Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 700/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 268/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 12/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision zurückgewiesen
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 31 102,95 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert beträgt 31 102,90 Euro.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger als Sozialhilfeträger Kosten erstatten muss.
Der mittlerweile verstorbene Herr K P (P) hatte bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe bezogen und war bei der Beklagten pflichtversichert. Ab 01. Januar 2005 bezog er vom Kläger neben einer Altersrente Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SBG XII). Er beantragte bei der Beklagten die freiwillige Mitgliedschaft und wurde von dieser zunächst freiwillig versichert.Ausweislich eines Vermerkes stellte der Kläger im Juli 2007 fest, dass versäumt wurde, die Krankenversicherung der getrennt lebenden Ehefrau zu ermitteln. Das Jobcenter N teilte ihm mit Schreiben vom 11. Juli 2007 mit, dass die Ehefrau seit 01. Januar 2005 Arbeitslosengeld II beziehe und pflichtversichert beim Beklagten sei. Der ebenfalls angesprochene P meldete sich daraufhin schriftlich bei der Beklagten als Ehemann zur Familienversicherung an. Die Beklagte übersandte ihm eine Versichertenkarte für Familienversicherte. Auf entsprechende Nachfrage teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 30. Januar 2008 mit, dass die Familienversicherung seit dem 16. Juni 2005 bestehe. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 19. Februar 2008 auf, die Familienversicherung zumindest ab 01. Januar 2005 zu eröffnen: Die Beklagte habe es im Zusammenhang mit dem Antrag des P auf freiwilliger Versicherung 2005 versäumt, den vorrangigen Anspruch auf Familienversicherung zu prüfen. Weil die Ehefrau bei der Beklagten versichert sei, habe dieser der vorrangige Anspruch auf eine Familienversicherung bekannt sein müssen. Dem P hingegen sei die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung nicht bekannt gewesen. Dem Kläger selbst sei die Mitgliedschaft der Ehefrau bei der Beklagten ebenfalls unbekannt gewesen. Er forderte die Beklagte zur Rückerstattung geleisteter Beiträge in Höhe von 866,74 Euro für den Zeitraum 01. Januar 2005 bis 31. Juli 2005 auf und machte ferner mit Schreiben vom 30. Juli 2008 gegenüber der Beklagten den hier streitgegenständlichen Erstattungsanspruch über insgesamt 31 254,81 Euro geltend. Hinsichtlich der genauen Kosten, welche er der mit der Durchführung der Krankenversicherung beauftragten AOK Berlin ersetzt hatte, wird auf Bl. 83 Band III des Verwaltungsvorgangs (VV) des Klägers verwiesen. Dieser hatte insbesondere der AOK Berlin 23 291,98 Euro für eine stationäre Behandlung im Quartal 2005/IV erstattet. Als zeitlich letzte Zahlung für eine konkret abgerechnete Leistung an P (außer Pauschalen) enthält die Tabelle einen Betrag von 41,35 Euro für Zahnersatz im Quartal 2007/III. Die dazugehörige Einzelaufstellung (VV Band III Bl. 89) weist den Betrag als Reparatur Zahnersatz, geleistet 2/2007 aus. Der Kläger hatte der AOK auch quartalsweise sogenannte Kopfpauschalen gezahlt, letztmals für das Quartal 2007/IV 121,89 Euro Kopfpauschale Arzt sowie 22,74 Euro Kopfpauschale Zahnarzt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 2008 mit, dass der P rückwirkend zum 01. Januar 2005 in die Familienversicherung seiner Ehefrau aufgenommen worden sei. Sie erstattete Beiträge in Höhe von 866,74 Euro zurück, lehnte aber die Anerkennung des geforderten Erstattungsanspruches ab, da die Ausschlussfrist des § 111 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Anwendung finde. Der Kläger hat am 21. April 2009 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er sein vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Folgte man der Argumentation der Beklagten, würden letztlich die Folgen einer falschen bzw. fehlerhaften Beratung des Versicherten zu Lasten des Klägers und damit der Allgemeinheit gehen. Die Beklagte müsse jedoch für die fehlerhafte Beratung und die sich daraus ergebenden Erstattungskosten selbst einstehen. Die Beklagte hätte P bereits zum 01. Januar 2005 in die Familienversicherung aufnehmen müssen.
Die Beklagte hat ebenfalls ihr vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Entscheidungsunerheblich sei, ob der Versicherte einen etwaigen Anspruch aufgrund fehlerhafter Beratung gehabt habe. Der hiesige Senat habe sich in seinem Urteil vom 24. Februar 2006 (L 1 KR 20/04) lediglich mit einem Anspruch des Versicherten gegenüber der Krankenkasse beschäftigt.
