S 8 U 214/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 214/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Fegen einer Treppe vor einem geschäftlichen Gespräch als unversicherte Vorbereitungshandlung.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Die 1960 geborene Klägerin betreibt als Einzelunternehmerin einen Fahrdienst. Ihre Geschäftsräume liegen in ihrem Privathaus. Der Zugang erfolgt über dieselbe Haustüre, zu der einige Stufen hinaufführen.

Am 4. Mai 2011 trat die Klägerin beim Fegen der Treppe zu ihrem Haus fehl und erlitt eine trimalleoläre Fraktur des rechten oberen Sprunggelenks, die osteosynthetisch versorgt wurde.

Im November 2011 zeigte die Klägerin das Unfallereignis vom 4. Mai 2011 der Beklagten als Arbeitsunfall an. Sie sei von einer Taxifahrt zurückgekehrt und habe anschließend ein Gespräch wegen einer geschäftlichen Zusammenarbeit führen wollen. Um einen guten Eindruck zu machen, habe sie noch schnell die Treppe zum Haus gefegt, wobei es zum Unfall gekommen sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 23. März 2012 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Das Fegen der Treppe sei grundsätzlich dem unversicherten privaten Bereich zuzuordnen. Der Nachweis, dass die Treppenreinigung ausschließlich aus betrieblichen Gründen erfolgt sei, sei nicht erbracht. Jahreszeitlich habe auch keine Rutsch- oder Sturzgefahr bestanden.

Der Widerspruch wurde - nach Erhebung einer daraufhin für erledigt erklärten Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Augsburg (Verfahren S 8 U 179/13) - mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2013 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 25. Juli 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die unfallbringende Tätigkeit der Klägerin sei ausschließlich geschäftlich verursacht gewesen. Eine gemischte Motivationslage habe nicht bestanden. Die Klägerin habe die Treppe gereinigt, um einen guten Eindruck zu hinterlassen und die Geschäftsbeziehung aufzubauen bzw. zu vertiefen. Die Tätigkeit sei daher nicht dem privaten Bereich zuzuordnen. Außerdem habe die Klägerin, so ist später ergänzt worden, eine Rutsch- bzw. Sturzgefahr durch Baumblüten auf der Treppe ausschließen wollen.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört worden.

Für die Klägerin wird beantragt (sinngemäß):

Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall der Klägerin am 4. Mai 2011 ein Arbeitsunfall ist.

Für die Beklagte wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid Gebrauch. Die Beteiligten sind dazu angehört worden, der Sachverhalt ist geklärt und die Sache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, § 105 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig.

Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juli 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass sie am 4. Mai 2011 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Nach § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 28/06 R).

Der innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, B 2 U 29/04 R). Für die Beurteilung, ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand, ist maßgebend, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Zu prüfen ist, ob der Verletzte eine eigene Tätigkeit verrichtet hat, deren Ergebnisse dem Unternehmen und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen sollten (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012, B 2 U 27/11 R). Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar und (subjektiv) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Diese auch als "Handlungstendenz" bezeichnete subjektive Ausrichtung des objektiven konkreten Handelns des Verletzten ist eine innere Tatsache. Wenn das beobachtbare objektive Verhalten allein noch keine abschließende Subsumtion unter den jeweiligen Tatbestand der versicherten Tätigkeit erlaubt, diese aber auch nicht ausschließt, kann die finale Ausrichtung des Handelns auf die Erfüllung des jeweiligen Tatbestandes, soweit die Intention objektiviert ist (sogenannte objektivierte Handlungstendenz), die Subsumtion tragen. Die bloße Absicht einer Tatbestandserfüllung (erst recht nicht eine niedrigere Vorsatzstufe) reicht hingegen nicht (BSG, Urteil vom 5. Mai 2012, B 2 U 8/11 R). Nicht den Tatbestand einer versicherten Verrichtung erfüllen auch Handlungen, die als Vorbereitungshandlung oder Nachbereitungshandlung dazu ausgeführt werden, eine Verrichtung zu ermöglichen oder zu unterstützen, die ihrerseits erst den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt. Einen allgemeinen Versicherungstatbestand der "versicherten Vorbereitungshandlung" gibt es nicht (BSG, Urteil vom 13. November 2012, B 2 U 27/11 R).

Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, reicht grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - aus (BSG in SozR 3-2200 § 551 RVO Nr. 16, m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSG, BSGE 45, 285; 60, 58). Hierbei trägt der Anspruchsteller, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 10/07 R).

Nach diesen Grundsätzen stand die Klägerin bei ihrer zum Unfall führenden Verrichtung am 4. Mai 2011 nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Klägerin am 4. Mai 2011 eine sogenannte Weber C-Fraktur des rechten oberen Sprunggelenks erlitten hat, als sie von der Treppe ihres Hauses gestürzt ist. Das ergibt sich insbesondere aus dem von der Beklagten eingeholten Notarzteinsatzprotokoll, in dem unter Notfallgeschehen ein Treppensturz und das Fallen auf das obere Sprunggelenk vermerkt sind.

Ferner geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin, welche bei der Beklagten unfallversichert ist, am Unfalltag noch ein Gespräch mit geschäftlichem Inhalt führen wollte. Das folgt aus den insoweit glaubwürdigen Angaben der Klägerin und den Angaben ihres Gesprächspartners. Diese stimmen überein und es besteht auch sonst kein Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit.

Das Gericht kann ferner als wahr unterstellen, dass die Klägerin kurz vor dem Gespräch und dem Unfall am 4. Mai 2011 die Treppe auch deswegen gefegt hat, um einen guten Eindruck bei ihrem Gesprächspartner zu hinterlassen. Das hat die Klägerin jedenfalls gegenüber der Beklagten von Anfang an angegeben.

Für nicht glaubhaft hält dagegen das Gericht die Angabe im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 5. Dezember 2013, die Klägerin wollte mit der Treppenreinigung auch eine Rutsch- bzw. Sturzgefahr durch herumliegende Blüten ausschließen. Dieser Vortrag ist gänzlich neu und nur als Reaktion auf den Vortrag der Beklagten im Schreiben vom 26. September 2013 erklärbar. Wäre dem tatsächlich so gewesen, hätte es nahe gelegen, diesen Umstand spätestens nach Erhalt des ablehnenden Bescheids vom 23. März 2012 zu offenbaren. Das geschah aber nicht. Ebenso wenig ist es erfolgt, nachdem im Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2013 dieser Punkt explizit angesprochen worden war. Zudem ist nach den örtlichen Gegebenheiten, die Treppe ist überdacht, eine als potenziell gefährlich einzustufende Bedeckung der Treppe mit Baumblüten als sehr unwahrscheinlich anzunehmen. Daher wertet das Gericht den klägerischen Vortrag insofern als nachgeschobene Behauptung und kann sich nicht von dessen Richtigkeit im Grad des Vollbeweises überzeugen.

Aufgrund dieser Umstände handelt es sich beim unfallbringenden Fegen der Treppe um keine wesentlich betriebsdienliche Tätigkeit. Vielmehr stellt es eine unversicherte Vorbereitungshandlung dar. Das folgt daraus, dass die Klägerin mit dem Reinigen der Treppe keine unmittelbar versicherte Handlung ausgeführt hat - anders als es für das später angesetzte Geschäftsgespräch anzunehmen gewesen wäre. Auch genügt nicht das Motiv der Klägerin, damit das spätere Geschäftsgespräch zu fördern. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass sich dieser Effekt positiv auf den Geschäftspartner der Klägerin ausgewirkt hätte. Allerdings ist diese unterstützende bzw. förderliche Wirkung bei wertender Betrachtung noch zu weit entfernt von einer Tätigkeit, die als versichert anzusehen ist, als dass sie über das Stadium einer unterstützenden Verrichtung im Vorfeld hinausginge. Dass die Verrichtung sonst als wesentlich betriebsdienlich eingestuft werden und damit schon der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein könnte, ergibt sich auch nicht aus anderen Gründen. Insbesondere handelte die Klägerin nicht, um eine mögliche Rutsch- oder Sturzgefahr zu beseitigen. Dafür gibt es keine ausreichenden objektivierbaren Anhaltpunkte. Die diesbezügliche Einlassung für die Klägerin wertet das Gericht, wie oben dargelegt, als unglaubwürdig.

Daher ist die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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