L 5 AS 557/12

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 12 AS 1658/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 557/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Juni 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 8. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2007 werden aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Einstiegsgeld ab dem 14. März 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Einstiegsgeld.

Die 1972 geborene Klägerin bezog gemeinsam mit ihrem 1993 geborenen Sohn als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie übte bis zum 7. März 2007 eine geringfügige Beschäftigung aus, aus der sie im Februar 2007 ein Einkommen iHv 178,85 EUR und im März 2007 iHv 35,77 EUR erzielte. Für den Sohn, der Unterhaltsleistungen erhielt, bezog sie Kindergeld.

Im Februar 2007 bewarb sie sich auf eine Stellenanzeige der Firma Z. Z.-G. GmbH K. (im Weiteren: ZAG). Nach einem Vorstellungsgespräch am 12. März 2007 schloss sie am Folgetag in der ..., Geschäftsstelle W., einen Arbeitsvertrag als "Bürohilfe/Hilfskraft" für eine Vollzeitbeschäftigung mit 35 Wochenstunden.ab. Es waren wechselnde Einsätze bei unterschiedlichen Firmen geplant. Das Bruttoentgelt betrug 7 EUR pro Stunde (Bruttomonatsentgelt bei 20 Arbeitstagen 980 EUR, bei 21 Arbeitstagen 1.029 EUR). Das am 14. März 2007 beginnende Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. April 2007 befristet. Die Befristung wurde mehrfach, zuletzt bis zum 7. September 2007 verlängert.

Am 13. März 2007 sprach die Klägerin wegen der Gewährung von Einstiegsgeld beim Beklagten vor. Sie erhielt ein Antragsformular und wurde aufgefordert, dieses ausgefüllt und mit einer Kopie des Arbeitsvertrags nach Erhalt der ersten Gehaltsabrechnung bei dem Beklagten einzureichen. Am Folgetag nahm die Klägerin vertragsgemäß die Tätigkeit auf. Den Antrag reichte sie mit den notwendigen Unterlagen am 20. April 2007 beim Beklagten ein.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Das Einstiegsgeld nach § 29 SGB II solle einen zusätzlichen Anreiz für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Tätigkeit bieten und sei an die Höhe des erzielten Stundenlohns gebunden. Förderungsfähig seien Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Stundenlöhne von bis zu 6,50 EUR brutto erzielt würden. Da sie einen Stundenlohn von 7 EUR erziele, sei die Gewährung von Einstiegsgeld nicht erforderlich.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2007 zurück. Zwar erfülle die Klägerin die persönlichen Voraussetzungen. Auch sei die Gewährung von Einstiegsgeld zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich, weil damit möglicherweise eine dauerhafte Überwindung der Hilfebedürftigkeit erreicht werden könne. Indes könne es vorliegend nicht gewährt werden. Bei der Entscheidung über die Gewährung dieser Ermessensleistung sei der gesetzgeberische Zweck zu berücksichtigen. Es habe ein finanziell attraktiver Anreiz geschaffen werden sollen, um arbeitslose Leistungsberechtigte zur Wahrnehmung ihrer Erwerbsobliegenheit zu befähigen bzw. zu motivieren. Nach der ermessenslenkenden Weisung des Beklagten komme eine Bewilligung grundsätzlich nur bei einem Bruttostundenlohn von bis zu 6,50 EUR in Betracht. Da der von der Klägerin erzielte Lohn diesen Wert überschreite, sei ihr Antrag abzulehnen gewesen.

Am 24. August 2007 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG) erhoben. Die Ablehnung des Antrags sei ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe bei der Entscheidung über die Gewährung von Einstiegsgeld in jedem Einzelfall sein Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben. Der pauschale Verweis auf eine interne Weisung könne die Einzelfallprüfung nicht ersetzen. Ihre persönlichen Verhältnisse, wie die Bedarfsgemeinschaft mit ihrem minderjährigen Sohn und die erhöhten Fahrtkosten aufgrund wechselnder Einsatzorte, seien nicht berücksichtigt worden.

