung als auch bei einer Behandlung zur äußerlichen Annäherung an das andere Geschlecht handele es sich um Behandlungen zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes. Diese unterschiedlichen Maßstäbe würden vom Bundessozialgericht nicht näher begründet. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten für die Regelwidrigkeiten die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit eines Zustandes seien nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht maßgeblich.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Ausführungen der Beklagten und ihre Kritik an der Rechtsprechung des BSG überzeugen nicht.
Rechtsgrundlage für die beanspruchte Leistung ist § 27 Abs. 1 SGB V. Diese Rechtsgrundlage hat bereits das Sozialgericht zutreffend genannt; es ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte hier § 116b SGB V bzw. das Transsexuellengesetz anführt. Das BSG nennt diese Vorschriften nur, um den Rahmen des § 27 Abs. 1 SGB V zu bestimmen und dazulegen, dass es sich hier um eine Krankheit i handelt. Es hat in der von der Beklagten angeführten Entscheidung (11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R , juris) ausgeführt, "dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern (dazu a). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu b). [ ]
a) Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Versicherte leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu aa). [ ]
Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (TSG) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 (Teil 2 Fehlbildungen) Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10177).
Grundlage jeglichen Anspruchs auf Krankenbehandlung ist gemäß § 27 SGB V eine Krankheit. Diese liegt hier bei der Klägerin nach sämtlichen ärztlichen Stellungnahmen vor; die Diagnose Transsexualität ist seit langem gesichert; die Beklagte bestreitet eine solche Erkrankung nicht.
Ebenso gehen alle Gutachter und behandelnden Ärzte von einer Behandlungsbedürftigkeit aus; hiervon ist gleichfalls der Senat überzeugt. Auch die Beklagte bestreitet dies nicht. Irrigerweise meint sie jedoch, aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen Rechtssatz ableiten zu können, dass ein Eingriff in einen gesunden Körper grundsätzlich nicht erfolgen dürfe, sondern insoweit auf die Mittel der Psychotherapie zurückzugreifen sei. Ein solcher Ansatz setzt naturgemäß voraus, dass mit Mittel der Psychotherapie überhaupt ein Behandlungserfolg zu erzielen ist. Dies ist im vorliegenden Fall nach den medizinischen Gutachten von Privatdozent Dr. G. nicht der Fall; dies entspricht grundsätzlich auch dem Krankheitsbild der Transsexualität. Hierbei handelt es sich nicht um eine vorübergehende psychische Störung. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte meint, an die Rechtsprechung des BSG - die sich auf behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen bezieht - anknüpfen zu können. Die medizinischen Grenzen der Psychotherapie bei Transsexualität rechtfertigen eine davon abweichende Behandlung.
Mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zu der Brustvergrößerung bzw. Brustverkleinerung verkennt die Beklagte, dass die Rechtsprechung in der Regel das Vorliegen einer Erkrankung ablehnt, soweit nicht eine Entstellung vorliegt (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris; dazu Ulmer in Wenner/Eichenhofer, § 27 SGB V, Rn. 4 ff, 15; vgl. Urteil des Senats vom gleichen Tage, L 4 KR 1/12). Insoweit besteht ein durchaus gewichtiges Unterscheidungskriterium - Vorliegen einer Krankheit - zu dem vorliegenden Fall.
Hierzu hat das BSG (a.a.O.) mit überzeugender Begründung, der der Senat folgt, ausgeführt: "Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu bb). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu cc).
[ ]
bb) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo, in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker, in: Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).
Während die notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von
§ 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.
Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).
Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.
Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität), zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).
cc) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. [ ]
aa) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.
Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.
Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.
bb) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es demgegenüber aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.
Hier kann offen bleiben, ob bei der Klägerin möglicherweise von einer Entstellung im Sinne der Rechtsprechung auszugehen ist (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris, m.w.N.; Ulmer in Wenner/Eichenhofer, § 27 SGB V, Rn. 13). Es ist zumindest denkbar, dass bei einer Frau, die aussieht wie ein Mann, eine körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt.
