L 18 AL 295/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 AL 184/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 295/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. August 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung eines Gründungszuschusses (GZ).

Die 1966 geborene Klägerin, die bis 20. Juni 2010 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen war und in der Zeit vom 21. Juni 2010 bis 29. Juni 2010 (Aufhebungsbescheid vom 9. Juli 2010) Arbeitslosengeld (Alg) mit einer bewilligten Leistungsdauer von 360 Kalendertagen bezogen hatte, wurde mWv 30. Juni 2010 Mitgesellschafterin im Umfang von 10 % an einer ursprünglich mit Gesellschaftsvertrag vom 4. Februar 1992 von H B (im Folgenden: H.), ihrem Schwiegervater (60% der Gesellschaftsanteile, ab 1. Juli 1999 51%, ab 1. Juli 2003 25%, ab 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2010 15%), und K B (im Folgenden: K.), ihrem Ehemann (40% der Gesellschaftsanteile, ab 1. Juli 1999 49%, ab 1. Juli 2003 75%, ab 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2010 85%), gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), deren Zweck die Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes war und ist. Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 2010 wurde die Klägerin mWv 30. Juni 2010 als Mitgesellschafterin mit ihr zu diesem Zeitpunkt von K. übertragenen Gesellschaftsanteilen von 10% aufgenommen; H. schied zum gleichen Zeitpunkt als Gesellschafter aus und übertrug seine Restanteile von 15% auf K. Die GbR wurde "auf der Grundlage des bestehenden GbR-Vertrages" fortgesetzt. Auf den Gesellschaftsvertrag vom 4. Februar 1992 und den Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 2010 wird im Übrigen Bezug genommen.

Die Klägerin, die vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2010 als mitarbeitende Familienangehörige eines landwirtschaftlichen Betriebes gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig war (Bescheid der Landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse Mittel- und Ostdeutschland vom 11. Juni 2010) und seither beitragsfrei der Familienversicherung unterliegt (Schreiben der Landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse Mittel- und Ostdeutschland vom 25. Juni 2010), stellte bei der Beklagten am 23. Juni 2010 einen Antrag auf Gewährung eines GZ für eine selbständige Tätigkeit als Landwirtin ab 30. Juni 2010. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2010 ab. Eine gesonderte Existenzgründung liege nicht vor, sondern ein Eintritt in das von K. geleitete landwirtschaftliche Unternehmen.

Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat die Klage nach Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung – insoweit wird auf die Vernehmungsniederschrift Bezug genommen - abgewiesen (Urteil vom 23. August 2012). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Bewilligung eines GZ nach § 57 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III). Denn bei der Mitarbeit der Klägerin in der GbR handele es sich nicht um eine selbständige Tätigkeit, sondern um eine abhängige Beschäftigung. Hierfür sprächen die Verteilung der Gesellschaftsanteile, wonach K. – entsprechend den Regelungen der landwirtschaftlichen Krankenversicherung - als Unternehmer anzusehen sei. Überdies unterliege die Klägerin den Weisungen ihres Ehemannes und entnehme monatlich 1.000,- EUR aus dem Betriebskonto, was einer Entgeltzahlung gleichkomme.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Sie arbeite im Betrieb eigenständig. Ihr seien in dem von ihr verantworteten Bereich der Schweineproduktion selbst Arbeitnehmer unterstellt. Auch nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags sei sie K. gegenüber nicht weisungsgebunden. Beschlüsse der Gesellschafter könnten nur einstimmig gefasst werden, so dass sie über eine Sperrminorität verfüge.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. August 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2010 zu verurteilen, ihr ab 30. Juni 2010 einen Gründungszuschuss zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen habe es sich nicht um eine Existenzgründung gehandelt, sondern eine Fortführung der seit 1992 bestehenden GbR mit einer neuen Mitgesellschafterin.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der GZ-Vorgang der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin, mit der diese ihre erstinstanzlich erhobene und im Hinblick auf den bis 27. November 2011 (vgl die vollständige Umwandlung in eine Ermessensleistung mWv 28. November 2011 durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 – BGBl I 2854 -; BT-Drucks 17/6277 S 86) als Pflichtleistung ausgestalteten GZ statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage iSv § 54 Abs. 4 SGG auf Gewährung eines GZ für die Zeit ab 30. Juni 2010 weiter verfolgt, ist nicht begründet. Die Klägerin hat für die Zeit ab 30. Juni 2010 keinen Anspruch auf einen GZ.

