Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 18128/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2479/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
L 32 AS 2571/13 B PKH
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 5. September 2013 aufgehoben. Der Antragsgegnerin wird auferlegt, dem Antragsteller ab 22. Oktober 2013 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, nicht über den 31. März 2014 hinaus, vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 649,34 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten. Dem Antragsteller wird für beide Instanzen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwalt E beigeordnet.
Gründe:
I
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II.
Der im April 1988 geborene Antragsteller besitzt die rumänische Staatsbürgerschaft und hält sich mit fester Wohnanschrift seit spätestens seit September 2012 in der Bundesrepublik auf. Ihm wurde (nach Verlust eines früheren Ausweises) am 18. Juli 2012 ein deutscher Sozialversicherungsausweis ausgestellt. Er war von Februar 2012 bis zum 3. Januar 2013 abhängig beschäftigt. Nach Erlangung eines festen Wohnsitzes verschaffte er sich die Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU vom 3. September 2012. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller Arbeitslosengeld II bis zum 3. Juli 2013 und wies den Widerspruch gegen den Zeitpunkt der Befristung und den Antrag auf Fortsetzung der Leistung vom 31. Mai 2013 zurück. Der Antragsteller beantragte am 18. Juli 2013 bei der Antragsgegnerin die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II. Er gab eine selbständige Tätigkeit im Bereich hauswirtschaftlicher Tätigkeiten/Umzugshelfer ab 14. Mai 2013 an (Gewerbeanmeldung vom 14.Mai 2013), aus der er für die Monate Juli 2013 bis Januar 2014 monatliche Gewinne von durchschnittlich 145,36 EUR erwarte. Für Mai 2013 legte er Abrechungen/Quittungen und eine Überschussberechnung über 37,25 EUR vor.
Der Antragsteller hat am 25. Juli 2013 das Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Während des Verfahrens reichte er Leistungsaufstellungen gegenüber verschiedenen Auftraggebern, weitere Quittungen und Bestätigungen der Auftraggeber über selbständige Arbeitsleistungen ein. Er könne seinen Bedarf mit seinem Einkommen nicht decken. Daraus ergebe sich auch der Eilbedarf.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 5. September 2013 den Antrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II seien nicht erfüllt. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II schließe den geltend gemachten Anspruch aus. Dieser Ausschlusstatbestand werde auch vom vorrangigen Europarecht nicht verdrängt. Insoweit folge die Kammer der Rechtsprechung des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg. Eine selbständige Tätigkeit binde den Antragsteller nicht an den bundesdeutschen Arbeitsmarkt. Zwar könnten Reinigungsarbeiten auch durch Einzelpersonen selbständig verrichtet werden. Die eingereichten Quittungen würden indes belegen, dass er die Tätigkeiten stundenweise und somit keine Werk-, sondern Dienstleistungen in den Räumen des Auftraggebers erbringe, was für eine Beschäftigung nach Weisung, also für eine abhängige Beschäftigung spreche. Für eine abhängige Beschäftigung fehle es an einer Arbeitserlaubnis.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 13. September 2013. Der Beschluss sei fehlerhaft. Weder liege eine abhängige Beschäftigung vor, noch sei unter dem Gesichtspunkt eines Aufenthaltsrechts nur zum Zweck der Arbeitssuche ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen. Der Antragsteller erziele monatliche Einkünfte von ca. 169,48 EUR und sei darüber hinaus bedürftig. Dabei seien bereits die Betriebsausgaben mit 10,00 EUR monatlich für Wareneinkäufe und alle zwei Monate 15,00 EUR Telefonkosten berücksichtigt. Die Mietkosten von 323,00 EUR würden ihm darlehensweise von einem Freund vorgeschossen. Im Übrigen versuche er seinen Bedarf durch die Einkünfte zu bestreiten. Ab November habe er eine abhängige Beschäftigung in Aussicht, für die eine Arbeitserlaubnis beantragt sei.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses vom 5. September 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, ihm vorläufig mindestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich mindestens in Höhe von 649,34 EUR zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat den Antrag auf Leistung vom 18. Juli 2013 mit Bescheid vom 26. Juli 2013 abgelehnt und den Widerspruch vom 8. August 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013 zurückgewiesen. Der angefochtene Beschluss sei zutreffend. Eine Arbeitserlaubnis/EU sei dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. Dezember 2012 versagt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Kopie eines Auszuges der Verwaltungsakte (Band III) Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
II
Die Beschwerde des Antragstellers hat überwiegend Erfolg. Der Antragsteller kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe des Regelbedarfs und seiner Mietkosten abzüglich eines anrechungsfähigen Einkommens in beantragter Höhe verlangen. Sofern sein Antrag weitergehend Leistungen verlangt ("mindestens") ist er unbestimmt und deswegen unzulässig.
