L 6 SB 232/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 4675/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 232/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft in einem Neufeststellungsverfahren streitig.

Die 1949 geborene Klägerin, die seit 02.01.2012 eine vorgezogene Altersrente bezieht, beantragte erstmals am 13.12.1995 die bei ihr vorliegenden Funktionsstörungen mit einem Grad der Behinderung (GdB) zu bewerten. Nach Beiziehung eines Berichtes des Klinikums F./O., Klinik für Neurochirurgie vom 09.12.1995 (Bandscheibenvorfall LWK 4/5 links und Nukleotomie Lendenwirbelsäule (LWS) 4/5 links am 22.11.1995) sowie eines ärztlichen Befundberichts der Allgemeinärztin Dr. Sch. vom 12.01.1996 (Z. n. Nukleotomie LWK 4/5 li. bei mediolateralem Bandscheibenprolaps L4/L5, zervikale Osteochondrose und Spondylose) wurde die Klägerin durch den Versorgungsarzt Dr. M. am 05.09.1996 untersucht, begutachtet. Bei der Begutachtung klagte die Klägerin, das linke Bein sei noch gefühllos, immer kalt und sie könne nicht mehr lange sitzen, sondern bekomme dann Schmerzen in der LWS. Die Klägerin müsse noch ein Stützkorsett tragen und könne den linken Fuß nicht richtig heben und habe deshalb teilweise Beschwerden beim Laufen mit teilweisem Stolpern sowie zeitweise Schmerzen in den Kniegelenken. Dr. M. fand eine geringe Bewegungseinschränkung in der Halswirbelsäule (HWS) sowie eine Beweglichkeitseinschränkung der Brustwirbelsäule (BWS) und der LWS. Der Finger-Fußboden-Abstand war erheblich eingeschränkt, Schmerzhaftigkeit bestand bei Seitneigung und Rotation. Am linken Fuß stellte Dr. M. eine Parese fest, wobei die aktive Dorsalflexion nur minimal möglich war. Dr. M. diagnostizierte bei der Klägerin aufgrund dieser Befunde eine partielle Peronaeusparese links, welche er mit einem Teil-GdB von 20 bewertete sowie eine Funktionsminderung der Wirbelsäule mit Bandscheibenoperation, welche er ebenfalls mit einem Teil-GdB von 20 bewertete. Den Gesamt-GdB schätzte Dr. M. mit 30 ab Antragstellung ein. Gestützt auf die Einschätzung von Dr. M. und unter Wiederholung der in seinem Gutachten angeführten Funktionsbeeinträchtigungen stellte das damals zuständige Amt für Soziales und Versorgung F. (O.) mit Bescheid vom 02.10.1996 einen GdB von 30 fest.

Auf einen Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 26.04.2005 hin zog der Beklagte einen Befundbericht der behandelnden Allgemeinärztin Dr. Schu. vom 13.05.2005 (Osteochondrose L4 bis S1, ausgeprägte Facettengelenksarthrose L4/L5, kein Hinweis auf Prolapsrezidiv bei subjektiver rezidivierender Lumbago, diskrete Bandscheibenprotrusionen C4 und C7, Z.n. Radiojodtherapie, kleine zentrale Nierenzyste, aktive chronische Pangastritis) bei. In Auswertung dieses Befundberichtes schlug der Versorgungsarzt Dr. P. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme einen Gesamt-GdB von 40 vor (degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe der LWS, Nervenwurzelreizerscheinung [Teil-GdB 30], Teillähmung des Nervus peronaeus links [Teil-GdB 20]). Gestützt auf diese Einschätzung und unter Wiederholung der in der versorgungsärztlichen Stellungnahme angeführten Funktionsbeeinträchtigungen stellte das damals zuständige Versorgungsamt F./O. mit Bescheid vom 24.06.2005 unter Änderung des Bescheides vom 02.10.1996 einen GdB von 40 seit dem 26.04.2005 fest.

Im Rahmen von Neufeststellungsanträgen vom Januar 2007 und November 2008, welche im Ergebnis erfolglos blieben, zog der Beklagte unter anderem einen Befundbericht der Dr. Schu. vom 21.01.2009 (u.a. rezividierend Schwindel und Kopfschmerzen nach HWS ausstrahlend, keine neurologischen Defizite) bei, welchem ein Röntgenbefund der HWS vom 27.11.2008 (u.a. Streckfehlhaltung ohne skoliotische Achsabweichung) und ein MRT-Befund der LWS vom 30.10.2007 (u.a. Steilstellung ohne gröbere skoliotische Achsabweichung, kein Nachweis Rezidivprolaps LWS) beigefügt waren.