Im Verhandlungstermin am 27. Mai 2011 hat die Vorsitzende darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Fällen des Rechtsmissbrauches die Berufung auf § 111 SGB X ausgeschlossen sein könne, beispielsweise wenn die eingetretene Verzögerung kein Einzelfall wäre und auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruhe. Ein solcher Fall liege hier möglicherweise vor. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm Kosten für Krankenhilfe für den Zeitraum 16. Juni 2005 bis 25. September 2007 in Höhe von 31 102,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 22. Juli 2011 abgewiesen. Der an sich zwischen den Beteiligten unstreitige Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X sei nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die letzte Leistung des Klägers sei am 24. April 2007 erfolgt (Herausnahme Zahnersatz). Der Erstattungsanspruch sei hingegen erst mit Schreiben vom 30. Juli 2008 eingegangen bei der Beklagten am 04. August 2008 angemeldet worden. Von einem Geltendmachen im Sinne des § 111 SGB X sei nur auszugehen, wenn der Erstattungsberechtigte u. a. den konkreten Forderungsbetrag nenne (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 B 1 KR 21/08 R ), so dass die früheren Schreiben des Klägers an die Beklagte keine taugliche Anmeldungen gewesen seien. § 111 Satz 2 SGB X finde keine Anwendung. Die Beklagte habe keine Entscheidung über die Leistungspflicht im Sinne dieser Vorschrift getroffen (Bezugnahme u. a. auf BSG, Urteil vom 10. Mai 2007 B 10 KR 1/05 R ). Das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X sei auch nicht unbeachtlich aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Der Kläger hat gegen das ihm am 16. August 2011 zugestellte Urteil am 07. September 2011 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat er u. a. ergänzend vorgebracht, bereits im Beitragsbescheid der Beklagten vom 05. April 2005 sei ein Beratungsfehler zu sehen. Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Kosten für Krankenhilfe für den Zeitraum vom 16. Juni 2005 bis zum 25. September 2007 in Höhe von 31 102,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Es gäbe im Übrigen keine Hinweise, dass der Beratungsfehler auf einer mangelhaften Organisation beruht haben könnte.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg.
Über sie konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG).
Die Klage ist begründet.
I. Die Beklagte ist dem Kläger auf Grundlage des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung verpflichtet.
1. Soweit ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X (Erstattung bei vorläufigen Leistungen) vorliegen, ist nach dieser Vorschrift der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor:
Der hilfeberechtigte P war in der streitgegenständlichen Zeit bei der Beklagten über seine Ehefrau in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten nach § 10 SGB V versichert.
Eine Verpflichtung des Klägers als Sozialhilfeträger zur Gewährung von Leistungen zur Krankenbehandlung nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch SGB XII bestand nicht. Die Kostenerstattungen nach § 264 Abs. 7 SGB V, welche der Kläger der insoweit von ihm nach XY SGB X von Gesetz wegen nach § 93 SGB X beauftragten (so BSG, Urt. v. 28. September 2010 –B 1 KR 4/10 R Rdnr. 12 mit weiteren Nachweisen) AOK Berlin gegenüber vornahm, erfolgt in irriger Annahme eigener Verpflichtung.
§ 111 Satz 1 SGB X steht einem Erstattungsanspruch nicht entgegen, dabei kann dahingestellt bleiben, ab wann die dort bestimmte Jahresfrist zu laufen begonnen hat.
Der Kläger kann sich zwar nicht darauf berufen, dass sich nach § 111 Satz 2 SGB X die Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruches auf den Zeitpunkt verschiebt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine (gemeint: dessen) Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des BSG kann bei Erstattungsansprüchen von Krankenkassen untereinander eine solche, den Fristenlauf hinausschiebende Kenntnisnahme, von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" in aller Regel nicht vorliegen, wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 B 1 KR 13/07 R juris Rdnr. 15 mit Bezugnahme auf BSG SozR 4 1300 § 11 Nr. 3 Leitsatz 1 und Rdnr. 15 f. sowie Urteil des 10. Senats vom 10. Mai 2007 B 10 KR 1/05 R). Dass am Erstattungsverhältnis auf Klägerseite ein Sozialhilfeträger beteiligt sei, rechtfertige nach Auffassung des BSG keine andere Entscheidung (BSG, a. a. O., Rdnr. 16). Die tatsächlich zuständige Krankenkasse könne und dürfe in diesem Falle eine erneute materiell-rechtliche Entscheidung über die dem Versicherten gegenüber bereits erbrachten Leistungen nicht mehr treffen. Sie könne nicht nochmals über die Gewährung von Sachleistungen für einen bereits befriedigten Bedarf entscheiden. Ein entsprechende Antrag des Versicherten sei sowohl faktisch als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X ausgeschlossen. Darüber hinaus sei eine sachliche Entscheidung der gesetzlichen Krankenversicherung auch ausgeschlossen, weil nach ständiger Rechtsprechung kein Anspruch darauf bestehe, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht losgelöst von der tatsächlichen Kostenbelastung des Versicherten abstrakt klären zu lassen. Selbst eine deklaratorische Entscheidung über das Bestehen einer Versicherungspflicht -wie die Feststellung von Familienversicherung- könne nur ausnahmsweise zugleich als Entscheidung über die Leistung dem Grunde nach angesehen werden (BSG, a. a. O., Rdnr. 17).)
