Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 52/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2012 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kosten für die beantragte Mammareduktionsplastik zu übernehmen.
2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik (Brustverkleinerungsoperation).
Die Klägerin, geb. 1978, ist bei der Beklagten gesetzlich versichert. Sie beantragte am 14.04.2011 durch Einreichung einer entsprechenden Empfehlung ihres behandelnden Arztes, des Zeugen Dr. C., die Kostenübernahme für eine Brustverkleinerungsoperation. Die Klägerin hat eine Mammhypertrophie mit einer Brustgröße zwischen 1800g und 2000g pro Seite. Zudem leidet sie an einem chronischen Lipödem, das seit mehreren Jahren durch Lymphdrainage und Ganzkörper-Kompressionswäsche behandelt wird. Die Klägerin nimmt regelmäßig Schmerzmittel, aktuell nach eigenen Angaben 4x/Tag Novalgin 500mg. Die Klägerin ist seit dem 01.03.2009 berentet. Ein GdB von 60 ist anerkannt.
Die Beklagte beauftragte den MDK mit einer Begutachtung, die Frau Dr. D. nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 20.06.2011 erstattete. Bezogen auf die anhaltenden Schmerzen im Bereich beider Brüste und nicht beschriebenem mastopathischen Befund sei bei Komorbidität von Fibromyalgie an eine schmerzschwellenmodulierende Medikation, z.B. Saroten® zu denken. Eventuell empfehle sich die Vorstellung bei einem Schmerztherapeuten. Sollte dadurch keine wesentliche Schmerzverbesserung zu erreichen sein, sei ggf. die medizinische Notwendigkeit einer stationären psychosomatischen Rehamaßnahme zur Schmerzbewältigung mit zusätzlich Möglichkeit der Komplexbehandlung bezogen auf das Liplymphödem zu denken. Eine medizinische Notwendigkeit der beantragten Mammareduktion sei nicht abzuleiten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.06.2011 eine Kostenübernahme ab. Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 12.07.2011, den sie durch aktuelle Befundberichte des Zeugen Dr. C. vom 28.07.2011 und 17.01.2012 ergänzte. Der Zeuge führte in seinen Berichten aus, dass ab einem Brustgewicht von 1500g pro Seite per definitionem eine Gigantomastie vorliege. Zudem sei die beantragte Operation im Hinblick auf die im Übrigen zu erwartenden lebenslang notwendigen kostenintensiven Maßnahmen sehr wirtschaftlich. Im Bereich des Schultergürtels und der oberen Halswirbelsäule werde es zu Problemen kommen aufgrund der chronischen Überlastung. Eine medikamentöse Schmerztherapie sei nur dann indiziert, wenn eine kausale gegen die Schmerzursache gerichtete Behandlung nicht möglich sei. An der Brust sei der Wasserstau verantwortlich für das übermäßige Spannen. Die Brust werde wie ein überdehnter Ball aufgepumpt durch das überschüssige Wasser, was so die Schmerzen auslöse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2012 unter Hinweis auf das MDK-Gutachten zurück. Sie sei nur dann leistungspflichtig, wenn die Krankenbehandlung unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetze.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 23.04.2012. Zur Klagebegründung nimmt die Klägerin Bezug auf die Berichte des Zeugen Dr. C.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Mammareduktionsplastik zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts übergroße Brüste keine Krankheit im Rechtssinne darstellten. Ein Ursachenzusammenhang zwischen den Flüssigkeitsansammlungen in der Brust und Beschwerden im Rücken- und HWS-Bereich sei nicht nachgewiesen. Unterstelle man eine derartige Kausalität, so lägen jedoch die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme bei mittelbarer Behandlung ebenfalls nicht vor. Eine schwerwiegende orthopädische Erkrankung sei nicht ersichtlich. Auch seien Spekulationen im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen eines Krankheitsbildes nicht geeignet, eine Kostentragungspflicht der Beklagten zu begründen. Das Lipödem sei vorrangig durch die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zu behandeln.
