L 8 U 4202/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4285/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 4202/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18.09.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit nach Nr. 1317 und eine Berufskrankheit nach Nr. 4301/4302 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) oder diese jedenfalls als Quasi-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII festzustellen sind.

Der 1967 geborene Kläger war bis 2002 als Polier bei einem Bauunternehmen beschäftigt. Während 2000 und 2001 durchgeführter Umbauarbeiten an der Chirurgischen Klinik des Universitätsklinikums F. kam es zu gesundheitlichen Beschwerden bei dem Kläger und mehreren Kollegen, aufgrund dessen arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen im November 2000 und Juli 2001 sowie mehrere Baustellenbegehungen durch den Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten im Mai 2001 und Juli 2001 durchgeführt worden waren. Es wurden deshalb nur noch Arbeiten unter Schutzmaßnahmen, wie das Tragen einer Schutzmaske bzw. Folienabdichtung bestimmter Arbeitsplätze mit Unterdruck, ausgeführt. Am 05.07.2001 hatten Arbeitnehmer auf dieser Baustelle über Atembeschwerden und Reizungen des Rachenbereichs geklagt. Am 17.07.2001 trat aus einer Leckage einer Entlüftungsleitung eine sich schnell verflüchtigende Staub-/Gaswolke aus, die beim Kläger und einigen seiner Arbeitskollegen Atemnot und einen starken Würgereiz ausgelöst haben. Der Kläger war ab 17.07.2001 arbeitsunfähig. Sein Arbeitsverhältnis bei dem Bauunternehmen endete am 30.09.2002. Ab 01.12.2002 ist der Kläger nach eigenen Angaben selbstständig als Hausmeister tätig.

Das Ereignis vom 17.07.2001 wurde von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannt und gestützt auf das Gutachten von Professor Dr. med. Dipl.-Chemiker Tri. lehnte sie mit Bescheid vom 14.03.2002 Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung über den 14.08.2001 hinaus ab. Der Kläger habe ein Inhalationstrauma durch Stäube unbekannter chemischer und physikalischer Zusammensetzung erlitten, die nur eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit wegen Atemnot, Reizhusten und Kreislaufproblemen von bis zu vier Wochen verursacht habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers hiergegen zurück. In den Entscheidungsgründen ist außerdem ausgeführt worden, dass die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden und Expositionen daneben nicht die Voraussetzungen einer Berufskrankheit erfüllten. Ein bleibender Gesundheitsschaden auf internistischem oder neurologischem Fachgebiet liege nicht vor. Doch selbst bei Unterstellung eines adäquaten Krankheitsbildes sei eine gesundheitsschädigende äußere Einwirkung nicht durch Vollbeweis gesichert. Die Zusammensetzung der "gelben Staubwolke" habe trotz Analysen verschiedenster Materialproben aus dem Baustellenbereich nicht festgestellt werden können. Untersucht worden seien Substanzen wie der PH-Wert einer Putz- und Staubprobe, Konzentration von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe in der Luft, Pentachlorphenol, Lindan, Chloroform, Xylol, Acrylamid u.a. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Freiburg ()SG), S 7 U 1859/02) und die beim Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung (L 9 U 4767/05) des Klägers blieben ohne Erfolg (Gerichtsbescheid des SG vom 05.10.2005 und Urteil des LSG vom 15.12.2009).

Im SG Verfahren waren das Gutachten von Professor Dr. V. , Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen und für Rechtsmedizin, vom 16.06.2003 (Unfallfolgen seien in wenigen Tagen abgeklungen), das neurologische Gutachten von PD Dr. H. vom 08.12.2004 (keine persistierende organisch bedingte Funktionsstörung auf neurologischem oder neuropsychologischem Fachgebiet, Verdacht auf somatoforme Störung im Rahmen einer Belastungsreaktionen) - mit neuro-psychologischem Zusatzgutachten von Professor Dr. P. vom 29.11.2004 und neuroradiologischem Zusatzgutachten von Professor Dr. S. vom 03.12.2004 - und das nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) veranlasste Gutachten von Dr. J. vom 15.08.2005 (unfallbedingte toxische Enzephalopathie ohne aus schulmedizinischer Sicht passendes organisches Korrelat) eingeholt worden. Im Berufungsverfahren waren noch zusätzlich das Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Umweltmedizin, vom 19.02.2007 (die infolge des Inhalationstraumas geklagten Beschwerden seien nach gesicherten wissenschaftlichen toxikologischen Erkenntnissen nicht hinreichend erklärbar) und das auf Antrag nach § 109 SGG eingeholte Gutachten von Dr. B. , Facharzt für Arbeitsmedizin und Allgemeinmedizin, vom 02.09.2007 (kein Anhalt für persistierende organisch bedingte Funktionsstörung auf neurologischem und neuropsychologischen Fachgebiet; bronchiale Hyperreagibilität als Folge des Unfalls) eingeholt worden.