Es kann weiter dahingestellt bleiben, ob hier die Jahresfrist des § 111 Satz 1 SGB X erst am 01. Januar 2008 zu laufen begonnen hat. Letzter Tag, für den der Kläger dem P hier Leistungen in diesem Sinne erbracht hat, könnte der 31. Dezember 2007 gewesen sein:
Der Kläger hat durch sein Sozialamt als unzuständiger Leistungsträger (Sozialhilfeträger) Leistungen zur Krankenbehandlung erbracht, indem er sich dabei in einem Auftragsverhältnis der AOK Berlin bedient hat. Bei diesen Leistungen handelt es sich möglicherweise um Sozialleistungen im Sinne des § 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) in direkter oder jedenfalls entsprechender Anwendung. P hat nämlich Dienst- und Sachleistungen erhalten (offen gelassen in: BSG, Urt. v. 28. Oktober 2008 -B 8 SO 23/07 R Rdnr. 20; im Ergebnis aber verneint in Rdnr. 19, weil Kostenerstattungen nie Sozialleistungen sein könnten; wie hier im Ergebnis wohl Urt. v. 28. September 2010 –B 1 KR 4/10 R Rdnr. 18ff.): Neben den konkret abgerechneten Beträgen für stationäre Behandlung, Zahnersatz und Arzneimittel erstattete der Kläger der beauftragten AOK Berlin zur Abgeltung der ärztlichen Behandlung quartalsweise Fixbeträge für die ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung, die sogenannten Kopfpauschalen. Gemäß der ausdrücklichen Regel des § 264 Abs. 6 Satz 2 SGB V gelten die Hilfeempfänger als Mitglieder, wenn die Vertragsärzte eine Gesamtvergütung nach § 85 SGB V nach Kopfpauschalen erhalten. Unabhängig davon, ob bzw. wie oft der Hilfebedürftige P tatsächlich einen Vertragsarzt aufgesucht hatte, musste der Kläger für ihn in Erbringung der Verpflichtung zur Krankenbehandlung Kostenerstattungen gegenüber der beauftragten AOK Berlin aufbringen, hier bis einschließlich des vierten Quartals 2007. Entsprechende Kosten wären auch bei der Beklagten angefallen, wenn die Familienversicherung von Anfang an erkannt worden wäre.
Jedenfalls ist hier aber davon auszugehen, dass der Beachtung der Jahresfrist nach § 111 Satz 1 SGB X der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs entgegensteht, ohne dass hierzu noch von Amts wegen ermittelt werden muss:
Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ist auch im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger zulässig. Bei groben Verletzungen der Pflicht zu enger Zusammenarbeit untereinander nach § 86 SGB X besteht sogar ein "Herstellungsanspruch" (so BSG, Urt. v. 10, Mai 2007 -B 10 KR 1/05 R- juris-Rdnr. 20 mit weiteren Nachweisen).
Ein solcher grober Pflichtverstoß liegt vor:
Die Beklagte hat selbst eingeräumt, gegen ihre konkrete Pflicht zur Beratung des P anlässlich dessen Antrages auf freiwillige Versicherung verstoßen zu haben (vgl. zum Herstellungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse beim Beratungsfehler, nicht auf die kostenlose Familienversicherung hinzuweisen, Urteil des Senats vom 24. Februar 2006 –L 1 KR 20/04).
Gleichzeitig ist damit die Pflicht zu engen Zusammenarbeit grob verletzt. Ganz allgemein räumt § 86 SGB X ein Recht, einen materiellrechtlichen Anspruch, auf Änderung einer Entscheidung des angegangenen Leistungsträgers ein , wenn sich diese Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist und den anderen Träger belastet (so Seewald in Kassler-Kommentar, Stand Dez. 2010, § 86 SGB X Rdnr. 106 unter Bezugnahme auf LSG Hamburg, Urt. v 22. März 2010 – L 5 AL 21/07; BSG, Urt. v. 12. Mai 1999 -B 7 AL 74/98 R-, BSGE 84, 80).
Das Ausnutzen einer formalen Rechtsposition unter Missachtung der Rechtslage verletzt das Gesetz im Hinblick auf das Gebot der engen Zusammenarbeit und ist soweit auch rechtsmissbräuchlich.
Offensichtlichkeit liegt dabei vor, wenn ausgeschlossenen ist, dass auch nach entsprechender Beratung der Leistungsempfänger/Versicherte von seinem Bestimmungsrecht in gleicher Weise Gebrauch gemacht hätte (BSG, Urt. v. 17. Juni 1993 –13/5 RJ 13/90-, BSGE 72, 281, Juris-Rdnr. 21ff).
Hier ist ausgeschlossen, dass der P auf einer beitragspflichtigen freiwilligen Krankenversicherung bestanden hätte, wenn er gewusst hätte, dass er familienversichert gewesen ist.
Die Beklagte musste auch wissen, dass ein anderer Sozialträger –konkret ein Sozialamt- involviert war: Im Zusammenhang mit der Ermittlung der Einkommensverhältnisse war ihr der Umstand des Bezuges von SGB XII-Leistungen neben der Altersrente bekannt. Im Beitragsbescheid vom 5. April 2005 heißt es nämlich: "Bei den sonstigen Einnahmen musste das gesetzlich vorgeschriebene Mindesteinkommen berücksichtigt werden" (Verwaltungsvorgang des Klägers Bl. 76).
Dahinstehen kann, ob sich die Rechtsmissbräuchlichkeit daneben auch aus einem Organisationsverschulden ergibt, weil die Beklagte entgegen den gesetzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Pflichtmitgliedschaft der Ehefrau des P nicht von selbst dessen Familienversicherung ermittelt hat. Die entsprechenden Angaben hätte sie nämlich nach § 10 Abs. 6 SGB V von der Ehefrau erfragen müssen. Sie war und ist nach §§ 288f SGB V verpflichtet, ein Mitgliederverzeichnis zu führen, das gerade auch Familienversicherungen mit Beginn der Versicherung richtig erfassen soll.