Mit Urteil vom 15. Juni 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Einstiegsgeld nach § 29 SGB II. Nach der vom Beklagten zur einheitlichen Auslegung des Rechtsbegriffs der Erforderlichkeit erlassenen verwaltungsinternen Weisung sei die Gewährung nur bei einem Bruttostundenlohn von bis zu 6,50 EUR möglich. Unstreitig liege der von ihr erzielte Arbeitslohn darüber. Besondere Gründe, die es rechtfertigen würden, von der vorliegenden Regelung abzuweichen, seien nicht vorgetragen worden. Der Umstand, dass die Klägerin für einen minderjährigen Sohn zu sorgen habe, sei nicht entscheidend.

Gegen das ihr am 8. August 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. August 2012 Berufung eingelegt. Das Urteil sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil das SG die ermessenslenkende Weisung des Beklagten bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt habe, obwohl sie diese nicht zur Kenntnis erhalten habe. Es bestehe ein Verwertungsverbot. Zugleich sei dadurch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Stütze man den Ablehnungsbescheid nicht auf die Weisung, bestehe ein Ermessensausfall. Verwaltungsinterne Weisungen seien keine Normen. Der Beklagte hätte in die Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalls eintreten müssen. Die schematische Anwendung der Weisung sei ermessensfehlerhaft.

Unter dem 5. September 2012 ist der Klägerin die Verwaltungsakte des Beklagten einschließlich der ermessenslenkenden Weisung im Volltext zur Einsichtnahme übersandt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Juni 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 8. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juli 2007 aufzuheben und den Beklagte zu verpflichten, ihren Antrag auf Gewährung von Einstiegsgeld ab dem 14. März 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er habe spätestens im gerichtlichen Verfahren in hinreichender Weise Ermessenserwägungen nachgeholt. Die Angaben der Klägerin zum zeitlichen Ablauf und zur mündlichen Antragstellung am 13. März 2007 würden nicht bestritten. Jedoch könnten sie aus dem Verwaltungsvorgang nicht bestätigen, da die Ausgabe des Antragsformulars nicht vermerkt worden sei. Die Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstätte seien über die Einkommensbereinigung bei der Berechnung ihres SGB II-Leistungsanspruchs zu berücksichtigen, aber nicht bei der Entscheidung über die Gewährung von Einstiegsgeld. Er habe nach Weisung entschieden und dadurch sein Ermessen fehlerfrei betätigt. "Einzig und allein die Höhe des vereinbarten Lohnes" habe der Gewährung entgegen gestanden.

Die Beteiligten haben sich mit Erklärungen vom 18. und 19. März 2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der Beratung des Senats.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 124 Abs. 2 iVm § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG erhoben worden sowie iSv § 143 SGG statthaft. Überdies ist die Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, weil die Klägerin mit der begehrten Neubescheidung ihres Förderungsantrags wirtschaftlich letztlich die Bewilligung von Einstiegsgeld nach § 29 SGB II in der Fassung vom 20. Juli 2006 (BGBl I Seite 1706) begehrt. Vorliegend bestand das Beschäftigungsverhältnis, für das die Leistung begehrt wird, für einen Zeitraum von knapp sechs Monaten. Geht man von einer monatlichen Förderung iHv 50 % des maßgeblichen Regelbedarfs (bis 30. Juni 2007 345 EUR) aus, ist der Beschwerdewert iHv 750 EUR überschritten.

Streitgegenständlich ist – nach dem zutreffenden Antrag der Klägerin – allein die Verpflichtung des Beklagten zur ermessensfehlerfreien Neubescheidung des Antrags auf Eingliederungsleistungen. Dabei handelt es sich um einen von den laufenden Leistungen der Grundsicherung abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9. November 2010, Az.: B 4 AS 7/10 R, juris RN 18, zu den Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II), der isoliert geltend gemacht werden kann.