Weil der Antragsteller eine Änderung des bestehenden Zustandes verlangt hat, ist die Entscheidung auf der Grundlage von § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu treffen. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Nach zutreffender ständiger Rechtsprechung erscheint die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren drohen, also ein besonderer Eilbedarf für eine Entscheidung besteht und die besondere Eile rechtfertigt (Anordnungsgrund). Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 23 mwN). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 26 mwN). Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG ebd).
Aus einer derartigen Folgenabwägung ergibt sich im Falle des Antragstellers die Notwendigkeit der verfügten Anordnung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach §§ 7 Abs 1, 19, 20 SGB II für den tenorierten Bewilligungszeitraum sind beim Antragsteller erfüllt. Dieser verfügt insbesondere nicht über die ausreichenden Mittel, aktuell für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Er ist auch erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 8 Abs 1 und 2 SGB II. Die gesundheitliche Erwerbsfähigkeit ist glaubhaft. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist für den Antragsteller als Unionsbürger der Fall.
Ob der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für den Antragsteller wirksam ist, entscheidet der Senat im Rahmen des Eilverfahrens nicht, weil es sich um eine bislang höchst umstrittene und äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Deren Beantwortung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei ist zum Einen zu klären, inwieweit für Unionsbürger ein Gleichbehandlungsrecht nach Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 besteht und über § 30 Abs 2 SGB I unmittelbar rechtswirksam sein kann, während § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II einen Anwendungsbereich vor allem für ausländische Unionsbürger hat. Die Beantwortung dieser Frage wird von den Gerichten sehr unterschiedlich vorgenommen (für die Gleichbehandlung: u.a. SG Berlin, Urteile vom 24.05.2011, S 149 AS 17644/09, vom 27.03.2012, S 110 AS 28262/11; vom 25. August 2012, S 55 AS 13349/12; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2011, L 7 AS 107/11 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, L 14 AS 7623/12 B ER, SG Dresden, Beschluss vom 05.08.2011, S 36 AS 3461/11 ER; SG Berlin, Beschlüsse vom 27.04.2012, S 55 AS 8242/12 ER, vom 08.05.2012, S 91 AS 8804/12, vom 20.06.2012, S 189 AS 15170/12 ER, vom 29.06.2012, S 96 AS 15360/12 ER; a. A. insbesondere Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER, vom 03.04.2012, L 5 AS 1257/11 B ER und vom 12.06.2012, L 29 AS 1044/12 B ER). Zudem wird nachvollziehbar vertreten, dass dabei das Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zu den Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 zu klären ist und deshalb eine verbindliche Entscheidung letztendlich nur der EuGH vornehmen könne.
Sofern diese Rechtsfragen juristisch umstritten sind und insofern die endgültige Entscheidung der Beurteilung durch das Bundessozialgericht BSG bzw durch den EuGH (bei beiden Gerichtshöfen sind entsprechende Verfahren anhängig) vorbehalten bleibt und deshalb grundsätzlich auch Erfolgsaussichten bestehen, hat die einstweilige Anordnung im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung zu erfolgen. Dies gilt schon auch deshalb, weil die vorläufige Regelung in besonderer Weise das sich aus Art 1 Abs 1 und 20 Abs 1 – Sozialstaatlichkeit GG ableitende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den Umstand zu berücksichtigen hat, dass der Lebensbedarf immer nur aktuell befriedigt werden kann und eine spätere Entscheidung in der Hauptsache dazu rückwirkend nichts mehr tatsächlich beitragen kann.