2. Der Kläger kann die Erstattung im begehrten Umfang beanspruchen:
Nach § 105 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruches nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Dabei sind nach § 108 Abs. 1 SGB X Sach- und Dienstleistungen in Geld zu erstatten.
Da die Leistungen gemäß § 264 Abs. 2 SGB V bei Übernahme der Krankenbehandlung für Nichtversicherungspflichtige gegen Kostenerstattung denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, wären die entsprechenden Positionen auch von der Beklagten direkt aufzubringen gewesen.
Auch der Verwaltungskostenzuschlag von fünf Prozent ist zu erstatten:
Der Kläger begehrt insoweit nicht die Erstattung eigenen Verwaltungsaufwandes, der nach § 109 S. 1 SGB X von der Erstattung ausgeschlossen wäre, sondern Auslagen nach Satz 2 dieser Norm.
§ 109 S. 1 SGB X umfasst nicht diejenigen Kosten, die einem Leistungsträger zusätzlich und gesondert abgrenzbar in einem Einzelfall entstehen (Kater in: Kasseler-Kommentar, a. a. O. § 109 SGB X Rdnr. 4 mit Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 22. Oktober 2009 -5 C 16/08 a. a. O.).
Es kann davon ausgegangen werden, dass auch bei der Beklagten mindestens in entsprechender Höhe Verwaltungsaufwand entstanden wäre z. B. durch Ausstellen der Versicherungskarte¬ , wie die AOK Berlin als nach dem Gesetz beauftragter Krankenkasse vom Kläger als Sozialhilfeträger verlangen konnte (vgl. § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V). Insoweit handelt es sich um Auslagen im Sinne des § 109 S. 2 SGB X, die dem Kläger zusätzlich zu seinem allgemeinen Verwaltungsaufwand entstanden sind und gesondert abgrenzbar sind.
II. Ein Erstattungsanspruch, der der Klage im selben Umfang zum Erfolg verhülfe, ergäbe sich alternativ auch als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, falls die Geltendmachung der Kosten, welche dem Kläger als Sozialhilfeträger durch "Bezahlung" der beauftragten AOK Berlin mangels Sozialleistung generell nicht dem X. Abschnitt des SGB X unterfiele (so BSG, Urt. v. 28. Oktober 2008 –B 8 SO 23/07 R. Rdnr. 27 a. a. O.; ihm folgend: SG Dresden, Urt. v. 22. Mai 2013 - S 18 KR 577/10).
Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist ein aus den Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) gewährleisteten Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts (so weitgehend wörtlich BSG, Urt. v. 2. Juli 2013 – B 4 AS 74/12 R- Rdnr. 26 mit umfangreichen Nachweisen). Mit ihm soll eine dem materiellen Recht widersprechende Vermögensverschiebung wieder rückgängig gemacht werden können. Soweit eine spezialgesetzliche Regelung nicht existiert, entsprechen die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs. Abweichungen von den zivilrechtlich anerkannten Grundsätzen sind für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nur dann anzuerkennen und erforderlich, wenn und soweit dort eine andere Interessenbewertung geboten ist. Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch - für den nicht die Rechtswidrigkeit einer Handlung, sondern die Rechtsgrundlosigkeit einer Vermögensverschiebung kennzeichnend ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 27 mit Literaturnachweisen) setzt voraus, dass in einer als öffentlich-rechtlich einzustufenden Rechtsbeziehung eine nicht mit der objektiven Rechtslage übereinstimmende Vermögensverschiebung stattgefunden hat und dem Anspruchsgegner kein Rechtsgrund zur Seite steht, das aufgrund der Vermögensverschiebung Erlangte behalten zu dürfen.
Diese Voraussetzungen wären hier gegeben. Vorrangiges Landesrecht besteht nicht (anders nach Auffassung des BSG im Urt. v. 28. Oktober 2008 –B 8 SO 23/07 R. Rdnr. 27ff für Nordrhein-Westfalen).
Die Durchführung der Krankenversicherung durch den Kläger anstelle des Beklagten hat zu einer Vermögensverschiebung entgegen der Rechtslage geführt, vgl. oben. Ein Rechtsgrund zum Behalten bestünde nicht.
III. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger Rechtshängigkeitszinsen begehrt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gilt nämlich für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, dass weder aus § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches noch aus einer analogen Anwendung der Vorschrift Prozesszinsen zu entrichten sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2007 B 1 KR 39/06 juris Rdnr. 28 ff.). Der hiesige Senat folgt dieser Rechtsprechung.
§ 44 Abs. 1 SGB I muss als Verzinsungsgrundlage ausscheiden, da die Vorschrift nur eine Verzinsung von Sozialleistungen vorsieht.
Der Anspruch auf Verzinsung in Höhe von vier Prozent nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X scheitert derzeit jedenfalls am dafür erforderlichen (förmlichen) Antrag.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
V. Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden kann, folgt aus § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger als Sozialhilfeträger Kosten erstatten muss.
