L 7 VE 12/11

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 14 VH 17/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VE 12/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. April 2011 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten sind Ansprüche nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) i. V. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der am ... 1952 geborene Kläger beantragte am 13. April 2006 Leistungen nach dem HHG wegen der Folgen einer unrechtmäßigen Inhaftierung vom 21. März 1984 bis 27. März 1985. Er gab an, wegen der Haft unter Epilepsie zu leiden und seit 29. November 2004 deswegen in ärztlicher Behandlung zu sein. Seit 28. November 2004 sei er arbeitsunfähig. Erstmals seien die Anfälle 1989 in Abständen von ca. drei Monaten aufgetreten, später bis zu dreimal am Tag. Nach seinen Angaben sei er von kriminellen Mitgefangenen während der Haft mindestens 80-mal sexuell missbraucht, geschlagen, gedemütigt und beleidigt worden. Beschwerden beim Wachpersonal seien unmöglich gewesen, da mit Sanktionen durch die Haftleitung zu rechnen gewesen sei. Den vom Kläger beigefügten sowie den vom Beklagten beigezogenen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau am 20. März 1984 wegen Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit (§ 214 StGB [DDR]) verhaftet und mit Urteil des Kreisgerichtes M.-Nord vom 21. Mai 1984 wegen dieses Deliktes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurde. Vom 20. März 1984 bis 22. Mai 1984 befand er sich in U-Haft des Ministeriums für Staatssicherheit in M., vom 22. Mai 1984 bis 5. Juni 1984 in U-Haft beim Ministerium des Innern, ebenfalls in M. und vom 5. Juni 1984 bis 16. Januar 1985 in Strafhaft in der Haftanstalt B. Vom 16. Januar 1985 bis 27. März 1985 befand er sich wieder in U-Haft (K.-M.-S.). Am 19. März 1985 wurde er mit Wirkung vom 27. März 1985 aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen; am selben Tag reiste er über das Notaufnahmelager G. in die Bundesrepublik Deutschland ein (Häftlingsfreikauf). Die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht B. stellte mit Beschluss vom 12. Juni 1985 die Unzulässigkeit der Vollstreckung des rechtskräftigen Urteils vom 21. Mai 1984 fest; am 18. Juli 1985 stellte ihm der Senator für Gesundheit und Soziales B. eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG über die Gewahrsamsnahme aus politischen Gründen aus. Des Weiteren wurden der Kläger und seine Ehefrau mit Beschluss des Bezirksgerichtes M. vom 23. Oktober 1991 nach den Regelungen des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) rehabilitiert, das Urteil des Kreisgerichtes M.-Nord vom 21. Mai 1984 wurde aufgehoben und Ansprüche auf soziale Ausgleichsleistungen wurden festgestellt.

Der Beklagte zog zunächst medizinische Unterlagen der Krankenkasse des Klägers (AOK B.) seit 1999, die reproduzierte Gefangenenpersonalakte und die Unterlagen des Bundesverwaltungsamtes über das Notaufnahmeverfahren 1985 bei. Nach den Unterlagen der AOK B. war es beim Kläger seit 1999 mehrfach zu Arbeitsunfähigkeitszeiten gekommen, vom 29. November 2004 bis 28. Mai 2006 erstmals wegen generalisierter idiopatischer Epilepsie und Grandmal-Anfällen. Am 23. April 1985 hatte der Kläger bei einer polizeilichen Vernehmung im Rahmen des Notaufnahmeverfahrens angegeben, während der Haft weder Opfer noch Zeuge von Misshandlungen gewesen zu sein. Ferner zog der Beklagte medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte und Einrichtungen des Klägers bei. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. gab mit undatierter Bescheinigung an, den Kläger seit August 2005 wegen einer generalisierten Epilepsie zu behandeln. Mehrfache Untersuchungen hätten keine organische Störung ergeben. Der Kläger leide an einer psychischen Störung, deren Ursprung im Gefängnisaufenthalt 1983/1984 (richtig: 1984/1985) liege. Erinnerungen und Gedanken an diesen Gefängnisaufenthalt hätten bei dem Kläger epileptische Anfälle zur Folge, deren Häufigkeit und Intensität abhängig von der Dauer und der Art der Erinnerungen seien. Er sei nicht in der Lage, diese Vergangenheit psychisch zu verarbeiten. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. S. teilte mit Befundbericht vom 17. Juli 2006 mit, beim Erstgespräch am 27. März 2006 den Psychotherapiewunsch des Klägers entgegengenommen zu haben. Nach Wiedervorstellung am 4. April 2006 habe dieser den Kontakt abgebrochen. Ferner zog der Beklagte die Entlassungsberichte des Städtischen Klinikums M. vom 20. Januar 2005, 17. März 2006, 6. September 2005 über Aufenthalte des Klägers vom 13. Januar bis 14. Januar 2005, 23. Februar bis 3. März 2006 und 16. August bis 22. August 2005 bei. Hiernach erfolgten die stationären Behandlungen wegen einer Epilepsie mit Bewusstseinsstörungen, die der Kläger seit Ende 2004 wiederholt bemerkt habe. Gegenüber der Psychologin habe der Kläger geäußert (Aufenthalt vom 23. Februar bis 3. März 2006), ein anhaltendes schweres Trauma erlitten zu haben, das sich seit einiger Zeit in Form von Träumen aktualisiere.