Im Berufungsverfahren des 9. Senats war im Rahmen eines vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermins am 27.01.2009 ein Teilvergleich zur Zahlung von Verletztengeld bis 26.03.2002 geschlossen und außerdem von der Beklagten erklärt worden, auf Antrag des Klägers werde noch über eine Berufskrankheit oder eine Wie-Berufskrankheit durch rechtsmittelfähigen Bescheid entschieden.

Mit Bescheid vom 10.02.2010 lehnte die Beklagte ab, geltend gemachte gesundheitliche Beschwerden (neurologische und neuropsychologische Funktionsstörung, insbesondere körperlicher und geistiger Leistungsabfall, Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, rezidivierende Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Kräfteverfall, Muskelschwäche, Zittern, Kreislaufbeschwerden, Brennen in Armen und Beinen) als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der BKV und die Berufskrankheit Nr. 4301/4302 der BKV festzustellen sowie die Beschwerden als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen. In den zahlreichen Begutachtungen in dem Vorverfahren habe sich weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie als Voraussetzung einer Berufskrankheit Nr. 1317 mit dem erforderlichen Vollbeweis nachweisen lassen. Ende der stationären Behandlung in Bad R. seien die charakteristischen Merkmale einer obstruktiven Atemwegserkrankung nicht mehr vorgelegen. Eine Berufskrankheit Nr. 4301/4302 läge nicht vor. Auch die Voraussetzung für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit sei nicht erfüllt, diesbezüglich werde auf den Widerspruchsbescheid vom 14.06.2002 verwiesen.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2010 zurückgewiesen. Zur Berufskrankheit Nr. 1317 fehle bereits das anspruchsbegründende Krankheitsbild. Zudem bestünden aufgrund des Gutachtens von Dr. B. Zweifel am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 1317. Hinsichtlich der Berufskrankheiten Nrn. 4301 bzw. 4302 sei ein signifikant pathologischer Befund für eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht objektiviert worden. Die Erwägungen von Dr. B. hierzu seien nicht schlüssig. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Wie-Berufskrankheit seien nicht gegeben.

Am 23.08.2010 erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (SG). Er leide nach wie vor unter den Folgen des Unfalls vom 17.07.2001. Hierbei handele es sich um vielfältige, chronisch rezidivierende auftretende Störungen, die zusammenfassend auf das Unfallereignis zurückzuführen seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.09.2012 wies das SG die Klage ab. Unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide führte das SG aus, dass die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie) und Nrn. 4301/4302 (obstruktive Atemwegserkrankung) nicht nachgewiesen seien. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einer gruppentypischen Gefährdung durch arbeitsbedingte Einwirkungen ausgesetzt gewesen sei, die die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII begründet.