Auch in anderem Kontext lässt das Bundessozialgericht als "ultima ratio" Eingriffe in einen gesunden Körper zu (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - B 1 KR 104/06 B -, juris - Magenband). Hierzu ist - wie das Sozialgericht ebenfalls bereits zutreffend ausgeführt hat - eine Risikoabwägung erforderlich. Auch diesbezüglich schließt sich der Senat dem Sozialgericht an. Vorliegend ist eine Hormonbehandlung auch seiner Überzeugung nach die einzig wirksame Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung. Dies hat insbesondere auch der Gutachter Privatdozent Dr. G. überzeugend ausgeführt. Dieser Sachverständige ist im Senat als besonders erfahren und auch kritisch gegenüber dem Vorbringen der Kläger bekannt. Eine solche Therapie wird auch von den behandelnden Hausärzten befürwortet. Nach den Ausführungen des MDK vom 8. Februar 2012 führt eine Hormontherapie nicht zu irreversiblen Veränderungen.
Die Klägerin kann aufgrund der festgestellten intellektuellen Beeinträchtigung die Vor- und Nachteile einer solchen Behandlung zwar möglicherweise nicht in jeder Hinsicht so abwägen,sy wie dies bei einem umfassend gebildeten und intellektuell gut strukturierten Menschen der Fall wäre. Die Fähigkeit zur rechtlich bindenden Einwilligung hat sie aber nach den Darlegungen von Privatdozent Dr. B. ohne Zweifel. Denn sie ist in der Lage, die Vor- und Nachteile einer Hormonbehandlung auf ihrem intellektuellen Niveau so nachvollziehen, dass eine vernünftige Risikoabwägung möglich ist. Dies hat auch das Gutachten von Privatdozent Dr. G. für das Sozialgericht bestätigt. Dieser hat ausgeführt, die Klägerin könne sehr klar über ihre Entwicklung, Lage und Schwierigkeiten reflektieren, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Sie zeige keinerlei Zweifel oder Unsicherheiten an ihren Vorhaben. Dieser Beurteilung hat sich schließlich auch der MDK angeschlossen. Dieses Gesamtbild ist für den Senat überzeugend; insoweit hat auch die Beklagte keine Zweifel mehr geäußert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG bestanden nicht, da sich der Senat der jüngsten Rechtsprechung des BSG anschließt.
Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Kostenübernahme für eine Hormonbehandlung bei Transsexualität Mann-zu-Frau.
Die Klägerin ist 1968 geboren und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie ist anatomisch männlich geboren. Seit dem 17. Dezember 2003 trägt sie nach Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen des Transsexuellengesetzes den weiblichen Vornamen. Sie leidet an einer intellektuellen Minderbegabung.
In einem Gutachten vom 9. Oktober 1999 diagnostizierte Privatdozent Dr. B. eine leichte Intelligenzminderung (sprachliche Intelligenz 56 IQ und handlungspraktische Fähigkeiten 70 IQ). Weiterhin liege ein manifester Transsexualismus vor. Es bestehe der dringende Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlungsoperation. Naturgemäß sei ein Abwägen der Vorteil und Nachteile einer solchen Operation bei der vorliegenden Intelligenzbeeinträchtigung nicht vollständig in gleicher Weise wie bei einem umfassend gebildeten und intellektuell gut strukturierten Menschen gegeben; die Grenze der Einwilligungsfähigkeit werde aber deutlich überschritten.
Im Jahre 2004 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin wegen einer Hormonbehandlung ab führte zur Begründung aus, dass die Klägerin eine Lösung ihrer Probleme ausschließlich darin sehe, "dass er äußerlich eine Frau sein möchte, um dann auch Frauenkleider tragen zu dürfen. Die vom Versicherten gemachten Angaben bezüglich seines Wunsches auf eine Geschlechtsumwandlung wirkten sehr infantil zum Teil als Fluchtreaktion bei den zahlreichen Problemen".
Im Jahre 2008 beantragte die Klägerin erneut eine Hormontherapie. Die Beklagte zog ein Gutachten von Privatdozent Dr. S. - Psychologischer Psychotherapeut - vom 1. Juli 2007 bei. Dieser kam darin zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Transsexualität vorliege, die durch Psychotherapien nicht heilbar sei. Er befürworte die Einleitung der längst überfälligen Hormonbehandlung. Eine weitere - operative - Maßnahme sollte angedacht werden, wenn die weiblichen Hormone etwa ein halbes Jahr lang genommen worden seien.
Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt von Dipl.-Med. L. vom 20. März 2009 ein. Dieser bestätigte die Diagnose Transsexualismus; hieran sei offensichtlich nach Bestätigung durch mehrere verschiedene Gutachter nicht zu zweifeln. Im Rahmen der Begutachtung hätte jedoch festgestellt werden müssen, dass die Klägerin die Möglichkeiten der Hormonbehandlung idealisiere und völlig unrealistisch einschätze. Sie könne weder Wirkungen noch Nebenwirkungen noch langfristige Folgen abschätzen. Die Vorstellungen der Klägerin im Hinblick auf die erhofften Veränderungen durch Hormone und bessere Akzeptanz seien auch unter Berücksichtigung der konstitutionellen Voraussetzungen unrealistisch. Aus gutachterlicher Sicht bestünden erhebliche Zweifel, dass die Klägerin die Nachhaltigkeit des irreversiblen Eingriffs (Hormontherapie und operative Maßnahmen) und die langfristigen Folgen abschätzen könne. Aus diesem Grunde könne eine Hormontherapie nicht befürwortet werden.
Mit Bescheid vom 26. März 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf eine Hormonbehandlung ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begründete diesen näher mündlich. Daraufhin holte die Beklagte erneut ein Gutachten des MDK durch Dr. B. ein, welches die bisherige Ansicht des MDK bestätigte. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und schloss sich zur Begründung der Argumentation des MDK an.
Hiergegen hat die Klägerin am 17. September 2009 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben. In einem vom Gericht eingeholten Befundbericht haben die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. S. sowie der praktische Arzt Dipl.-Med. S. angegeben, die Klägerin habe bereits bei dem ersten Kontakt im Jahre 2002 den Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung geäußert. Der Wunsch auf eine Hormonbehandlung sei dem Krankheitsbild der Transsexualität zuzuordnen. Bei solchen Maßnahmen würden die psychosomatischen Beschwerden (Kopfschmerz, depressive Verstimmung und erheblicher Leidensdruck) aus hausärztlicher Sicht wahrscheinlich gelindert. Ein Leben in der jetzigen körperlichen Geschlechtsrolle mache es der Klägerin subjektiv unmöglich, ein gesundes und zufriedenes Leben zu führen.
Das Sozialgericht hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychotherapie und Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie Privatdozent Dr. G. Dieser hat nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin unter dem 17. Juni 2011 ausgeführt, es bestehe bei der Klägerin ein unbändiger Wunsch, als Frau zu leben und anerkannt zu werden. Es existiere ein massives Unbehagen gegenüber der eigenen bestehenden körperlichen männlichen Ausprägung, woraus letztlich der sehnliche Wunsch nach entsprechender hormoneller als auch chirurgischer Behandlung resultiere. Es komme zeitweilig zu Stimmungstiefs und starker Verzweiflung aufgrund der sozialen Ablehnung als Frau. Es bestehe eine (fremd diagnostizierte) leichte Intelligenzminderung; die Klägerin könne bei teilweiser einfältiger Ausdrucksweise sowie eingeschränktem Wortschatz nicht lesen und schreiben. Dennoch sei sie zur ausreichenden Selbstreflektion fähig und könne ihre derzeitige Gefühlslage und die damit verbundene Problematik verstehen und angemessen darauf reagieren. Privatdozent Dr. G. hat die Diagnose Transsexualismus bestätigt. Diese sei durch eine Therapie nicht heilbar. Ansonsten bestünden keine psychopathologischen Auffälligkeiten.
Nach einer erneuten medizinischen Begutachtung am 2. Januar 2012 hat der MDK ausdrücklich seine bisherige Ansicht revidiert. Der Gutachter Dr. K. hat sich dem Gutachten von Privatdozent Dr. G. angeschlossen. Die sozialmedizinischen Voraussetzungen für die geplante Hormonersatztherapie lägen vor. Auf eine erneute Nachfrage der Beklagten hat Dr. K. unter dem 8. Februar 2012 mitgeteilt, eine Hormonersatztherapie würde nicht irreversiblen Veränderungen führen. Aus gutachterlicher Sicht sollte eine nochmalige Einschätzung nach einjähriger Durchführung der Hormontherapie getroffen werden. Gemäß der aktuellen Begutachtungsanleitung für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität sei davon auszugehen, dass die psychotherapeutische Behandlung beziehungsweise Begleitung auch das Therapieziel habe, die Lebbarkeit der gewünschten Geschlechterrolle anzunehmen und eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der hormonellen und operativen Behandlung zu ermöglichen.
