S 29 AY 17/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
29
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AY 17/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 27.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2013 verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Monat Oktober 2012 in Höhe von 30,86 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger 40% seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung ungekürzter Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahr 2008 nach Deutschland ein. Ab Januar 2009 bezog er laufend Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 22.10.2009 wurde sein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 23.03.2010 bestätigte das VG Minden, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sowie Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlagen.

Am 28.06.2010 erteilte die Ausländerbehörde dem Kläger eine Duldung, da dieser behauptete, nicht im Besitz eines Passes zu sein.

Mit Schreiben vom 28.10.2010 forderte die Ausländerbehörde den Kläger zur Durchsetzung seiner Ausreiseverpflichtung auf, bis zum 29.10.2010 einen Pass oder Passersatz vorzulegen. Sollte er einen solchen nicht besitzen, solle er einen entsprechenden Antrag bei der Botschaft in Berlin stellen und die Antragstellung innerhalb der vorbezeichneten Frist nachweisen. Hilfsweise seien zur Identitätsfeststellung geeignete Dokumente vorzulegen. Nach seinen eigenen Angaben habe er einen Personalausweis besessen, den er in seiner Heimat belassen habe.

Am 05.11.2010 stellt die guineische Botschaft eine Bestätigung aus, nach der die Identität des Klägers nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, da zu seiner Person keine Unterlagen vorlägen.

Am 09.07.2012 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass am 12.07.2012 eine Botschaftsvorführung in C stattfinden werde und er hierzu abgeholt werden würde. Der Kläger war am Abholtermin nicht auffindbar.

Mit Schreiben vom 08.08.2012 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Kürzung seiner Leistungen nach § 1a AsylbLG an. Der Kläger sei lediglich im Besitz einer Duldung. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen könnten nur deshalb nicht vollzogen werden, weil er nicht in ausreichender Form an der Passbeschaffung mitgewirkt habe. Gleichzeitig forderte die Beklagte den Kläger auf, bis zum 12.09.2012 einen Pass oder sonstige Identitätsnachweise vorzulegen und durch Vorlage entsprechender Belege nachzuweisen, welche eigenen Bemühungen er zur Passbeschaffung unternommen habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.09.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger für Oktober 2012 nur noch eingeschränkte Leistungen nach § 1a AsylbLG in Höhe von 242,41 EUR zzgl. der Nutzungsentschädigung für seine Unterkunft. Der Kläger habe bisher keine geeigneten Unterlagen zum Nachweis seiner Identität vorgelegt und sich hierum auch nicht hinreichend bemüht. Im Juli habe er sich sogar einer Botschaftsvorführung entzogen. Es seien daher lediglich die unabweisbar gebotenen Leistungen für Ernährung in Höhe von 132,80 EUR, für Gesundheitspflege in Höhe von 16,08 EUR sowie der Barbetrag gekürzt um 40,90 EUR zu gewähren. Der Betrag für Bekleidung und Schuhe könne im Einzelfall gewährt werden. Bei Bedarf sei dieser zu beantragen.

Hiergegen erhob der Kläger am 15.10.2012 Widerspruch. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei die Höhe der Grundleistungen i.S.v. § 3 AsylbLG verfassungswidrig. Wenn jedoch bereits die Höhe der uneingeschränkten Leistungen verfassungswidrig sei, müsse dies erst recht für nach § 1a AsylbLG gekürzte Leistungen gelten.

Mit Bescheid vom 14.11.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für den Monat November 2012.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2013 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.09.2012 als unbegründet zurück. Im Falle des Klägers liege der entscheidende Hinderungsgrund für die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in dem von ihm zu vertretenden Umstand, dass er nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes sei. Seine Bemühungen zur Erlangung eines solchen hätten sich auf einen Besuch bei der Botschaft beschränkt, obwohl es ihm auch möglich gewesen wäre, seine noch in seinem Heimatland verbliebenen Angehörigen, um Übersendung seines zurückgelassenen Passes zu bitten. Zudem habe er sich im Juli sogar einer Botschaftsvorführung entzogen. Auch die Entscheidung des BVerfG stehe der Kürzung nicht entgegen. Das BVerfG habe lediglich die Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für verfassungswidrig erklärt.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 01.02.2013 erhobenen Klage, mit der er weiterhin die Gewährung ungekürzter Leistungen nach § 3 AsylbLG begehrt.