In einem von der Klägerin im Verfahren eingereichten Befundbericht des Zeugen Dr. C. vom 02.08.2012, hat dieser dargelegt, dass trotz diverser Behandlungen das Lipödem nicht ausreichend therapiert sei. Der Lymphrückstau in den Brüsten könne mit den möglichen konservativen Maßnahmen nicht hinreichend behandelt werden. Hinsichtlich der Kompression und Drainage würden bereits die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung maximal möglichen Maßnahmen durchgeführt. Eine weitere Intensivierung der Therapie erscheine nicht möglich. Sonographisch lasse sich nachweisen, dass trotz der Lymphdrainage die Lymphspalten in der Brust massiv gefüllt seien. Durch die Länge der Brust sei der Rückkehrweg für die Lymphe zu lang, so dass die Brust insbesondere in den appikalen Anteilen nicht ausreichend entwässert werden könne. Durch eine Verkleinerung der Brust werde der Lymphweg verkürzt, das Lymphkompressionsmieder werde sich besser an die Brust anschmiegen lassen und damit eine bessere Wirkung entfalten. Darüber hinaus werde auch die im Brustbereich notwendige Lymphdrainage schneller und effektiver sein.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verwaltungs- und Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für die beantragte Mammareduktionsplastik.
Die Operation ist vorliegend zur mittelbaren Bekämpfung des Lipödems notwendig. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, welcher der ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes hat diese Grundvoraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 3/08 R; Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R). Übermäßig vergrößerte herabhängende Brüste stellen aber für sich genommen keinen derartigen krankhaften Befund dar (Bundessozialgericht, a.a.O.; LSG Hessen, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11). Zur Überzeugung des Gerichts steht jedoch fest, dass die Brustverkleinerung vorliegend nicht aufgrund der übergroßen Brüste indiziert ist, sondern zur Bekämpfung der Auswirkungen des Lipödems. Insoweit schließt sich die Kammer der glaubhaften Aussage des Zeugen Dr. C. an, der nachvollziehbar dargelegt hat, dass es vorliegend nicht um eine kosmetische Operation zur Reduzierung der Brustgröße geht. Die Kammer hat in Kenntnis der Tatsache, dass der Zeuge der Behandler der Klägerin ist und die beantragte Maßnahme empfohlen hat, die Zeugenaussage gewürdigt. Im Ergebnis kann die Kammer zur eigenen Überzeugung eine subjektive Prägung der Aussage zugunsten der Klägerin ausschließen. Das Gericht hält die Aussage aufgrund ihrer Kohärenz und Schlüssigkeit für äußerst objektiv. Die medizinischen Zusammenhänge sind prägnant und nachvollziehbar dargelegt worden. Die Verfolgung von Eigeninteressen durch den Zeugen mit seiner Aussage kann nach dem Eindruck der Kammer ausgeschlossen werden. Der Zeuge ist uneingeschränkt glaubwürdig.