Die Beklagte hat Zweifel geäußert, ob das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) überhaupt Eingriffe in einen nicht regelwidrigen Körperzustand rechtfertigen könne. Eingriffe in den gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, könnten nicht als Behandlung im Sinne von § 27 SGB V gewertet werden. Die Beklagte hat sich weiterhin auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 berufen (1 BvR 3295/07, BVerfGE 128, 109 ff).
Mit Urteil vom 1. März 2012 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin eine gleichgeschlechtliche Hormontherapie bei Transsexualität zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Transsexualität sei eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Von nichts anderem gehe auch das Bundesverfassungsgericht aus. Lediglich die personenstandsrechtlichen Voraussetzungen habe es abgemildert. Grundsätzlich sei bei operativen Eingriffen oder Hormonbehandlung eine Risikoabwägung notwendig. Unter Würdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen und insbesondere des Gutachtens von Privatdozent Dr. G. sowie der letzten Stellungnahme des MDK spreche alles für die Durchführung einer Hormonbehandlung.
Gegen die ihr am 4. April 2012 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 20. April 2012 Berufung eingelegt. Sie hat ausgeführt, die Klägerin könne nur Psychotherapie beanspruchen. Der Eingriff in einen gesunden Körper sei nicht zu rechtfertigen. Damit habe sich das Bundessozialgericht (BSG) bisher nicht auseinandersetzen müssen. Die Argumentation des Bundessozialgerichts bezüglich eines grundsätzlichen Leistungsanspruchs sei nicht überzeugend. Weder aus den Grundsätzen des Transsexuellengesetzes noch aus § 116b SGB V ergebe sich ein Anspruch auf ein Hormonbehandlung. Auch eine Hormontherapie ziele im Rahmen der Behandlung des Transsexualismus auf einen Eingriff in einen gesunden Körper ab und solle insbesondere zu einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes führen. Die Hormontherapie wirke nur mittelbar auf die Erkrankung ein. Eine Entstellung liege ersichtlich nicht vor. Sowohl bei der Beseitigung einer Entstellung als auch bei einer Behandlung zur äußerlichen Annäherung an das andere Geschlecht handele es sich um Behandlungen zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes. Diese unterschiedlichen Maßstäbe würden vom Bundessozialgericht nicht näher begründet. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten für die Regelwidrigkeiten die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit eines Zustandes seien nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht maßgeblich.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 1. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Ausführungen der Beklagten und ihre Kritik an der Rechtsprechung des BSG überzeugen nicht.
Rechtsgrundlage für die beanspruchte Leistung ist § 27 Abs. 1 SGB V. Diese Rechtsgrundlage hat bereits das Sozialgericht zutreffend genannt; es ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte hier § 116b SGB V bzw. das Transsexuellengesetz anführt. Das BSG nennt diese Vorschriften nur, um den Rahmen des § 27 Abs. 1 SGB V zu bestimmen und dazulegen, dass es sich hier um eine Krankheit i handelt. Es hat in der von der Beklagten angeführten Entscheidung (11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R , juris) ausgeführt, "dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern (dazu a). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu b). [ ]
a) Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Versicherte leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu aa). [ ]
Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (TSG) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 (Teil 2 Fehlbildungen) Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10177).
Grundlage jeglichen Anspruchs auf Krankenbehandlung ist gemäß § 27 SGB V eine Krankheit. Diese liegt hier bei der Klägerin nach sämtlichen ärztlichen Stellungnahmen vor; die Diagnose Transsexualität ist seit langem gesichert; die Beklagte bestreitet eine solche Erkrankung nicht.