Der Kläger hat am 28.09.2012 beim SG Berufung eingelegt. Er macht geltend, aufgrund der Verletzungsfolgen des Arbeitsunfalls vom 17.07.2001 sei er nicht mehr in der Lage gewesen, seine bis dahin ausgeübte Tätigkeit zu verrichten. Er habe daher in der Folge sich mit einem Hausmeisterdienst selbstständig gemacht. Auch während dieser Tätigkeit leide er unter wiederkehrenden schmerzhaften Hautausschlägen, Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit, belastungsunabhängigen Kopfschmerzen sowie Atemwegsbeschwerden. Die Atemwegsbeschwerden bzw. ein latentes Asthma seien durch den Unfall klinisch manifest geworden, wie Dr. R. 2001 ausgeführt habe, was mit dem Gutachten von Dr. B. übereinstimme. Dr. B. gehe von einer bronchiale Hyperreagibilität mit einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. aus. Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage habe das SG den Sachverhalt nicht abschließend aufgeklärt. Sofern keine Ermittlungen von Amts wegen mehr eingeleitet werden, werde ein Antrag nach § 109 SGG angekündigt. Er leide nach wie vor unter neurologischen bzw. neuropsychologischen Funktionsstörungen. Auch hierfür werde für den Fall, dass keine Ermittlungen von Amts wegen aufgenommen werden, ein Antrag nach § 109 SGG angekündigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 18.09.2012 und der Bescheid der Beklagten vom 10.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Beschwerden "neurologische und neuropsychologische Funktionsstörung, insbesondere körperlicher und geistiger Leistungsabfall, der sich in Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, rezidivierenden Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Kräfteverfall, Muskelschwäche, Zittern, Kreislaufbeschwerden, Brennen in den Armen und Beinen zeige" als Berufskrankheit nach Nr. 1317 der BKV und seine Atemwegserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 4301/4302 der BKV festzustellen, hilfsweise diese Beschwerden wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist darauf, dass die vom Kläger angeführten Behandlungs- und Befundberichte sowie die gutachterlichen Feststellungen bereits im Rahmen des zum Arbeitsunfall vom 17.07.2001 geführten Rechtsstreits gewürdigt worden seien. Unter Berücksichtigung der medizinischen und technischen Untersuchungen sei der klägerische Vorhalt unzureichender Sachverhaltsaufklärung nicht nachzuvollziehen.

Mit richterlicher Verfügung vom 23.07.2013 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass die angekündigte Antragstellung nach § 109 SGG einer beabsichtigten Terminierung dieses Rechtsstreits nicht entgegenstehe, da Einwirkungen eines Arbeitsunfalls nicht Streitgegenstand seien, die arbeitstechnische Voraussetzungen der geltend gemachten Berufskrankheit nicht erfüllt sein dürften und zu den medizinischen Befundfragen bereits ein Gutachten nach § 109 SGG im abgeschlossenen Parallelverfahren eingeholt worden sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, der Kläger hat zudem erklärt, dass kein Antrag nach § 109 SGB X (richtig: SGG) gestellt wird.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des SG einschließlich die Akte des 9. Senats (L 9 U 4767/05) des abgeschlossenen Rechtsstreits zum Arbeitsunfall vom 17.07.2001 beigezogen. Auf diese Unterlagen und auf die vor dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit.

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites sind nur die Berufskrankheiten nach Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) und nach Nr. 4301/4302 (durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, einschließlich Rhinopathie -Nr. 4301- oder durch chemisch irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen -Nr. 4301-, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) der BKV, hilfsweise eine Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen. Nur hierüber hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2010 entschieden.

Die Klage ist mit dem Begehren, die Beklagte zur Feststellung einer Berufskrankheit zu verurteilen, als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Denn der Verletzte kann seinen Anspruch auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung eine Berufskrankheit ist, nicht nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend machen. Er kann wählen, ob er stattdessen sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen will (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 B 2 U 17/10 R , BSGE 108, 274 und vom 27.04.2010 B 2 U 23/09 R zur Feststellung eines Arbeitsunfalls). Die Voraussetzungen einer Verpflichtungsklage mit anfechtbarem Verwaltungsakt und durchgeführtem Widerspruchsverfahren liegen vor, denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Verwaltungsakt vom 10.02.20010 über die geltend gemachten Berufskrankheiten entschieden und hierbei die vom Kläger vorgebrachten Gesundheitsstörungen als nicht im ursächlichen Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit stehend bewertet.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheiten Verordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind.

Die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 B 2 U 9/08 R , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheits(-erst-)schaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2009 a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze ist eine durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursachte Polyneuropathie oder Enzephalopathie (Nr. 1317 der BKV) nicht als Berufskrankheit des Klägers festzustellen.

Hinsichtlich dieser Berufskrankheit ist bereits die schädigende Einwirkung durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische nicht nachgewiesen. Sowohl Professor Dr. Tri. in seinem Gutachten vom 19.02.2002 mit Ergänzungen vom 23.04.2002 und 26.06.2002 als auch Dr. B. in seinem Gutachten vom 02.09.2007 nehmen Bezug auf den Messbericht des Gewerblichen Instituts für Fragen des Umweltschutzes vom 15.08.2001 zu Putz- und Staubproben vom 05.07.2000 und eine weitere Probeentnahme am 13.08.2001, auf den Analysebericht des Berufsgenossenschaftlichen Institutes für Arbeitssicherheit vom 13.07.2001. Übereinstimmend sind beide Sachverständigen davon ausgegangen, dass der Nachweis einer Exposition gegenüber organischen Lösemitteln selbst bei unterstellten ungünstigsten arbeitshygienischen Bedingungen nicht erbracht ist. Die Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes ergaben keine Analyseergebnisse, die vom gesicherten Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Berufskrankheit Nr. 1317 auszugehen erlauben.