Die Folgenabwägung führt hier zu der getroffenen Anordnung, weil dem Grundrecht des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei dessen aktueller existenzieller Bedürftigkeit nur fiskalische Interessen der Antragsgegnerin gegenüberstehen. Ohne die Anordnung würde die Realisierung des Grundrechts vereitelt. Dass der Antragsteller sich bislang nur mittels geliehener Gelder und geringer Einkünfte über Wasser hält, ist dabei unbeachtlich. Insofern kommt es auf die erforderliche beweisintensive Klärung des vom Antragsteller angesichts der vorgelegten Quittungen vertretbar behaupteten Umstandes einer nicht unbeachtlichen, selbständigen Tätigkeit nicht an, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hat der Antragsteller erfüllt (s.o.).
Die Höhe der Leistungen ergibt sich aus dem zur Existenzsicherung gesetzlich vorgesehenen Regelbedarf von derzeit 382,00 EUR und dem Bedarf der Unterkunftskosten von 323,00 EUR und den davon abzuziehenden anrechenbaren Einkünften. Die bisherigen Einkünfte überschreiten nach Abzug der Ausgaben in keinem Monat den vom Kläger in der jüngsten EKS angesetzten Wert von monatlich 169,48 EUR. Die höchsten Einnahmen hat der Antragsteller bislang im August 2013 mit 178,50 EUR erzielt, woraus sich mit den Ausgaben von 17,50 EUR ein Gewinn von 161,00 EUR errechnet. Insofern zeigt sich kein Spielraum für die Antragsgegnerin im Rahmen eines Ermessens nach §§ 40 SGB II, 328 SGB III, höhere Einkünfte als die vom Antragsteller im Rahmen der EKS angegebenen Einkünfte im Rahmen der geforderten Bewilligung andere Einkünfte sachgerecht anrechnen zu lassen. Weder ergibt eine sachgerechte Prognose höhere Einkünfte noch sollten – zur Vermeidung etwaiger Rückforderungen nach § 48 SGB X – geringere Einkünfte angesetzt werden. Schließlich lässt sich insofern daran denken, dass die wiederholt bestätigte und hinreichend belegte Angabe als ermessensreduzierender Wunsch im Sinne des § 33 SGB I anzusehen ist, von dem abzuweichen kein Anhaltspunkt ersichtlich ist. Auf ein Bruttoeinkommen von 169,48 EUR errechnen sich nach § 11b SGB II Freibeträge in Höhe von insgesamt 113,92 EUR, so dass Einkommen von 55,66 EUR auf den Gesamtbedarf von 705,00 EUR anzurechnen bleibt, was den beantragten Zahlbetrag von 649,34 EUR rechtfertigt.
Ob der Antragsteller die in Aussicht gestellte Arbeit wird antreten können, ist derzeit noch offen, kann daher im Rahmen der aktuell anstehenden Entscheidung noch nicht berücksichtigt werden und müsste ggf bei Arbeitsantritt durch die Antragsgegnerin korrigiert werden.
Die Befristung der Anordnung erscheint im Hinblick auf die gesetzliche Vorgabe zur Dauer des Bewilligungszeitraumes (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II) angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den ganz überwiegenden Erfolg der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller.
Prozesskostenhilfe war für beide Instanzen wegen der bestehenden Erfolgsaussichten und der prozessualen Bedürftigkeit zu gewähren. Insofern war auch der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss abzuhelfen. Selbst nach den Maßstäben der Entscheidung des Sozialgerichts war die Rechtsauffassung des Antragstellers vertretbar und konnte Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht nicht versagt werden.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
I
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II.
