L 9 AS 2290/13 B ER; L 9 AS 2291/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 56 AS 5065/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AS 2290/13 B ER; L 9 AS 2291/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 02.12.2013 werden zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 02.12.2013 sind unbegründet.

1. Das SG hat den sinngemäßen, am 06.11.2013 eingegangenen Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Arbeitslosengeld II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen. Der Antragsteller hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris Rn. 6).

Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht.

Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 (75)). Wenn es, wie hier, um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Dies bedeutet, dass das Fachgericht diejenigen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen (vgl. § 103 SGG) durchführen muss, die aus seiner Sicht zur Überzeugungsbildung und zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind, wobei eine Entscheidung aufgrund objektiver Indizien oder der Beweislastverteilung, vor allem bei nicht ausreichender Mitwirkung des Antragstellers bei der Aufklärung des Sachverhalts, nicht ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 05.05.2009 - 1 BvR 255/09 -, juris Rn. 4 - NZS 2010, 29-30; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 01.02.2010 - 1 BvR 20/10 - juris, Rn. 2). Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in diesem Sinne im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927; zurückhaltender nunmehr BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten vom 06.02.2013 - 1 BvR 2366/13 -, juris Rn. 3).

Aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgen darüber hinaus inhaltliche Anforderungen an die Feststellung der Hilfebedürftigkeit in tatsächlicher Hinsicht: Es darf nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden; Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Hilfesuchende ermöglichen. In keinem Fall dürfen existenzsichernde Leistungen nur aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn diese sich auf vergangene Umstände stützen (BVerfG, Beschluss vom 3. Kammer des Ersten Senats vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).

b) Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG nicht vor. Insoweit kann dahinstehen, ob der Anspruch des Antragstellers nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen ist und ob diese Vorschrift mit höherrangigem Recht vereinbar ist. In jedem Fall hat der Antragsteller seine für einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegen den Antragsgegner gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. § 9 SGB II erforderliche Hilfebedürftigkeit bislang nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat deshalb auch seine Leistungsberechtigung nach § 19 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) nicht glaubhaft gemacht, so dass unabhängig von der Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 21 Satz 1 SGB XII auch ein Anspruch gegen den zuständigen Sozialhilfeträger und dessen Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG ausscheiden. Ebenso wenig hat der Antragsteller dementsprechend die erforderliche Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht.

aa) Es bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller auch gegenwärtig über ausreichende Mittel verfügt, um sein menschenwürdiges Existenzminimum, wie es durch die Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII gesetzlich ausgestaltet ist, insbesondere was den im Wesentlichen streitigen Regelbedarf anbetrifft, sicherzustellen.

Der Antragsteller lebt seit dem 09.07.2013 in Deutschland und hat seitdem keine Sozialleistungen erhalten. Wovon er seit seiner Einreise nach Deutschland gelebt hat, hat er nicht vorgetragen. Er hat lediglich pauschal behauptet, er sei einkommens- und vermögenslos. Eine solche substanzlose Behauptung genügt jedoch bei einem mehrmonatigen Aufenthalt ohne Bezug existenzsichernder Sozialleistungen nicht, um die Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. § 9 SGB II bzw. die Leistungsberechtigung nach § 19 Abs. 1 SGB XII in dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ausreichenden Maße glaubhaft zu machen. Vielmehr muss der Antragsteller Einnahmen, z.B. aus Schwarzarbeit, erzielt oder von irgendwo her Unterstützung erhalten haben. Hierzu hat der Antragsteller jedoch nichts vorgetragen, geschweige denn Mittel zur Glaubhaftmachung vorgelegt. So hat er noch nicht einmal eine zur Glaubhaftmachung nach § 202 SGG i.V.m. § 294 ZPO grundsätzlich in Betracht kommende eidesstattliche Versicherung zu den Akten gereicht. Der Senat ist vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass der Antragsteller über Einkommens- bzw. Unterstützungsquellen verfügt, die er bislang nicht offen gelegt hat.

Darüber hinaus hat der Antragsteller in seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe angegeben, er sei bei seiner Schwester untergekommen. Er hat zudem, bestätigt durch eine schriftliche Äußerung des Herrn X, vorgetragen, dass er im Wesentlichen mietfrei in der Wohnung des Herrn X lebe. In Anbetracht dieser Auskunft deutet alles darauf hin, dass es sich bei der vom Antragsteller angegebenen "c/o-Adresse" um die Wohnung seiner Schwester handelt, die Schwester entweder selbst "X" heißt und mit dem Inhaber bzw. Mieter der Wohnung, Herrn T X, verheiratet ist oder mit diesem in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebt und der Antragsteller dementsprechend dort mit verwandten oder verschwägerten Personen in einem Haushalt zusammen lebt. Damit liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II bzw. des § 39 SGB XII eingreift und es deshalb an der Bedürftigkeit des Antragstellers fehlt.

