Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
30
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 LW 9/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 08.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2013 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte für das Jahr 2009. Der Kläger ist geboren 1969. Mit Bescheid vom 08.05.2008 wurde er für die Zeit ab 22.11.2007 in die Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte und ab 01.11.2007 in die Beitragspflicht aufgenommen. Ein Antrag auf Befreiung hiervon wurde mit Bescheid vom 29.09.2008 abgelehnt, weil der Kläger kein außerlandwirtschaftliches Erwerbseinkommen in der gesetzlich verlangten Höhe von monatlich 400 bzw. jährlich 4800 Euro erzielte. Nach Vorlegung seines Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 sprach die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2009 die vorläufige Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht ab 01.11.2007 aus. Nach mehrfachen Mahnungen legte der Kläger am 09.03.2011 eine Einkommensschätzung für die Jahre 2007 und 2008 vor. Am 23.06.2011 legte er auch den inzwischen fast zwei Jahre alten am 23.06.2011 ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vor. Er dokumentierte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 20.000 Euro. Am 11.06.2012 forderte die Beklagte beim Kläger weitere aktualisierende Informationen an. Am 07.09.2012 mahnte sie diese Informationen an und machte eine Beitragsforderung von EUR 9792,00 für die Zeit ab 01.01.2009 geltend. Daraufhin legte der Kläger einen am 22.02.2012 erlassene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vor, der 149.292 Euro Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, 40.000 Euro Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und 2561 Euro Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit auswies. Ein am gleichen Tag erlassenen Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2010 bezifferte die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit 149.885 Euro, aus Vermietung und Verpachtung mit 40.000 Euro und aus selbstständiger Tätigkeit mit 16.357 Euro. Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, die Befreiung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 aufzuheben, weil das außerlandwirtschaftliche Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht den Grenzwert von EUR 4800,00 jährlich bzw. EUR 400,00 monatlich überschritten habe. Die Beitragsforderung wurde mit EUR 2604,00 beziffert. Der Kläger wendete ein, dass hierfür keine Rechtsgrundlage gegeben sei. Die Beklagte habe eine vorausschauende Betrachtungsweise anzuwenden, nicht jedoch eine rückschauende Betrachtung. Die Änderung der Beurteilung der Versicherungsfreiheit könne nur für die Zukunft vorgenommen werden. Dennoch hob die Beklagte mit Bescheid vom 08.11.2012 die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2009 wegen Unterschreitung der zur Befreiung führenden Einkommenshöhe auf. Verfahrensrechtlich wurde diese Maßnahme auf § 48 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gestützt. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und vertiefte die bereits in den Gegenvorstellungen zur Anhörung vorgebrachten Argumente. Der Befreiungsbescheid dürfe lediglich für die Zukunft aufgehoben werden. Am 18.03.2013 erließ die Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid. Sie bekräftigte den Vorbehalt der Vorläufigkeit im Bescheid vom 12.01.2009. In der mündlichen Verhandlung ergänzte der Vertreter der Beklagten die Begründung der angegriffenen Bescheide dahingehend, dass sie auch auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X gestützt werde.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 08.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2013.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Die Klage ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die für die Beurteilung der Versicherungspflicht und der Befreiung hiervon maßgeblichen Vorschriften des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte lauten:
Versicherungspflichtig sind Landwirte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG). Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unterneh-men der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße erreicht (§ 1 Abs. 2 S. 1 ALG). Unternehmen der Landwirtschaft sind Unternehmen der Landwirtschaft und Forstwirtschaft ... ; die hierfür genutzten Flächen gelten als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Zur Bodenbewirtschaftung gehören diejenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die der Unternehmer zum Zwecke einer überwiegend planmäßigen Auf-zucht von Bodengewächsen ausübt, sowie die mit der Bodennutzung verbundene Tierhal-tung, sofern diese nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung rechnet. (§ 1 Abs. 4 S. 1 und 2 ALG).
Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4800 Euro überschreitet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG).
Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäfti-gung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IV/SGB IV). Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Ein-kommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs. 1 SGB IV).