Mit Bescheid vom 1. Februar 2007 lehnte der Beklagte die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem HHG ab, da es nach den beigezogenen Unterlagen keinen Beweis für die vom Kläger geltend gemachten Schädigungen gebe. Dagegen spreche insbesondere die am 23. April 1985 zu Protokoll gegebene Äußerung, wonach er weder Opfer noch Zeuge von Misshandlungen gewesen sei. Der dagegen am 27. Februar 2007 eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2007).

Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 30. Mai 2007 vor dem Sozialgericht (SG) M. erhobenen Klage gewendet und vorgetragen, seiner Erklärung vom 23. April 1985 sei kein besonderer Wert zuzumessen, da es seinem damaligen Verhaltensmuster entsprochen habe, erlittene Schädigungen, gleich welcher Art, möglichst zu verheimlichen, nicht zu zeigen und Außenstehenden davon nicht zu berichten. Da die epileptischen Anfälle erstmals 1989 aufgetreten seien, müsse von einem wahrscheinlichen Zusammenhang mit den während der Haft erlittenen Schädigungen ausgegangen werden.

Das SG hat zunächst Unterlagen des Bundesarchivs über die Haftzeit des Klägers und die Bemühungen des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen (BmB) um seine Haftentlassung beigezogen. Daraus gehen Kontakte des Strafverteidigers Dr. V. mit dem BmB seit Juni 1984 mit Hinweisen auf vorausgegangenen Schriftwechsel im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen den Kläger hervor. In der Vollzugsakte der Strafvollzugseinrichtung B. ist die Verfügung über eine Sicherungsmaßnahme vom 28. August 1984 enthalten, wonach der Kläger an den Händen und Füßen gefesselt wurde, nachdem er sich willentlich mit einem Messer eine Schnittverletzung am linken Unterarm beigebracht hatte. Vorausgegangen war eine Disziplinarmaßnahme mit einem Einzelarrest von 21 Tagen, da er gegenüber Sicherheitsorganen falsche Aussagen gemacht haben soll. Mit Beschluss des Kreisgerichtes M.-Nord vom 21. März 1985 wurde dem Kläger mit Wirkung vom 27. März 1985 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Strafaussetzung auf Bewährung gewährt, da er die verhängte Freiheitsstrafe zu einem erheblichen Teil verbüßt habe und aus seinem Verhalten im Strafvollzug geschlussfolgert werden könne, dass der Strafzweck erreicht sei. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hat auf Befragen des SG mit Schreiben vom 13. November 2009 mitgeteilt, Erkenntnisse, wonach der Kläger insbesondere während seiner Inhaftierung in der Strafvollzugseinrichtung B. durch Mitgefangene drangsaliert und missbraucht worden sei, lägen nicht vor. Unterlagen, die auf eine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hinweisen, seien nicht ermittelt worden.