Es handelt sich um eine Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage iSv § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, da gemäß § 29 Abs. 1 und 2 SGB II die Entscheidungen über die Bewilligung sowie über die Dauer und Höhe des Einstiegsgelds in das pflichtgemäße Ermessen des Beklagten gestellt sind (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, Az.: B 4 AS 77/08 R, juris RN 10).

Die Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 8. Mai 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2007 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat von seinem gesetzlich eingeräumten Ermessen bei der Entscheidung über die Förderung gemäß § 29 SGB II nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Der angegriffene Bescheid war daher aufzuheben und der Beklagte zur Neubescheidung zu verurteilen (§ 131 Abs. 3 SGG).

Nach § 16 Abs. 2 Nr. 5 iVm § 29 Abs. 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung kann erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Es kann auch gewährt werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach der Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm liegen vor. Die Klägerin war fortlaufend leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 SGB II, insbesondere hilfebedürftig nach § 9 SGB II. Die Gewährung von Einstiegsgeld war auch erforderlich im Sinne der Vorschrift. Der Wortlaut von § 29 Abs. 1 SGB II macht deutlich, dass die Leistung den Zweck hat, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit anzuregen und zu unterstützen. Einen Anreiz für eine Arbeitsaufnahme kann die Leistung nur dann darstellen, wenn die Gewährung und die Aufnahme der Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Eine Bewilligung scheidet grundsätzlich aus, wenn die Förderung einer bereits ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt wird, ohne dass gleichzeitig Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der Beschäftigung bestehen, beispielsweise von einer geringfügigen zu einer vollen Erwerbstätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006, Az.: B 11b AS 3/05 R, juris RN 16). Wird die Beschäftigung bereits ausgeübt, kann die bezweckte Motivationshilfe für eine Beschäftigungsaufnahme nicht mehr erreicht werden. Eine solche ist auch dann nicht erforderlich, wenn ein Arbeitsloser auch ohne die Förderung bereits fest entschlossen ist, die angebotene Beschäftigung zu beginnen.

Vorliegend war die Klägerin im Zeitpunkt der ersten mündlichen Antragstellung am 13. März 2007 noch arbeitslos. Denn sie hatte die Arbeit noch nicht aufgenommen. Die Arbeitsaufnahme erfolgte am folgenden Tag, dem 14. März 2007, mithin nach der Antragstellung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin auch unabhängig von der Gewährung der Förderung zur Arbeitsaufnahme bereits fest entschlossen gewesen wäre.

Da die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Förderung mittels Einstiegsgeld vorlagen, hatte der Beklagte zu entscheiden, ob, für welchen Zeitraum und in welcher Höhe er sie gewährt. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.

Die Besonderheit einer Ermessensleistung ist es, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise trotz Erfüllung der notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall eine bestimmte Rechtsfolge nicht vorgibt. Die Behörde kann die begehrte Rechtsfolge verfügen, muss es aber nicht. Der Bürger hat in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens nach § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I), nicht aber auf die Leistung. Dementsprechend ist die gerichtliche Kontrolle bei der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung auf die Frage beschränkt, ob die Verwaltung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, und ob sie die durch Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs abstrakt ermittelten Grenzen beachtet hat. Denn die Verwaltung hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I).

Maßgeblich kommt es darauf an, ob die Entscheidung des Beklagten als ermessensfehlerfrei oder ermessensfehlerhaft zu bewerten ist. Vorliegend genügt die Entscheidung des Beklagten nicht den Anforderungen an eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Der Beklagte konnte seinen Bescheid nicht (ausschließlich) auf seine verwaltungsinternen Vorgaben stützen. Der von ihm als Ablehnungsgrund allein herangezogene Inhalt der sog. ermessenslenkenden Weisung zum Einstiegsgeld nach § 29 SGB II hat nur verwaltungsinterne Wirkung und vermittelt nach Außen keine Verbindlichkeit für die Auslegung von Normen.

