Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 42 AS 3329/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 92/12 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Maßstab des BVerfG bei einstweiliger Anordnung
Bei existenzsichernden Leistungen (hier Arbeitslosengeld II) ist unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Dies ist dann der Fall, wenn (1.) schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hausptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind, (2.) die Anwendung des Prüfungsmaßstabs des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft) zu einer Ablehnung des Eilantrages führen würde und (3.) die Sach und Rechtslage nicht abschließend geprüft werden kann.
Bei existenzsichernden Leistungen (hier Arbeitslosengeld II) ist unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Dies ist dann der Fall, wenn (1.) schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hausptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind, (2.) die Anwendung des Prüfungsmaßstabs des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft) zu einer Ablehnung des Eilantrages führen würde und (3.) die Sach und Rechtslage nicht abschließend geprüft werden kann.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. Januar 2012 wird abgeändert und der Antragsgegner vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller Arbeitslosengeld II wie folgt zu gewähren:
* für die Zeit von 01.01.2012 bis 31.01.2012 in Höhe von 187,- Euro und
* für die Zeit von 01.02.2012 bis 30.04.2012 in Höhe von 700,- Euro monatlich.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist in dem Eilverfahren, ob und in welchem Umfang dem Antragsteller Arbeitslosengeld II zusteht, insbesondere, ob dieser aus unterschiedlichen selbstständigen Tätigkeiten Einkommen erzielt.
Der 1966 geborene Antragsteller war in der Vergangenheit in verschiedenen Unternehmen im Bereich der Vermittlung und Finanzierung von Immobilien sowie der Beratung in Finanzfragen selbstständig tätig. An ein Insolvenzverfahren schloss sich eine Wohlverhaltensphase an, die im August 2011 endete.
Der Antragsteller bezieht seit 21.10.2009 Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Er bewohnt eine Mietwohnung von 52,8 qm Wohnfläche. Hierfür fällt eine Kaltmiete von 597,20 Euro an, mit Neben- und Heizkosten kostet die Wohnung im Monat 800,- Euro. In dieser Wohnung wohnte neben dem Antragsteller auch dessen Mutter. Diese habe laut Antragsteller keine Miete bezahlt (Seite 510 Verwaltungsakte). In einer Erklärung vom Mai 2011 (Seite 404 der Verwaltungsakte) versicherte der Vater des Antragstellers, ebenfalls in der Wohnung des Antragstellers gemeldet zu sein und dort im Jahr durchschnittlich fünf Monate zu wohnen. Die Mutter verzog zum 01.10.2011 zum Bruder des Antragstellers nach H ...
Dem Antragsteller wurden zuletzt mit Bescheid vom 17.05.2011 Leistungen für die Zeit von Mai bis einschließlich Oktober 2011 in Höhe von monatlich 763,99 Euro bewilligt, bestehend aus der Regelleistung von 364,- Euro und der halben tatsächlichen Miete von 399,99 Euro.
Mit Bescheid vom 12.10.2011 erfolgte eine Absenkung in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs für die Monate November und Dezember 2011 sowie Januar 2012. Der Antragsteller habe am 06.08.2011 eine Eingliederungsmaßnahme abgebrochen. Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Mit Bescheid ebenfalls vom 12.10.2011 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld II zum 01.10.2011 aufgehoben, weil der Antragsteller mitgeteilt hatte, zu diesem Zeitpunkt nach N. umzuziehen. Der Antragsteller erhob dagegen Widerspruch und teilte mit, dass sich der Umzug nach N. zerschlagen habe. In der Folge wurde Arbeitslosengeld II für Oktober 2011 wieder ausgezahlt. Inwieweit ein Abhilfebescheid ergangen ist, lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen.
Am 12.10.2011 beantragte der Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen für die Zeit ab 01.11.2011. Dabei übermittelte er Kontoauszüge, aus denen sich laufende Zahlungen von 200,- Euro monatlich an das Finanzamt und erhebliche Zahlungen an eine Steuerberaterin und für Telefongebühren ergaben. Mietzahlungen waren den Kontoauszügen nicht zu entnehmen. Stattdessen übermittelte der Antragsteller einen Darlehensvertrag und Zahlungsunterlagen, wonach ein Herr P.H. ihm ein Darlehen von monatlich 400,- Euro zur Zahlung der Mietdifferenz einräume. Aus ebenfalls vorgelegten Zahlungsunterlagen ergibt sich, dass Herr P.H. seit September 2009 die gesamte Miete von 800,- Euro an die Vermieterin überweist.