Der im April 1988 geborene Antragsteller besitzt die rumänische Staatsbürgerschaft und hält sich mit fester Wohnanschrift seit spätestens seit September 2012 in der Bundesrepublik auf. Ihm wurde (nach Verlust eines früheren Ausweises) am 18. Juli 2012 ein deutscher Sozialversicherungsausweis ausgestellt. Er war von Februar 2012 bis zum 3. Januar 2013 abhängig beschäftigt. Nach Erlangung eines festen Wohnsitzes verschaffte er sich die Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU vom 3. September 2012. Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller Arbeitslosengeld II bis zum 3. Juli 2013 und wies den Widerspruch gegen den Zeitpunkt der Befristung und den Antrag auf Fortsetzung der Leistung vom 31. Mai 2013 zurück. Der Antragsteller beantragte am 18. Juli 2013 bei der Antragsgegnerin die Weitergewährung von Arbeitslosengeld II. Er gab eine selbständige Tätigkeit im Bereich hauswirtschaftlicher Tätigkeiten/Umzugshelfer ab 14. Mai 2013 an (Gewerbeanmeldung vom 14.Mai 2013), aus der er für die Monate Juli 2013 bis Januar 2014 monatliche Gewinne von durchschnittlich 145,36 EUR erwarte. Für Mai 2013 legte er Abrechungen/Quittungen und eine Überschussberechnung über 37,25 EUR vor.
Der Antragsteller hat am 25. Juli 2013 das Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Während des Verfahrens reichte er Leistungsaufstellungen gegenüber verschiedenen Auftraggebern, weitere Quittungen und Bestätigungen der Auftraggeber über selbständige Arbeitsleistungen ein. Er könne seinen Bedarf mit seinem Einkommen nicht decken. Daraus ergebe sich auch der Eilbedarf.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 5. September 2013 den Antrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II seien nicht erfüllt. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II schließe den geltend gemachten Anspruch aus. Dieser Ausschlusstatbestand werde auch vom vorrangigen Europarecht nicht verdrängt. Insoweit folge die Kammer der Rechtsprechung des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg. Eine selbständige Tätigkeit binde den Antragsteller nicht an den bundesdeutschen Arbeitsmarkt. Zwar könnten Reinigungsarbeiten auch durch Einzelpersonen selbständig verrichtet werden. Die eingereichten Quittungen würden indes belegen, dass er die Tätigkeiten stundenweise und somit keine Werk-, sondern Dienstleistungen in den Räumen des Auftraggebers erbringe, was für eine Beschäftigung nach Weisung, also für eine abhängige Beschäftigung spreche. Für eine abhängige Beschäftigung fehle es an einer Arbeitserlaubnis.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 13. September 2013. Der Beschluss sei fehlerhaft. Weder liege eine abhängige Beschäftigung vor, noch sei unter dem Gesichtspunkt eines Aufenthaltsrechts nur zum Zweck der Arbeitssuche ein Leistungsanspruch nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen. Der Antragsteller erziele monatliche Einkünfte von ca. 169,48 EUR und sei darüber hinaus bedürftig. Dabei seien bereits die Betriebsausgaben mit 10,00 EUR monatlich für Wareneinkäufe und alle zwei Monate 15,00 EUR Telefonkosten berücksichtigt. Die Mietkosten von 323,00 EUR würden ihm darlehensweise von einem Freund vorgeschossen. Im Übrigen versuche er seinen Bedarf durch die Einkünfte zu bestreiten. Ab November habe er eine abhängige Beschäftigung in Aussicht, für die eine Arbeitserlaubnis beantragt sei.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses vom 5. September 2013 im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, ihm vorläufig mindestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II monatlich mindestens in Höhe von 649,34 EUR zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat den Antrag auf Leistung vom 18. Juli 2013 mit Bescheid vom 26. Juli 2013 abgelehnt und den Widerspruch vom 8. August 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013 zurückgewiesen. Der angefochtene Beschluss sei zutreffend. Eine Arbeitserlaubnis/EU sei dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. Dezember 2012 versagt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Kopie eines Auszuges der Verwaltungsakte (Band III) Bezug genommen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
II
Die Beschwerde des Antragstellers hat überwiegend Erfolg. Der Antragsteller kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe des Regelbedarfs und seiner Mietkosten abzüglich eines anrechungsfähigen Einkommens in beantragter Höhe verlangen. Sofern sein Antrag weitergehend Leistungen verlangt ("mindestens") ist er unbestimmt und deswegen unzulässig.
