L 13 VG 8/12 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 VG 42/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 8/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Februar "2011" aufgehoben und dem Kläger unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ab dem 21. Mai 2013 Prozesskostenhilfe bewilligt. Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu leisten. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die gemäß § 172 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin, der wohl am 16. Februar 2012 ergangen sein dürfte, ist nach Maßgabe des Tenors begründet. Das Sozialgericht Berlin hat insoweit den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Streitverfahren zum Aktenzeichen S 40 VG 42/11 zu Unrecht zurückgewiesen.

Der Kläger, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht – auch nicht in Raten – aufbringen kann, hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach Maßgabe des Tenors, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der unbestimmte Rechtsbegriff der hinreichenden Erfolgsaussicht ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verfassungskonform auszulegen. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Hierbei braucht der Unbemittelte allerdings nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Dementsprechend darf die Prüfung der Erfolgsaussichten jedenfalls nicht dazu führen, über die Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe dieses Verfahren an die Stelle des Verfahrens der Hauptsache treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 28. November 2007, 1 BvR 68/07). Aus diesem Grunde dürfen insbesondere schwierige, bislang nicht geklärte Rechts- und Tatfragen in dem Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht entschieden werden, sondern müssen über die Gewährung von Prozesskostenhilfe auch von dem Unbemittelten einer prozessualen Klärung im Verfahren der Hauptsache zugeführt werden können (BVerfG a.a.O).

Hiernach ist ausgehend von dem für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann gegeben, wenn das Gericht den klägerischen Rechtsstandpunkt aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält bzw. – sofern der Tatsachenstoff noch nicht geklärt ist – eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden ausgehen würde (so BVerfG a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

Vor dem Hintergrund dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist entgegen anders lautender früherer Entscheidung des Senats bzgl. des strittigen Anspruchs nach dem OEG der von dem Kläger beabsichtigten Rechtsverfolgung im maßgeblichen Zeitpunkt für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag, nämlich dem Tag des Eingangs der vollständigen Unterlagen - hier am 21. Mai 2013 -, eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abzusprechen.

Die Frage, ob ein Anspruch des Klägers auf die Gewährung von Leistungen nach dem Operentschädigungsgesetz (OEG) bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil ihm Versagungsgründe nach § 2 OEG entgegenstehen, ist nach den gegenwärtigen Feststellungen nicht abschließend geklärt, so dass bei auch im Übrigen offenen Prozessausgang eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des § 114 ZPO besteht.

Ob das Einstehen der staatlichen Gemeinschaft für die Folgen bestimmter Gesundheitsstörungen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen im Rahmen der Operentschädigung aus Gründen der Mitverursachung oder der Unbilligkeit auszuschließen ist, ist eine richterliche Tatfrage. Soweit das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 6. Juli 2006 (Az: B 9a VG 1/05 R) einen Ausschlussgrund wegen der Zugehörigkeit des Klägers zu einem sozialwidrigen, mit besonderen Gefahren verbundenen "Milieu" als gegeben ansieht, weil der Kläger dem Drogenmilieu angehöre und sich wegen der vom Kläger versuchten Schutzgelderpressung mit der erlittenen Schussverletzung eine typische Gefahr realisiert habe, verbietet sich nach den vorgenannten Grundsätzen die von Sozialgericht vorgenommene abschließende Bewertung dieses Ausschlussgrundes durch deren Vorverlagerung in das Verfahren der Prozesskostenhilfe. Dies gilt umso mehr, als dass der Kläger diesbezüglich Einwendungen vorgetragen hat. Ob diese zutreffend und überzeugend sind oder gleichwohl zu einem Ausschlussgrund führen, kann abschließend erst im Rahmen einer umfassenden Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen - ggf. durch eine persönliche Einvernahme des Klägers – im Verfahren der Hauptsache gewürdigt und bewertet werden.

Vor diesem Hintergrund und bei auch ansonsten zumindest offenem Prozessausgang ist eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des § 114 ZPO zu bejahen; die Beiordnung folgt aus § 121 Abs. 2 ZPO.

Da eine Bedürftigkeit im Sinne des Prozesskostenrechts erst mit Eingang der vollständigen Prüfunterlagen am 21. Mai 2013 nachgewiesen ist, ist die Beschwerde zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe auf die Zeit zuvor bis zur Antragstellung beim Sozialgericht bezieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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