Art. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiere ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Es umfasse sowohl Leistungen der psychischen Existenz als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Die Kürzung des Taschengeldes um 30,52 % sei völlig unangemessen und verwehre ihm die Garantie seiner soziokulturellen Bedürfnisse. Bei der Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen dürfe zudem nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenziert werden, so dass es grundsätzlich dahinstehen könne, ob er seinen Duldungsstatus rechtsmissbräuchlich beibehalten habe. Er habe aber auch alle ihm möglichen und zumutbaren Schritte in die Wege geleitet, um seine Identität zu klären, indem er bei der Botschaft vorgesprochen habe. Wenn letztere ihm lediglich bescheinige, dass seine Identität nicht zweifelsfrei feststehe, sei dies kein Umstand, den er zu verantworten habe. Es obliege der Botschaft, solche Tatsachen festzustellen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 27.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2013 zu verurteilen, ihm für den Monat Oktober 2012 weitere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die hier streitige Kürzung allein des Taschengeldanteils stehe dem soziokulturellen Existenzminimum nicht entgegen. Vielmehr sei die Leistungskürzung geeignet und auch erforderlich, um pflichtwidriges Verhalten zu sanktionieren und Personen zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.

Streitgegenständlich ist im hiesigen Verfahren allein die Leistungsbewilligung für den Monat Oktober 2012. Die Leistungsbewilligung für November 2012 erfolgte mit gesondertem Bescheid vom 14.11.2012.

Der angefochtene Bescheid vom 27.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2013 ist insoweit rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen Rechten gemäß § 54 Absatz 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als es der Beklagte abgelehnt hat, ihm für den Monat Oktober 2012 weitere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 30,86 EUR zu gewähren. Die Kürzung der Leistungen war in diesem Umfang rechtswidrig. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig. Die Beklagte hat die Leistungen des Klägers dem Grunde nach zu Recht nach § 1a AsylbLG gekürzt. Der Kläger ist aufgrund der ihm nach § 60a AufenthG erteilten Duldung Leistungsberechtigter nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden. § 1a AsylbLG begegnet nach Auffassung der Kammer auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

1) Nach § 1a Nr.2 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5, bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

Unter aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sind alle tatsächlichen oder rechtlichen Handlungen zu verstehen, die notwendig sind, um eine Ausreise herbeizuführen. Nicht vollzogen werden können diese Maßnahmen, wenn die von der zuständigen Ausländerbehörde beabsichtigten oder schon eingeleiteten Maßnahmen nicht vollstreckt werden können.

Die zuständige Ausländerbehörde hat den Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass er vollziehbar ausreisepflichtig ist und sich die zum Zwecke der Ausreise erforderlichen Identitätsnachweise zu beschaffen hat (vgl. Bl. 200 der VA). Der Kläger hat die erforderlichen Dokumente bis zum heutigen Tage nicht beschafft und sich hierum auch nicht hinreichend bemüht und kann aus diesen Gründen nicht in seine Heimat zurückgeführt werden. Voraussetzung für eine Ausreise oder Abschiebung zur Beendigung seines Aufenthaltes ist, dass ein gültiger Pass oder Passersatzpapiere vorliegen. Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind Ausländer, die keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzen, verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken. Der Kläger, der nach seinen eigenen Angaben seinen Pass in seiner Heimat zurückgelassen hat und dort noch über Verwandtschaft verfügt, wäre verpflichtet gewesen, sich um eine Übersendung seines Passes zu bemühen. Dies hat er jedoch nicht getan und hierfür auch keine Entschuldigungsgründe vorgebracht. Ferner hat er auch an seiner Identitätsfeststellung nicht hinreichend mitgewirkt. So hat die Botschaft der Republik Guinea unter dem 05.11.2010 bestätigt, dass die Identität des Klägers mangels Vorlage von Unterlagen nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte (vgl. Bl. 118 VA). Einer weiteren Vorführung hat sich der Kläger aktiv entzogen und dadurch eine mögliche Feststellung verhindert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Botschaft der Republik Guinea gleichzeitig bestätigt hat, dass sie zur Ausstellung eines Passes bzw. eines Identitätspapieres nicht in der Lage ist, da alle guineischen Reisepässe nur in Conakry beantragt werden könnten. Zum einen ist dies unbeachtlich, solange der Kläger die erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht durchgeführt hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.07.2013, Az.: L 23 AY 10/13 B ER). Zum anderen enthält die Internetseite der Botschaften in Berlin für die Republik Guinea (http://guinea.botschaft-berlin.net/) den Hinweis, dass diese für Visa-Anträge, Reisepässe, konsularische Aussagen, Beglaubigung von Dokumenten und mehr zuständig ist.

