L 16 AS 727/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 AS 2292/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 727/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 334/13 S
Datum
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
wegen einstweiliger Anordnung
1. Ein durch einen Bevollmächtigten gestellter Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes muss erkennen lassen, wer als Bevollmächtigter für den Antragsteller das Verfahren führen soll. Andernfalls ist der Antrag gemäß § 90 SGG nicht wirksam gestellt und damit unzulässig.
2. Eine Heilung im Beschwerdeverfahren ist nicht möglich.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23.10.2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1964 geborene Antragsteller bezieht zusammen mit seiner 1978 geborenen Ehefrau und den gemeinsamen 2005 und 2007 geborenen Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Ehefrau des Antragstellers ist versicherungspflichtig beschäftigt. Der Antragsteller ist selbstständig tätig, erzielt hieraus aber kein anrechenbares Einkommen.

Für die Zeit ab dem 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Familie mit vorläufigem Bescheid vom 13.08.2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 19.09.2013 Leistungen in Höhe von insgesamt 722,46 EUR monatlich bzw. ab 01.12.2013 bis 31.01.2014 in Höhe von monatlich 725,46 EUR.

Sowohl gegen den Bewilligungsbescheid vom 13.08.2013 als auch gegen den Änderungsbescheid vom 19.09.2013 legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 12.09.2013 beantragte eine C.-RA in A., als "Prozessbevollmächtigte" im Auftrag des Antragstellers und seiner Ehefrau beim Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, vom Einkommen der Ehefrau unter Berücksichtigung verschiedener Schuldverpflichtungen weitere Abzüge vorzunehmen, ab 15.12.2013 den dann höheren Preis für die Monatskarte der Ehefrau zu berücksichtigen und das Einkommen des Antragstellers auf Null zu setzen. Der Antrag wurde von der C.-RA mit "gez." und einem unleserlichen Unterschriftenkürzel abgezeichnet. Ein Name ist nicht angegeben.

Der Antragsgegner nahm mit Schreiben vom 19.09.2013 Stellung. Für den Abzug der Schuldverpflichtungen sehe das SGB II keine Rechtsgrundlage vor. Die höheren Fahrtkosten und das versehentlich in der Berechnung (ohne Auswirkung) noch aufgeführte Einkommen des Antragstellers seien im Änderungsbescheid vom 19.09.2013 antragsgemäß berücksichtigt bzw. aus der Berechnung herausgenommen worden. Der vom Antragsteller angegebene Rechtsanwalt sei vermutlich der Antragsteller selbst C. - Rechtsanwalt).

Die an die "Prozessbevollmächtigten" gerichtete gerichtliche Aufforderung vom 13.09.2013 zur Vorlage einer Erklärung über die Schweigepflichtentbindung wurde von der Post als unzustellbar zurückgesandt; die Empfänger seien unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln. Mit gerichtlichen Schreiben vom 20.09.2013, 23.09.2013 und 07.10.2013 wurden die Antragsteller hierüber informiert und aufgefordert, sich zum Schreiben des Antragsgegners zu äußern. Am 25.09.2013 wurden kommentarlos vom Antragsteller und seiner Ehefrau unterschriebene Entbindungserklärungen vorgelegt; eine Äußerung zur Frage der Bevollmächtigung erfolgte nicht.

Mit Beschluss vom 23.10.2013 lehnte das Sozialgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig ab. Die offenkundig nicht existente Rechtsanwaltskanzlei "C-RA" könne nicht wirksam für die Antragsteller Prozesshandlungen vornehmen. Soweit die Antragsteller unter Vortäuschung des Vertretungsverhältnisses im eigenen Namen handeln wollten, sei fraglich, ob hierfür das Formerfordernis des § 90 SGG erfüllt sei. Denn danach sei die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben bzw. zu stellen. "Schriftlich" bedeute hier grundsätzlich auch die eigenhändige Unterschrift in und mit eigenem Namen, was offenkundig nicht vorliege. Der Antragsteller möge zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen beachten, dass er seine juristischen Fähigkeiten erst durch akademische Nachweise bescheinigen lassen müsse, bevor er sich als Rechtsanwalt bezeichne oder als solcher auftrete. Vor allem hätten die Antragsteller durch ihr Verhalten ihr offenkundiges Desinteresse am Fortgang des Verfahrens zum Ausdruck gebracht, indem sie - trotz angeblicher Dringlichkeit ihres Begehrens - auf die gerichtlichen Schreiben vom 20.09.2013 und 07.10.2013 nicht reagiert hätten.

Gegen den dem Antragsteller am 25.10.2013 zugestellten Beschluss hat dieser - in eigenem Namen - noch am selben Tag mit einem am 25.10.2013 beim Landessozialgericht eingegangenen Schreiben Beschwerde eingelegt und eine weitere Begründung angekündigt.

Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 31.10.2013 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Senat hat den Antragsteller mit Schreiben vom 12.11.2013 aufgefordert, seine Beschwerde zu begründen und sich zur Frage der Bevollmächtigung zu äußern. Eine weitere Stellungnahme des Antragstellers ist darauf nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden und auch statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstand übersteigt bezogen auf die für den Leistungszeitraum vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 geltend gemachten höhere Leistungen auch die Beschwerdesumme von 750 EUR (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG).