Hinzu kommt, dass nach dem neurologischen Gutachten von PD Dr. H. vom 08.12.2004 mit Ergänzung vom 09.02.2005 ein neurologisches "Gebrechen" oder eine organisch bedingte Minderung der Hirnleistung und auch nach dem neurologisch-psychiatrisch-umweltmedizinischen Gutachten von Dr. K. vom 19.02.2007 eine toxische Enzephalopathie nicht zu diagnostizieren war. Damit übereinstimmend ist auch Dr. B. zu dem Ergebnis gelangt, dass zwar Teile der Symptome des Klägers dem Bild einer toxisch bedingten Enzephalopathie oder Polyneuropathie entsprechen, aber keines der beiden Krankheitsbilder mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen ist. Demgegenüber ist die Auffassung von Dr. J. in ihrem Gutachten vom 15.08.2005 für den Senat nicht überzeugend. Sie geht von einer unfallbedingten toxischen Enzephalopathie aus, auch wenn sich aus schulmedizinischer Sicht hierfür kein organisches Korrelat hat finden lassen.

Auch die Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach den Nrn. 4301 und 4302 liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Professor Dr. Tri. und auch Dr. B. haben wiederum unter Auswertung der genannten zahlreichen Ergebnisse der Probenentnahmen dargelegt, dass die Einwirkung eines konkreten atemwegsgefährdenden Stoffes während der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht hat nachgewiesen werden können. Fest steht allein, dass der Kläger einer Staub-Gaswolke am 17.07.2001 ausgesetzt gewesen ist, deren Zusammensetzung sich im Nachhinein nicht mehr hat ermitteln lassen. Dies gilt auch für Expositionen gegenüber anderen Stoffen am Arbeitsplatz für andere Zeiträume, insbesondere in den Zeiträumen von November 2000 und Mai 2001.

Ebenso ist der Senat aufgrund der Ausführungen von Dr. F. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 25.10.2007 und von Dr. Trä. in dessen beratungsärztlicher Stellungnahme vom 25.08.2009 davon überzeugt, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers als medizinische Voraussetzung für beide Berufskrankheiten nicht mit einer den Vollbeweis erfüllenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu diagnostizieren ist. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen im Urteil des 9. Senats vom 15.12.2009 an, wonach eine grenzwertige ubiquitäre bronchiale Hyperreagibilität bereits im November 2001 nicht mehr festzustellen war. Die vorübergehenden (Unfall-)Folgen des Inhalationstraumas waren ab diesem Zeitpunkt abgeklungen. Als obstruktive Atemwegserkrankungen zu diagnostizierende Gesundheitsstörungen sind daneben nicht nachgewiesen.

Darüber hinaus wäre selbst bei fortbestehender ubiquitärer bronchialer Hyperreagibilität ein beruflicher Zusammenhang entgegen den Ausführungen von Dr. B. nicht zu begründen. Die lungenfachärztlichen Untersuchungen bei Dr. R. im August/September 2001 ergaben eine nach bronchialer Provokation mit Carbachol auslösbare Obstruktion sowie eine polyvalente Allergie u.a. für Hundeschuppen, Gräser und Hausstaubmilben. Eine leichte Ansprechbarkeit für Atemwegsbeschwerden beruht daher zunächst auf berufsunabhängigen Faktoren. Soweit Dr. B. den Arbeitsunfall am 17.07.2001 als wesentliche Ursache für das Akutwerden der latent vorhandenen, nach seiner Auffassung noch fortbestehenden bronchialen Hyperreagibilität bewertet, ist dies zudem rechtlich nicht zutreffend. Eine zu Gunsten des Klägers einmal als gegeben unterstellte Exposition gegenüber einschlägigen Berufsstoffen wäre für die - ebenfalls unterstellte - von Dr. B. angenommene bronchiale Hyperreagibilität nicht wesentlich kausal, sie wäre nur Gelegenheitsursache

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff mwN sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Nach ständiger Rechtsprechung kann es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das versicherte Ereignis - hier berufsbedingte Einwirkungen - wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Bei der Abwägung kann der Schwere der Einwirkung Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Geschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4 2700 § 8 Nr, 17; B 2 U 40/05 R , UV Recht Aktuell 2006, 419; B 2 U 26/04 R , UV Recht Aktuell 2006, 497; alle auch veröffentlicht in Juris).