Die Ausübung von Ermessen nach Maßgabe von ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Mangels Rechtsnormcharakter und unmittelbarer Außenwirkung können sie jedoch allenfalls eine Selbstbindung der Verwaltung bewirken und insoweit einen Anspruch auf Gleichbehandlung begründen. Es unterliegt dann der gerichtlichen Prüfung, ob die Verwaltungsvorschrift sachliche Differenzierungskriterien enthält, und ob sie mit der gesetzlichen Ermächtigung zur Ermessensausübung übereinstimmt. Die Festlegungen in den ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften müssen ihrerseits den generellen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausübung genügen. Die ermessenleitenden Vorgaben müssen – andererseits – so flexibel sein, dass neben der Beachtung allgemeiner Grundsätze auch die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls mitberücksichtigt werden können. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Einzelfall Besonderheiten aufweist, denen die allgemeinen Regelungen der Vorgabe nicht (hinreichend) Rechnung tragen.

Es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung von den Grundsätzen ausgegangen ist, die in der Weisung niedergelegt sind. Danach (§ 3) war die Gewährung eines Einstiegsgelds grundsätzlich nur bei der Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses mit einem Bruttostundenlohn von bis zu 6,50 EUR möglich. Diese Regelung einer Verdienstobergrenze ist – bei regelmäßig knappen Haushaltsmitteln, die gerecht zu verteilen sind – dem Grund nach geeignet, den gesetzgeberischen Zweck, Anreize für eine Beschäftigungsaufnahme insbesondere im Niedriglohnsektor zu bieten (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Auflage 2008, § 29 RN 1), durch eine gezielte Förderung umzusetzen. Zudem impliziert die Regelung ihrem Wortlaut nach durch die Verwendung der Formulierung "grundsätzlich", dass es auch Ausnahmen geben kann, in denen eine Förderung erfolgt, ohne das die o.g. Stundenlohnobergrenze eingehalten ist.

Da der von der Klägerin erzielte Stundenlohn den Höchstsatz nach der Weisung um 0,50 EUR überschritt, war ihr unter diesem Gesichtspunkt grundsätzlich Einstiegsgeld nicht zu gewähren.

Indes erweist sich die angegriffene Entscheidung des Beklagten als ermessensfehlerhaft, weil er der Regelung des § 3 der Weisung einen absoluten Charakter zugebilligt und sie wie einen Ausschlusstatbestand angewandt hat. Durch die fehlerhafte Interpretation des Worts "grundsätzlich" iSv "ausnahmslos" hat er die begehrte Förderung allein wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen der Weisung abgelehnt und sonstige Aspekte des Einzelfalls bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

Eine Anwendung von ermessenslenkenden Weisungen darf jedoch nicht zu "gebundenen Entscheidungen" führen. Es muss Raum bleiben für die Ausübung von Ermessen im Einzelfall (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 1993, Az.: 7 RAr 52/93, juris RN 30; Urteil vom 27. Juni 1996, Az.: 11 RAr 107/95, juris RN 35; Urteil vom 6. Dezember 2007, Az.: B 14/7b AS 50/06 R, juris RN 19).

Hierfür bietet die Verwaltungsvorschrift des Beklagten noch hinreichenden Spielraum. Denn § 3 regelt die Grundsätze der Förderung und schließt nicht aus, dass ausnahmsweise auch bei höheren Löhnen eine Förderung erfolgt. Damit ermöglicht die Regelung andere Einzelfallentscheidungen. Der Beklagte war – auch bei Anwendung der Weisung – nicht gehindert, in einem Ausnahmefall Einstiegsgeld auch dann zu bewilligen, wenn das erzielte Entgelt die Stundenlohngrenze überstieg. Diese Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung bei Anwendung der Weisung sowie die gesetzlichen Anforderungen an eine Ermessensausübung im Einzelfall hat der Beklagte vorliegend verkannt, indem er ohne Beachtung der Besonderheit des Einzelfalls allein nach den (grundsätzlichen) Vorgaben der Weisung entschieden hat.