Des Weiteren hat das SG die Epikrise des Universitätsklinikums M. vom 7. November 2008 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 8. bis 30. Oktober 2008 in der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie beigezogen. Danach habe der Kläger angegeben, seit einer politischen Inhaftierung in den achtziger Jahren "epileptische Anfälle" zu haben, die zunächst nur etwa einmal im Quartal aufgetreten seien. Nach seiner Rückkehr nach M., an den Ort, an dem er inhaftiert worden sei, hätten sich die Anfälle gehäuft. In den letzten Monaten würde er täglich bis zu zehn solche Zustände erleben. Die Anfälle gingen teilweise einher mit kurzem Zittern, er stürze hin, schlage auf, werde kurz danach wieder wach, könne sich aber an nichts erinnern. Die Phase des Zitterns sei jedoch meist nicht lang genug, um sich vorsorglich hinzulegen und ein Aufschlagen zu verhindern. Während des Krankenhausaufenthaltes seien keine epilepsieähnlichen Anzeichen wie Aura, Einnässen, Verkrampfungen oder Zungenbisse (mit einer fraglichen Ausnahme) zu verzeichnen gewesen. Während des stationären Aufenthaltes habe der Patient vereinzelt Anfallszustände beschrieben. Es habe sich dabei um Zustände von Tonusverlust mit Zusammensinken des Körpers gehandelt, wobei sich der Patient keine Verletzungen zugezogen habe. Zeugen für diese Ereignisse hätten sich nicht gefunden. Die differenzierte Abklärung in der neurologischen Abteilung mit den empfohlenen objektivierenden Diagnoseinstrumenten sei nicht mehr durchgeführt worden, da der Patient in Absprache mit den Ärzten die Therapie vorzeitig beendet habe. Er habe seine Bedenken gegenüber einer aufwändigen Diagnostik erklärt, die ihm aufgrund seiner erheblichen Nikotinabhängigkeit besonders schwer falle. Ferner hat das SG den Reha-Entlassungsbericht der Reha-Klinik B. S. vom 6. April 2010 über die vom 10. bis 31. März 2010 durchgeführte Reha-Maßnahme des Klägers beigezogen. Darin wurden als Diagnosen unter anderem eine Dissoziative Störung (F44.5) und eine posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) genannt. Der Kläger leide seit Jahren unter sehr belastenden psychischen Problemen mit psychogenen Anfällen und häufigen Stürzen. Diese Anfälle seien nach seinen Angaben nicht therapierbar, er nehme auch sonst keinerlei Medikamente mehr ein. Wegen seiner psychischen Vorgeschichte sei der Kläger während der Reha-Maßnahme auch psychologisch betreut worden. Dabei habe er den Wunsch nach einer Psychotherapie geäußert, da er seit 2008 wisse, dass seine Anfälle psychogen seien und mit der Erinnerung an seine politische Inhaftierung in den achtziger Jahren in Zusammenhang stünden. Er habe in den letzten Jahren vergeblich versucht, einen ambulanten Therapieplatz für eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie zu erhalten und nichts erreicht. Eine stationäre Psychotherapie habe der Kläger wegen seiner Nikotinsucht und der Notwendigkeit der Versorgung seiner Hunde abgelehnt. Sodann hat das SG mit Beweisanordnung vom 8. April 2010 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers von der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P., B., angefordert. Dieses Gutachten hat Frau Dr. P. am 12. Juni 2010 nach Untersuchung des Klägers am 26. Mai 2010 erstattet und die Diagnosen "Dissoziative Krampfanfälle bei paranoider Persönlichkeitsstörung F60.0, F44.5; Zustand nach Implantation einer zementfreien Hüft-TEP 05/4; Zustand nach Osteosyntheseversorgung einer periprothetischen Femurfraktur links am 15.1.2010" mitgeteilt. Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Erkrankungen mit den Gefängnisaufenthalten vom 21. März 1983 (richtig: 1984) bis 27. März 1985 sei nicht zweifelsfrei zu beantworten. Der angegebene sexuelle Missbrauch sei mangels zeitnaher Angaben nicht zu beweisen, aber auch nicht grundsätzlich auszuschließen. Zum Zeitpunkt des Gefängnisaufenthaltes habe er weder seinem Anwalt noch in der Zeit unmittelbar danach in Westberlin über diesen sexuellen Missbrauch geklagt. Von 1985 bis 1997 sei er durchgängig als Bauleiter der Firma seiner Frau beschäftigt gewesen. In dieser Zeit habe es keine Hinweise auf Anfälle oder krankheitsbedingte Schäden durch Anfälle oder Verletzungen gegeben. Nähere Angaben, warum das von ihm gegründete Bauunternehmen aufgelöst und die Trennung von der Ehefrau erfolgt sei, habe der Kläger nicht gemacht. Objektive Nachweise über erlittene Krampfanfälle oder epileptische Anfälle lägen nicht vor, weil während der stationären Aufenthalte vom 8. bis 30. Oktober 2008 in der Uniklinik M. bzw. in der Reha-Klinik B. S. vom 10. März bis 12. März (richtig: 31. März) 2010 keine Anfälle beobachtet worden seien. Einen Anfallskalender führe der Kläger nicht, fremdanamnestische Angaben über den Verlauf eines Sturzes seien bis zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhanden. Eine kontinuierliche nervenärztliche und psychotherapeutische Behandlung habe er nie in Anspruch genommen, er nehme auch keine Medikamente ein, so dass der subjektive Leidensdruck fraglich sei. Aktuell liege eine psychopathologisch schwer gestörte Persönlichkeit vor, deren kausaler Zusammenhang mit der Haft nicht bewiesen sei. Auch die ungewöhnliche Symptomatik mit psychogenen Anfällen und schweren Selbstverletzungen könne nicht zwangsläufig den Erlebnissen in der Haft zugeordnet werden, weil für die Jahre zwischen 1985 und 2002 der zeitliche Zusammenhang sowie Brückensymptome fehlten. Typische Flashbacks, Intros und Hyperaerosole seien nicht festzustellen, auch sei der Schlaf des Klägers jetzt sehr gut, was gegen eine posttraumatische Belastungsstörung spreche. Wahrscheinlicher sei, dass er die Symptomatik aus individuellen Konflikten, über die er in der Untersuchungssituation nicht gesprochen habe, entwickelt habe und die weit zurückliegende Haft als Grund für die Beanspruchung sozialer Leistungen zu nutzen versuche.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2010 hat das SG einen Befangenheitsantrag des Klägers gegen die Sachverständige zurückgewiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. Dezember 2010 hat der Kläger angegeben, nach der Entlassung aus der Haft zusammen mit seiner damaligen Frau und seinem Sohn seinen Wohnsitz in B. genommen zu haben. Er habe bald Arbeit gefunden und in dieser Zeit kaum noch an die Zeit der Haft gedacht. Über die Erlebnisse in seiner Haft habe er nicht sprechen wollen, da er gegenüber der Stasi eine Schweigepflichterklärung unterschrieben und Angst vor negativen Konsequenzen gehabt habe. Später habe er sich dann mit seiner Frau selbstständig gemacht, die Inhaberin des Betriebes gewesen sei, während er als Bauleiter gearbeitet und die Akquise betrieben habe. 1997 hätten sie dann wegen der Trennung die selbstständige Tätigkeit aufgegeben. Schon davor hätten sie seit einiger Zeit getrennt geschlafen, weil seine Frau es wohl nicht ertragen habe, wenn er des Öfteren nachts geschrien habe. Bis zum Jahr 2000 habe er nur geringfügige gesundheitliche Probleme gehabt, dann habe die Phase mit den Stürzen angefangen, die sich ständig verschlimmert habe. In der weiteren mündlichen Verhandlung vom 21. April 2011 hat das SG die damalige Ehefrau des Klägers, K. B., als Zeugin vernommen. Diese hat ausgesagt, dass bei ihrem Mann nach der Haft alles anders gewesen sei. Er sei depressiv gewesen, sehr zurückgezogen und habe kaum gesprochen. Auch das Kind habe damals einen Schaden erlitten. Sie habe zunächst in einem Krankenhaus gearbeitet und seit 1989, nach der Geburt der gemeinsamen Tochter, in einer Arztpraxis. Ihr Mann habe sich selbstständig gemacht, wobei aber die Firma auf ihren Namen gelaufen sei, weil er sich zunächst noch nicht hätte selbstständig machen dürfen. Er habe wegen der Depressionen Probleme mit der Ausübung seiner Arbeit gehabt, habe Termine nicht eingehalten und manchmal den ganzen Tag im Bett gelegen. Er habe ihr dann nach ungefähr zwei oder drei Jahren auch von seinen Erlebnissen während der Haft erzählt und Schlägereien, Vergewaltigungen und den Arrest berichtet. Sie habe das gut nachvollziehen können, da es bei ihr genauso gewesen sei. Als sie sich in der Haft nicht habe impfen lassen wollen, weil sie Angst davor gehabt habe, das Opfer von Versuchen zu werden, sei sie ebenfalls arrestiert worden.