Die Beklagte hat ohne Fehler bei der Sachverhaltserfassung oder Rechtsanwendung festgestellt, dass der Kläger im Jahre 2009 nicht mehr regelmäßig außerlandwirtschaftliche Erwerbseinkünfte von mehr als 4800 Euro bezog. Das Kalenderjahr muss als Maßstab für die Regelmäßigkeit gelten, weil das für die Sozialversicherung Maßstäbe setzende Steuerrecht bei Selbstständigen, Gewerbetreibenden und Freiberuflern keine kleinere relevante Zeiteinheit kennt. Es wäre gänzlich lebensfremd, beispielsweise die laufenden Betriebsausgaben von elf Kalendermonaten im Sinne der Regelmäßigkeit für maßgeblich zu erklären und die damit für einen einzigen Kalendermonat bewirkte hohe Einnahme als unregelmäßige Ausnahme zu ignorieren.
Genauso abwegig wäre das gegenteilige Verfahren, nur die Einnahmen in der Mehrzahl der Kalendermonate eines Jahres in Betracht zu ziehen und die den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg des ganzen Jahres prägenden Ausgaben der anderen Monate auszublenden. Noch willkürlicher würden die Ergebnisse bei einer Zugrundelegung noch kleinerer Zeiteinheiten als des Kalendermonats. Auch verfahrensrechtlich ist die Vorgehensweise der Beklagten nicht zu beanstanden. Ein Bescheid über die Einräumung der Befreiung von der Versicherungspflicht ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die so wesentlich ist, dass sie Einfluss auf den Tenor des Verwaltungsaktes hat, vorliegend also bei Unterschreitung der für die Versicherungsbefreiung kritischen Verdienstgrenze, ist auf ei-nen solchen Verwaltungsakt § 48 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) anwendbar; der Verwaltungsakt ist wegen Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Nach Abs. 1 S. 1 der Vorschrift findet dies auf jeden Fall für die Zukunft statt, also ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides. Die Aufhebung für den Vergangenheitszeitraum zwischen der Änderung der Verhältnisse und der Erteilung des Aufhebungsbescheides bzw. bis zum Wiedereintritt der für den Ursprungsbescheid maßgeblichen Ausgangslage ist nach Abs. 1 S. 2 der Vorschrift zu prüfen. Da die Aufhebung mit dem Fälligwerden von Beiträgen jedenfalls teilweise belastenden Inhalt hat, kommen nur die Nrn. 2 bis 4 in Betracht. Nicht anwendbar ist die Nr. 3, die auf die Anpassung von Sozialleistungen an geänderte Zuflüsse von Arbeitsentgelt und Sozialleistungen abgestellt ist. Hierauf hat das BSG in seiner Entscheidung B 10 LW 5/01 R vom 16.10.2002 zu einem vergleichbaren Fall der erkennenden Kammer des Sozialgerichts München hingewiesen. Nicht zu folgen ist jedoch der lapidaren zwischenzeitlich auch nicht mehr wiederholten Aussage des BSG in dieser Entscheidung, es sei überhaupt keine Variante aus dem Katalog der Nrn. 2 bis 4 aus § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X erfüllt. Auffangtatbestand ist nämlich die Kenntnis des Betroffenen nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 (zu der die ebenfalls dort genannte grob fahrlässige Unkenntnis bereits wieder einen mit einem Schuldvorwurf verbundenen Sonderfall darstellt). Ganz generell kann den Adressaten von Verwaltungsakten der Sozialverwaltung die Kenntnis unterstellt werden, welche gesundheitlich definierten Tatbestände, welche Erziehungs- oder Ausbildungssituationen, welche Arbeitsmarktprobleme usw. usw. fortbestehen müssen, um die weitere Gültigkeit eines an sie ergangenen Bescheides zu rechtfertigen. Bereits die Antragstellung beruhte jeweils auf der Erkenntnis des Betroffenen, dass er einen solchen Tatbestand verwirklicht. Sodann erging ein Bescheid, der typischerweise mit entsprechenden Hinweisen und beigefügten Merkblättern die im Antrag geltend gemachten und als zutreffend unterstellten Tatbestandsmerkmale erläutert.