bb) Vor diesem Hintergrund kann nicht ohne weiteres zugunsten des Antragstellers angenommen werden, er könne seinen notwendigen Lebensunterhalt im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II bzw. § 19 Abs. 1 SGB XII nicht sicherstellen. Vielmehr waren zur Aufklärung des Sachverhalts weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich. Zutreffend hat deshalb bereits das SG den Antragsteller dahingehend befragt, mit welchen Personen er zusammenwohnt, und ihn aufgefordert, die Einkommensverhältnisse dieser Personen darzulegen. Diesen Anforderungen ist der Antragsteller bereits vor dem SG nicht nachgekommen. Insoweit kann dahinstehen, ob das SG in Anbetracht des am 29.11.2013 beim SG eingegangenen, aber erst am 03.12.2013 zur Geschäftsstelle der zuständigen Kammer gelangten Antrags auf weitere Fristverlängerung bis zum 04.12.2013 mit seiner Entscheidung hätte warten und dementsprechend die in dem am 04.12.2013 beim SG eingegangenen Schriftsatz vom 04.12.2013 enthaltenen Angaben des Antragstellers hätte berücksichtigen müssen. In jedem Fall hat der Antragsteller die Anforderungen des SG auch mit seinem Schriftsatz vom 04.12.2013 nicht erfüllt. Vielmehr sind die Angaben zu den Personen, die mit dem Antragsteller zusammenwohnen, offensichtlich unzureichend. So hat der Antragsteller sich auf den Vortrag beschränkt, im September sei seine Lebensgefährtin mit zwei Kindern nachgezogen. Dazu, ob seine Schwester dort auch lebt, wofür angesichts der Angaben in den Prozesskostenhilfeunterlagen alles spricht, in welcher Beziehung diese und der Antragsteller selbst zu Herrn X, dem Inhaber bzw. Mieter der Wohnung, stehen und über welches Einkommen die Schwester des Antragstellers und Herr X verfügen, hat der Antragstellers nichts vorgetragen, obwohl ihn das SG gerade auch dazu aufgefordert hatte.

Dementsprechend hat auch der Senat den Antragsteller mit der Mitteilung über den Eingang der Beschwerde vom 17.12.2013 darauf hingewiesen, dass er die Anforderungen des SG nicht erfüllt hat, und hat die Anforderungen des SG noch einmal wiederholt und ergänzt. Zur Erledigung hat der Senat dem Antragsteller eine Frist von einer Woche gesetzt, die nicht verlängert werde. Der Antragsteller hat hierauf nicht reagiert, sondern in seinem letzten Schriftsatz vom 27.12.2013 lediglich ohne weiteren Sachvortrag die Auffassung vertreten, sein Vortrag sei nicht ohne jedwede Erfolgsaussicht und im Hinblick auf die höchstrichterlich ungeklärte Rechtslage dürfe der Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit kein übermäßiges Gewicht zufallen. Der Senat kann daraus nur den Schluss ziehen, dass der Antragsteller der rechtsirrigen Auffassung ist, er müsse seine Hilfebedürftigkeit nicht weiter darlegen.

In Anbetracht der damit unzureichenden Mitwirkung des Antragstellers kommen weitere Ermittlungen von Amts wegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Darüber, mit welchen Personen er zusammen lebt, kann nur der Antragsteller selbst Auskunft erteilen. Ihm allein obliegt es außerdem anzugeben, ob und in welchem Umfang er von diesen Personen Unterstützungsleistungen erhalten hat und noch erhält und ob diese Personen nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen hierzu in der Lage sind. Erst anschließend käme ggf. eine weitergehende Befragung der betreffenden Personen zu ihren genauen Einkommens- und Vermögensverhältnissen in Betracht.

cc) Da mithin Art und Umfang der Mittel und Unterstützungsleistungen, die dem Antragsteller nach der Überzeugung des Senats in der Vergangenheit zur Verfügung gestanden haben und auch aktuell noch zur Verfügung stehen müssen und die im Rahmen des §§ 9 Abs. 5 SGB II, 39 SGB XII auch rechtlich zu berücksichtigen sein können, nach Ausschöpfung der gegenwärtig möglichen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen ungeklärt bleiben, ist eine Entscheidung auf der Grundlage der Verteilung der materiellen Beweislast zu treffen. Diese geht zu Lasten des Antragstellers, der nach Maßgabe von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II bzw. § 19 Abs. 1 SGB XII die materielle Beweislast (Feststellungslast) bezüglich des Bestehens und des Umfangs seiner Hilfebedürftigkeit bzw. Leistungsberechtigung zu tragen hat.

dd) Dementsprechend hat der Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, dass er mit den ihm gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen kann und ihm deshalb durch das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare Nachteile entstehen. Für eine Entscheidung zugunsten des

Antragstellers auf der Grundlage einer Folgenabwägung ist dementsprechend auch wegen des nicht glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes kein Raum.

2. Das SG hat ebenfalls zutreffend den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzlichen einstweilige Anordnungsverfahren wegen fehlender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO) abgelehnt. In Anbetracht der unzureichenden Mitwirkung des Antragstellers bestand entsprechend den vorstehenden Ausführungen zu keinem Zeitpunkt die nicht ganz fern liegende Möglichkeit, dass der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft machen könnte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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