Die Klägerin beantragte am 02.08.2010 erneut die Höherbewertung des bei ihr anerkannten GdB. Der Beklagte zog einen Bericht des Orthopäden Dr. F. vom 11.08.2010 (Lumboischialgie, Zustand nach Nukleotomie L4/5 links) bei. In Auswertung dieses Befundberichtes schlug der Versorgungsarzt J. in seiner Stellungnahme weiterhin einen Gesamt-GdB von 40 unter Beibehaltung der im letzten Bescheid genannten Funktionsbeeinträchtigungen vor. Gestützt auf diese Einschätzung lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21.09.2010 den Antrag auf Neufeststellung des GdB ab. Zur Begründung führte er aus, die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen seien bereits ausreichend bewertet.

Gegen diese Entscheidung erhob die Klägerin am 22.10.2010 Widerspruch und legte zur Begründung desselben am 13.05.2011 ein Gutachten mit umfänglicher Untersuchung, veranlasst durch die Bundesagentur für Arbeit, von Dr. B. vom 08.04.2011 vor. Dr. B. hatte bei der Klägerin mäßiggradige lymphödematöse Schwellungen im Bereich beider Unterschenkel festgestellt und eine diagnostische Abklärung und entsprechende Therapie vorgeschlagen. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen hatte er im Bereich beider Daumensattelgelenke beschrieben, wobei die Klägerin hier selbst bei Alltagsverrichtungen limitiert und mitunter auf fremde Hilfe angewiesen sei. Im Vordergrund stünden bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Hals- und insbesondere der Lendenwirbelsäule. Es bestehe nun der Verdacht weiterer Bandscheibenschäden und er hatte dahingehend orthopädische Mitbehandlung empfohlen. In Auswertung dieses Gutachtens stellte der Versorgungsarzt Dr. K. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme fest, der bei der Klägerin bereits anerkannte GdB sei eher weitreichend bemessen. Die belastungs- und bewegungsabhängigen Schmerzen im Bereich zweier Wirbelsäulenabschnitte seien mit einem GdB von 30 zutreffend eingestuft. Aus dem Gutachten gehe auch nicht hervor, dass die Teillähmung des linken Wadenbeinnerves noch bestehe. Dementsprechend wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung bezog er sich auf die Stellungnahme von Dr. K ...

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 28.08.2011 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und diese am 19.04.2012 begründet. Das SG hat den behandelnden Orthopäden Dr. F. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 31.05.2012 mitgeteilt, er habe die Klägerin zwischen Juli und Dezember 2010 behandelt. Im Rahmen der Behandlung habe die Klägerin über Beschwerden im Bereich der lumbalen Wirbelsäule mit Schmerzausstrahlungen ins rechte Bein geklagt. Hier sei eine eingeschränkte Inklination und Reklination der LWS aufgefallen sowie ein Druckschmerz des Iliosakralgelenkes, wobei das Lasègue’sche Zeichen negativ gewesen sei. Ein PSR sei links nicht auslösbar gewesen. Er hat eine rezidivierende Lumboischialgie und einen Zustand nach Nukleotomie L4/5 links diagnostiziert. Die degenerativen Veränderungen seien als mittel- bis schwergradig in einem Wirbelsäulenabschnitt zu bezeichnen und er stimme mit der Auffassung des Versorgungsärztlichen Dienstes überein.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2012 hat das SG die Klage nach vorangegangener Anhörung abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das wesentliche Leiden der Klägerin liege in den dauerhaften Rückenbeschwerden. Ein Teil-GdB für die vom behandelnden Orthopäden Dr. F. bestätigten mittelschweren Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt in Höhe von 40 sei erheblich hochgegriffen. Der Teil-Grad erscheine auch daher recht weitgehend, da die Klägerin sich nicht in aktueller fachorthopädischer Behandlung befinde und ein entsprechender Leidensdruck zwar angegeben werde, aber nicht nachgewiesen sei. Ein höherer GdB für diese Behinderung sei nicht ableitbar. Soweit die Klägerin darauf hinweise, dass im Gutachten des Arbeitsamtes auf Schwellungen der Unterschenkel im Sinne von Lymphödemen und auf einen Ausfall des Peronaeusnerves hingewiesen worden sei, würden sich hieraus keine konkreten Beeinträchtigungen und Behinderungen ergeben. Die Klägerin selbst habe diese Erkrankungen in ihrem Neufeststellungsantrag nicht benannt und messe diesen offenbar keine besondere Bedeutung zu. Dies ergebe sich auch daraus, dass sie deswegen nicht in fachärztlicher Behandlung stehe.