Die Beklagte unterlässt nach Erfahrung des erkennenden Gerichts bei Bescheiden über die Befreiung von der Versicherungspflicht niemals solche Hinweise. Beim Kläger ist allein schon im Hinblick auf die mehrjährige Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten bezüglich des Fortbestandes der Befreiungsmöglichkeit ein vollständiger Überblick über die Voraussetzungen der Befreiung und die Möglichkeit ihrer Beendigung anzunehmen. Der Wortlaut von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X spricht von Ansprüchen, die kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sind. Das Ruhen und der Wegfall kommen am ehesten für Leistungsansprüche in Betracht. Die Vorschrift kann jedoch zwanglos und ohne Überschreitung des Wortlauts auf Fälle angewendet werden, in denen der Versicherte einen Anspruch hat, für gewisse Zeiten vor der Versicherungspflicht befreit zu werden. Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass das Bayerische Landessozialgericht wie auch das Bundessozialgericht Zweifel an der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 S. 2 auf die vorliegende Fallgruppe geäußert haben. Solange jedoch kein entsprechendes Urteil diese Unanwendbarkeit ausdrücklich festgestellt hat und – noch wichtiger – der behördlichen und untergerichtlichen Praxis Richtlinien für ein einwandfreies Verfahren zur Handhabung der Befreiungsproblematik geliefert hat, hält das erkennende Gericht an seiner Rechtsprechung fest. In allen vergleichbaren Fällen muss den Klägerinnen und Kläger zu bedenken gegeben werden, dass eine Abkehr von der rückwirkenden Aufhebung der Befreiung nach Maßgabe von Einkommensteuerbescheiden einen mindestens einmal monatlichen Briefwechsel über die Einkommensprognose erforderlich machen würde und zu ständigem Streit darüber führen müsste, ab welcher Zahl von Wochen oder Monaten die Geschäftsentwicklung bei einem Handwerker, Makler, Rechtsanwalt, Ladeninhaber, Psychotherapeuten oder saisonal tätigen Hotelbetreiber eine im Sinne des unbestimmten Rechtsbegriffs der Regelmäßigkeit relevante Wendung über oder unter der Entgeltgrenze nimmt. Zutreffend hat die Beklagte auch auf den Vorbehalt der Vorläufigkeit im Bescheid vom 12.01.2009 hingewiesen. Sie hat diesem Bescheid damit den Charakter der Vorläufigkeit gegeben. Zulässig war diese Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. Zwar erlaubt die Vorschrift im engen Wortsinne nur den Vorbehalt eines Widerrufes eines recht-mäßigen Verwaltungsaktes im Sinne der für die Sozialverwaltungspraxis nahezu irrele-vanten §§ 46,47 SGB X, doch muss dieser Vorbehalt auch für einen Fall zulässig sein, der tatbestandsmäßig unter die Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X fällt.