Der mittlerweile verstorbene Herr K P (P) hatte bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe bezogen und war bei der Beklagten pflichtversichert. Ab 01. Januar 2005 bezog er vom Kläger neben einer Altersrente Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SBG XII). Er beantragte bei der Beklagten die freiwillige Mitgliedschaft und wurde von dieser zunächst freiwillig versichert.Ausweislich eines Vermerkes stellte der Kläger im Juli 2007 fest, dass versäumt wurde, die Krankenversicherung der getrennt lebenden Ehefrau zu ermitteln. Das Jobcenter N teilte ihm mit Schreiben vom 11. Juli 2007 mit, dass die Ehefrau seit 01. Januar 2005 Arbeitslosengeld II beziehe und pflichtversichert beim Beklagten sei. Der ebenfalls angesprochene P meldete sich daraufhin schriftlich bei der Beklagten als Ehemann zur Familienversicherung an. Die Beklagte übersandte ihm eine Versichertenkarte für Familienversicherte. Auf entsprechende Nachfrage teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 30. Januar 2008 mit, dass die Familienversicherung seit dem 16. Juni 2005 bestehe. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 19. Februar 2008 auf, die Familienversicherung zumindest ab 01. Januar 2005 zu eröffnen: Die Beklagte habe es im Zusammenhang mit dem Antrag des P auf freiwilliger Versicherung 2005 versäumt, den vorrangigen Anspruch auf Familienversicherung zu prüfen. Weil die Ehefrau bei der Beklagten versichert sei, habe dieser der vorrangige Anspruch auf eine Familienversicherung bekannt sein müssen. Dem P hingegen sei die Möglichkeit der beitragsfreien Familienversicherung nicht bekannt gewesen. Dem Kläger selbst sei die Mitgliedschaft der Ehefrau bei der Beklagten ebenfalls unbekannt gewesen. Er forderte die Beklagte zur Rückerstattung geleisteter Beiträge in Höhe von 866,74 Euro für den Zeitraum 01. Januar 2005 bis 31. Juli 2005 auf und machte ferner mit Schreiben vom 30. Juli 2008 gegenüber der Beklagten den hier streitgegenständlichen Erstattungsanspruch über insgesamt 31 254,81 Euro geltend. Hinsichtlich der genauen Kosten, welche er der mit der Durchführung der Krankenversicherung beauftragten AOK Berlin ersetzt hatte, wird auf Bl. 83 Band III des Verwaltungsvorgangs (VV) des Klägers verwiesen. Dieser hatte insbesondere der AOK Berlin 23 291,98 Euro für eine stationäre Behandlung im Quartal 2005/IV erstattet. Als zeitlich letzte Zahlung für eine konkret abgerechnete Leistung an P (außer Pauschalen) enthält die Tabelle einen Betrag von 41,35 Euro für Zahnersatz im Quartal 2007/III. Die dazugehörige Einzelaufstellung (VV Band III Bl. 89) weist den Betrag als Reparatur Zahnersatz, geleistet 2/2007 aus. Der Kläger hatte der AOK auch quartalsweise sogenannte Kopfpauschalen gezahlt, letztmals für das Quartal 2007/IV 121,89 Euro Kopfpauschale Arzt sowie 22,74 Euro Kopfpauschale Zahnarzt.
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 2008 mit, dass der P rückwirkend zum 01. Januar 2005 in die Familienversicherung seiner Ehefrau aufgenommen worden sei. Sie erstattete Beiträge in Höhe von 866,74 Euro zurück, lehnte aber die Anerkennung des geforderten Erstattungsanspruches ab, da die Ausschlussfrist des § 111 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Anwendung finde. Der Kläger hat am 21. April 2009 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er sein vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Folgte man der Argumentation der Beklagten, würden letztlich die Folgen einer falschen bzw. fehlerhaften Beratung des Versicherten zu Lasten des Klägers und damit der Allgemeinheit gehen. Die Beklagte müsse jedoch für die fehlerhafte Beratung und die sich daraus ergebenden Erstattungskosten selbst einstehen. Die Beklagte hätte P bereits zum 01. Januar 2005 in die Familienversicherung aufnehmen müssen.
Die Beklagte hat ebenfalls ihr vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Entscheidungsunerheblich sei, ob der Versicherte einen etwaigen Anspruch aufgrund fehlerhafter Beratung gehabt habe. Der hiesige Senat habe sich in seinem Urteil vom 24. Februar 2006 (L 1 KR 20/04) lediglich mit einem Anspruch des Versicherten gegenüber der Krankenkasse beschäftigt.