Gegen den am 13.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.01.2013 Berufung eingelegt. Zu deren erst am 09.05.2013 vorgelegten Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Teillähmung des Nervus peronaeus links bestehe weiterhin. Diese sei damals mit einem Teil-GdB von 20 bewertet worden. Eine Besserung gegenüber der Beeinträchtigung 2005 sei nicht erfolgt. Im Gegenteil sei eine Verschlimmerung eingetreten. Auch die im Rahmen der arbeitsamtsärztlichen Untersuchung festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien noch zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2011 zu verurteilen, den Bescheid vom 24. Juni 2005 abzuändern und bei ihr einen GdB von 50 seit dem 2. August 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die Entscheidung für zutreffend.

Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt am 24.06.2013 mit den Beteiligten (die Klägerin ist dem Termin, obwohl ihr persönliches Erscheinen angefordert worden ist, unentschuldigt ferngeblieben), ausführlich erörtert. In dem Termin hat der Klägervertreter, der Sohn der Klägerin (Bl. 94 V-Akte) mitgeteilt, die schmerzhaften Beweglichkeitseinschränkungen, welche im Arbeitsamtsgutachten genannt würden, seien Schwierigkeiten der Klägerin beim Laufen, indem sie ein Bein nachziehe und sich auch nicht voll auf das beeinträchtigte Bein abstützen könne. Die Schmerzen in der Wirbelsäule würden die Klägerin zur Änderung der Körperhaltung in regelmäßigen Abständen zwingen. Ihre Lebensqualität habe sich dahingehend verschlechtert, dass sie z.B. beim Fernsehen nicht mehr lange sitzen und auch ihr Enkelkind nicht mehr hochheben könne. Beim Schneiden würde ihr das Messer aus der Hand fallen und sie könne auch nicht mit dem Flugzeug verreisen, da es ihr nicht möglich sei über längere Strecken zu sitzen. Über die Einnahme von Schmerzmittel hat der Klägervertreter keine Auskunft geben können, hat jedoch darauf hingewiesen, dass nach seiner Kenntnis der Klägerin diese eher keine Schmerzmittel einnehme, außer in absoluten Extremsituationen. Die Klägerin differenziere insgesamt bei ihren Beschwerden auch nicht nach den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten, sondern sie habe eben Schmerzen in der Wirbelsäule.

Auf mehrfache Nachfrage des Senats hat die Klägerin am 30.08.2013 schriftlich mitteilen lassen, sie habe für den 06.09.2013 einen Termin mit einem Orthopäden vereinbart. Der Name und die ladungsfähige Anschrift des Arztes sind trotz weiterer Nachfrage vom 04.11.2013 nicht mitgeteilt worden. Auch ein Befundbericht ist nicht vorgelegt worden. Zuletzt hat die Klägerin nach Terminierung am 07.12.2013 angegeben, sie sei bei einem Orthopäden und Neurologen zur Untersuchung gewesen. Am 18.12.2013 hat die Klägerin einen Befundbericht des Orthopäden Dr. Kh.-A. vom 06.09.2013 (Postnukleotomiesyndrom lumbal, aktivierte chron. Lumbalgie, Osteopenie) und des Neurologen Dr. Bo. vom 17.10.2013 (WRS L 4 rechts und L4-S1 links, beginnende PNP unklarer Genese, Voluntas) vorgelegt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte der ersten und zweiten Instanz sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß erhobene wie auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden hat, ist unbegründet.

Der Senat konnte ohne weitere Vertagung und Beweisaufnahme entscheiden. Die anwaltlich vertretene Klägerin ist nicht nur dem Erörterungstermin unentschuldigt ferngeblieben und hat dadurch die weitere Sachaufklärung vereitelt, sondern danach ein halbes Jahr am Verfahren nicht mitgewirkt. Erst kurzfristig hat sie noch Befundunterlagen vorgelegt. Durch die Befundberichte von Dr. Kh. A. und Dr. Bo. hat der Senat sich nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt gesehen, da sich daraus Änderungen zu den bereits aktenkundigen Unterlagen nicht ergeben. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sind bekannt und berücksichtigt. Soweit Dr. Bo. die Diagnose einer beginnenden Polyneuropathie stellt, ist nicht nachgewiesen, dass diese bereits dauerhaft besteht, da die Klägerin erstmals am 17.10.2013 von Dr. Bo. untersucht wurde.