Nach § 57 SGB III in der vom 1. August 2009 bis 27. November 2011 geltenden und vorliegend (vgl § 422 SGB III) noch anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 15. Juli 2009 (BGBl I 1939; im Folgenden: alter Fassung – aF -) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen GZ (Abs. 1). Der GZ wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer ua bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat (Abs. 2 Satz 1 Nr 1a) und bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Alg von mindestens 90 Tagen verfügt (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2). Die letztgenannten Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hatte jedenfalls bis 29. Juni 2010 einen bestandskräftig bewilligten Alg-Anspruch, der am 30. Juni 2010 noch mindestens 90 Tage umfasste.

Ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines GZ scheitert hier aber daran, dass die Klägerin zum 30. Juni 2010 keine selbstständige Tätigkeit iS einer "Existenzgründung" aufgenommen hat. Eine selbständige Tätigkeit wird aufgenommen, wenn erstmals eine unmittelbare, auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlung mit Außenwirkung vorgenommen wird (vgl BSG, Urteil vom 01. Juni 2006 - B 7a AL 34/05 R = SozR 4-4300 § 57 Nr 1). Die Klägerin war indes – wie aus ihren Einlassungen im Termin zur mündlichen Verhandlung bei dem SG erhellt – bereits vor dem 30. Juni 2010 in dem bereits seit 1992 bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehemannes K. (und bis 30. Juni 2010 auch ihres Schwiegervaters H.) tätig, wenngleich auch nicht hauptberuflich. Sie war demgemäß als mitarbeitende Familienangehörige nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 KVLG 1989 in der Krankenversicherung der Landwirte versicherungspflichtig (vgl Bescheinigung der Landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse Mittel- und Ostdeutschland vom 11. Juni 2010). Zum 30. Juni 2010 bzw 1. Juli 2010 erfolgte lediglich ein Austausch auf Gesellschafterebene dahingehend, dass anstelle des H. nunmehr die Klägerin (Mit-)Gesellschafterin zu einem Anteil von 10% wurde. Die Existenzgründungsphase des bereits mindestens seit 1992 bestehenden landwirtschaftlichen "Familienbetriebs" war zu diesem Zeitpunkt bereits lange beendet; für die Frage des Zeitpunktes der Existenzgründung ist bei solchen "Familienbetrieben" nicht allein auf die Person der Klägerin abzustellen (vgl BSG aaO), wenn – wie hier – die Klägerin, die bis zum 20. Juni 2010 zudem ebenfalls in einem landwirtschaftlichen Betrieb eines in demselben Dorf und derselben Straße ansässigen Landwirts gleichen Namens (B B) hauptberuflich beschäftigt war, letztlich lediglich den aus Altersgründen ausscheidenden familienangehörigen H. in dem Familienbetrieb ersetzt hat, der "auf der Grundlage des bestehenden GbR-Vertrags" (vgl Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 9. Juni 2010) fortgesetzt wurde. Würde für die Bejahung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit iSv § 57 SGB III aF allein die Ausweitung einer bereits zuvor ausgeübten nebenberuflichen Tätigkeit ausreichen, wären "weitgehende Manipulationsmöglichkeiten eröffnet" (BSG aaO), die Sinn und Zweck des § 57 SGB III aF widersprechen. Da die Klägerin überdies nach Eintritt in die GbR beitragsfrei familienversichert ist (vgl Bescheid der Landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse Mittel- und Ostdeutschland vom 25. Juni 2010, bei dem es sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – um eine Statusentscheidung handelt; vgl BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – B 10 KR 3/99 R = SozR 3-2500 § 10 Nr 9 (2.a.)), war die Gewährung eines GZ auch nicht zur "sozialen Sicherung" (vgl § 57 Abs. 1 SGB III aF) erforderlich. Dahinstehen kann bei dieser Sach- und Rechtslage, ob die Klägerin nach Eintritt in die GbR nach Maßgabe ihrer Mitarbeit aufgrund familienhafter Zusammengehörigkeit überhaupt selbständig tätig war oder nicht vielmehr abhängig beschäftigt (vgl zur insoweit erforderlichen Einzelfallbetrachtung BSG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – B 7 AL 34/02 R – juris). Indes dürfte diesbezüglich der Höhe eines gewährten Entgelts Indizwirkung zukommen (vgl BSG aaO mwN aus der Rspr des BSG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen schon deshalb nicht vor, weil eine außer Kraft getretene Rechtsvorschrift wie § 57 SGB III aF keine grundsätzliche Rechtsfrage aufwerfen kann. Eine inhaltsgleiche Folgevorschrift zu § 57 SGB III aF existiert nicht (vgl ausdrücklich BSG, Beschluss vom 17. August 2012 – B 11 AL 40/12 B – juris). Der jetzt in § 93 SGB III geregelte GZ ist – anders als der hier erstrebte - eine Ermessensleistung.
Rechtskraft
Aus
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