Im Verhandlungstermin am 27. Mai 2011 hat die Vorsitzende darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Fällen des Rechtsmissbrauches die Berufung auf § 111 SGB X ausgeschlossen sein könne, beispielsweise wenn die eingetretene Verzögerung kein Einzelfall wäre und auf einer offensichtlich mangelhaften Organisation von Arbeitsabläufen beruhe. Ein solcher Fall liege hier möglicherweise vor. Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm Kosten für Krankenhilfe für den Zeitraum 16. Juni 2005 bis 25. September 2007 in Höhe von 31 102,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 22. Juli 2011 abgewiesen. Der an sich zwischen den Beteiligten unstreitige Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X sei nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die letzte Leistung des Klägers sei am 24. April 2007 erfolgt (Herausnahme Zahnersatz). Der Erstattungsanspruch sei hingegen erst mit Schreiben vom 30. Juli 2008 eingegangen bei der Beklagten am 04. August 2008 angemeldet worden. Von einem Geltendmachen im Sinne des § 111 SGB X sei nur auszugehen, wenn der Erstattungsberechtigte u. a. den konkreten Forderungsbetrag nenne (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 B 1 KR 21/08 R ), so dass die früheren Schreiben des Klägers an die Beklagte keine taugliche Anmeldungen gewesen seien. § 111 Satz 2 SGB X finde keine Anwendung. Die Beklagte habe keine Entscheidung über die Leistungspflicht im Sinne dieser Vorschrift getroffen (Bezugnahme u. a. auf BSG, Urteil vom 10. Mai 2007 B 10 KR 1/05 R ). Das Berufen der Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X sei auch nicht unbeachtlich aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Der Kläger hat gegen das ihm am 16. August 2011 zugestellte Urteil am 07. September 2011 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung hat er u. a. ergänzend vorgebracht, bereits im Beitragsbescheid der Beklagten vom 05. April 2005 sei ein Beratungsfehler zu sehen. Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Kosten für Krankenhilfe für den Zeitraum vom 16. Juni 2005 bis zum 25. September 2007 in Höhe von 31 102,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 21. April 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Es gäbe im Übrigen keine Hinweise, dass der Beratungsfehler auf einer mangelhaften Organisation beruht haben könnte.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg.
Über sie konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einem derartigen Verfahren erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG).
Die Klage ist begründet.
I. Die Beklagte ist dem Kläger auf Grundlage des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung verpflichtet.
1. Soweit ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X (Erstattung bei vorläufigen Leistungen) vorliegen, ist nach dieser Vorschrift der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor:
Der hilfeberechtigte P war in der streitgegenständlichen Zeit bei der Beklagten über seine Ehefrau in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten nach § 10 SGB V versichert.
Eine Verpflichtung des Klägers als Sozialhilfeträger zur Gewährung von Leistungen zur Krankenbehandlung nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch SGB XII bestand nicht. Die Kostenerstattungen nach § 264 Abs. 7 SGB V, welche der Kläger der insoweit von ihm nach XY SGB X von Gesetz wegen nach § 93 SGB X beauftragten (so BSG, Urt. v. 28. September 2010 –B 1 KR 4/10 R Rdnr. 12 mit weiteren Nachweisen) AOK Berlin gegenüber vornahm, erfolgt in irriger Annahme eigener Verpflichtung.
§ 111 Satz 1 SGB X steht einem Erstattungsanspruch nicht entgegen, dabei kann dahingestellt bleiben, ab wann die dort bestimmte Jahresfrist zu laufen begonnen hat.
Der Kläger kann sich zwar nicht darauf berufen, dass sich nach § 111 Satz 2 SGB X die Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruches auf den Zeitpunkt verschiebt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine (gemeint: dessen) Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Nach der Rechtsprechung des BSG kann bei Erstattungsansprüchen von Krankenkassen untereinander eine solche, den Fristenlauf hinausschiebende Kenntnisnahme, von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" in aller Regel nicht vorliegen, wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 B 1 KR 13/07 R juris Rdnr. 15 mit Bezugnahme auf BSG SozR 4 1300 § 11 Nr. 3 Leitsatz 1 und Rdnr. 15 f. sowie Urteil des 10. Senats vom 10. Mai 2007 B 10 KR 1/05 R). Dass am Erstattungsverhältnis auf Klägerseite ein Sozialhilfeträger beteiligt sei, rechtfertige nach Auffassung des BSG keine andere Entscheidung (BSG, a. a. O., Rdnr. 16). Die tatsächlich zuständige Krankenkasse könne und dürfe in diesem Falle eine erneute materiell-rechtliche Entscheidung über die dem Versicherten gegenüber bereits erbrachten Leistungen nicht mehr treffen. Sie könne nicht nochmals über die Gewährung von Sachleistungen für einen bereits befriedigten Bedarf entscheiden. Ein entsprechende Antrag des Versicherten sei sowohl faktisch als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X ausgeschlossen. Darüber hinaus sei eine sachliche Entscheidung der gesetzlichen Krankenversicherung auch ausgeschlossen, weil nach ständiger Rechtsprechung kein Anspruch darauf bestehe, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht losgelöst von der tatsächlichen Kostenbelastung des Versicherten abstrakt klären zu lassen. Selbst eine deklaratorische Entscheidung über das Bestehen einer Versicherungspflicht -wie die Feststellung von Familienversicherung- könne nur ausnahmsweise zugleich als Entscheidung über die Leistung dem Grunde nach angesehen werden (BSG, a. a. O., Rdnr. 17).)
