S 6 AS 1052/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 1052/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2010 Leistungen für Heizkosten in der Zeit vom 01.06.2010 bis zum 30.11.2010 in Höhe von monatlich 67,93 Euro unter Beachtung der bereits hierfür bewilligten Leistungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen für Heizkosten umstritten.

Die 1970 geborene Klägerin bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnt eine Wohnung in der M.straße in I. mit einer Wohnflächengröße von 48 m². Die Wohnung befindet sich in einem Haus mit einer Gesamtwohnfläche von ca. 300 m², wobei das Haus um das Jahr 1900 errichtet wurde. Die Zubereitung des Warmwassers erfolgt nicht über die Heizungsanlage, der Heizkessel des Etagenheizofens befindet sich im Wohnzimmer der Wohnung der Klägerin.

Mit Schreiben vom 29.01.2009 wurde die Klägerin von dem Beklagten über ihren unangemessenen Wärmeverbrauch unterrichtet. Dabei erachtete der Beklagte einen jährlichen Verbrauch von 148 kWh/m² für angemessen. Mit Schreiben vom 17.02.2009 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass ihr infolge baulicher Unzulänglichkeiten der Wohnung wie ungedämmte Außenwände, undichte Fenster und die Heizungsanlage aus dem Jahr 1985 eine Kostensenkung trotz aller Bemühungen nicht möglich sei.

Im Februar 2010 legte die Klägerin bei dem Beklagten eine Rechnung ihres Energieversorgungsunternehmens vor. In der Zeit vom 07.01.2009 bis zum 05.01.2010 hat die Klägerin 18.585 kWh Gas für die Heizung ihrer Wohnung verbraucht. Der neue monatliche Abschlag ab April 2010 wurde mit monatlich 127,00 Euro bestimmt. Im März 2010 nahm der Bedarfsermittlungsdienst des Beklagten eine Hausbesichtigung vor. Bei der von der Klägerin bewohnten Wohnung handelt es sich um eine unterkellerte Wohnung im Erdgeschoss. Die Außenwände sind nicht gedämmt, die Fenster sind nur teilweise isolierverglast. Mit Bescheid vom 21.04.2010 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2010 bis zum 30.11.2010, darunter Leistungen für Heizkosten in Höhe von 48,54 Euro. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2010 zurückgewiesen.

Mit ihrer Klage vom 14.05.2010 verweist die Klägerin auf die schlechte Isolierung der Wohnung sowie auf den Zustand der Heizungsanlage.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2010 zu verurteilen, ihr weitere Leistungen nach dem SGB II in der Zeit vom 01.06.2010 bis zum 30.11.2010 in Höhe von monatlich 127,00 Euro unter Beachtung der bereits hierfür bewilligten Leistungen für Heizkosten zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Sachverständigen für Heizungstechnik Herrn T ... Dieser stellte in seinem Gutachten fest, dass die Heizkosten der Klägerin über dem Durchschnitt liegen. Dies folge zunächst aus dem baulichen Zustand der Wohnung sowie dem veralteten Heizkessel. In erster Linie sei der erhöhte Verbrauch dem Heizverhalten der Klägerin zuzurechnen. So lag die Raumtemperatur bei dem Ortstermin mit 22°C um 2°C höher als die übliche Normaltemperatur. Der zu erwartende Wärmeverbrauch bei der Wohnung der Klägerin sei unter Beachtung des Bundesweiten Heizkostenspiegels mit 10.032 kWh im Jahr zu bemessen, unter Beachtung der VDI-Richtlinie 2067 hingegen ergebe sich eine übliche Jahreswärmemenge von 12.921 kWh.

Die Klägerin trat dem Ergebnis der Begutachtung entgegen. So sei sie mietvertraglich verpflichtet, in der Zeit von 7.00 bis 23.00 Uhr eine Temperatur von 21°C in der Wohnung vorzuhalten, so dass die gutachterliche Darstellung bezüglich der Normaltemperatur von 20°C unzutreffend sei. Der Beklagte wies darauf hin, dass das Gutachten das unwirtschaftliche Heizverhalten der Klägerin bestätige. Dagegen entspreche es bezüglich des üblichen Wärmeverbrauchs nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach es stets aus den Kommunalen bzw. Bundesweiten Heizkostenspiegel ankomme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts¬akte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündli¬chen Ver-handlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 21.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2010 insoweit beschwert im Sinne des § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als dass der Beklagte ihr lediglich Leistungen für Heizkosten in Höhe von 48,54 Euro bewilligt hat. Die Klägerin hat Anspruch auf die Gewährung von Heizkosten nach § 22 SGB II in der Zeit vom 01.06.2010 bis zum 30.11.2010 in Höhe von monatlich 67,93 Euro. Die darüber hinausgehende Klage ist allerdings unbegründet. Die Aufwendungen für Heizkosten sind von dem Beklagten nicht in tatsächlichem Umfang zu übernehmen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen für Heizkosten ist § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II. Hiernach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächli¬chen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Hierzu gehören zunächst sowohl laufende als auch einmalige Kosten der Heizung etwa in Gestalt von Nachzahlung¬en. Die Beurteilung der Angemessenheit der Heizkosten wird dabei von ver¬schiedenen Faktoren beeinflusst. So sind neben dem baulichen Zustand, das Alter, die Größe und Lage der Wohnung auch die Wärmedämmung, die Art der Energiequelle, die Wetterver¬hältnisse sowie die persönlichen Verhältnisse des Hilfebedürftigen zu berück¬sichtigen. Die Höhe der zu übernehmenden Heizkosten ergibt sich zunächst in der Regel aus den Fest¬setzungen des Energieversorgungsunternehmens, für die eine Vermutung der Angemes¬senheit besteht, soweit nicht im Einzelfall ein unwirtschaftliches Heizverhalten des Hilfebe¬dürftigen vorliegt (Piepenstock in jurisPK-SGB II, 3.Aufl. 2011, § 22 Rz. 113). Dabei ist eklatant kostspieliges oder unwirtschaftliches Heizverhalten von dem Leistungsträger nicht zu finanzieren. Ein solches Verhalten ist dann anzunehmen, wenn die tatsächlich anfallenden Kosten die durchschnittlich aufgewandten Kosten aller Verbraucher für eine Wohnung der den abstrakten Angemessenheitskriterien entsprechenden Größe signifikant überschreiten. Abzustellen ist dabei unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entgegen der Darstellung des Sachverständigen Herrn T. ausschließlich auf den Kommunalen bzw. Bundesweiten Heizkostenspiegel (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R), so dass es auf die von dem Sachverständigen ebenfalls verwendeten VDI-Richtlinien nicht ankommt.

