L 7 BL 1/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 BL 90002/08
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 BL 1/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten u.a. in einem Überprüfungsverfahren gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X), ob dem Kläger Blindengeld nach dem Gesetz über das Blinden- und Gehörlosengeld im Land Sachsen-Anhalt (LBliGG) zusteht.

Der am ... 2003 geborene Kläger hat die bosnische Staatsangehörigkeit und beantragte am 11. April 2005 Leistungen nach dem LBliG-LSA sowie die Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Die Ausländerbehörde des Altmarkkreis S. erklärte am 14. April 2005 gegenüber dem Beklagten: Der Kläger habe eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Ausländergesetz aus dringenden humanitären Gründen erhalten, da eine Ausreise der Familie wegen seines Gesundheitszustandes nicht habe erfolgen können. Mit Bescheid vom 2. Mai 2005 lehnte der Beklagte Leistungen nach dem LBliGG ab. Der Kläger habe keinen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus, der ihn zum Bezug von Blindengeld berechtigen könnte. Hiergegen legte die gesetzliche Vertreterin des Klägers Widerspruch ein und machte geltend: Der derzeitige Aufenthaltsstatus sei rechtmäßig und habe eine Gültigkeitsdauer von zwei Jahren. Die Entscheidung des Beklagten verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und machte geltend: Ein Wohnsitz oder ein persönlicher Aufenthalt werde immer begründet, wenn der Antragsteller die rechtliche Möglichkeit zu einem dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe. Die Aufenthaltsbefugnis aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz sei lediglich vorübergehend und nicht mit einer Niederlassungserlaubnis vergleichbar. Die Voraussetzungen nach dem LBliGG lägen daher nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger – nunmehr anwaltlich vertreten – am 11. August 2005 Klage beim Sozialgericht Stendal erhoben und ergänzend vorgetragen: Die Eltern des Klägers seien am 19. Januar 2001 bzw. 21. Juni 2001 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der ältere Bruder des Klägers A. sei am ... 2001 geboren worden. Der Kläger sei blind. Bei Sozialleistungsansprüchen gelte § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I). Nach Abs. 3 dieser Vorschrift habe derjenige seinen Wohnsitz dort, wo er auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Dies sei beim Kläger die Wohnung in G. Der Kläger halte sich seit über zwei Jahren im Bundesgebiet auf und habe daher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Auf die ohnehin stets nur befristet zu erteilende Aufenthaltserlaubnis komme es nicht an, da eine von dem Beklagten geforderte Niederlassungserlaubnis voraussetze, dass der Kläger sich mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet aufhalte. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich eine Aufenthaltsbefugnis des Klägers sowie seiner Eltern.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2007 hat das Sozialgericht Stendal die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Gesetzes könne nur begründet werden, wenn dieser rechtmäßig sei. Besitze ein Ausländer lediglich einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus, könne weder von einem Wohnsitz noch einem gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des LBliGG ausgegangen werden. Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger kein Rechtsmittel eingelegt.

In einem parallel laufenden Schwerbehindertenverfahren S 6 SB 55/05 der Beteiligten hat das Sozialgericht Stendal mit Gerichtsbescheid vom 19. September 2007 die ablehnenden Bescheide des Beklagten aufgehoben und diesen verurteilt, dem Kläger einen Bescheid über den noch zu ermittelnden Grad der Behinderung zu erteilen. Bei lediglich geduldeten Ausländern liege nicht nur ein vorübergehendes Verweilen in der Bundesrepublik Deutschland vor, wenn sich aus anderen Umständen ergebe, dass sie sich auf unbestimmte Zeit im Bundesgebiet aufhalten können. Diese Voraussetzung sei beim Kläger gegeben. Ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des SGB IX sei nicht erst dann anzunehmen, wenn die Ausländerbehörde eine Aufenthaltsbefugnis erteile. Die Aufenthaltsgenehmigung sei daher mit einem jahrelang geduldeten Aufenthalt, dessen Abschiebung nicht absehbar sei, gleichzusetzen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten (L 7 SB 89/07) nahm dieser nach Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. April 2010 (B 9 SB 2/09 R) am 29. September 2010 zurück.

