L 37 SF 102/13 EK AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 102/13 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des beim Sozialgericht Berlin aktuell unter dem Aktenzeichen S 190 AS 2100/12 anhängigen Verfahrens wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin aktuell unter dem Aktenzeichen S 190 AS 2100/12 anhängigen Verfahrens. Dem Ausgangsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 20. Juni 2011 erhob der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen je drei Meldeaufforderungen des Jobcenters Berlin Lichtenberg vom 25. Februar, 15. April und 06. Mai 2011 sowie Sanktionsbescheide vom 11. März 2011 (Minderung der Leistungen um monatlich 35,90 EUR im Zeitraum vom 01. April bis zum 30. Juni 2011 aufgrund eines Meldeverstoßes vom Januar/Februar 2011), vom 19. April 2011 (Minderung der Leistungen um monatlich 36,40 EUR im Zeitraum vom 01. Mai bis zum 31. Juli 2011 aufgrund eines Meldeverstoßes vom Februar/März 2011) sowie vom 16. Mai 2011 (Minderung der Leistungen um monatlich 36,40 EUR im Zeitraum vom 01. Juni bis zum 31. August 2011 aufgrund eines Meldeverstoßes vom März/April 2011). Weiter wandte er sich gegen drei Änderungsbescheide vom 26. März, 18. April und 07. Juni 2011. Schließlich richtete sich seine Klage gegen einen Bewilligungsbescheid vom 03. März 2011; insoweit rügte er den Abzug der Kosten für Warmwasseraufbereitung sowie die Nichtberücksichtigung der Regelsatzerhöhung. Nachdem das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen S 138 AS 15988/11 registriert worden war, wurde es als Hauptsache zu einem vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren an die 183. Kammer abgegeben und erhielt dort das Aktenzeichen S 183 AS 2100/12.

Noch am Tage des Klageeingangs bestätigte das Gericht den Eingang und forderte den Beklagten zur Stellungnahme auf und erinnerte ihn im September, Oktober, November und zweimal im Dezember.

Am 01. Februar 2012 erhob der Antragsteller Verzögerungsrüge. Weiter kündigte er an, dass er Termine zur Erörterung sowie eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ablehne und eine mündliche Verhandlung beantrage. Mit am 21. März 2012 bei Gericht eingegangenem Schreiben lehnte er sodann die Vorsitzende der 183. Kammer wegen der Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung ab, dass diese schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und in der Vergangenheit unrichtig zu seinen Ungunsten entschieden habe. Das Gesuch wurde mit Beschluss des Sozialgerichts vom 04. Mai 2012 zurückgewiesen.

Am 21. Mai 2012 ging schließlich bei Gericht die umfangreiche Klageerwiderung des beklagten Jobcenters ein, der dieser Kopien diverser Widerspruchsbescheide sowie zweier Änderungsbescheide beigefügt hatte. Nachdem sich die Vorsitzende der Kammer bereits im Vorfeld bemüht hatte, die angesichts der Vielzahl der vom Antragsteller geführten Verfahren von diversen Kammern des Sozialgerichts sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg benötigten Leistungsakten zu erhalten, forderte sie mit Schreiben vom 20. Juni 2012 bei beiden
Beteiligten verschiedene für erforderlich erachtete – und ggü. dem hiesigen Antragsteller im Einzelnen aufgeschlüsselte - Bescheide an. Mit am 28. Juni 2012 bei Gericht eingegangenem Schreiben legte dieser daraufhin breit seine Rechtsansichten insbesondere zu
Meldeaufforderungen dar, die erbetenen Bescheide übersandte er indes nicht.

Mit Schreiben vom 16. August 2012 bat das Sozialgericht ihn daraufhin unter Hinweis auf seine nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bestehenden Mitwirkungspflichten nochmals, fünf bestimmte Meldeaufforderungsschreiben zu den Akten zu reichen. Mit am 23. August 2012 bei Gericht eingegangenem Schreiben lehnte der Antragsteller dies mit der Begründung ab, aus § 103 SGG folge keine Mitwirkungspflicht und damit auch keine Pflicht zur Einreichung von Unterlagen. Das Gericht dürfe nicht Ermittlungen, die es selbst anstellen könne, dem Beteiligten aufbürden. Zuvörderst obliege "seinem Mandanten" die Vorlage der von ihm erlassenen Verwaltungsakte.

Das im Juni 2013 auf die 190. Kammer übergegangene Verfahren ist dort weiterhin anhängig.

Bereits am 27. September 2012 hatte der Antragsteller beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einen isolierten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Klage auf Zahlung einer Entschädigung gestellt. Zur Begründung hatte er geltend gemacht, durch das Nichtbetreiben des Ausgangsverfahrens erwüchsen ihm zeitablaufbedingt Kostennachteile.

Das im Falle einer Klageerhebung beklagte Land Berlin meint, die begehrte Prozesskostenhilfe sei nicht zu bewilligen. Abgesehen davon, dass die am 01. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge nicht unverzüglich erhoben sei, liege keine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens vor. Seit Eingang der Klage am 20. Juni 2011 sei eine kontinuierliche Bearbeitung erfolgt; hingegen habe auch der Antragsteller mehrfach zur Mitwirkung aufgefordert werden müssen.