Das Heizverhalten der Klägerin ist unter Maßgabe dieser Anforderungen als unwirtschaftlich zu qualifizieren. Der Bundesweite Heizkostenspiegel sieht für Gebäude mit einer Wohnfläche von 251 m² bis 500 m² in der Rubrik erhöhter Wärmeverbrauch einen Verbrauch von 148 bis 209 kWh je m² im Jahr vor. Der Wärmeverbrauch der Klägerin liegt mit 387 kWh/m² im Jahr deutlich oberhalb dieser Angemessenheitsgrenze. Den Darstellungen des Sachverständigen folgend ist dabei zugunsten der Klägerin durchaus bei der Prüfung der Angemessenheit von der Rubrik erhöhter Verbrauch auszugehen, was sich aus dem baulichen Zustand, der mangelnden Isolierung sowie dem Zustand der Heizungsanlage ergibt. Gleichwohl ist der überwiegende Anteil des überhöhten Wärmeverbrauchs dem persönlichen Verhalten der Klägerin zuzurechnen. So ergab die Messung im Rahmen des Ortstermins eine Beheizung der Wohnung oberhalb der Normaltemperatur, was von der Allgemeinheit durch die Gewährung steuerfinanzierter Transfermittel grundsätzlich nicht zu übernehmen ist.

Etwas anderes folgte auch nicht aus dem klägerischen Vortrag, dass eine mietvertragliche Verpflichtung zum Vorhalten einer Normaltemperatur von mindestens 21°C gegeben sei. § 7 Absatz 1 des Mietvertrages sieht vor, dass die zentrale Heizungsanlage dergestalt in Betrieb zu halten ist, dass in der Zeit vom 1.Oktober bis zum 30. April eine angemessene Temperatur in der Wohnung erreicht werden kann. Als angemessen wird eine Temperatur von mindestens 21°C angesehen. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich hierbei ausschließlich um eine Verpflichtung, welche den Vermieter trifft. Grundsätzlich obliegt es diesem, den mietvertraglich bestimmten Gegenstand in vertragsgemäßen Zustand bereit zu halten. Dabei trifft die Klägerin regelmäßig nur die mietvertragliche Nebenpflicht, durch ordnungsgemäßes Heizverhalten etwa Frostschäden zu vermeiden. Keinesfalls stellt diese Vereinbarung eine Verpflichtung der Klägerin zur Einstellung der Heizungsanlage dahingehend dar, dass in ihrer Wohnung ständig eine Raumtemperatur von 21°C gegeben sein muss. Dessen ungeachtet ist weiter zu berücksichtigen, dass die dargestellte Vereinbarung eine bestehende Sammelheizung betrifft, die Klägerin allerdings mittels eines in ihrem Wohnzimmer befindlichen Heizkessels die Wohnung beheizt.

Das unwirtschaftliche Heizverhalten führt allerdings nicht zum Ausschluss des Leistungsanspruchs auf die Übernahme der angemessenen Heizkosten. Unter Berücksichtigung des angeführten Heizkostenspiegels erachtet das Gericht einen jährlichen Verbrauch von 10.032 kWh für die Wohnung der Klägerin als angemessen, so dass die von dem Beklagten vorgegebenen monatlichen Aufwendungen in Höhe von 48,54 Euro unzureichend sind. Infolge des baulichen Zustandes der Wohnung und der Heizungsanlage hält das Gericht eine Orientierung an den Werten des Heizkostenspiegels im Rahmen der obersten, gerade noch vertretbaren Grenze vor der Rubrik "zu hoher Verbrauch" für angemessen. Unter Beachtung der Heizungsart und der Gebäudefläche sieht dieser einen jährlichen Verbrauch von 209 kWh je m² im Jahr vor, was unter Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnfläche einen Verbrauch von 10.032 kWh entspricht. Orientiert an den Preisen des bisherigen Energieversorgungsunternehmens – der Stadtwerke I. – ergibt dies einen monatlichen Grundpreis in Höhe von 12,59 Euro und einen Arbeitspreis von 6,62 Euro/kWh, mithin einen monatlichen Betrag in Höhe von 67,93 Euro. Der Beklagte hat der Klägerin diese Leistungen für Heizkosten zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war nach § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Kammer der Frage nach der Bemessung der angemessenen Aufwendungen für Heizkosten grundsätzliche Be-deutung beimisst, welche von der obergerichtlichen Rechtsprechung – soweit er¬sichtlich – noch nicht end¬gültig geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
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