Um zu überprüfen, wer in der Wohnung des Antragstellers wohne, erfolgte am 17.10.2011 ein Hausbesuch. Dabei wurde festgestellt, dass die Mutter des Antragstellers ausgezogen war. Ferner wurde festgestellt, dass der Briefkasten des Antragstellers mit dem Namen einer Immobilienfirma versehen war. Eine anschließende Internetrecherche des Antragsgegners ergab, dass der Antragsteller unter verschiedenen Adressen für verschiedene Immobilienfirmen als Ansprechpartner oder im Firmennamen namentlich bezeichnet wurde. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 20.10.2011 und 24.11.2011 aufgefordert, Unterlagen und Nachweise zu den verschiedenen Firmen und Tätigkeiten vorzulegen. Außerdem habe der Antragsteller nachzuweisen, wovon er in den letzten sechs Monaten gelebt habe.
Mit Bescheid vom 09.12.2011 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen ab 01.11.2011 ab. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht ausreichend nachgewiesen. Es seien Gewerbe angemeldet worden, ohne dass dies der Behörde mitgeteilt worden sei. Die Frage, wie neben den nachgewiesenen hohen laufenden Ausgaben die Lebenshaltung bestritten worden sei, sei nicht ausreichend beantwortet worden. Seit Beginn des Leistungsbezugs habe der Antragsteller Darlehen von über 27.000,- Euro aufgenommen, deren Rückzahlung offen sei. Der Antragsteller erhob dagegen Widerspruch, ohne diesen inhaltlich zu begründen. Darüber wurde noch nicht entschieden.
Am 19.12.2011 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Er beantrage laufende Leistungen in voller Höhe. Er verfüge derzeit über keine finanziellen Mittel oder Ersparnisse. Er könne seinen Lebensunterhalt nicht decken und seine Miete nicht bezahlen. Darlehen dürften nicht berücksichtigt werden. Er sei an Unternehmen, die unter seinem Namen firmierten, seit Jahren nicht mehr beteiligt bzw. kenne manche der vom Antragsgegner genannten Firmen gar nicht. Vorgelegt wurde ein Schreiben der Vermieterin, in dem diese die ausstehende Miete für Januar 2012 anmahnte.
Das Sozialgericht München lehnte mit Beschluss vom 11.01.2012 den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft, weil die Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft sei. Aus den Kontoauszügen würden sich erhebliche Ausgaben (Finanzamt, Telefon, Steuerberaterin) ergeben, aber keine Abbuchungen oder Überweisungen in Zusammenhang mit dem Lebensunterhalt. Es werde auch keine Miete abgebucht. Der Antragsteller müsse andere Einnahmen haben. Es sei wahrscheinlich, dass er sich als Immobilienmakler betätige. Eine Kündigung der Wohnung oder Räumungsklage gebe es nicht. Auch eine Folgenabwägung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehe zulasten des Antragstellers aus. Der Antragsteller habe es selbst unmöglich gemacht, die Verhältnisse hinsichtlich der ausgeübten Gewerbe und dem Bestreiten des Lebensunterhalts zu prüfen.
Der Antragsteller hat am 20.01.2012 beim Sozialgericht München Beschwerde gegen den Beschluss vom 11.01.2012 eingelegt. Dabei verwies er auf Zahlungen an das Finanzamt (insgesamt 1700,- Euro) und Barabhebungen von durchschnittlich 447,- Euro im Monat (4025,- Euro für neun Monate). Er erziele keine Einkünfte aus Gewerbe. Mit weiteren Darlehen habe er die Mieten für Dezember 2011 und Januar 2012 bezahlt. Eine Aussicht auf Folgedarlehen bestehe aber nicht. Mit Einverständnis des Antragstellers hat das Beschwerdegericht bei der Steuerberaterin des Antragstellers die Auskunft eingeholt, dass dieser bis einschließlich 30.09.2011 keine Betriebseinnahmen erzielt habe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab 01.11.2011 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist auch teilweise begründet, weil dem Antragsteller im tenorierten Umfang vorläufig Arbeitslosengeld II zuzusprechen ist.
Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbes. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05) ist bei Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein besonderer Prüfungsmaßstab anzulegen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind. Demnach hat das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Wenn dies nicht möglich ist, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die Gerichte eine Verletzung der Grundrechte, insbesondere der Menschenwürde, auch wenn diese nur möglich erscheint und nur zeitweilig andauert, zu verhindern haben. Ein Abschlag bei der Leistungsgewährung ist aber möglich.
Bei einer vollständigen Ablehnung von Leistungen zur Grundsicherung durch die Behörde ist eine Verletzung der Grundrechte möglich, wenn keine anderweitigen Mittel (z.B. Schonvermögen oder ausreichende Unterstützung durch Dritte) zur Verfügung stehen. Eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage ist hier nicht möglich. Es ist nicht aufklärbar, ob der Antragsteller nur aus Nachlässigkeit nach wie vor bei verschiedenen Unternehmen als Ansprechpartner oder Firmeninhaber benannt wird oder dort tatsächlich schon seit längerer Zeit ausgeschieden ist. Ebenso ist nicht aufklärbar, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt bestreitet. Wenn - so wie er vorträgt - die Miete von 800,- Euro tatsächlich vollständig von Herrn P.H. an die Vermieterin bezahlt wird und er davon 400,- Euro als Darlehen von Herrn H.P. bekommt, die anderen 400,- Euro ihm in bar übergibt, dann sind die durchschnittlichen Barabhebungen von 447,- Euro zu wenig, um auch noch den Lebensunterhalt abzudecken. Es kann sein, dass er den laufenden Lebensunterhalt mit anderen Darlehen bestreitet; das ist zumindest im Eilverfahren nicht aufklärbar. Seltsam mutet auch an, dass er seine Mutter während seines Bezugs von Arbeitslosengeld II bis September 2011 fast zwei Jahre unentgeltlich bei sich wohnen ließ. Dies mag zwar familiärer Verbundenheit geschuldet sein, entsprach aber in keiner Weise seinen finanziellen Möglichkeiten.
Bei der Folgenabwägung sind aber nicht nur die Unsicherheiten im Sachverhalt einzustellen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es trotz der Hinweise auf verschiedene Firmen keine belastbaren Hinweise auf die tatsächliche Erzielung von Einnahmen gibt. Dabei ist auch zu beachten, dass im Immobilienbereich die Geschäftsabschlüsse und Einnahmen in größeren Abständen anfallen können und der Antragsteller durch sein Insolvenzverfahren eventuell den Anschluss an den Markt verloren hat. Wenn dem so sein sollte, dann ist der Antragsteller tatsächlich mittellos und bedarf Leistungen zur Existenzsicherung.
Das Gericht hat in die Folgenabwägung auch eingestellt, dass der Antragsteller anstandslos seine Kontoauszüge vorgelegt hat und die Steuerberaterin von der Schweigepflicht befreit hat. Er ist durchaus bemüht, zur Klärung des Sachverhalts beizutragen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es nicht einfach ist, nachzuweisen, dass etwas nicht existiert, hier Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit.
Die hohen laufenden Ausgaben für das Finanzamt, die Steuerberaterin, das Telefon und die Wohnung bedeuten nicht automatisch, dass der Antragsteller über sonstiges Einkommen verfügen muss. Nach den vorhandenen Unterlagen hat der Antragsteller unter anderem von Herrn P.H. und seinem Bruder immer wieder höhere Darlehen erhalten. Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 09.12.2011 Darlehen von über 27.000,- Euro benannt. Es deutet einiges darauf hin, dass es der Antragsteller nicht geschafft hat, seinen Lebensstandard seiner Hilfebedürftigkeit anzupassen. Weshalb er trotz fehlender Leistungsfähigkeit laufend erhebliche Zahlungen an das Finanzamt erbringt, wurde auch aus den im Eilverfahren vorgelegten Unterlagen nicht deutlich. Das Beschwerdegericht geht aber davon aus, dass der Antragsteller diese Zahlungen nicht ohne Grund erbringt.
Zusammenfassend sieht das Beschwerdegericht dem Grunde nach die Notwendigkeit, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zuzusprechen.