Es kann weiter dahingestellt bleiben, ob hier die Jahresfrist des § 111 Satz 1 SGB X erst am 01. Januar 2008 zu laufen begonnen hat. Letzter Tag, für den der Kläger dem P hier Leistungen in diesem Sinne erbracht hat, könnte der 31. Dezember 2007 gewesen sein:
Der Kläger hat durch sein Sozialamt als unzuständiger Leistungsträger (Sozialhilfeträger) Leistungen zur Krankenbehandlung erbracht, indem er sich dabei in einem Auftragsverhältnis der AOK Berlin bedient hat. Bei diesen Leistungen handelt es sich möglicherweise um Sozialleistungen im Sinne des § 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) in direkter oder jedenfalls entsprechender Anwendung. P hat nämlich Dienst- und Sachleistungen erhalten (offen gelassen in: BSG, Urt. v. 28. Oktober 2008 -B 8 SO 23/07 R Rdnr. 20; im Ergebnis aber verneint in Rdnr. 19, weil Kostenerstattungen nie Sozialleistungen sein könnten; wie hier im Ergebnis wohl Urt. v. 28. September 2010 –B 1 KR 4/10 R Rdnr. 18ff.): Neben den konkret abgerechneten Beträgen für stationäre Behandlung, Zahnersatz und Arzneimittel erstattete der Kläger der beauftragten AOK Berlin zur Abgeltung der ärztlichen Behandlung quartalsweise Fixbeträge für die ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung, die sogenannten Kopfpauschalen. Gemäß der ausdrücklichen Regel des § 264 Abs. 6 Satz 2 SGB V gelten die Hilfeempfänger als Mitglieder, wenn die Vertragsärzte eine Gesamtvergütung nach § 85 SGB V nach Kopfpauschalen erhalten. Unabhängig davon, ob bzw. wie oft der Hilfebedürftige P tatsächlich einen Vertragsarzt aufgesucht hatte, musste der Kläger für ihn in Erbringung der Verpflichtung zur Krankenbehandlung Kostenerstattungen gegenüber der beauftragten AOK Berlin aufbringen, hier bis einschließlich des vierten Quartals 2007. Entsprechende Kosten wären auch bei der Beklagten angefallen, wenn die Familienversicherung von Anfang an erkannt worden wäre.
Jedenfalls ist hier aber davon auszugehen, dass der Beachtung der Jahresfrist nach § 111 Satz 1 SGB X der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs entgegensteht, ohne dass hierzu noch von Amts wegen ermittelt werden muss:
Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ist auch im Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträger zulässig. Bei groben Verletzungen der Pflicht zu enger Zusammenarbeit untereinander nach § 86 SGB X besteht sogar ein "Herstellungsanspruch" (so BSG, Urt. v. 10, Mai 2007 -B 10 KR 1/05 R- juris-Rdnr. 20 mit weiteren Nachweisen).
Ein solcher grober Pflichtverstoß liegt vor:
Die Beklagte hat selbst eingeräumt, gegen ihre konkrete Pflicht zur Beratung des P anlässlich dessen Antrages auf freiwillige Versicherung verstoßen zu haben (vgl. zum Herstellungsanspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse beim Beratungsfehler, nicht auf die kostenlose Familienversicherung hinzuweisen, Urteil des Senats vom 24. Februar 2006 –L 1 KR 20/04).
Gleichzeitig ist damit die Pflicht zu engen Zusammenarbeit grob verletzt. Ganz allgemein räumt § 86 SGB X ein Recht, einen materiellrechtlichen Anspruch, auf Änderung einer Entscheidung des angegangenen Leistungsträgers ein , wenn sich diese Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist und den anderen Träger belastet (so Seewald in Kassler-Kommentar, Stand Dez. 2010, § 86 SGB X Rdnr. 106 unter Bezugnahme auf LSG Hamburg, Urt. v 22. März 2010 – L 5 AL 21/07; BSG, Urt. v. 12. Mai 1999 -B 7 AL 74/98 R-, BSGE 84, 80).
Das Ausnutzen einer formalen Rechtsposition unter Missachtung der Rechtslage verletzt das Gesetz im Hinblick auf das Gebot der engen Zusammenarbeit und ist soweit auch rechtsmissbräuchlich.
Offensichtlichkeit liegt dabei vor, wenn ausgeschlossenen ist, dass auch nach entsprechender Beratung der Leistungsempfänger/Versicherte von seinem Bestimmungsrecht in gleicher Weise Gebrauch gemacht hätte (BSG, Urt. v. 17. Juni 1993 –13/5 RJ 13/90-, BSGE 72, 281, Juris-Rdnr. 21ff).
Hier ist ausgeschlossen, dass der P auf einer beitragspflichtigen freiwilligen Krankenversicherung bestanden hätte, wenn er gewusst hätte, dass er familienversichert gewesen ist.
Die Beklagte musste auch wissen, dass ein anderer Sozialträger –konkret ein Sozialamt- involviert war: Im Zusammenhang mit der Ermittlung der Einkommensverhältnisse war ihr der Umstand des Bezuges von SGB XII-Leistungen neben der Altersrente bekannt. Im Beitragsbescheid vom 5. April 2005 heißt es nämlich: "Bei den sonstigen Einnahmen musste das gesetzlich vorgeschriebene Mindesteinkommen berücksichtigt werden" (Verwaltungsvorgang des Klägers Bl. 76).
Dahinstehen kann, ob sich die Rechtsmissbräuchlichkeit daneben auch aus einem Organisationsverschulden ergibt, weil die Beklagte entgegen den gesetzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit der Pflichtmitgliedschaft der Ehefrau des P nicht von selbst dessen Familienversicherung ermittelt hat. Die entsprechenden Angaben hätte sie nämlich nach § 10 Abs. 6 SGB V von der Ehefrau erfragen müssen. Sie war und ist nach §§ 288f SGB V verpflichtet, ein Mitgliederverzeichnis zu führen, das gerade auch Familienversicherungen mit Beginn der Versicherung richtig erfassen soll.