Am 2. Oktober 2006 beantragte der Kläger beim Beklagten nochmals Leistungen nach dem LBliGG und stellte am 1. Juni 2007 einen weiteren Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 2. Mai 2005 gemäß § 44 SGB X. Auf Nachfrage des Beklagten erklärte die Ausländerbehörde am 18. Juni 2007, dass der Kläger über eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 26. November 2007 gemäß § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz verfüge. Mit Bescheid vom 29. Juni 2007 lehnte der Beklagte eine rückwirkende Bewilligung von Blindengeld ab. Bei einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bestehe lediglich ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht, was für die Gewährung von Blindengeld im Sinne von § 1 Abs. 1 LBliGG nicht genüge. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 20. Juli 2007 mit dem er vortrug, die Bewertung des Beklagten gehe an den Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 SGB I vorbei. Hiernach hätten der Kläger und seine Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Schließlich lebten sie bereits seit dem 30. April 2001 in Deutschland. Damit halte sich der Kläger seit über vier Jahren im Bundesgebiet auf. Die Auslegung des Beklagten zu § 30 Abs. 3 SGB I sei daher zu eng. Nach dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stendal vom 19. September 2007 im Verfahren L 7 SB 89/07, dessen Argumentation sich der Kläger zu Eigen mache, habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erfülle damit die Leistungsvoraussetzungen des LBliGG. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und hielt an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

Hiergegen hat der Kläger am Montag, dem 14. April 2008, Klage beim Sozialgericht Stendal (SG) erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Der am 13. März 2008 zugestellte Widerspruchsbescheid sei ebenso wie die vorhergehenden Bescheide rechtswidrig. Der Beklagte verkenne immer noch, dass der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" nicht von einer Aufenthaltserlaubnis der Ausländerbehörde abhänge. Der Kläger halte sich rechtmäßig und auf unabsehbare Zeit im Geltungsbereich des SGB I auf.

Mit Urteil vom 13. April 2010 hat das SG die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Der Argumentation des Sozialgericht Stendal im Gerichtsbescheid vom 19. September 2007 (S 6 SB 55/05) sei nicht zu folgen, weil bei dem Kläger mit einem Aufenthaltswechsel in der Zukunft zu rechnen sei und daher nicht von einem dauerhaften Aufenthalt ausgegangen werden könne. Zwar halte sich der Kläger mittlerweile seit fast sechs Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf. Es könne jedoch keinesfalls ausgeschlossen werden, dass seine Ausreise bei Änderung der Verhältnisse in Bosnien/Herzegowina zukünftig erfolgen werde. Der Kläger könne nicht damit rechnen, dauerhaft im Bundesgebiet zu bleiben.

Der Kläger hat gegen das ihm am 26. April 2010 zugestellte Urteil am 26. Mai 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgericht Stendal vom 13. April 2010 sowie den Bescheid vom 29. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Rücknahme des Bescheides vom 2. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 zu verpflichten, ihm Blindengeld nach dem LBliGG zu zahlen.

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine bisherige Rechtsauffassung für zutreffend.

Auf einen rechtlichen Hinweis des Senats vom 15. Juni 2012 hat der Beklagte seine Rechtsauffassung am 21. August 2012 modifiziert. Zwar sei – wie vom Senat vertreten – davon auszugehen, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet habe. Das Erfüllen dieses Tatbestandsmerkmals führe jedoch noch nicht zu einem Anspruch auf Blindengeld. Beim Kläger sei der Leistungsausschluss des § 9 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu beachten. Hiernach erhalten Leistungsberechtigte keine Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) oder vergleichbaren Landesgesetzen. Zweck der Norm sei es, eine Doppelfinanzierung zu Lasten der öffentlichen Hand zu verhindern. Der Anspruch auf Landesblindengeld sei nach einer Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2011 – 12 A 1011/10 wegen dieser Ausschlussnorm nicht gegeben.

Am 11. Oktober 2012 hat der Senat den Kläger aufgefordert, mitzuteilen, welche Leistungen er nach dem AsylbLG bisher bezogen hat. Am 6. März 2012 hat der Kläger erklärt, er leite seine Ansprüche auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von den Leistungsansprüchen seiner Eltern ab. Dabei sei jedoch zu beachten, dass sein Vater Einkünfte aus Nebenverdiensten in Höhe von insgesamt 400 EUR habe.

Der Senat hat daraufhin die Ausländerakte des Klägers und seiner Eltern beigezogen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstoffes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Ausländerakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen, die vorgelegen haben und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Soweit der Beklagte den Leistungsanspruch im bestandskräftigen Bescheid vom 2. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005 und im Bescheid vom 29. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2008 jeweils abgelehnt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt.

Statthaft für das vom der Kläger verfolgte Überprüfungs- und Leistungsbegehren ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 und 4 in Verbindung mit § 56 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 19. April 2011, B 13 R 8/11 R, juris).

Die Bescheide des Beklagten vom 2. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2005, mit denen der Beklagte einen Anspruch auf Blindengeld ablehnte, sind nach dem Gerichtsbescheid des Sozialgericht Stendal vom 7. Februar 2007 bestandkräftig geworden. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Bezogen auf diese Bescheide hat der Beklagte das Recht zutreffend angewandt, so dass eine rückwirkende Aufhebung der Bescheide ausgeschlossen ist. Auch der Bescheid vom 29. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, ihm Blindengeld zu zahlen.

Einem Anspruch auf Blindengeld gemäß § 1 Abs.1 LBliGG steht der Leistungsausschlussgrund gemäß § 9 Abs.1 AsylbLG entgegen. Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungsberechtigte i.S.d. § 1 AsylbLG keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen.