Bei der Höhe der Leistungen ist das Beschwerdegericht von Folgendem ausgegangen:
Der Eilantrag datiert vom 19.12.2011. Für vergangene Zeiträume bis einschließlich Dezember 2011 sieht das Gericht keine Notwendigkeit einer vorläufigen Leistung.
Für die Zeit bis einschließlich Januar 2012 wurde die volle Miete bezahlt. Für Januar 2012 bestand deshalb kein Anlass, Leistungen für die Unterkunft zuzusprechen. Der Regelbedarf von 374,- Euro wurde um einen Abschlag von 20 % reduziert, weil dies in einem Eilverfahren zulässig ist und angesichts der vorgenannten Unsicherheiten im Sachverhalt angezeigt erscheint. Zugleich war im Januar auch die Sanktion im Umfang von 30 % des Regelbedarfs zu berücksichtigen, so dass sich für Januar 2012 ein Restbetrag von 187,- Euro ergibt. Damit ist zugleich die Krankenversicherung gewährleistet.
In der Zeit von Februar bis April 2012 geht das Gericht wie zuvor von einem um 20 % verminderten Regelbedarf von 374,- Euro aus, von dem dann gerundet 300,- Euro verbleiben. Bei den Kosten der Unterkunft hält das Gericht trotz des Auszugs der Mutter den bisherigen Leistungsbetrag von 400,- Euro für ausreichend. Zum einen ist der Antragsteller jahrelang mit diesem Betrag zu Recht gekommen, während seine Mutter unentgeltlich mit ihm wohnte. Ergänzend wird berücksichtigt, dass der Vater des Antragstellers regelmäßig dauerhaft mit in der Wohnung wohnt, so dass nach dem Kopfteilprinzip auf den Antragsteller nur die Hälfte der Kosten entfallen.
Bereits an dieser Stelle: Die vom Antragsteller bewohnte Wohnung ist für eine Person unangemessen teuer. Er kann nicht darauf vertrauen, diese Wohnung allein mit existenzsichernden Leistungen auf Dauer erhalten zu können. Dies verringert ferner die Möglichkeit, dass Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden, so diese entstehen sollten.
Leistungen, die im Eilverfahren zugesprochen werden, müssen zurückgezahlt werden, wenn sich im Hauptsacheverfahren (Widerspruch, Klage) ergeben sollte, dass ein Leistungsanspruch doch nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Von den ab 01.11.2011 begehrten Leistungen hat der Antragsteller nur etwa die Hälfte erhalten.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
* für die Zeit von 01.01.2012 bis 31.01.2012 in Höhe von 187,- Euro und
* für die Zeit von 01.02.2012 bis 30.04.2012 in Höhe von 700,- Euro monatlich.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist in dem Eilverfahren, ob und in welchem Umfang dem Antragsteller Arbeitslosengeld II zusteht, insbesondere, ob dieser aus unterschiedlichen selbstständigen Tätigkeiten Einkommen erzielt.
Der 1966 geborene Antragsteller war in der Vergangenheit in verschiedenen Unternehmen im Bereich der Vermittlung und Finanzierung von Immobilien sowie der Beratung in Finanzfragen selbstständig tätig. An ein Insolvenzverfahren schloss sich eine Wohlverhaltensphase an, die im August 2011 endete.
Der Antragsteller bezieht seit 21.10.2009 Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Er bewohnt eine Mietwohnung von 52,8 qm Wohnfläche. Hierfür fällt eine Kaltmiete von 597,20 Euro an, mit Neben- und Heizkosten kostet die Wohnung im Monat 800,- Euro. In dieser Wohnung wohnte neben dem Antragsteller auch dessen Mutter. Diese habe laut Antragsteller keine Miete bezahlt (Seite 510 Verwaltungsakte). In einer Erklärung vom Mai 2011 (Seite 404 der Verwaltungsakte) versicherte der Vater des Antragstellers, ebenfalls in der Wohnung des Antragstellers gemeldet zu sein und dort im Jahr durchschnittlich fünf Monate zu wohnen. Die Mutter verzog zum 01.10.2011 zum Bruder des Antragstellers nach H ...