2) Es bestehen auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 1a AsylbLG. Soweit aus der Entscheidung des BVerfG, nach der die Leistungen nach dem AsylbLG das soziokulturelle Existenzminimum ohne Berücksichtigung von migrationspolitischen Erwägungen und unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten haben (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012, Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 Rdnr. 76f. - zit. n. juris -), verschiedentlich gleichsam ein Verbot der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG abgeleitet wird (so LSG NRW, Beschluss vom 24.04.2013, Az.: L 20 AY 153/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.02.2013, Az.: L 15 AY 2/13 B ER), kann die Kammer dieser Auffassung nicht folgen (im Ergebnis ebenso: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.09.2013, Az.: L 8 AY 5/13 B ER; LSG Hamburg, Beschluss v. 29.08.2013, Az.: L 4 AY 5/13 B ER, L 4 AY 6/13 B PKH; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss v. 23.07.2013, Az.: L 23 AY 10/13 B ER). Die Gesetzeskraft der Entscheidungen des BVerfG im Rahmen der Normenkontrolle nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) beschränkt sich auf die in der Entscheidungsformel aufgeführte Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm mit dem GG in der Auslegung, die sich aus den Entscheidungsgründen des BVerfG ergibt. Parallelnormen dagegen bleiben intakt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.08.2013, Az.: L 8 AY 3/13 B ER). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung allein über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Leistungen nach § 3 AsylbLG entschieden. Es hat von seiner Befugnis, nach § 78 Satz 2 BVerfGG weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus denselben Gründen mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht gleichfalls für nichtig zu erklären, in Bezug auf § 1a AsylbLG gerade keinen Gebrauch gemacht.

Die Regelung des § 1a AsylbLG begegnet auch hinsichtlich des in Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinen Bedenken. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG begründet einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht; es steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu, wobei der Leistungsanspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG dem Grunde nach von der Verfassung vorgegeben ist. Der hier streitige Umfang des Anspruchs dagegen kann im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hängt vielmehr von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kommen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliegt es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren, wobei er einen Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums hat. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichtet. (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rdnr. 133 - zit. n. juris-). Das BVerfG hat damit im Rahmen seiner Entscheidung ausdrücklich die Ausgestaltungsbedürftigkeit des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG durch den Gesetzgeber betont. Eine Verfassungswidrigkeit des § 1 a Nr. 2 AsylbLG wäre daher nur dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung dieser Vorschrift das ihm zustehende Ausgestaltungsermessen überschritten hätte (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 23.07.2013, Az.: L 23 AY 10/13 B ER).

Mit § 1a AsylbLG hat der Gesetzgeber eine Vorschrift eingeführt, die den Leistungsmissbrauch zu Lasten der Gemeinschaft erschweren und Menschen, deren Gastrecht abgelaufen ist, Anreize für die Rückkehr geben soll (BT-PlPr 13/224 S. 20538 (C)). Sie sanktioniert Leistungsempfänger, deren Leistungsinanspruchnahme aufgrund ihres Verhaltens als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist (vgl. BT-Drs. 13/10155 S.5). Als Kehrseite der aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden staatlichten Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums muss der Gesetzgeber berechtigt sein, in Fällen des rechtsmissbräuchlichen Leistungsbezugs die Leistungen in angemessener Höhe abzusenken. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Staat das Niveau der Sozialleistungen nicht aufrecht erhalten kann. Die Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufenthaltsstaates kann Auswirkung auf das gesamte Niveau der Sozialleistungen haben, wenn der Staat in allen Fällen vorbehaltslos Leistungen erbringen muss und auch keine Möglichkeit hat, Hilfebedürftigen, die ihre Ausreise rechtsmissbräuchlich verhindern, ihren Aufenthalt weniger reizvoll zu machen. Dem Gesetzgeber muss daher die Berechtigung bleiben, den rechtsmissbräuchlichen Bezug zu verhindern, um den nicht rechtsmissbräuchlichen Anspruch anderer Hilfebedürftiger abzusichern und ihnen die notwendigen Leistungen gewähren zu können. Alles andere würde das Sozialstaatsprinzip in seiner Existenz bedrohen und dem Leistungsmissbrauch Tor und Tür öffnen. Schließlich würde die vorbehaltslose unbeschränkte Gewährung von Leistungen eine ungerechtfertigte Privilegierung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz darstellen. Sowohl das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) als auch das Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sehen verhaltensbedingte Leistungsabsenkungen vor, die grundsätzlich als zulässig und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch als mit der Menschenwürdegarantie vereinbar angesehen werden (LSG Hamburg a.a.O.).