Dies war ermessensfehlerhaft, weil mittels Verwaltungsvorschriften nur auf eine gleichmäßige Anwendung von Gesetzen hingewirkt werden kann; der Leistungsträger muss gleichwohl in jedem Einzelfall die für die Ermessensbetätigung bedeutsamen Umstände prüfen (vgl. BSG, a.a.O; Seewald in: Kasseler Kommentar, SGB I, Stand März 2005, § 39 RN 12). Daher ist eine schematische Anwendung von Verwaltungsvorschriften – wie sie vorliegend erfolgt ist – mit einer Ermessensausübung unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen und zum Zweck der Ermächtigung iSv § 39 Abs. 1 SGB I nicht in Einklang zu bringen. Dies stellt einen Ermessensfehlgebrauch dar, der die getroffene Entscheidung rechtswidrig macht.

Denn im vorliegenden Fall bestand Anlass zur Prüfung der individuellen Besonderheiten des Falles der Klägerin. Insoweit war von Bedeutung, dass die Klägerin als alleinerziehende Mutter für einen minderjährigen Sohn zu sorgen hatte. Dieser Umstand der bestehenden Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft sowie die aus dem Umstand der Alleinerziehung entstehenden Erschwernisse auf dem Arbeitsmarkt, die allgemein bekannt sind, sind angesichts der gesetzlichen Zielsetzung der Förderung, einen finanziell attraktiven Anreiz für eine Arbeitsaufnahme zu schaffen, bei der Ermessensentscheidung im Einzelfall zu beachten. Dies gilt insbesondere vorliegend, da im Wortlaut der Weisung individuelle Eingliederungshemmnisse nicht berücksichtigt sind. Der Beklagte hätte daher – um den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung gerecht zu werden – auf die vorgenannten Besonderheiten des Einzelfalls eingehen müssen.

Hingegen ist der weitere von der Klägerin im Verfahren angeführte Umstand, ihr seien mit der Aufnahme der Beschäftigung wegen der wechselnden Einsatzorte erhebliche Fahrtkosten entstanden, für die Ermessensausübung – bezogen auf das begehrte Einstiegsgeld – nach der Auffassung des Senats nicht maßgebend zu beachten. Insoweit hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die Fahrtkosten bei der Einkommensbereinigung im Rahmen der ergänzenden Leistungsgewährung nach dem SGB II als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II) zu berücksichtigen waren und zudem die Möglichkeit der steuerrechtlichen Geltendmachung bestand.

Eine ermessensfehlerhaften Entscheidung wegen der Außerachtlassung von wesentlichen Aspekten des Einzelfalls ist einer Heilung iSv § 41 Abs. 1 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nicht zugänglich. Es handelt sich nicht um einen Fall der Ergänzung einer unvollständigen Begründung. Eine solche ist – im Gegensatz zur Auffassung des SG im angegriffenen Urteil – im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ohnehin nicht erfolgt. Vielmehr hat der Beklagte auf entsprechende Nachfrage ausdrücklich klargestellt, allein nach den Vorgaben der Weisung entschieden zu haben. Nach seiner Auffassung war bei der ihm obliegenden Entscheidung über die Bewilligung von Einstiegsgeld nach § 29 SGB II nur die Höhe des vereinbarten Stundenlohns relevant. Zudem wäre ein Nachschieben von Ermessensgründen im Klageverfahren auch unzulässig (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 10. Auflage 2010, § 41 RN 11 f.).

Der Beklagte wird bei der Neubescheidung des Antrags der Klägerin die vorstehenden Ausführungen zu beachten haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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