Eine mittelbare Therapie wie im vorliegenden Fall wird vom Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich mit umfasst, wenn sie ansonsten die in § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz allerdings eingeschränkt: Wird durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der Verkleinerung der weiblichen Brust geschieht, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R). Eine derartige Abwägung ergibt zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an die Aussage des Zeugen die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operation. Der Beklagten und auch der Gutachterin des MDK muss jedoch zugegeben werden, dass die bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vorliegenden schriftlichen Berichte des Zeugen die medizinischen Zusammenhänge in der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen präzisen Form und hinsichtlich der medizinischen Kausalitäten nicht widerspiegeln. Insoweit sind die bei der Begutachtung durch den MDK und von der Beklagten in ihren Bescheiden aufgenommenen Erwägungen zum Zeitpunkt ihrer Absetzung jeweils nachvollziehbar und schlüssig. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stellt sich die Beurteilung der Sach- und Rechtslage jedoch davon abweichend dar: Für die Operation streitet die Tatsache, dass die Klägerin in Bezug auf das Lipödem austherapiert ist. Sie nimmt bereits seit Jahren alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch, indem sie die Ganzkörperkompressionswäsche trägt und regelmäßige Lymphdrainagen durchführt. Zudem nimmt sie Schmerzmittel. Die Schwere der Erkrankung wird durch diese regelmäßig notwendige Schmerzmedikation dokumentiert, wobei das Gericht nicht außer Acht lässt, dass die Klägerin über Ganzkörperschmerz klagt und die Operation nur einen Teilbereich des Körpers betrifft und auch nur insoweit Linderung erwarten lässt. Die Schwere der Erkrankung insgesamt belegt sicherlich zudem die Berentung der Klägerin in verhältnismäßig jungem Alter. Nach der Aussage des Zeugen ist das Gericht zudem zu der Überzeugung gelangt, dass die Brustschmerzen der Klägerin kausal auf den durch das Lipödem dort verursachten Wasserstau zurückzuführen sind. Der Zeuge hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Lipödem Wasseransammlungen in den Fettzellen verursacht, die durch Lymphe wieder abtransportiert werden müssen. Aufgrund der Übergröße der Brust bestehen sehr lange Transportwege, die den Abtransport erschweren. Die Brust hängt dadurch weiter herunter, was wiederum zu vermehrter Wasseransammlung führt. So entsteht ein Teufelskreis. Dieser Teufelskreis kann — auch dies hat der Zeuge sehr nachvollziehbar dargelegt — durch die beantragte Operation durchbrochen werden. Durch die Verkleinerung der Brüste werden die Lymphwege erheblich verkürzt, was den Abtransport der Wasseransammlungen erleichtert. Zudem wird die Brust in eine Form gebracht, die eine Kompression durch geeignete Wäsche ermöglicht. Im Ergebnis wird die Brust durch die Verkleinerungsoperation überhaupt einer konservativen Therapie erst zugänglich. Die Klägerin kann bei Abwägung der o.g. Kriterien nicht auf eine Intensivierung der Schmerzmedikation verwiesen werden. Die Kammer stimmt dem Zeugen insoweit zu, als Schmerzen im System der gesetzlichen Krankenversicherung — auch bei mittelbaren Behandlungen — nicht schicksalhaft hingenommen werden müssen, sofern kausale Therapiemöglichkeiten bestehen und eine Abwägung der o.g. Kriterien eine medizinische Notwendigkeit ergibt. Nicht zuletzt ist realistisch, dass durch die zu erwartende Schmerzlinderung Folgekosten für die Krankenversicherung erspart werden können. Darüber hinaus wird die Operation auch positive Auswirkungen auf die Ganzkörperstatik haben, was sicherlich einen günstigen Einfluss auf das Skelettsystem haben kann. Vor allem streitet jedoch für eine Operation die vom Zeugen geschilderte positive Prognose im Hinblick auf die Brustgröße. Selbst bei weiterer Gewichtszunahme ist nicht zu erwarten, dass die Brust auch nur annährend das Ausgangsgewicht erreichen wird und insofern erneut eine Verlängerung der Lymphwege eintreten würde. Vielmehr werden durch die Operation alle drei Gewebekomponenten der Brust, nämlich das Drüsengewebe, das Binde- und Stützgewebe sowie das Fettgewebe entfernt. Nur letzteres kann wieder zunehmen. Es ist insoweit davon auszugehen, dass das Lipödem im Bereich der Brüste durch die beantragte Operation lebenslang konservativ therapierbar bleibt.
Unter Abwägung aller Gesichtspunkte ist ein mittelbar wirkender operativer Eingriff vorliegend gerechtfertig. Die Klage musste deshalb Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik (Brustverkleinerungsoperation).