Die angefochtene Entscheidung des SG ist in der Sache nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 und eine entsprechende Abänderung der angegriffenen Bescheide.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Erhöhung des bei ihr festgestellten GdB von 40 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung, hier des Bescheides vom 24.06.2005, vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - m. w. N.). Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) in der jeweils gültigen Fassung - zuletzt 2008 - einbezogen worden. Dementsprechend waren die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (BSG a. a. O.). Für die seit dem 01.01.2009 an deren Stelle getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 - (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) gilt das Gleiche (BSG a. a. O.).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und alten Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d. h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, d. h. Gesundheitsstörungen die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (z. B. "Altersdiabetes", "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle der Klägerin - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Gesamt-GdB. Die diese Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24.06.1998 - B 9 SB 17/97 R). Der Einzel-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Daher und angesichts der angeführten Abstufung des GdB nach Zehnergraden liegt bei einem nur den Behinderungsgrad betreffenden Neufeststellungbegehren eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X auch erst vor, wenn die Änderung des Gesamt-GdB wenigstens 10 beträgt (vgl. Teil A Nr. 7 Buchst. a Satz 1 der VG).

In Anwendung dieser Grundsätze scheidet die von der Klägerin erstrebte Erhöhung des GdB im Ergebnis aus. Ihr GdB ist mit 40 angemessen bewertet.

GdB-relevant ist dabei zunächst das Funktionssystem Rumpf. Die bei Klägerin vorliegenden Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten sind mit einem Teil-GdB von 30 ausreichend bewertet.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend durch die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit und die Beteiligung anderer Organsysteme bestimmt, wobei sich das Funktionsausmaß der Gelenke nach der Neutral-Null-Methode bemisst. Auch bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylosthesis, Spinalkanalstenose und den sogenannten Postdiskotomie-Syndrom) ergibt sich nach den VG, Teil B Nr. 18.9 der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Dementsprechend beträgt bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt, Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulen-Syndrome) der GdB 20 und erst mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulen-Syndrome) 30. Nur mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bedingen einen GdB von 30 bis 40.

Die Klägerin leidet vor allem unter Funktionsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule, die nach Überzeugung des Senats eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit begründen. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F ... Dieser hat die Klägerin im Jahr 2010 mehrfach behandelt und als GdB-relevante Diagnosen rezidivierende Lumboischialgien und einen Zustand nach Nukleotomie L4/5 links genannt. Er hatte bei der Klägerin eine eingeschränkte Inklination und Reklination sowie einen Druckschmerz des Iliosakralgelenkes festgestellt. Das Zeichen nach Lasegue war jedoch negativ und der Patellasehnenreflex nicht auslösbar. Neurologische Defizite hat Dr. F. nicht mitgeteilt. Auch aus dem später erstatteten arbeitsamtsärztlichen Gutachten ergibt sich nichts anderes. Dr. B. hat hier vor allem auf die Schmerzhaftigkeit im Bereich der Bewegung und Belastung der Lendenwirbelsäule abgehoben und diese deutlich im Vordergrund gesehen. In Bezug auf die Verformung der Wirbelsäule lässt sich dem in der Verwaltungsakte befindlichen letzten röntgenologischen Befund vom 30.10.2007 entnehmen, dass die Lendenwirbelsäule der Klägerin ohne gröbere skoliotische Achsabweichungen steil gestellt ist. Die Bewegungseinschränkungen zeigen sich bei der Inklination und Reklination. Eine Instabilität schweren Grades wird in dem Befundbericht und auch in dem Gutachten von Dr. B. nicht dargestellt. Die von der Klägerin geklagten Wirbelsäulensyndrome sind mit den Bandscheibenschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule, wo die Klägerin im Bereich L4/L5 bereits operiert wurde, zu erklären. Einen weiteren Bandscheibenvorfall kann der Senat dem zuletzt aktenkundig gewordenen bildgebenden Befundbericht vom 30.10.2007 nicht entnehmen, denn die Rede war nur von kräftigen medialen Bandscheibenprotrusionen, nicht jedoch von einem neuen Bandscheibenvorfall. In ihrer Stellungnahme vom 21.01.2009 hat die damals behandelnde Ärztin Frau Dr. Schu. auch mitgeteilt, dass neurologische Defekte nicht bestünden. Solche konnten auch jetzt weder Dr. F. noch Dr. B. feststellen. Hiermit in Zusammenhang zu betrachten sind die von der Klägerin im Bereich der Lendenwirbelsäule geschilderten Schmerzen, welche Dr. B. in seinem Gutachten beschrieben hat. Gegenüber Dr. B. hat die Klägerin auch Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule beklagt. Der Senat geht hier allenfalls von einer geringen bis mittelgradigen Einschränkung aus, zumal Dr. F. bei seiner Untersuchung im Jahr 2010 bei der Klägerin keine Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule festgestellt hat. Eine Verformung der Halswirbelsäule großen Ausmaßes besteht nicht. In den Verwaltungsakten findet sich als aktuellster Befund nämlich ein röntgenologischer vom 27.11.2008, aus welchem sich eine Streckfehlhaltung ohne skoliotische Achsabweichung der Halswirbelsäule ergibt. Ein Bandscheibenvorfall im Halswirbelsäulenbereich ist nicht dokumentiert. Ausweislich des Berichtes von Dr. Schu. vom 21.01.2009 bestanden keine neurologischen Einschränkungen. Da Dr. F. die Halswirbelsäule in seinem Bericht nicht erwähnt hat, ist davon auszugehen, dass das Halswirbelsäulen-Syndrom nicht dauerhaft besteht, sondern nur zeitweilig. Gegen eine schwergradige Beeinträchtigung der Klägerin in diesem Bereich der Wirbelsäule spricht auch, dass sie medikamentös nicht versorgt wird und eine fachärztliche Behandlung derzeit - jedenfalls in regelmäßigen Abständen - nicht durchgeführt wird. Erst Ende 2013 wurde die Klägerin wieder orthopädisch untersucht. Dies spricht ebenso gegen erhöhten Leidensdruck (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Urteil vom 08.08.2013 - L 6 SB 3292/12) wie die Tatsache, dass Dr. Kh. A. der Klägerin ein AOK-Training verordnet hat, welches bei schweren Wirbelsäulen schäden nicht möglich ist. Die gering- bis mittelgradigen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten sind mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten.