Die Beschränkung der Vorbehaltsregelung lediglich auf den Widerruf ist mit der Entste-hungsgeschichte des SGB X zu erklären, bei dem das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) als Richtschnur galt, das in § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 die Änderung der Verhältnisse zu den Anwendungsfällen des Widerrufs zählt. Die doppelte Absicherung des Klägers einmal durch die von den Einkünften unabhängige fortlaufende Rechtsanwaltsversorgung und einmal durch Intervalle der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte mag unzweckmäßig erscheinen, doch gibt das ALG keine Handhabe zur Vermeidung dieses Ergebnisses. Maßgeblich sind die nur die aktuellen außerlandwirtschaftlichen Einkünfte, nicht jedoch die durch außerlandwirtschaftliche Einkünfte bereits erzielten Versorgungsanwartschaften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte für das Jahr 2009. Der Kläger ist geboren 1969. Mit Bescheid vom 08.05.2008 wurde er für die Zeit ab 22.11.2007 in die Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte und ab 01.11.2007 in die Beitragspflicht aufgenommen. Ein Antrag auf Befreiung hiervon wurde mit Bescheid vom 29.09.2008 abgelehnt, weil der Kläger kein außerlandwirtschaftliches Erwerbseinkommen in der gesetzlich verlangten Höhe von monatlich 400 bzw. jährlich 4800 Euro erzielte. Nach Vorlegung seines Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2006 sprach die Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2009 die vorläufige Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht ab 01.11.2007 aus. Nach mehrfachen Mahnungen legte der Kläger am 09.03.2011 eine Einkommensschätzung für die Jahre 2007 und 2008 vor. Am 23.06.2011 legte er auch den inzwischen fast zwei Jahre alten am 23.06.2011 ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vor. Er dokumentierte Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 20.000 Euro. Am 11.06.2012 forderte die Beklagte beim Kläger weitere aktualisierende Informationen an. Am 07.09.2012 mahnte sie diese Informationen an und machte eine Beitragsforderung von EUR 9792,00 für die Zeit ab 01.01.2009 geltend. Daraufhin legte der Kläger einen am 22.02.2012 erlassene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vor, der 149.292 Euro Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, 40.000 Euro Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und 2561 Euro Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit auswies. Ein am gleichen Tag erlassenen Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 2010 bezifferte die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft mit 149.885 Euro, aus Vermietung und Verpachtung mit 40.000 Euro und aus selbstständiger Tätigkeit mit 16.357 Euro. Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, die Befreiung für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 aufzuheben, weil das außerlandwirtschaftliche Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit nicht den Grenzwert von EUR 4800,00 jährlich bzw. EUR 400,00 monatlich überschritten habe. Die Beitragsforderung wurde mit EUR 2604,00 beziffert. Der Kläger wendete ein, dass hierfür keine Rechtsgrundlage gegeben sei. Die Beklagte habe eine vorausschauende Betrachtungsweise anzuwenden, nicht jedoch eine rückschauende Betrachtung. Die Änderung der Beurteilung der Versicherungsfreiheit könne nur für die Zukunft vorgenommen werden. Dennoch hob die Beklagte mit Bescheid vom 08.11.2012 die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für den Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2009 wegen Unterschreitung der zur Befreiung führenden Einkommenshöhe auf. Verfahrensrechtlich wurde diese Maßnahme auf § 48 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gestützt. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und vertiefte die bereits in den Gegenvorstellungen zur Anhörung vorgebrachten Argumente. Der Befreiungsbescheid dürfe lediglich für die Zukunft aufgehoben werden. Am 18.03.2013 erließ die Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid. Sie bekräftigte den Vorbehalt der Vorläufigkeit im Bescheid vom 12.01.2009. In der mündlichen Verhandlung ergänzte der Vertreter der Beklagten die Begründung der angegriffenen Bescheide dahingehend, dass sie auch auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X gestützt werde.
Der Kläger beantragt die Aufhebung des Bescheides vom 08.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2013.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben und ist somit zulässig. Die Klage ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die für die Beurteilung der Versicherungspflicht und der Befreiung hiervon maßgeblichen Vorschriften des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte lauten:
Versicherungspflichtig sind Landwirte (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ALG). Landwirt ist, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unterneh-men der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße erreicht (§ 1 Abs. 2 S. 1 ALG). Unternehmen der Landwirtschaft sind Unternehmen der Landwirtschaft und Forstwirtschaft ... ; die hierfür genutzten Flächen gelten als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Zur Bodenbewirtschaftung gehören diejenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die der Unternehmer zum Zwecke einer überwiegend planmäßigen Auf-zucht von Bodengewächsen ausübt, sowie die mit der Bodennutzung verbundene Tierhal-tung, sofern diese nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung rechnet. (§ 1 Abs. 4 S. 1 und 2 ALG).
Landwirte und mitarbeitende Familienangehörige werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4800 Euro überschreitet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG).
Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäfti-gung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch IV/SGB IV). Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Ein-kommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs. 1 SGB IV).