Nach diesen Voraussetzungen ist die auf überall vorkommende, weit verbreitete Reizstoffe (ubiquitär) ansprechende, bronchiale Überempfindlichkeit des Klägers nicht durch den Umgang mit Berufsstoffen wesentlich akut geworden, sondern nur bei Gelegenheit. Da davon auszugehen ist, dass jede andere, auch nicht berufliche Exposition gegenüber dem auch andernorts vorkommenden auslösenden Stoffen zu der - vorliegend wohl auch immer nur vorübergehend bestehenden -Atemwegsobstruktion geführt hätte.

Die Berufung hat auch mit dem Hilfsantrag keinen Erfolg. Die Anerkennung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII kommt nicht in Betracht.

Liegt eine Listenkrankheit nicht vor, scheidet die Anerkennung als Berufskrankheit aus. Auch die Anerkennung von Erkrankungen, die noch nicht in der Anlage 1 erfasst sind ("Quasiberufskrankheit" oder "Wie-Berufskrankheit"), nach § 9 Abs. 2 SGB VII (früher § 551 Abs. 2 RVO) setzt voraus, dass die übrigen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Abs. 1 der Vorschrift vorliegen (Berufskrankheitenreife). Nach § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. § 551 Abs. 2 RVO sollen die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Berufskrankheiten-Liste enthalten ist, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII bzw. § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Hierzu gehören der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der versicherten Tätigkeit und die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen. Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (ständige Rspr. BSG, Urteile vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - und 04.06.2002 - B 2 U 16/01 R - , juris, SGb 2002, 496). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG, Urt. vom 04.06.2002, a.a.O., m. w. N.). Nicht ausreichend ist, dass überhaupt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, sondern es muss sich hinsichtlich der neuen Erkenntnisse eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet bereits gebildet haben (BSG a. a. O.). Neu in diesem Sinne sind die Erkenntnisse, wenn sie in der letzten Änderung der Verordnung noch nicht berücksichtigt sind. Das ist der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach dem Erlass der letzten Änderung der Verordnung gewonnen wurden oder zu diesem Zeitpunkt im Ansatz vorhanden waren, sich aber erst danach zur Berufskrankheitenreife verdichtet haben bzw. wenn die Erkenntnisse dem Verordnungsgeber entgangen sind und er deshalb eine Änderung der BKVO/BKV überhaupt nicht erwogen hat oder hatte. Hat der Verordnungsgeber auf der Grundlage medizinischer Erkenntnisse bereits eine Berufskrankheit in die Liste aufgenommen oder die Bezeichnung einer Erkrankung richtiggestellt oder erweitert oder gar ausdrücklich die Erweiterung des listenmäßigen Versicherungsschutzes abgelehnt, sind diese Erkenntnisse nicht mehr neu i. S. der Vorschrift (BSG, Urt. vom 21.01.1997 2 RU 7/96 = SGb 1997, 111; zum Vorstehenden auch: Beschluss des Senats vom 12.09.2011 - L 8 U 1000/10 -, unveröffentl., und vom 28.01.2011 - L 8 U 1205/10 - juris, sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.08.2010 - L 1 U 2307/10 -).

Gruppenspezifische Merkmale für eine gesundheitsgefährdende Verrichtung und eine abgrenzbare hieraus resultierende Gesundheitsstörung, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis die alsbaldige Aufnahme in die Berufskrankheitenliste rechtfertigt, ist nicht ersichtlich noch ist solches vom Kläger hinreichend konkret vorgetragen.

Der Senat hat aufgrund der oben genannten, überzeugenden medizinischen Gutachten und der nachvollziehbaren analytischen Berichte der möglichen Exposition des Klägers gegenüber gesundheitsgefährdenden Stoffen keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen gesehen. Der Kläger hat hierzu auch nichts weiter vorgetragen. Den angekündigten Antrag nach § 109 SGG hat der Kläger ausdrücklich nicht mehr gestellt (Schriftsatz vom 10.12.2013).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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