Dem Antragsteller wurden zuletzt mit Bescheid vom 17.05.2011 Leistungen für die Zeit von Mai bis einschließlich Oktober 2011 in Höhe von monatlich 763,99 Euro bewilligt, bestehend aus der Regelleistung von 364,- Euro und der halben tatsächlichen Miete von 399,99 Euro.
Mit Bescheid vom 12.10.2011 erfolgte eine Absenkung in Höhe von 30 Prozent des Regelbedarfs für die Monate November und Dezember 2011 sowie Januar 2012. Der Antragsteller habe am 06.08.2011 eine Eingliederungsmaßnahme abgebrochen. Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden ist.
Mit Bescheid ebenfalls vom 12.10.2011 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld II zum 01.10.2011 aufgehoben, weil der Antragsteller mitgeteilt hatte, zu diesem Zeitpunkt nach N. umzuziehen. Der Antragsteller erhob dagegen Widerspruch und teilte mit, dass sich der Umzug nach N. zerschlagen habe. In der Folge wurde Arbeitslosengeld II für Oktober 2011 wieder ausgezahlt. Inwieweit ein Abhilfebescheid ergangen ist, lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen.
Am 12.10.2011 beantragte der Antragsteller die Weitergewährung von Leistungen für die Zeit ab 01.11.2011. Dabei übermittelte er Kontoauszüge, aus denen sich laufende Zahlungen von 200,- Euro monatlich an das Finanzamt und erhebliche Zahlungen an eine Steuerberaterin und für Telefongebühren ergaben. Mietzahlungen waren den Kontoauszügen nicht zu entnehmen. Stattdessen übermittelte der Antragsteller einen Darlehensvertrag und Zahlungsunterlagen, wonach ein Herr P.H. ihm ein Darlehen von monatlich 400,- Euro zur Zahlung der Mietdifferenz einräume. Aus ebenfalls vorgelegten Zahlungsunterlagen ergibt sich, dass Herr P.H. seit September 2009 die gesamte Miete von 800,- Euro an die Vermieterin überweist.
Um zu überprüfen, wer in der Wohnung des Antragstellers wohne, erfolgte am 17.10.2011 ein Hausbesuch. Dabei wurde festgestellt, dass die Mutter des Antragstellers ausgezogen war. Ferner wurde festgestellt, dass der Briefkasten des Antragstellers mit dem Namen einer Immobilienfirma versehen war. Eine anschließende Internetrecherche des Antragsgegners ergab, dass der Antragsteller unter verschiedenen Adressen für verschiedene Immobilienfirmen als Ansprechpartner oder im Firmennamen namentlich bezeichnet wurde. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom 20.10.2011 und 24.11.2011 aufgefordert, Unterlagen und Nachweise zu den verschiedenen Firmen und Tätigkeiten vorzulegen. Außerdem habe der Antragsteller nachzuweisen, wovon er in den letzten sechs Monaten gelebt habe.
Mit Bescheid vom 09.12.2011 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen ab 01.11.2011 ab. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht ausreichend nachgewiesen. Es seien Gewerbe angemeldet worden, ohne dass dies der Behörde mitgeteilt worden sei. Die Frage, wie neben den nachgewiesenen hohen laufenden Ausgaben die Lebenshaltung bestritten worden sei, sei nicht ausreichend beantwortet worden. Seit Beginn des Leistungsbezugs habe der Antragsteller Darlehen von über 27.000,- Euro aufgenommen, deren Rückzahlung offen sei. Der Antragsteller erhob dagegen Widerspruch, ohne diesen inhaltlich zu begründen. Darüber wurde noch nicht entschieden.
Am 19.12.2011 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Er beantrage laufende Leistungen in voller Höhe. Er verfüge derzeit über keine finanziellen Mittel oder Ersparnisse. Er könne seinen Lebensunterhalt nicht decken und seine Miete nicht bezahlen. Darlehen dürften nicht berücksichtigt werden. Er sei an Unternehmen, die unter seinem Namen firmierten, seit Jahren nicht mehr beteiligt bzw. kenne manche der vom Antragsgegner genannten Firmen gar nicht. Vorgelegt wurde ein Schreiben der Vermieterin, in dem diese die ausstehende Miete für Januar 2012 anmahnte.