Die Beklagte hat ohne Fehler bei der Sachverhaltserfassung oder Rechtsanwendung festgestellt, dass der Kläger im Jahre 2009 nicht mehr regelmäßig außerlandwirtschaftliche Erwerbseinkünfte von mehr als 4800 Euro bezog. Das Kalenderjahr muss als Maßstab für die Regelmäßigkeit gelten, weil das für die Sozialversicherung Maßstäbe setzende Steuerrecht bei Selbstständigen, Gewerbetreibenden und Freiberuflern keine kleinere relevante Zeiteinheit kennt. Es wäre gänzlich lebensfremd, beispielsweise die laufenden Betriebsausgaben von elf Kalendermonaten im Sinne der Regelmäßigkeit für maßgeblich zu erklären und die damit für einen einzigen Kalendermonat bewirkte hohe Einnahme als unregelmäßige Ausnahme zu ignorieren.
Genauso abwegig wäre das gegenteilige Verfahren, nur die Einnahmen in der Mehrzahl der Kalendermonate eines Jahres in Betracht zu ziehen und die den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg des ganzen Jahres prägenden Ausgaben der anderen Monate auszublenden. Noch willkürlicher würden die Ergebnisse bei einer Zugrundelegung noch kleinerer Zeiteinheiten als des Kalendermonats. Auch verfahrensrechtlich ist die Vorgehensweise der Beklagten nicht zu beanstanden. Ein Bescheid über die Einräumung der Befreiung von der Versicherungspflicht ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die so wesentlich ist, dass sie Einfluss auf den Tenor des Verwaltungsaktes hat, vorliegend also bei Unterschreitung der für die Versicherungsbefreiung kritischen Verdienstgrenze, ist auf ei-nen solchen Verwaltungsakt § 48 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X) anwendbar; der Verwaltungsakt ist wegen Änderung der Verhältnisse aufzuheben. Nach Abs. 1 S. 1 der Vorschrift findet dies auf jeden Fall für die Zukunft statt, also ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides. Die Aufhebung für den Vergangenheitszeitraum zwischen der Änderung der Verhältnisse und der Erteilung des Aufhebungsbescheides bzw. bis zum Wiedereintritt der für den Ursprungsbescheid maßgeblichen Ausgangslage ist nach Abs. 1 S. 2 der Vorschrift zu prüfen. Da die Aufhebung mit dem Fälligwerden von Beiträgen jedenfalls teilweise belastenden Inhalt hat, kommen nur die Nrn. 2 bis 4 in Betracht. Nicht anwendbar ist die Nr. 3, die auf die Anpassung von Sozialleistungen an geänderte Zuflüsse von Arbeitsentgelt und Sozialleistungen abgestellt ist. Hierauf hat das BSG in seiner Entscheidung B 10 LW 5/01 R vom 16.10.2002 zu einem vergleichbaren Fall der erkennenden Kammer des Sozialgerichts München hingewiesen. Nicht zu folgen ist jedoch der lapidaren zwischenzeitlich auch nicht mehr wiederholten Aussage des BSG in dieser Entscheidung, es sei überhaupt keine Variante aus dem Katalog der Nrn. 2 bis 4 aus § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X erfüllt. Auffangtatbestand ist nämlich die Kenntnis des Betroffenen nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 (zu der die ebenfalls dort genannte grob fahrlässige Unkenntnis bereits wieder einen mit einem Schuldvorwurf verbundenen Sonderfall darstellt). Ganz generell kann den Adressaten von Verwaltungsakten der Sozialverwaltung die Kenntnis unterstellt werden, welche gesundheitlich definierten Tatbestände, welche Erziehungs- oder Ausbildungssituationen, welche Arbeitsmarktprobleme usw. usw. fortbestehen müssen, um die weitere Gültigkeit eines an sie ergangenen Bescheides zu rechtfertigen. Bereits die Antragstellung beruhte jeweils auf der Erkenntnis des Betroffenen, dass er einen solchen Tatbestand verwirklicht. Sodann erging ein Bescheid, der typischerweise mit entsprechenden Hinweisen und beigefügten Merkblättern die im Antrag geltend gemachten und als zutreffend unterstellten Tatbestandsmerkmale erläutert.