Mit Urteil vom 21. April 2011 hat das SG der Klage stattgegeben und den Beklagten verurteilt, beim Kläger eine schwere Persönlichkeitsstörung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten anzuerkennen und ihm ab dem 1. April 2006 eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigung (GdS) von 50 zu gewähren. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, es liege bei dem Kläger eine Persönlichkeitsstörung vor, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die Inhaftierung zurückzuführen sei. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sei eine rechtsstaatswidrige Inhaftierung grundsätzlich geeignet, eine psychische Störung herbeizuführen. Das nach Aktenlage zunächst nicht feststellbare Vorliegen sog. "Brückensymptome" hindere diese Feststellung nicht. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass beim Kläger Brückensymptome vorgelegen haben. Dies sei zunächst durch die eidesstattliche Versicherung der Mutter des Klägers vom 13. Juli 2006 belegt, die ihn mehrfach in der Haftanstalt B. besucht habe, wobei er ihr den sexuellen Missbrauch berichtet habe. Auch die damalige Ehefrau habe diese Symptome bestätigt. Da die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 12. Juni 2010 bei dem Kläger eine schwere Persönlichkeitsstörung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten festgestellt habe, sei dafür ein GdS von 50 anzunehmen.

Das ihm am 1. Juni 2011 zugestellte Urteil greift der Beklagte mit seiner am 28. Juni 2011 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung an. Er trägt vor, dass der Feststellung des SG, es hätten bei dem Kläger haft-/gewahrsamseigentümliche Verhältnisse zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt, nicht zu folgen sei. Der Urteilsbegründung sei nicht zu entnehmen, ob und inwieweit die vom Kläger geltend gemachten Übergriffe während der Inhaftierung als nachgewiesen oder zur Überzeugung des Gerichts als hinreichend glaubhaft gemacht angesehen und als hafteigentümliche Verhältnisse gewertet worden sind. Allein der Hinweis, wonach eine rechtsstaatswidrige Inhaftierung grundsätzlich geeignet sei, eine psychische Störung herbeizuführen, verkenne, dass die Tatsache einer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung allein nicht ausreiche, eine Gesundheitsstörung als Folge der Inhaftierung anzuerkennen. Vielmehr bedürfe es des Vorliegens konkret zu benennender Einwirkungen, die zu einem Primärschaden geführt haben und als Folge dessen zu gesundheitlichen Einschränkungen als Schädigungsfolge. Das SG, das den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen zur Kausalität zwischen der Persönlichkeitsstörung und den Erlebnissen während der Haft nicht gefolgt sei, habe es versäumt, die Sachverständige mit dem Ergebnis der weiteren Beweiserhebung zu konfrontieren und ergänzend zu befragen. Nicht überzeugend sei es, die Angaben der Mutter und der ehemaligen Frau des Klägers als Brückensymptome zu werten. Es handele sich dabei um Wahrnehmungen im Rahmen von Augenblickssituationen und nicht um kontinuierliche Verlaufsbeschreibungen eines krankheitswertigen Zustandes über Jahre hinaus im Anschluss an das Haftende. Im Hinblick auf die jahrelange uneingeschränkte berufliche Tätigkeit des Klägers mit, nach seinen Angaben, starker beruflicher Beanspruchung, hätten die Aussagen der Mutter und der Ehefrau kritisch hinterfragt werden müssen. Die entgegen der Beurteilung der medizinischen Sachverständigen durch das Gericht erfolgte Kausalitätsbeurteilung stehe auch insoweit im Widerspruch zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, als die psychogenen Anfälle des Klägers bei paranoider Persönlichkeitsstörung ursächlich auf die Haftbedingungen zurückgeführt werden. Dissoziative Störungen jeder Art seien nicht den Persönlichkeitsstörungen zuzuordnen, sondern gehörten grundsätzlich zu den Konversionsstörungen in Form der sog. Konversionsneurose. Neurosen könnten nach Nr. 70 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Ausgabe 2004) nur dann in einem ursächlichen Zusammenhang mit schädigenden Einflüssen stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit in erheblichem Umfang wirksam gewesen seien. Da der Kläger hier im Erwachsenenalter betroffen gewesen sei, sei es nicht möglich, die dissoziativen Anfälle als Teil der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung als haftbedingte Gesundheitsstörung anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 21. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt (u. a.) ergänzend vor, wegen weiterer psychogener Anfälle am 5. Oktober 2011 in ambulanter ärztlicher Behandlung bei der Diplom-Psychologin T. und am 20. Oktober 2011 im Klinikum M. in Behandlung gewesen zu sein.

Der Senat hat von der Sachverständigen Dr. P. eine ergänzende Stellungnahme unter Berücksichtigung der Ausführungen des SG im Urteil vom 21. April 2011 und der im Anschluss an das Sachverständigengutachten vorgelegten Stellungnahmen des Klägers eingeholt. Am 25. November 2012 hat die Sachverständige ausgeführt, die Besonderheit im Falle des Klägers sei die Symptomatik, nämlich das Umfallen mit Verletzungen, die aber im Rahmen stationärer Behandlungen nicht beobachtet worden seien. Ferner habe es stets leere EEG(Elektroenzephalogramm)-Befunde gegeben, er führe keinen Anfallskalender und nehme auch keine entsprechenden Medikamente ein. Er fühle sich nachhaltig gekränkt und befinde sich in einer desolaten sozialen Lage, bei der es aber viel Widersprüchliches gebe, weil er keine konkreten Angaben über Tätigkeit, Einkommen, Insolvenz des damaligen Betriebes mache. Es falle auf, dass er so wenig offen sei, wenn er so darunter leide. Zu strafrechtlichen Verurteilungen 1981 und nach der Wende habe er sich nicht geäußert. Da die soziale Anamnese unvollständig sei, könne die tatsächliche Beeinträchtigung seiner Persönlichkeit in der Zeit zwischen 1985 und 2002 nicht beurteilt werden. Seine Angabe, er sei insgesamt 80-mal sexuell missbraucht worden, sei merkwürdig, weil in solchen Fällen die Betroffenen so traumatisiert seien, dass sie keine exakten Angaben machen könnten. Die ersten medizinischen Unterlagen über traumatische Frakturen im linken Oberschenkel aufgrund von Stürzen gebe es erst ab 2002. In der Folgezeit habe es mehrere stationäre Aufenthalte und stationäre Diagnostik mit EEG gegeben. Pathologische Befunde mit Hinweisen auf Epilepsie seien aber nie festgestellt worden, auch in der Reha-Klinik in B. S. sei kein Anfall beobachtet worden. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne innerhalb von einem Vierteljahr nach dem Trauma auftreten. Bei mehrjähriger Verzögerung gebe es eine Triggerung, also ein Signal, das zur Auslösung eines pathologischen Zustandes führe, zu dem der Betreffende rational und bewusst keinen Zugang habe und es deshalb auch nicht beeinflussen könne. Weshalb beim Kläger eine Symptomatik mit mehrjähriger Verzögerung aufgetreten sei, lasse sich nicht beantworten, weil er nicht die Sozialdaten liefere, d.h., es sei wenig über sein Erleben und Verhalten vor und nach der Trennung von der Ehefrau bekannt, ebenso nach der Rückkehr nach M. Es sei auch nichts über die Häufigkeit von Arbeitsunfähigkeit durch Anfälle bekannt und auch nichts darüber, "warum er späterhin nochmals kriminell wurde". Ihr Gutachten vom 26. Mai 2010 sei nunmehr dahin zu modifizieren, dass ihre Wertung jetzt laute, dass die paranoide Entwicklung bei dem Kläger zu einer völligen psychischen Einengung des Denkens und Verhaltens geführt habe und er mit diesem Kränkungsaffekt bis jetzt keine sachliche Distanz zu dem Erlebten gefunden habe. Objektive Hinweise für die Traumatisierung habe sie aber nicht gefunden. Angesichts des schweren sexuellen Missbrauchs sei eine Tätigkeit als selbstständiger Bauleiter mit großem Erfolg und 12 bis 14 Angestellten schwer denkbar. Aufgrund der erlebten Traumatisierung sei es nahezu unmöglich, dass jemand zu solchen organisatorischen und konzentrativen Leistungen der Leitung eines Baubetriebes in der Lage sei. Das Problem sei, dass der Kläger insoweit Angaben verweigere. Es sei unwahrscheinlich, wenn er angesichts einer derartigen Traumatisierung so wenig kooperiere. Das sei nicht typisch und nicht nachvollziehbar. Der subjektive Leidensdruck hätte ihn eigentlich in die Arme von Psychologinnen und Sozialhelfern getrieben haben müssen, was aber nicht der Fall gewesen sei. Auch nach 1997 sei er in mehreren Baubetrieben tätig gewesen, ohne dass er hierzu genauere Angaben mache.