2. Der Kläger kann die Erstattung im begehrten Umfang beanspruchen:
Nach § 105 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruches nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Dabei sind nach § 108 Abs. 1 SGB X Sach- und Dienstleistungen in Geld zu erstatten.
Da die Leistungen gemäß § 264 Abs. 2 SGB V bei Übernahme der Krankenbehandlung für Nichtversicherungspflichtige gegen Kostenerstattung denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, wären die entsprechenden Positionen auch von der Beklagten direkt aufzubringen gewesen.
Auch der Verwaltungskostenzuschlag von fünf Prozent ist zu erstatten:
Der Kläger begehrt insoweit nicht die Erstattung eigenen Verwaltungsaufwandes, der nach § 109 S. 1 SGB X von der Erstattung ausgeschlossen wäre, sondern Auslagen nach Satz 2 dieser Norm.
§ 109 S. 1 SGB X umfasst nicht diejenigen Kosten, die einem Leistungsträger zusätzlich und gesondert abgrenzbar in einem Einzelfall entstehen (Kater in: Kasseler-Kommentar, a. a. O. § 109 SGB X Rdnr. 4 mit Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 22. Oktober 2009 -5 C 16/08 a. a. O.).
Es kann davon ausgegangen werden, dass auch bei der Beklagten mindestens in entsprechender Höhe Verwaltungsaufwand entstanden wäre z. B. durch Ausstellen der Versicherungskarte¬ , wie die AOK Berlin als nach dem Gesetz beauftragter Krankenkasse vom Kläger als Sozialhilfeträger verlangen konnte (vgl. § 264 Abs. 7 Satz 1 SGB V). Insoweit handelt es sich um Auslagen im Sinne des § 109 S. 2 SGB X, die dem Kläger zusätzlich zu seinem allgemeinen Verwaltungsaufwand entstanden sind und gesondert abgrenzbar sind.
II. Ein Erstattungsanspruch, der der Klage im selben Umfang zum Erfolg verhülfe, ergäbe sich alternativ auch als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, falls die Geltendmachung der Kosten, welche dem Kläger als Sozialhilfeträger durch "Bezahlung" der beauftragten AOK Berlin mangels Sozialleistung generell nicht dem X. Abschnitt des SGB X unterfiele (so BSG, Urt. v. 28. Oktober 2008 –B 8 SO 23/07 R. Rdnr. 27 a. a. O.; ihm folgend: SG Dresden, Urt. v. 22. Mai 2013 - S 18 KR 577/10).
Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist ein aus den Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) gewährleisteten Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts (so weitgehend wörtlich BSG, Urt. v. 2. Juli 2013 – B 4 AS 74/12 R- Rdnr. 26 mit umfangreichen Nachweisen). Mit ihm soll eine dem materiellen Recht widersprechende Vermögensverschiebung wieder rückgängig gemacht werden können. Soweit eine spezialgesetzliche Regelung nicht existiert, entsprechen die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs. Abweichungen von den zivilrechtlich anerkannten Grundsätzen sind für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nur dann anzuerkennen und erforderlich, wenn und soweit dort eine andere Interessenbewertung geboten ist. Der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch - für den nicht die Rechtswidrigkeit einer Handlung, sondern die Rechtsgrundlosigkeit einer Vermögensverschiebung kennzeichnend ist (BSG, a. a. O. Rdnr. 27 mit Literaturnachweisen) setzt voraus, dass in einer als öffentlich-rechtlich einzustufenden Rechtsbeziehung eine nicht mit der objektiven Rechtslage übereinstimmende Vermögensverschiebung stattgefunden hat und dem Anspruchsgegner kein Rechtsgrund zur Seite steht, das aufgrund der Vermögensverschiebung Erlangte behalten zu dürfen.
Diese Voraussetzungen wären hier gegeben. Vorrangiges Landesrecht besteht nicht (anders nach Auffassung des BSG im Urt. v. 28. Oktober 2008 –B 8 SO 23/07 R. Rdnr. 27ff für Nordrhein-Westfalen).
Die Durchführung der Krankenversicherung durch den Kläger anstelle des Beklagten hat zu einer Vermögensverschiebung entgegen der Rechtslage geführt, vgl. oben. Ein Rechtsgrund zum Behalten bestünde nicht.
III. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger Rechtshängigkeitszinsen begehrt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gilt nämlich für Erstattungsansprüche der Sozialleistungsträger untereinander, dass weder aus § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches noch aus einer analogen Anwendung der Vorschrift Prozesszinsen zu entrichten sind (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2007 B 1 KR 39/06 juris Rdnr. 28 ff.). Der hiesige Senat folgt dieser Rechtsprechung.
§ 44 Abs. 1 SGB I muss als Verzinsungsgrundlage ausscheiden, da die Vorschrift nur eine Verzinsung von Sozialleistungen vorsieht.
Der Anspruch auf Verzinsung in Höhe von vier Prozent nach § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X scheitert derzeit jedenfalls am dafür erforderlichen (förmlichen) Antrag.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
V. Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden kann, folgt aus § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
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