Das Sozialgericht München lehnte mit Beschluss vom 11.01.2012 den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft, weil die Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft sei. Aus den Kontoauszügen würden sich erhebliche Ausgaben (Finanzamt, Telefon, Steuerberaterin) ergeben, aber keine Abbuchungen oder Überweisungen in Zusammenhang mit dem Lebensunterhalt. Es werde auch keine Miete abgebucht. Der Antragsteller müsse andere Einnahmen haben. Es sei wahrscheinlich, dass er sich als Immobilienmakler betätige. Eine Kündigung der Wohnung oder Räumungsklage gebe es nicht. Auch eine Folgenabwägung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehe zulasten des Antragstellers aus. Der Antragsteller habe es selbst unmöglich gemacht, die Verhältnisse hinsichtlich der ausgeübten Gewerbe und dem Bestreiten des Lebensunterhalts zu prüfen.
Der Antragsteller hat am 20.01.2012 beim Sozialgericht München Beschwerde gegen den Beschluss vom 11.01.2012 eingelegt. Dabei verwies er auf Zahlungen an das Finanzamt (insgesamt 1700,- Euro) und Barabhebungen von durchschnittlich 447,- Euro im Monat (4025,- Euro für neun Monate). Er erziele keine Einkünfte aus Gewerbe. Mit weiteren Darlehen habe er die Mieten für Dezember 2011 und Januar 2012 bezahlt. Eine Aussicht auf Folgedarlehen bestehe aber nicht. Mit Einverständnis des Antragstellers hat das Beschwerdegericht bei der Steuerberaterin des Antragstellers die Auskunft eingeholt, dass dieser bis einschließlich 30.09.2011 keine Betriebseinnahmen erzielt habe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm ab 01.11.2011 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist auch teilweise begründet, weil dem Antragsteller im tenorierten Umfang vorläufig Arbeitslosengeld II zuzusprechen ist.
Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbes. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05) ist bei Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein besonderer Prüfungsmaßstab anzulegen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind. Demnach hat das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Wenn dies nicht möglich ist, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, wobei die Gerichte eine Verletzung der Grundrechte, insbesondere der Menschenwürde, auch wenn diese nur möglich erscheint und nur zeitweilig andauert, zu verhindern haben. Ein Abschlag bei der Leistungsgewährung ist aber möglich.
Bei einer vollständigen Ablehnung von Leistungen zur Grundsicherung durch die Behörde ist eine Verletzung der Grundrechte möglich, wenn keine anderweitigen Mittel (z.B. Schonvermögen oder ausreichende Unterstützung durch Dritte) zur Verfügung stehen. Eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage ist hier nicht möglich. Es ist nicht aufklärbar, ob der Antragsteller nur aus Nachlässigkeit nach wie vor bei verschiedenen Unternehmen als Ansprechpartner oder Firmeninhaber benannt wird oder dort tatsächlich schon seit längerer Zeit ausgeschieden ist. Ebenso ist nicht aufklärbar, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt bestreitet. Wenn - so wie er vorträgt - die Miete von 800,- Euro tatsächlich vollständig von Herrn P.H. an die Vermieterin bezahlt wird und er davon 400,- Euro als Darlehen von Herrn H.P. bekommt, die anderen 400,- Euro ihm in bar übergibt, dann sind die durchschnittlichen Barabhebungen von 447,- Euro zu wenig, um auch noch den Lebensunterhalt abzudecken. Es kann sein, dass er den laufenden Lebensunterhalt mit anderen Darlehen bestreitet; das ist zumindest im Eilverfahren nicht aufklärbar. Seltsam mutet auch an, dass er seine Mutter während seines Bezugs von Arbeitslosengeld II bis September 2011 fast zwei Jahre unentgeltlich bei sich wohnen ließ. Dies mag zwar familiärer Verbundenheit geschuldet sein, entsprach aber in keiner Weise seinen finanziellen Möglichkeiten.
Bei der Folgenabwägung sind aber nicht nur die Unsicherheiten im Sachverhalt einzustellen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es trotz der Hinweise auf verschiedene Firmen keine belastbaren Hinweise auf die tatsächliche Erzielung von Einnahmen gibt. Dabei ist auch zu beachten, dass im Immobilienbereich die Geschäftsabschlüsse und Einnahmen in größeren Abständen anfallen können und der Antragsteller durch sein Insolvenzverfahren eventuell den Anschluss an den Markt verloren hat. Wenn dem so sein sollte, dann ist der Antragsteller tatsächlich mittellos und bedarf Leistungen zur Existenzsicherung.