Der Kläger ist für den gesamten Anspruchszeitraum Leistungsberechtigter i.S.v. § 1 Abs. 1 AsylbLG gewesen. Dieses Recht leitet sich aus dem Recht seiner Eltern und der ihm gewährten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz ab. Das Leistungsrecht ergibt sich mithin aus § 1 Abs.1 Ziff. 3 und Ziff. 6 AsylbLG. Es steht fest, dass die gesetzlichen Vertreter Leistungen nach dem AsylbLG bezogen haben. Da deshalb auch der Kläger leistungsberechtigt nach diesem Gesetz ist, unterfällt ein etwaiger Anspruch auf Blindengeld auch dem Leistungsausschluss nach § 9 AsylbLG. Nach Abs. 1 dieser Norm dürfen Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG keine Leistungen nach dem SGB XII oder vergleichbaren Landesgesetzen erhalten. Die Vergleichbarkeit bestimmt sich dabei aus der Sicht des für das AsylbLG zuständigen Bundesgesetzgebers. Dieser ist davon ausgegangen, dass es sich bei den Landesblindengeldgesetzen mit dem SGB XII vergleichbare Landesgesetze handelt und sowohl das Blindengeld als auch die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII den Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen bezweckt. Das Blindengeld dient dabei nicht dazu, eine akute Notlage abzuwenden, sondern ist als Versorgungsleistung bzw. Nachteilsausgleich für den von einem besonders schweren Schicksal betroffenen Personenkreis der Blinden zu verstehen (zutreffend, OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juni 2011, 12 A 1011/10, juris). Zweck dieses Leistungsausschlusses ist es, Doppelfinanzierungen zu Lasten der öffentlichen Hand zu verhindern. Bei den Landesblindengesetzen handelt es sich um dem SGB XII vergleichbare Landesgesetze (vgl. § 9 AsylbLG Rdnr. 1; Hohm, in: W. Schellhorn, H. Schellhorn/Hohm, 17. Auflage 2006).

Nicht entscheidungsrelevant ist es, dass der Beklagte seine umstrittene Rechtsauffassung zum Aufenthaltsrecht des Klägers durch die im Berufungsverfahren nachgeschobene Begründung des § 9 AsylbLG als Ausschlussnorm ersetzt hat. Beim sog. Nachschieben von Gründen eines Verwaltungsakts, die bereits bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist es wesentlich, ob dadurch der Verwaltungsakt in seinem Wesen verändert und der Betroffene in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird oder nicht (BSG, Urteil vom 29. Juni 2000, B 11 AL 85/99 R, juris). Wo genau die kritische Grenze verläuft, bei der eine ergänzende Begründung eines Verwaltungsakts dessen "Wesen" verändert hat, lässt sich nicht allgemein, sondern nur am jeweiligen Einzelfall feststellen. Denkbar wäre z.B. eine Wesensänderung, wenn der Verwaltungsakt auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt werden soll (BSG a.a.O.). Im vorliegenden Fall hat sich der Beklagte zunächst auf einen nicht hinreichend dauerhaften Aufenthaltsstatus berufen. Nunmehr stützt er sich auf den Leistungsausschluss des § 9 AsylbLG. Hierin ist keine Wesensänderung des Verwaltungsaktes zu sehen. Schließlich verneint der Beklagte die Leistungsvoraussetzungen für Blindengeld auf der Grundlage eines hinlänglich bekannten Sachverhaltes. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grenzen des Nachschiebens von Gründen sollen den Betroffenen im gerichtlichen Verfahren nur davor schützen, sich wesentlich anderem rechtlichen und tatsächlichen Vorbringen der Behörde gegenüberzusehen als denjenigem, welches dem angefochtenen Verwaltungsakt zu entnehmen ist. Der Kläger ist hier nicht schutzwürdig, da sich der Charakter der ablehnenden Entscheidung des Beklagten bei unverändertem Sachverhalt nicht entscheidend verändert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Soweit der Kläger eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beantragt hat und auf dessen anfänglich fehlerhafte Rechtsauffassung verwiesen hat, rechtfertigt dies keine andere Kostenentscheidung. Der Kläger ist im Rechtsstreit unterlegen, da er auch nach Änderung der Rechtsauffassung des Beklagten an seinem bisherigen Anspruch festgehalten hat. Eine Kostenentscheidung zu Gunsten des Klägers hätte erst dann ernsthaft in Betracht kommen können, wenn dieser – nach Korrektur der Rechtsauffassung des Beklagten – umgehend das Rechtsmittel zurückgenommen hätte. In diesem Fall hätte ggf. teilweise auf eine Kostentragungspflicht des Beklagten erkannt werden können. Dieser Fall ist hier nicht gegeben.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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