Gegen die Stellungnahme des Sachverständigen Dr. P. macht der Kläger geltend, er habe anfangs nicht über seine Ängste und Depressionen sowie die Albträume sprechen können, weil sein Schamgefühl zu groß gewesen sei. Gerade darin zeigten sich wiederum die Brückensymptome, nämlich das Vermeidungsverhalten und das Misstrauen. Gegenüber Ärzten und Behörden vermeide er es generell, über die Geschehnisse während des Zuchthausaufenthaltes zu sprechen. Einen Anfallskalender habe er nicht führen können, weil er anfangs nicht habe wissen können, dass seine Stürze auf diesen Anfällen beruhten. Anfallskalender würden von Epileptikern zur Einstellung der Medikation geführt und nicht bei psychogenen Krampfanfällen. Solche Kalender seien nur ein Hilfsmittel für den Arzt. Unter einer posttraumatischen Belastungsstörung habe er schon viel früher gelitten, diese habe aber 1985 nicht festgestellt werden können, weil diese Diagnose erst 1995 in die Anhaltspunkte der ärztlichen Gutachtertätigkeit aufgenommen worden seien, also zehn Jahre nach Haftentlassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsunterlagen des Beklagten und die Gerichtsakten verwiesen, die vorgelegen haben und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht erhobene Berufung des Beklagten ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg war aufzuheben, da der erhobene Anspruch des Klägers nicht besteht.

Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch des Klägers beurteilt sich nach dem HHG, da er mit der Bescheinigung gemäß § 10 Abs. 4 HHG vom 18. Juli 1985 als Berechtigter im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. HHG anerkannt worden ist. Darüber hinaus liegt der Beschluss des Bezirksgerichtes M. vom 23. Oktober 1991 über die Aufhebung des Urteils Kreisgerichtes M. Nord vom 21. Mai 1984 und die Rehabilitierung des Klägers für den Zeitraum vom 20. März 1984 bis zum 27. März 1985 vor. Der Anspruch auf Versorgung richtet sich gleichwohl nach dem HHG, weil die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 4. November 1992 ausgestellt wurde und gemäß Abs. 7 dieser Vorschrift für alle Behörden und Stellen verbindlich ist, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen nach dem HHG oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Ferner ist der Vorrang des HHG auch aus der Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG zu folgern, wonach das StrRehaG und die entsprechende Anwendung des BVG nicht durchzuführen sind, soweit der Betroffene bereits Versorgung aufgrund des BVG oder aufgrund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält. Das HHG ist ein solches Gesetz, da es in § 4 Abs. 1 die entsprechende Anwendung des BVG vorsieht.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG erhalten Leistungen nach dem HHG (u. a.) deutsche Staatsangehörige, wenn sie nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden. Der Nachweis darüber, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HHG vorlegen und dass Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 nicht gegeben sind, ist durch eine Bescheinigung zu erbringen (§ 10 Abs. 4 HHG). Nach § 4 Abs. 1 erhält ein Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit ihm nicht wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar aufgrund des BVG zusteht. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 HHG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

Hier steht zunächst fest, dass der Kläger in der Zeit vom 20. März 1984 bis 27. März 1985 zu Unrecht inhaftiert gewesen ist. Allerdings genügt diese Tatsache noch nicht für die Feststellung, dass der rechtsstaatswidrigen Haftzeit die Bedeutung einer rechtlich wesentlichen Ursache für erlittene Gesundheitsstörungen zuzumessen ist. Denn als rechtlich wesentliche Ursachen für eine Gesundheitsstörung kommen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur bestimmte Einwirkungen in Betracht, die dem politischen Gewahrsam als eigentümlich zuzurechnen sind. Es darf sich hingegen nicht um Ereignisse handeln, die üblicherweise überall vorkommen. Anspruchserheblich sind nur Belastungen oder besondere Zwangslagen, die unter vergleichbaren normalen Verhältnissen nicht vorkommen (BSG, Urteil vom 2. März 1983, 9 a RVh 1/82, zitiert nach juris). Ferner muss grundsätzlich zwischen der gesundheitlichen Schädigung und dem politischen Gewahrsam ein enger zeitlicher und innerer Zusammenhang bestehen.