Weil der Antragsteller eine Änderung des bestehenden Zustandes verlangt hat, ist die Entscheidung auf der Grundlage von § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu treffen. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Nach zutreffender ständiger Rechtsprechung erscheint die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren drohen, also ein besonderer Eilbedarf für eine Entscheidung besteht und die besondere Eile rechtfertigt (Anordnungsgrund). Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 23 mwN). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr 26 mwN). Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG ebd).
Aus einer derartigen Folgenabwägung ergibt sich im Falle des Antragstellers die Notwendigkeit der verfügten Anordnung. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach §§ 7 Abs 1, 19, 20 SGB II für den tenorierten Bewilligungszeitraum sind beim Antragsteller erfüllt. Dieser verfügt insbesondere nicht über die ausreichenden Mittel, aktuell für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Er ist auch erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 8 Abs 1 und 2 SGB II. Die gesundheitliche Erwerbsfähigkeit ist glaubhaft. Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist für den Antragsteller als Unionsbürger der Fall.
Ob der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für den Antragsteller wirksam ist, entscheidet der Senat im Rahmen des Eilverfahrens nicht, weil es sich um eine bislang höchst umstrittene und äußerst komplexe Rechtsfrage handelt. Deren Beantwortung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dabei ist zum Einen zu klären, inwieweit für Unionsbürger ein Gleichbehandlungsrecht nach Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 besteht und über § 30 Abs 2 SGB I unmittelbar rechtswirksam sein kann, während § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II einen Anwendungsbereich vor allem für ausländische Unionsbürger hat. Die Beantwortung dieser Frage wird von den Gerichten sehr unterschiedlich vorgenommen (für die Gleichbehandlung: u.a. SG Berlin, Urteile vom 24.05.2011, S 149 AS 17644/09, vom 27.03.2012, S 110 AS 28262/11; vom 25. August 2012, S 55 AS 13349/12; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.07.2011, L 7 AS 107/11 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.04.2012, L 14 AS 7623/12 B ER, SG Dresden, Beschluss vom 05.08.2011, S 36 AS 3461/11 ER; SG Berlin, Beschlüsse vom 27.04.2012, S 55 AS 8242/12 ER, vom 08.05.2012, S 91 AS 8804/12, vom 20.06.2012, S 189 AS 15170/12 ER, vom 29.06.2012, S 96 AS 15360/12 ER; a. A. insbesondere Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012, L 20 AS 2347/11 B ER, vom 03.04.2012, L 5 AS 1257/11 B ER und vom 12.06.2012, L 29 AS 1044/12 B ER). Zudem wird nachvollziehbar vertreten, dass dabei das Verhältnis der Richtlinie 2004/38/EG zu den Art 2, 3, 4, 70 EU-VO 883/2004 zu klären ist und deshalb eine verbindliche Entscheidung letztendlich nur der EuGH vornehmen könne.
Sofern diese Rechtsfragen juristisch umstritten sind und insofern die endgültige Entscheidung der Beurteilung durch das Bundessozialgericht BSG bzw durch den EuGH (bei beiden Gerichtshöfen sind entsprechende Verfahren anhängig) vorbehalten bleibt und deshalb grundsätzlich auch Erfolgsaussichten bestehen, hat die einstweilige Anordnung im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung zu erfolgen. Dies gilt schon auch deshalb, weil die vorläufige Regelung in besonderer Weise das sich aus Art 1 Abs 1 und 20 Abs 1 – Sozialstaatlichkeit GG ableitende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den Umstand zu berücksichtigen hat, dass der Lebensbedarf immer nur aktuell befriedigt werden kann und eine spätere Entscheidung in der Hauptsache dazu rückwirkend nichts mehr tatsächlich beitragen kann.