Für das Funktionssystem Beine ist ein Teil-GdB von 20 ausreichend.

Ob die Klägerin hier weiterhin unter einer partiellen Peronaeuslähmung leidet, kann dahingestellt bleiben, dann selbst wenn dies der Fall wäre, ist sie jedenfalls nicht mit einem höheren Teil-GdB als 20, wie vom Beklagten angenommen, zu bewerten. Nach den VG, Teil B Ziff. 18.14 ist ein vollständiger Ausfall des Nervus peronaeus communis oder profundus (verantwortlich für die Möglichkeit, den Fußrücken zum Schienbein anzuheben) mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten. Ein vollständiger Nervenausfall bestand und besteht bei der Klägerin nicht. Dr. M. hat in seinem ursprünglichen Gutachten nur eine partielle Lähmung dieses Nervs angenommen. Aktuell erwähnen weder Dr. F. noch Dr. B. diese Einschränkung überhaupt. Da es sich aber nur um eine partielle Lähmung handelt, ist allenfalls ein Teil-GdB von 20 für diese Gesundheitsstörung anzusetzen.

Soweit die Klägerin wie von Dr. B. festgestellt unter mäßiggradigen lymphödematösen Schwellungen im Bereich beider Unterschenkel leidet, so sind diese nach den VG, Teil B, Ziff. 9.2.3 allenfalls mit einem GdB von 10 zu bewerten, da eine Kompressionsbandage im Bereich der beiden Unterschenkel bei der Klägerin nicht erforderlich ist und eine wesentliche Funktionsbehinderung durch diese Schwellungen nicht mitgeteilt wurde.

Auch die sich aus dem Gutachten von Dr. B. ergebenden degenerativen Veränderungen im Bereich beider Daumensattelgelenke bedingen nach den VG Teil B, Ziff. 18.13 keinen höheren GdB als 10, da selbst eine Versteifung eines Daumengelenkes in günstiger Stellung mit einem Teil-GdB zwischen 0 und 10 zu bewerten ist und bei einer Versteifung beider Daumengelenke auch das Mittelhandwurzelgelenk in günstiger Stellung mit versteift sein muss, um einen Teil-GdB von 20 zu erreichen.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem Rumpf, Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem Beine unter Berücksichtigung der lymphatischen Schwellungen und des Nervenausfalls sowie Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem Hände) beträgt der Gesamt-GdB nicht mehr als 40. Es war daher unerheblich, ob die teilweise Lähmung des Nervus peronaeus noch besteht, da auch unter Berücksichtigung derselben kein höherer GdB als 40 in Betracht kommt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach den VG Teil A Nr. 3d ee von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Mithin hat das SG zu Recht den Beklagten nicht zur Feststellung eines höheren GdB als 40 verurteilt. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin sind bei Gesamtwürdigung nicht - wie aber erforderlich (vgl. Teil A Nr. 3 Buchst. b der VG) - mit Gesundheitsschäden vergleichbar, für die in der Tabelle ein fester GdB-Wert von 50 angegeben und bei deren Vorliegen die Schwerbehinderung anzuerkennen ist, denn sie sind nicht so erheblich, wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel, bei einer vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung.

Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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