Die Klägerin, geb. 1978, ist bei der Beklagten gesetzlich versichert. Sie beantragte am 14.04.2011 durch Einreichung einer entsprechenden Empfehlung ihres behandelnden Arztes, des Zeugen Dr. C., die Kostenübernahme für eine Brustverkleinerungsoperation. Die Klägerin hat eine Mammhypertrophie mit einer Brustgröße zwischen 1800g und 2000g pro Seite. Zudem leidet sie an einem chronischen Lipödem, das seit mehreren Jahren durch Lymphdrainage und Ganzkörper-Kompressionswäsche behandelt wird. Die Klägerin nimmt regelmäßig Schmerzmittel, aktuell nach eigenen Angaben 4x/Tag Novalgin 500mg. Die Klägerin ist seit dem 01.03.2009 berentet. Ein GdB von 60 ist anerkannt.
Die Beklagte beauftragte den MDK mit einer Begutachtung, die Frau Dr. D. nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 20.06.2011 erstattete. Bezogen auf die anhaltenden Schmerzen im Bereich beider Brüste und nicht beschriebenem mastopathischen Befund sei bei Komorbidität von Fibromyalgie an eine schmerzschwellenmodulierende Medikation, z.B. Saroten® zu denken. Eventuell empfehle sich die Vorstellung bei einem Schmerztherapeuten. Sollte dadurch keine wesentliche Schmerzverbesserung zu erreichen sein, sei ggf. die medizinische Notwendigkeit einer stationären psychosomatischen Rehamaßnahme zur Schmerzbewältigung mit zusätzlich Möglichkeit der Komplexbehandlung bezogen auf das Liplymphödem zu denken. Eine medizinische Notwendigkeit der beantragten Mammareduktion sei nicht abzuleiten. Auf der Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.06.2011 eine Kostenübernahme ab. Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 12.07.2011, den sie durch aktuelle Befundberichte des Zeugen Dr. C. vom 28.07.2011 und 17.01.2012 ergänzte. Der Zeuge führte in seinen Berichten aus, dass ab einem Brustgewicht von 1500g pro Seite per definitionem eine Gigantomastie vorliege. Zudem sei die beantragte Operation im Hinblick auf die im Übrigen zu erwartenden lebenslang notwendigen kostenintensiven Maßnahmen sehr wirtschaftlich. Im Bereich des Schultergürtels und der oberen Halswirbelsäule werde es zu Problemen kommen aufgrund der chronischen Überlastung. Eine medikamentöse Schmerztherapie sei nur dann indiziert, wenn eine kausale gegen die Schmerzursache gerichtete Behandlung nicht möglich sei. An der Brust sei der Wasserstau verantwortlich für das übermäßige Spannen. Die Brust werde wie ein überdehnter Ball aufgepumpt durch das überschüssige Wasser, was so die Schmerzen auslöse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2012 unter Hinweis auf das MDK-Gutachten zurück. Sie sei nur dann leistungspflichtig, wenn die Krankenbehandlung unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetze.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage vom 23.04.2012. Zur Klagebegründung nimmt die Klägerin Bezug auf die Berichte des Zeugen Dr. C.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Mammareduktionsplastik zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts übergroße Brüste keine Krankheit im Rechtssinne darstellten. Ein Ursachenzusammenhang zwischen den Flüssigkeitsansammlungen in der Brust und Beschwerden im Rücken- und HWS-Bereich sei nicht nachgewiesen. Unterstelle man eine derartige Kausalität, so lägen jedoch die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme bei mittelbarer Behandlung ebenfalls nicht vor. Eine schwerwiegende orthopädische Erkrankung sei nicht ersichtlich. Auch seien Spekulationen im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen eines Krankheitsbildes nicht geeignet, eine Kostentragungspflicht der Beklagten zu begründen. Das Lipödem sei vorrangig durch die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zu behandeln.