Steht § 1a AsylbLG dem Grunde nach mit der Verfassung im Einklang, so ist es jedoch erforderlich, dass die jeweilige Kürzung im Einzelfall ebenfalls verfassungskonform ist. Dies erfordert, dass die Kürzung zum einen verhältnismäßig ist und zum anderen die konkrete Bedarfslage des Hilfebedürftigen nicht unberücksichtigt lässt. Die Frage nach der Höhe der zulässigen Kürzung lässt sich daher nicht pauschal, sondern nur einzelfallbezogen beatworten.

Nach Auffassung der Kamer stellt sich sowohl die Kürzung der Leistungen der Abteilung 4: Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung als auch die Kürzung des Taschengeldes um 40,90 EUR als verfassungsgemäß, die Kürzung der Leistungen Abteilung 3 (Bekleidung und Schuhe) jedoch als verfassungswidrig da. Der Kläger ist vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt ist daher anders als der eines Asylbewerbers, dessen Aufenthaltsstatus ungewiss ist, nur noch auf kurze Dauer angelegt. In diesen Fällen unterscheidet sich die Bedarfslage und das von Verfassungswegen gebotene Existenzminimum von derjenigen anderer Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Solche Hilfebedürftigen benötigen keine Leistungen für die Instandhaltung und Schönheitsreparaturen (Abteilung 4) ihrer Unterkunft. Es fehlt an dem erforderlichen Instandhaltungsinteresse. Auch eine Anschaffung bzw. die Wartung von neuen Gebrauchsgütern wie z.B. Foto- und Filmausrüstungen, Sportausrüstungen, Datenverarbeitungsgeräten, Fahrrädern, Möbeln, Werkzeugen, Schmuck ist nicht mehr erforderlich. Die Neuschaffung bzw. der Erhalt des Hausstandes über das Notwendigste hinaus ist bei einem nur noch auf kurze Dauer angelegten Aufenthalt nicht mehr erforderlich und gerechtfertigt. Andernfalls würde man demjenigen, der seine Ausreise rechtsmissbräuchlich verhindert, die Mehrung seines Vermögens ermöglichen, das er im Falle der Ausreise mitnehmen könnte. Dies würde eine nicht mehr gerechtfertigte Bereicherung darstellen. Hinsichtlich der Möbel ist zudem darauf hinzuweisen, dass der Kläger in einer Unterkunft untergebracht ist, in der die Möbel gestellt werden. Auch Studien- und Prüfungsgebühren sind bei einem Aufenthalt, der nur auf seine Beendigung angelegt ist, ebenso wie Mitgliedsbeiträge nicht mehr zu übernehmen. Bereits diese Positionen rechtfertigen die vorgenommene Kürzung des Taschengeldes in Höhe von 40,90 EUR.

Nach Auffassung der Kammer ist jedoch die Kürzung der Kosten für Bekleidung und Schuhe nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen. So gehört die Bekleidung anders als bspw. ein Fahrrad zu dem Kern des Lebensnotwendigen. In diesem Bereich ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gering und § 1a AsylbLG auf Rechtsfolgenseite entsprechend verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dieser Bereich des Existenzminimums unberührt bleiben muss.

Nach dem Vorgesagten berechnet sich der Restleistungsanspruch des Klägers wie folgt:

Abteilung 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke ) 132,71 EUR Abteilung 3: Bekleidung und Schuhe 31,40 EUR Abteilung 6: Gesundheitspflege 16,06 EUR 180,17 EUR Taschengeld 93,10 EUR 273,27 EUR abzgl. bereits gezahlter 242,41 EUR 30,86 EUR

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

III. Die Kammer hat die gemäß § 144 Absatz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftige Berufung zugelassen, weil die Rechtssache im Sinne des § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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