Ebenso gehen alle Gutachter und behandelnden Ärzte von einer Behandlungsbedürftigkeit aus; hiervon ist gleichfalls der Senat überzeugt. Auch die Beklagte bestreitet dies nicht. Irrigerweise meint sie jedoch, aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen Rechtssatz ableiten zu können, dass ein Eingriff in einen gesunden Körper grundsätzlich nicht erfolgen dürfe, sondern insoweit auf die Mittel der Psychotherapie zurückzugreifen sei. Ein solcher Ansatz setzt naturgemäß voraus, dass mit Mittel der Psychotherapie überhaupt ein Behandlungserfolg zu erzielen ist. Dies ist im vorliegenden Fall nach den medizinischen Gutachten von Privatdozent Dr. G. nicht der Fall; dies entspricht grundsätzlich auch dem Krankheitsbild der Transsexualität. Hierbei handelt es sich nicht um eine vorübergehende psychische Störung. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte meint, an die Rechtsprechung des BSG - die sich auf behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen bezieht - anknüpfen zu können. Die medizinischen Grenzen der Psychotherapie bei Transsexualität rechtfertigen eine davon abweichende Behandlung.
Mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zu der Brustvergrößerung bzw. Brustverkleinerung verkennt die Beklagte, dass die Rechtsprechung in der Regel das Vorliegen einer Erkrankung ablehnt, soweit nicht eine Entstellung vorliegt (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris; dazu Ulmer in Wenner/Eichenhofer, § 27 SGB V, Rn. 4 ff, 15; vgl. Urteil des Senats vom gleichen Tage, L 4 KR 1/12). Insoweit besteht ein durchaus gewichtiges Unterscheidungskriterium - Vorliegen einer Krankheit - zu dem vorliegenden Fall.
Hierzu hat das BSG (a.a.O.) mit überzeugender Begründung, der der Senat folgt, ausgeführt: "Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu bb). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu cc).
[ ]
bb) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo, in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker, in: Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).
Während die notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von
§ 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.
Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).
Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.
Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität), zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).
cc) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. [ ]
aa) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.
Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.
Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.
bb) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es demgegenüber aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.
Hier kann offen bleiben, ob bei der Klägerin möglicherweise von einer Entstellung im Sinne der Rechtsprechung auszugehen ist (vgl. BSG, 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris, m.w.N.; Ulmer in Wenner/Eichenhofer, § 27 SGB V, Rn. 13). Es ist zumindest denkbar, dass bei einer Frau, die aussieht wie ein Mann, eine körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt.
Auch in anderem Kontext lässt das Bundessozialgericht als "ultima ratio" Eingriffe in einen gesunden Körper zu (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - B 1 KR 104/06 B -, juris - Magenband). Hierzu ist - wie das Sozialgericht ebenfalls bereits zutreffend ausgeführt hat - eine Risikoabwägung erforderlich. Auch diesbezüglich schließt sich der Senat dem Sozialgericht an. Vorliegend ist eine Hormonbehandlung auch seiner Überzeugung nach die einzig wirksame Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung. Dies hat insbesondere auch der Gutachter Privatdozent Dr. G. überzeugend ausgeführt. Dieser Sachverständige ist im Senat als besonders erfahren und auch kritisch gegenüber dem Vorbringen der Kläger bekannt. Eine solche Therapie wird auch von den behandelnden Hausärzten befürwortet. Nach den Ausführungen des MDK vom 8. Februar 2012 führt eine Hormontherapie nicht zu irreversiblen Veränderungen.
Die Klägerin kann aufgrund der festgestellten intellektuellen Beeinträchtigung die Vor- und Nachteile einer solchen Behandlung zwar möglicherweise nicht in jeder Hinsicht so abwägen,sy wie dies bei einem umfassend gebildeten und intellektuell gut strukturierten Menschen der Fall wäre. Die Fähigkeit zur rechtlich bindenden Einwilligung hat sie aber nach den Darlegungen von Privatdozent Dr. B. ohne Zweifel. Denn sie ist in der Lage, die Vor- und Nachteile einer Hormonbehandlung auf ihrem intellektuellen Niveau so nachvollziehen, dass eine vernünftige Risikoabwägung möglich ist. Dies hat auch das Gutachten von Privatdozent Dr. G. für das Sozialgericht bestätigt. Dieser hat ausgeführt, die Klägerin könne sehr klar über ihre Entwicklung, Lage und Schwierigkeiten reflektieren, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Sie zeige keinerlei Zweifel oder Unsicherheiten an ihren Vorhaben. Dieser Beurteilung hat sich schließlich auch der MDK angeschlossen. Dieses Gesamtbild ist für den Senat überzeugend; insoweit hat auch die Beklagte keine Zweifel mehr geäußert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG bestanden nicht, da sich der Senat der jüngsten Rechtsprechung des BSG anschließt.
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