In einem von der Klägerin im Verfahren eingereichten Befundbericht des Zeugen Dr. C. vom 02.08.2012, hat dieser dargelegt, dass trotz diverser Behandlungen das Lipödem nicht ausreichend therapiert sei. Der Lymphrückstau in den Brüsten könne mit den möglichen konservativen Maßnahmen nicht hinreichend behandelt werden. Hinsichtlich der Kompression und Drainage würden bereits die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung maximal möglichen Maßnahmen durchgeführt. Eine weitere Intensivierung der Therapie erscheine nicht möglich. Sonographisch lasse sich nachweisen, dass trotz der Lymphdrainage die Lymphspalten in der Brust massiv gefüllt seien. Durch die Länge der Brust sei der Rückkehrweg für die Lymphe zu lang, so dass die Brust insbesondere in den appikalen Anteilen nicht ausreichend entwässert werden könne. Durch eine Verkleinerung der Brust werde der Lymphweg verkürzt, das Lymphkompressionsmieder werde sich besser an die Brust anschmiegen lassen und damit eine bessere Wirkung entfalten. Darüber hinaus werde auch die im Brustbereich notwendige Lymphdrainage schneller und effektiver sein.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Verwaltungs- und Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 30.06.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für die beantragte Mammareduktionsplastik.
Die Operation ist vorliegend zur mittelbaren Bekämpfung des Lipödems notwendig. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V eine Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, welcher der ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes hat diese Grundvoraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2004, B 1 KR 3/08 R; Urteil vom 28. Februar 2008, B 1 KR 19/07 R). Übermäßig vergrößerte herabhängende Brüste stellen aber für sich genommen keinen derartigen krankhaften Befund dar (Bundessozialgericht, a.a.O.; LSG Hessen, Urteil vom 15.04.2013, L 1 KR 119/11). Zur Überzeugung des Gerichts steht jedoch fest, dass die Brustverkleinerung vorliegend nicht aufgrund der übergroßen Brüste indiziert ist, sondern zur Bekämpfung der Auswirkungen des Lipödems. Insoweit schließt sich die Kammer der glaubhaften Aussage des Zeugen Dr. C. an, der nachvollziehbar dargelegt hat, dass es vorliegend nicht um eine kosmetische Operation zur Reduzierung der Brustgröße geht. Die Kammer hat in Kenntnis der Tatsache, dass der Zeuge der Behandler der Klägerin ist und die beantragte Maßnahme empfohlen hat, die Zeugenaussage gewürdigt. Im Ergebnis kann die Kammer zur eigenen Überzeugung eine subjektive Prägung der Aussage zugunsten der Klägerin ausschließen. Das Gericht hält die Aussage aufgrund ihrer Kohärenz und Schlüssigkeit für äußerst objektiv. Die medizinischen Zusammenhänge sind prägnant und nachvollziehbar dargelegt worden. Die Verfolgung von Eigeninteressen durch den Zeugen mit seiner Aussage kann nach dem Eindruck der Kammer ausgeschlossen werden. Der Zeuge ist uneingeschränkt glaubwürdig.