Solche dem politischen Gewahrsam eigentümlichen Verhältnisse lassen sich hier für die Haftzeit nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen (zum Beweismaßstab beim schädigenden Ereignis als anspruchsbegründender Tatsache vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999, B 9 VS 2/98 R, SozR 3-3200 § 81 SVG, S. 73 m. w. N.) Sexueller Missbrauch während der Haft, wie vom Kläger wiederholt angegeben, könnte grundsätzlich eine geeignete Einwirkung sein. Entgegen der Ansicht des SG liegen hier aber auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers keine genügenden Anhaltspunkte dafür vor, dass ein solcher Missbrauch tatsächlich stattgefunden hat. Den Akten sind keine unmittelbaren Hinweise auf solche Vorkommnisse zu entnehmen, auch keine mittelbaren Hinweise, wie einschlägige Verletzungen, die der Kläger aber aufgrund der Schwere und Vielzahl solcher Übergriffe innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums (in Betracht kommt nur die Haft in der Justizvollzugseinrichtung B. vom 5. Juni 1984 bis 16. Januar 1985, anschließend wurde er nach M. verlegt) erlitten haben müsste. Nach seiner Darstellung ist er "mindestens 80-mal" sexuell missbraucht, geschlagen und gedemütigt worden. Bei derart massiven Gewalteinwirkungen, denen der Kläger in einer solchen Häufigkeit innerhalb von rund sieben Monaten Haft ausgesetzt gewesen sein soll, hätte es nahe gelegen, dass sich in den Akten Hinweise auf Verletzungen oder zumindest auf ärztliche Behandlungen befinden. Stattdessen ist der Gefangenenpersonalakte über die Haftzeit in B. lediglich zu entnehmen, dass gegen den Kläger wegen falscher Anschuldigungen eine Arrestzeit von 21 Tagen festgesetzt und vollstreckt wurde. Hintergrund für diese Maßnahme war offenbar die Behauptung des Klägers gegenüber dem Wachpersonal, er sei sexuell missbraucht worden. Dass diese Anschuldigung von der Gefängnisleitung damals für falsch gehalten wurde, ist zwar kein Beleg dafür, dass sexueller Missbrauch tatsächlich nicht stattgefunden hat, macht die Angaben des Klägers andererseits aber auch nicht plausibler, zumal der Arrest von immerhin 21 Tagen den ohnehin schon verhältnismäßigen kurzen Haftzeitraum, währenddessen Übergriffe der Mitgefangenen möglich gewesen wären, weiter verkürzt hat. Über diesen Akteneintrag hinaus finden sich keinerlei zeitnahen Hinweise auf die vom Kläger angegebenen Vorkommnisse, weder konkret zu den Verhältnissen in der Justizvollzugseinrichtung B. in der fraglichen Zeit noch allgemein über die Verhältnisse in Haftanstalten der DDR. Es gibt auch keinerlei Erkenntnisse über besondere (sexuelle) Repressalien, denen gerade die politischen Häftlinge ausgesetzt waren. Den vom Bundesbeauftragten vorgelegten Materialien ist vielmehr zu entnehmen, dass die Häftlinge, gerade auch die politischen Häftlinge, sich zueinander besonders solidarisch verhalten haben, so dass Sanktionsmaßnahmen der Haftanstalten oftmals ins Leere gelaufen sind. Auch die Tatsache, dass der Kläger im Rahmen des Notaufnahmeverfahrens am 23 April 1985 keinerlei Angaben zu einem erlittenen sexuellen Missbrauch gemacht bzw. solche Erfahrungen sogar ausdrücklich verneint hat, spricht gegen den behaupteten Geschehensablauf. Daneben sprechen auch die Geschehnisse im Umfeld der Strafhaft eher gegen als für einen stattgefundenen sexuellen Missbrauch. Denn es kam offenbar alsbald vor oder nach der Verurteilung des Ehepaares am 21. Mai 1984 zu Kontakten zwischen dem Verteidiger des Klägers, Rechtsanwalt Dr. V. und dem BmB. Diese Kontakte wurden während der Haft fortgesetzt und intensiviert und führten schließlich zur vorzeitigen Freilassung des Klägers und seiner damaligen Frau im Wege des Häftlingsfreikaufs. Im Rahmen dieser Bemühungen sind keine Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch des Klägers aktenkundig geworden, obwohl er seiner Mutter bei ihren Haftbesuchen von solchen Vorkommnissen berichtet haben will. Wären solche Berichte an seine Mutter damals tatsächlich erfolgt, hätte es bei lebensnaher Betrachtung nahe gelegen, dass sie in Sorge um ihren Sohn dem Rechtsanwalt V. davon berichtet hätte. Dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. P. lässt sich die Wahrscheinlichkeit des behaupteten Geschehensablaufs ebenfalls nicht entnehmen. Sie hat zunächst lediglich ausgeführt, ein sexueller Missbrauch sei mangels zeitnaher Angaben weder zu beweisen noch grundsätzlich auszuschließen. Im Hinblick auf die geklagten Beschwerden fehle der zeitliche Zusammenhang und seien keine Brückensymptome vorhanden. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 25. November 2012 hat sie an dieser Bewertung festgehalten und darauf hingewiesen, der Kläger sei verschlossen und mache keine konkreten Angaben zu seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit nach der Haftentlassung, aber auch nicht zu einer früheren strafrechtlichen Verurteilung im Jahre 1981. Der Kläger hätte im Falle eines schweren sexuellen Missbrauchs eine anspruchsvolle berufliche Tätigkeit als Bauleiter mit Verantwortung für 12 bis 14 Angestellte kaum ausüben können. Angesichts dieser ernstlichen Zweifel kann von einer mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, dass das schädigende Ereignis stattgefunden hat, nicht ausgegangen werden.