Die Folgenabwägung führt hier zu der getroffenen Anordnung, weil dem Grundrecht des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei dessen aktueller existenzieller Bedürftigkeit nur fiskalische Interessen der Antragsgegnerin gegenüberstehen. Ohne die Anordnung würde die Realisierung des Grundrechts vereitelt. Dass der Antragsteller sich bislang nur mittels geliehener Gelder und geringer Einkünfte über Wasser hält, ist dabei unbeachtlich. Insofern kommt es auf die erforderliche beweisintensive Klärung des vom Antragsteller angesichts der vorgelegten Quittungen vertretbar behaupteten Umstandes einer nicht unbeachtlichen, selbständigen Tätigkeit nicht an, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen hat der Antragsteller erfüllt (s.o.).
Die Höhe der Leistungen ergibt sich aus dem zur Existenzsicherung gesetzlich vorgesehenen Regelbedarf von derzeit 382,00 EUR und dem Bedarf der Unterkunftskosten von 323,00 EUR und den davon abzuziehenden anrechenbaren Einkünften. Die bisherigen Einkünfte überschreiten nach Abzug der Ausgaben in keinem Monat den vom Kläger in der jüngsten EKS angesetzten Wert von monatlich 169,48 EUR. Die höchsten Einnahmen hat der Antragsteller bislang im August 2013 mit 178,50 EUR erzielt, woraus sich mit den Ausgaben von 17,50 EUR ein Gewinn von 161,00 EUR errechnet. Insofern zeigt sich kein Spielraum für die Antragsgegnerin im Rahmen eines Ermessens nach §§ 40 SGB II, 328 SGB III, höhere Einkünfte als die vom Antragsteller im Rahmen der EKS angegebenen Einkünfte im Rahmen der geforderten Bewilligung andere Einkünfte sachgerecht anrechnen zu lassen. Weder ergibt eine sachgerechte Prognose höhere Einkünfte noch sollten – zur Vermeidung etwaiger Rückforderungen nach § 48 SGB X – geringere Einkünfte angesetzt werden. Schließlich lässt sich insofern daran denken, dass die wiederholt bestätigte und hinreichend belegte Angabe als ermessensreduzierender Wunsch im Sinne des § 33 SGB I anzusehen ist, von dem abzuweichen kein Anhaltspunkt ersichtlich ist. Auf ein Bruttoeinkommen von 169,48 EUR errechnen sich nach § 11b SGB II Freibeträge in Höhe von insgesamt 113,92 EUR, so dass Einkommen von 55,66 EUR auf den Gesamtbedarf von 705,00 EUR anzurechnen bleibt, was den beantragten Zahlbetrag von 649,34 EUR rechtfertigt.
Ob der Antragsteller die in Aussicht gestellte Arbeit wird antreten können, ist derzeit noch offen, kann daher im Rahmen der aktuell anstehenden Entscheidung noch nicht berücksichtigt werden und müsste ggf bei Arbeitsantritt durch die Antragsgegnerin korrigiert werden.
Die Befristung der Anordnung erscheint im Hinblick auf die gesetzliche Vorgabe zur Dauer des Bewilligungszeitraumes (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II) angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den ganz überwiegenden Erfolg der Rechtsverfolgung durch den Antragsteller.
Prozesskostenhilfe war für beide Instanzen wegen der bestehenden Erfolgsaussichten und der prozessualen Bedürftigkeit zu gewähren. Insofern war auch der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss abzuhelfen. Selbst nach den Maßstäben der Entscheidung des Sozialgerichts war die Rechtsauffassung des Antragstellers vertretbar und konnte Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht nicht versagt werden.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
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