Eine mittelbare Therapie wie im vorliegenden Fall wird vom Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich mit umfasst, wenn sie ansonsten die in § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V aufgestellten Anforderungen erfüllt, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist sowie dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Für chirurgische Eingriffe hat das BSG diesen Grundsatz allerdings eingeschränkt: Wird durch eine solche Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, wie das bei der Verkleinerung der weiblichen Brust geschieht, bedarf die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG, Urteil vom 19. Februar 2003, B 1 KR 1/02 R). Eine derartige Abwägung ergibt zur Überzeugung der Kammer im Anschluss an die Aussage des Zeugen die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operation. Der Beklagten und auch der Gutachterin des MDK muss jedoch zugegeben werden, dass die bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vorliegenden schriftlichen Berichte des Zeugen die medizinischen Zusammenhänge in der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen präzisen Form und hinsichtlich der medizinischen Kausalitäten nicht widerspiegeln. Insoweit sind die bei der Begutachtung durch den MDK und von der Beklagten in ihren Bescheiden aufgenommenen Erwägungen zum Zeitpunkt ihrer Absetzung jeweils nachvollziehbar und schlüssig. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stellt sich die Beurteilung der Sach- und Rechtslage jedoch davon abweichend dar: Für die Operation streitet die Tatsache, dass die Klägerin in Bezug auf das Lipödem austherapiert ist. Sie nimmt bereits seit Jahren alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch, indem sie die Ganzkörperkompressionswäsche trägt und regelmäßige Lymphdrainagen durchführt. Zudem nimmt sie Schmerzmittel. Die Schwere der Erkrankung wird durch diese regelmäßig notwendige Schmerzmedikation dokumentiert, wobei das Gericht nicht außer Acht lässt, dass die Klägerin über Ganzkörperschmerz klagt und die Operation nur einen Teilbereich des Körpers betrifft und auch nur insoweit Linderung erwarten lässt. Die Schwere der Erkrankung insgesamt belegt sicherlich zudem die Berentung der Klägerin in verhältnismäßig jungem Alter. Nach der Aussage des Zeugen ist das Gericht zudem zu der Überzeugung gelangt, dass die Brustschmerzen der Klägerin kausal auf den durch das Lipödem dort verursachten Wasserstau zurückzuführen sind. Der Zeuge hat nachvollziehbar dargelegt, dass das Lipödem Wasseransammlungen in den Fettzellen verursacht, die durch Lymphe wieder abtransportiert werden müssen. Aufgrund der Übergröße der Brust bestehen sehr lange Transportwege, die den Abtransport erschweren. Die Brust hängt dadurch weiter herunter, was wiederum zu vermehrter Wasseransammlung führt. So entsteht ein Teufelskreis. Dieser Teufelskreis kann — auch dies hat der Zeuge sehr nachvollziehbar dargelegt — durch die beantragte Operation durchbrochen werden. Durch die Verkleinerung der Brüste werden die Lymphwege erheblich verkürzt, was den Abtransport der Wasseransammlungen erleichtert. Zudem wird die Brust in eine Form gebracht, die eine Kompression durch geeignete Wäsche ermöglicht. Im Ergebnis wird die Brust durch die Verkleinerungsoperation überhaupt einer konservativen Therapie erst zugänglich. Die Klägerin kann bei Abwägung der o.g. Kriterien nicht auf eine Intensivierung der Schmerzmedikation verwiesen werden. Die Kammer stimmt dem Zeugen insoweit zu, als Schmerzen im System der gesetzlichen Krankenversicherung — auch bei mittelbaren Behandlungen — nicht schicksalhaft hingenommen werden müssen, sofern kausale Therapiemöglichkeiten bestehen und eine Abwägung der o.g. Kriterien eine medizinische Notwendigkeit ergibt. Nicht zuletzt ist realistisch, dass durch die zu erwartende Schmerzlinderung Folgekosten für die Krankenversicherung erspart werden können. Darüber hinaus wird die Operation auch positive Auswirkungen auf die Ganzkörperstatik haben, was sicherlich einen günstigen Einfluss auf das Skelettsystem haben kann. Vor allem streitet jedoch für eine Operation die vom Zeugen geschilderte positive Prognose im Hinblick auf die Brustgröße. Selbst bei weiterer Gewichtszunahme ist nicht zu erwarten, dass die Brust auch nur annährend das Ausgangsgewicht erreichen wird und insofern erneut eine Verlängerung der Lymphwege eintreten würde. Vielmehr werden durch die Operation alle drei Gewebekomponenten der Brust, nämlich das Drüsengewebe, das Binde- und Stützgewebe sowie das Fettgewebe entfernt. Nur letzteres kann wieder zunehmen. Es ist insoweit davon auszugehen, dass das Lipödem im Bereich der Brüste durch die beantragte Operation lebenslang konservativ therapierbar bleibt.
Unter Abwägung aller Gesichtspunkte ist ein mittelbar wirkender operativer Eingriff vorliegend gerechtfertig. Die Klage musste deshalb Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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