Auch auf die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) kann sich der Kläger nicht stützen, denn an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben sowie denen seiner Mutter und der ehemaligen Frau bestehen erhebliche Zweifel. Diese Zweifel gründen sich vor allem darauf, dass trotz vorhandener Unterlagen keinerlei zeitnahe Hinweise auf sexuelle Übergriffe zu finden sind. Keine anderen Personen haben entsprechende Beobachtungen angegeben oder in der damaligen Zeit über solche Vorwürfe des Klägers berichtet. Auch die Mutter des Klägers ist mit solchen Hinweisen nicht aktenkundig geworden, obwohl sie sich angesichts der Schwere der Taten hätte erhebliche Sorgen um die Gesundheit ihres Sohnes machen müssen. Auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2013 hat der Kläger keine Zeugen benennen oder Hinweise geben können, die zur Ermittlung von Zeugen hätten führen können. Dies erscheint angesichts seiner Behauptung, er sei von mehreren Mitgefangenen mehr als 80-mal sexuell missbraucht worden, in hohem Maße unglaubhaft.

Selbst wenn das schädigende Ereignis auf der Grundlage der Angaben des Klägers anzunehmen wäre, fehlte es hier aber an der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlich ist ein Ursachenzusammenhang, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 26. 2. 1992, 9a RV 14/91, SozR 3-2200 § 81 Nr. 3; Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, RdNr. 129 zu § 81 SVG m. w. N.). Davon, dass hier mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang zwischen der Persönlichkeitsstörung des Klägers und den Ereignissen während der Haftzeit spricht, kann angesichts des langen beschwerdefreien Zeitraums zwischen 1985 und (mindestens) dem Jahr 2000 keine Rede sein. In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2010 hat der Kläger angegeben, bis zum Jahr 2000 keine besonderen gesundheitlichen Probleme gehabt zu haben. Dies stimmt überein mit seiner offenbar erfolgreichen beruflichen selbständigen Tätigkeit bis 1997, bei der er sich über einen längeren Zeitraum als Unternehmer bewährt hat. Außer seinen Angaben und denen seiner damaligen Frau liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er bei der Ausübung dieser umfangreichen beruflichen Tätigkeit tatsächlich aus gesundheitlichen und/oder psychischen Gründen nennenswert eingeschränkt war. Der berufliche Erfolg spricht ohnehin dagegen, dass dies in nennenswertem Maß der Fall gewesen sein könnte. Zutreffend erscheint demnach die Schlussfolgerung der Sachverständigen Dr. P. im Gutachten vom 21. Mai 2010 und der ergänzenden Stellungnahme von 25. November 2012, wonach sich unter Berücksichtigung sämtlicher Unterlagen und der Angaben des Klägers keine genügenden Hinweise auf sog. Brückensymptome finden lassen, die die späte Manifestation der psychischen Erkrankung ab dem Jahr 2002 erklären könnten. Da ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, kommt es nicht darauf an, das Ausmaß der Erkrankung des Klägers noch weiter aufzuklären. Es bestehen allerdings erhebliche Zweifel, ob neben der von der gerichtlichen Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsstörung auch ein erhebliches Anfallsleiden besteht, unter dem der Kläger nach seinen Angaben seit Jahren u. a. in Form von plötzlicher Bewusstlosigkeit leidet. Auch ein solches Leiden ist nach allen durchgeführten Ermittlungen nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen worden. Da dieses aber, selbst wenn es anzunehmen wäre, mit der rechtswidrigen Haft vom 20. März 1984 bis 27. März 1985 in keinem wahrscheinlichen Zusammenhang steht, brauchte der Senat dieser Frage nicht weiter nachzugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Die Revision war nicht zuzulassen, weil dafür die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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