Die Beklagte unterlässt nach Erfahrung des erkennenden Gerichts bei Bescheiden über die Befreiung von der Versicherungspflicht niemals solche Hinweise. Beim Kläger ist allein schon im Hinblick auf die mehrjährige Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten bezüglich des Fortbestandes der Befreiungsmöglichkeit ein vollständiger Überblick über die Voraussetzungen der Befreiung und die Möglichkeit ihrer Beendigung anzunehmen. Der Wortlaut von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X spricht von Ansprüchen, die kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sind. Das Ruhen und der Wegfall kommen am ehesten für Leistungsansprüche in Betracht. Die Vorschrift kann jedoch zwanglos und ohne Überschreitung des Wortlauts auf Fälle angewendet werden, in denen der Versicherte einen Anspruch hat, für gewisse Zeiten vor der Versicherungspflicht befreit zu werden. Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass das Bayerische Landessozialgericht wie auch das Bundessozialgericht Zweifel an der Anwendbarkeit des § 48 Abs. 1 S. 2 auf die vorliegende Fallgruppe geäußert haben. Solange jedoch kein entsprechendes Urteil diese Unanwendbarkeit ausdrücklich festgestellt hat und – noch wichtiger – der behördlichen und untergerichtlichen Praxis Richtlinien für ein einwandfreies Verfahren zur Handhabung der Befreiungsproblematik geliefert hat, hält das erkennende Gericht an seiner Rechtsprechung fest. In allen vergleichbaren Fällen muss den Klägerinnen und Kläger zu bedenken gegeben werden, dass eine Abkehr von der rückwirkenden Aufhebung der Befreiung nach Maßgabe von Einkommensteuerbescheiden einen mindestens einmal monatlichen Briefwechsel über die Einkommensprognose erforderlich machen würde und zu ständigem Streit darüber führen müsste, ab welcher Zahl von Wochen oder Monaten die Geschäftsentwicklung bei einem Handwerker, Makler, Rechtsanwalt, Ladeninhaber, Psychotherapeuten oder saisonal tätigen Hotelbetreiber eine im Sinne des unbestimmten Rechtsbegriffs der Regelmäßigkeit relevante Wendung über oder unter der Entgeltgrenze nimmt. Zutreffend hat die Beklagte auch auf den Vorbehalt der Vorläufigkeit im Bescheid vom 12.01.2009 hingewiesen. Sie hat diesem Bescheid damit den Charakter der Vorläufigkeit gegeben. Zulässig war diese Nebenbestimmung nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. Zwar erlaubt die Vorschrift im engen Wortsinne nur den Vorbehalt eines Widerrufes eines recht-mäßigen Verwaltungsaktes im Sinne der für die Sozialverwaltungspraxis nahezu irrele-vanten §§ 46,47 SGB X, doch muss dieser Vorbehalt auch für einen Fall zulässig sein, der tatbestandsmäßig unter die Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X fällt.
Die Beschränkung der Vorbehaltsregelung lediglich auf den Widerruf ist mit der Entste-hungsgeschichte des SGB X zu erklären, bei dem das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) als Richtschnur galt, das in § 49 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 die Änderung der Verhältnisse zu den Anwendungsfällen des Widerrufs zählt. Die doppelte Absicherung des Klägers einmal durch die von den Einkünften unabhängige fortlaufende Rechtsanwaltsversorgung und einmal durch Intervalle der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte mag unzweckmäßig erscheinen, doch gibt das ALG keine Handhabe zur Vermeidung dieses Ergebnisses. Maßgeblich sind die nur die aktuellen außerlandwirtschaftlichen Einkünfte, nicht jedoch die durch außerlandwirtschaftliche Einkünfte bereits erzielten Versorgungsanwartschaften.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
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