II.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtige Entschädigungsklage kommt nicht in Betracht.

Maßgebend für das beabsichtigte Klageverfahren sind die §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des
Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG richtet sich das Verfahren über die als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage nach den Vorschriften über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es mithin nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG auf die §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) an.

Prozesskostenhilfe wäre dem Antragsteller danach nur dann zu bewilligen, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Erfolgsaussicht, wenn sie nicht gar als mutwillig anzusehen ist.

Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes, da die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Verfahrens in der Sache treten zu lassen. Daraus folgt, dass an die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen; das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern überhaupt erst zugänglich machen. Prozesskostenhilfe darf allerdings verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 03.09.2013 - 1 BvR 1419/13 - Rn. 22, sowie vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – Rn. 26, zitiert jeweils nach juris). Letzteres aber ist hier der Fall. Es erscheint derzeit ausgeschlossen, dass das Gericht im Falle einer Klageerhebung das dann beklagte Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung an den Antragsteller verurteilen würde.

Vorliegend bestehen bereits ganz erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller eine für die erfolgversprechende Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs erforderliche Verzögerungsrüge wirksam eingelegt hat. Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter eine Entschädigung nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat. Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur
Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren hat der Antragsteller zwar mit am 01. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schreiben Verzögerungsrüge erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren jedoch gerade einmal gut sieben Monate anhängig. Woraus der Antragsteller meinte, die erforderliche Besorgnis ableiten zu können, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen sein könnte, erschließt sich schon mit Blick auf die Vielzahl der von ihm zum Streitgegenstand erhobenen Meldeaufforderungen und Bescheide nicht. Es spricht daher sehr viel dafür, dass die Verzögerungsrüge als verfrüht und damit bedeutungslos anzusehen sein dürfte.

Selbst wenn dies jedoch einem Entschädigungsanspruch nicht entgegen stehen sollte, so kann jedenfalls nicht von einer unangemessenen Verfahrensdauer ausgegangen werden.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Anknüpfungspunkt für die Frage, ob ein Verfahren überlang ist, ist dabei - wie sich schon aus der auf das Gerichtsverfahren von seiner Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss abstellenden Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ergibt - das Verfahren insgesamt. Ist das Ausgangsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, erfolgt eine Entschädigungsklage damit in aller Regel verfrüht, denn selbst wenn das erstinstanzliche Verfahren als überlang anzusehen sein könnte, dürfte dies durch eine zügige Bearbeitung in der/den weiteren Instanz/en noch zu kompensieren sein.

Vorliegend fehlt es jedoch bereits an Anhaltspunkten dafür, dass das bei Antragstellung gerade einmal ein Jahr und drei Monate und aktuell seit etwa zwei Jahren und fünf Monaten beim Sozialgericht Berlin anhängige Verfahren überlang sein könnte.

Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Vielmehr regelt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Diese Umstände sind darüber hinaus in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen (vgl. dazu BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.). Denn schon aus der Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK) qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit wird deutlich, dass es auf eine gewisse Schwere der Belastung ankommt. Ferner sind das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG) sowie das Ziel, inhaltlich richtige Entscheidungen zu erhalten, zu berücksichtigen. Schließlich muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist. Insgesamt reicht daher zur Annahme der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht jede Abweichung vom Optimum aus, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen.

Dass mit einem Verfahren, in dem es um zahlreiche Meldeaufforderungen, Sanktionsbescheide und sonstige Bescheide geht, bei noch nicht einmal zweieinhalbjähriger Dauer die äußerste Grenze des Angemessenen - und zwar auch für einen Leistungsbezieher nach dem SGB II - deutlich überschritten sein könnte, liegt fern. Das Verfahren ist schon angesichts des Umfanges des Streitgegenstandes für das Gericht ausgesprochen aufwändig in der Bearbeitung. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass der Antragsteller zahlreiche weitere Verfahren führt, was immer wieder Prüfungen erfordert, ob der Streitgegenstand womöglich bereits anderweitig rechtshängig ist, und den gleichzeitigen Zugriff zahlreicher Richterinnen und Richter auf ihn betreffende Akten nach sich zieht. Soweit es im vorliegenden Verfahren zu Verzögerungen gekommen ist, sind diese nicht dem Gericht, sondern allein den Beteiligten, und insoweit durchaus auch dem Antragsteller selbst anzulasten. Lediglich beispielhaft sei an dieser Stelle seine Weigerung, die benötigten Bescheide zu übersenden, erwähnt. Der Antragsteller zeigt mit dieser Vorgehensweise einmal mehr deutlich, dass es ihm eigentlich überhaupt nicht darum geht, eine zügige Entscheidung seiner Rechtsstreitigkeiten zu erreichen. Vielmehr steht offensichtlich das
Prozessieren an sich und das Bestreben, das Gericht nach seinem Belieben tätig werden zu lassen, im Vordergrund.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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