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht München hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der beim Sozialgericht München am 16.08.2013 gestellte Antrag ist bereits unzulässig, da er nicht wirksam gestellt worden ist.

Gemäß § 90 SGG ist die Klage bei dem zuständigen Gericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Das Erfordernis der Schriftform gilt über die Klageerhebung hinaus entsprechend auch für Anträge in selbstständigen Beschlussverfahren, wie hier dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und andere außerhalb der mündlichen Verhandlung vorgenommene bestimmende Prozesshandlungen (Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, § 90 SGG, Rn. 1f.). Zwar bedeutet schriftlich nicht, dass ein Antrag auch zwingend unterschrieben sein muss. Unverzichtbar ist aber, dass erkennbar mit Willen und auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort (bei Gericht) eine körperliche Urkunde eingeht oder erstellt wird und aus dem bei Gericht eingereichten Dokument der Wille, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu wollen, erkennbar ist.

Diesen Anforderungen genügt die Antragstellung durch die "C-RA" nicht.

Der Antragsteller hat den Antrag nicht selbst, sondern vertreten durch die "C-RA" gestellt. Die spätere Abgabe der Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht stellt keine wirksame Antragstellung, sondern lediglich eine unselbstständige Verfahrenshandlung dar.

Grundsätzlich können gemäß § 73 SGG Beteiligte in einem Sozialgerichtsverfahren den Rechtsstreit entweder selbst führen oder sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Allerdings enthält § 73 Abs. 2 SGG eine abschließende Aufzählung, welche Personen oder Vereinigungen vertretungsbefugt sind. Neben Rechtsanwälten, Rechtslehrern, Rentenberatern und Steuerberatern sind dies im Wesentlichen volljährige Familienangehörige oder bestimmte Vereinigungen und Personengruppen, wie Gewerkschaften oder gemeinnützige Interessenvertretungen. Bevollmächtigte, die danach nicht vertretungsbefugt sind, werden vom Gericht zurückgewiesen (§ 73 Abs. 3 S. 1 SGG). Die zu Grunde liegende Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt (§ 73 Abs. 6 S. 1 und 4 SGG).

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag nicht bereits aufgrund des formalen Mangels des Fehlens einer Vollmacht als unzulässig zurückzuweisen war. Denn in jedem Fall muss bei der Abgabe einer Prozesserklärung für deren Wirksamkeit feststehen, wer für den Beteiligten den Prozess führt. Auch eine Vollmacht muss eindeutig erkennen lassen, wer und in welchem Umfang bevollmächtigt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2011 - L 19 AS 1313/11). Andernfalls kann bereits nicht überprüft werden, ob der Bevollmächtigte überhaupt zur Vertretung berechtigt ist. Schließlich sind mit der Erteilung einer Prozessvollmacht umfangreiche Rechtspositionen verbunden, die es nicht erlauben, die Person des Bevollmächtigten offen zu lassen. So ermächtigt eine wirksame Prozessvollmacht zu allen, den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen und Zustellungen. Mitteilungen des Gerichts sind bei der Bestellung eines Bevollmächtigten an diesen zu richten (§ 73 Abs. 6 S. 6 und 7 SGG in Verbindung mit § 81 Zivilprozessordnung - ZPO).

Aus der Antragschrift geht vorliegend nicht hervor, wen der Antragsteller (möglicherweise) mit der Antragstellung bei Gericht bevollmächtigt hat. Es ist nach wie vor völlig unklar, wer für den Antragsteller und seine Ehefrau als Bevollmächtigter den Prozess führen sollte. Die Firma "C-RA" existiert offensichtlich nicht, was bereits das Sozialgericht festgestellt hat. Dies ergibt sich zum einen aus der handschriftlichen Ergänzung "RA" in dem im Briefkopf verwendeten Stempel, zum anderen daraus, dass diese Firma für das Sozialgericht München postalisch nicht erreichbar war, da nach Angabe des Postzustellers der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln gewesen sei. Auch in zugänglichen Nachschlagewerken (Internet) existieren unter diesem Namen zwar mehrere Einträge, davon offensichtlich auch einer den Antragsteller betreffend, allerdings jeweils ohne den Zusatz "RA". Auf die Frage des Senats, um welche Firma es sich bei der "C-RA" handeln soll und wer den Antrag an das Sozialgericht unterschrieben hat, hat sich der Antragsteller nicht geäußert.

Das Sozialgericht hat den Antrag daher zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil bereits eine wirksame Antragstellung nicht vorliegt.

Der Mangel der Vollmacht konnte auch nicht dadurch geheilt werden, dass der Antragsteller die Beschwerde selbst unterzeichnet hat. Das Beschwerdegericht entscheidet über denjenigen Streitgegenstand, der dem Sozialgericht bei seiner Entscheidung zu Grunde lag. Das bedeutet, dass zunächst geprüft wird, ob das Sozialgericht den Antrag zu Recht als unzulässig abgewiesen hat, was vorliegend der Fall war. Auch die Heilung des Mangels durch spätere Genehmigung eines zugelassenen Bevollmächtigten (die vorliegend nicht erfolgt ist und wohl auch nicht möglich wäre), würde keine Rückwirkung entfalten. Die Prozesshandlung kann nur wiederholt werden (BSG, Beschluss vom 28.11.2002 -
B 9 V 53/02 B m.w.N.).

Die Kostenfolge beruht auf entsprechende Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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