Das Gericht hat in die Folgenabwägung auch eingestellt, dass der Antragsteller anstandslos seine Kontoauszüge vorgelegt hat und die Steuerberaterin von der Schweigepflicht befreit hat. Er ist durchaus bemüht, zur Klärung des Sachverhalts beizutragen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es nicht einfach ist, nachzuweisen, dass etwas nicht existiert, hier Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit.
Die hohen laufenden Ausgaben für das Finanzamt, die Steuerberaterin, das Telefon und die Wohnung bedeuten nicht automatisch, dass der Antragsteller über sonstiges Einkommen verfügen muss. Nach den vorhandenen Unterlagen hat der Antragsteller unter anderem von Herrn P.H. und seinem Bruder immer wieder höhere Darlehen erhalten. Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 09.12.2011 Darlehen von über 27.000,- Euro benannt. Es deutet einiges darauf hin, dass es der Antragsteller nicht geschafft hat, seinen Lebensstandard seiner Hilfebedürftigkeit anzupassen. Weshalb er trotz fehlender Leistungsfähigkeit laufend erhebliche Zahlungen an das Finanzamt erbringt, wurde auch aus den im Eilverfahren vorgelegten Unterlagen nicht deutlich. Das Beschwerdegericht geht aber davon aus, dass der Antragsteller diese Zahlungen nicht ohne Grund erbringt.
Zusammenfassend sieht das Beschwerdegericht dem Grunde nach die Notwendigkeit, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zuzusprechen.
Bei der Höhe der Leistungen ist das Beschwerdegericht von Folgendem ausgegangen:
Der Eilantrag datiert vom 19.12.2011. Für vergangene Zeiträume bis einschließlich Dezember 2011 sieht das Gericht keine Notwendigkeit einer vorläufigen Leistung.
Für die Zeit bis einschließlich Januar 2012 wurde die volle Miete bezahlt. Für Januar 2012 bestand deshalb kein Anlass, Leistungen für die Unterkunft zuzusprechen. Der Regelbedarf von 374,- Euro wurde um einen Abschlag von 20 % reduziert, weil dies in einem Eilverfahren zulässig ist und angesichts der vorgenannten Unsicherheiten im Sachverhalt angezeigt erscheint. Zugleich war im Januar auch die Sanktion im Umfang von 30 % des Regelbedarfs zu berücksichtigen, so dass sich für Januar 2012 ein Restbetrag von 187,- Euro ergibt. Damit ist zugleich die Krankenversicherung gewährleistet.
In der Zeit von Februar bis April 2012 geht das Gericht wie zuvor von einem um 20 % verminderten Regelbedarf von 374,- Euro aus, von dem dann gerundet 300,- Euro verbleiben. Bei den Kosten der Unterkunft hält das Gericht trotz des Auszugs der Mutter den bisherigen Leistungsbetrag von 400,- Euro für ausreichend. Zum einen ist der Antragsteller jahrelang mit diesem Betrag zu Recht gekommen, während seine Mutter unentgeltlich mit ihm wohnte. Ergänzend wird berücksichtigt, dass der Vater des Antragstellers regelmäßig dauerhaft mit in der Wohnung wohnt, so dass nach dem Kopfteilprinzip auf den Antragsteller nur die Hälfte der Kosten entfallen.
Bereits an dieser Stelle: Die vom Antragsteller bewohnte Wohnung ist für eine Person unangemessen teuer. Er kann nicht darauf vertrauen, diese Wohnung allein mit existenzsichernden Leistungen auf Dauer erhalten zu können. Dies verringert ferner die Möglichkeit, dass Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden, so diese entstehen sollten.
Leistungen, die im Eilverfahren zugesprochen werden, müssen zurückgezahlt werden, wenn sich im Hauptsacheverfahren (Widerspruch, Klage) ergeben sollte, dass ein Leistungsanspruch doch nicht besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Von den ab 01.11.2011 begehrten Leistungen hat der Antragsteller nur etwa die Hälfte erhalten.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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