L 2 U 166/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 U 184/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 166/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 34/14 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Anerkennung einer Lyme Borreliose als Berufskrankheit i. S. d. Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten Verordnung.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 24. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien ist streitig das Vorliegen einer Lyme-Borreliose als Berufskrankheit (BK) im Sinne des § 9 des Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), nämlich einer von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheit im Sinne von Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Die 1951 geborene Klägerin (Kl.) war mit Unterbrechungen von 1966 bis 1979 als Hausgehilfin im C. Altenheim A-Stadt tätig. Seit dem 15.01.1980 ist sie nicht mehr erwerbstätig. Im Zeitraum vom 17.04.1972 bis zum 31.08.1975 war sie im C. Altenheim A-Stadt auch in der Großküche beschäftigt und hatte dabei Kontakt mit Fleisch, Fisch, Milch, Eiern und Knochen.

Am 04.10.1973 fuhr die Kl. ihren Angaben nach mit dem Fahrrad von der Arbeit nach Hause und wurde dabei von einer Mücke gestochen. Der Arm sei am nächsten Tag angeschwollen. In den darauf folgenden Tagen habe sie unter Schwindelanfällen, Missempfindungen und Herzbeschwerden gelitten.

Vom 31.10. bis zum 08.11.1973 ließ sich die Kl. aufgrund der Beschwerden im Städtischen M-Krankenhaus A-Stadt untersuchen. Im dortigen Befund vom 19.11.1973 wurde die Diagnose eines Effort-Syndroms (sympathikotone Anfälle, neurovegetative Regulationsstörung) gestellt. Die Laborbefunde des Blutes waren unauffällig.

Die Kl. beklagt seit vielen Jahren multiple Beschwerden, die sie sowohl auf eine Multiple Chemikalien-Sensibilität als auch auf eine Borreliose zurückführt.

Im Jahr 2007 erfolgte zunächst ein IgG- und IgM-positiver ELISA-Test auf Borrelien, später wurden positive IgG- und IgM-Werte auch im Borrelien-Immunoblot nachgewiesen. Der ELISA-Test wies nach dem Bericht des Labors S. W. vom 19.04.2007 auf eine frische oder kürzlich erworbene Infektion hin, der Immunoblot sprach nach dem Befund des Medizinischen Labors B. Dr. W. u. a. vom 17.12.2007 für eine bereits längere Zeit zurückliegende Borrelieninfektion. Im Jahr 2011 wurde am Institut für medizinische Diagnostik Berlin ein positives IgG-und IgM-Ergebnis im Immunoblot bestätigt, nach dem Befund sprachen die nachgewiesenen Antikörper sowohl für eine ältere als auch für eine frische Infektion.

Am 15.10.2008 zeigte der Nervenarzt Dr. K. auf ausdrücklichen Wunsch der Kl. den Verdacht einer Borreliose als BK bei der Beklagten (Bekl.) an.

Die Bekl. lehnte die Anerkennung der BK 3102 mit Bescheid vom 07.04.2009 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2009 als unbegründet zurück.

Dagegen hat die Kl. beim Sozialgericht (SG) Regensburg am 16.07.2009 Klage erhoben mit dem Ziel, die Anerkennung der Borreliose als BK 3102 zu erreichen. Diese Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 24.02.2010 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine klinisch manifeste Borreliose nicht nachgewiesen sei, sondern nur ein auffälliges Immunoblotergebnis. Eine Übertragung durch Mücken sei nicht bekannt. Das Blutbild im Krankenhaus A-Stadt vom November 1973 sei unauffällig gewesen. Schließlich sei die Tätigkeit als Hausgehilfin nicht mit einem besonderen Infektionsrisiko verbunden gewesen.

Die Kl. hat gegen den Gerichtsbescheid, der ihr am 15.03.2010 zugestellt worden war, am 09.04.2010 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren hat die Kl. zunächst beantragt, Dr. C. vom Institut für Toxikologie, C-Stadt, zum Sachverständigen zu ernennen, der jedoch abgelehnt hat, weil er für Borreliose-Infektionen fachlich nicht kompetent sei. Sodann hat das LSG auf Antrag der Klägerin den Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. D., L., zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat sein Gutachten vom 10.02.2012 entgegen dem Gutachtensauftrag nach Aktenlage erstattet, weil die Kl. mehrfach unentschuldigt nicht zur Untersuchung erschienen sei. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sowohl die streitgegenständliche BK 3102 als auch die BK 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) vorlägen. Im Bereich der landwirtschaftlichen Tätigkeiten gebe es verschiedene Quellen, um sich mit "Borrelien" zu infizieren.

Sodann hat die Kl. beantragt, den Facharzt für innere Medizin PD Dr. Walter F. gutachtlich zu hören. Mit Beweisanordnung vom 26.10.2012 hat das LSG Dr. F. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat mit Schreiben vom 15.11.2012 mitgeteilt, dass mit einer Wartezeit von über einem Jahr zu rechnen sei. Dann hat das LSG mit Schreiben vom 03.12.2012 dem Sachverständigen angekündigt, ihm den Gutachtensauftrag zu entziehen, wenn er nicht in Aussicht stellen könne, das Gutachten innerhalb von drei Monaten fertigzustellen. Hierauf teilte Dr. F. mit Schreiben vom 10.12.2012 mit, dass er eine Fertigstellung innerhalb von drei Monaten nicht in Aussicht stellen könne, da ihm bereits über 20 vorrangige Gutachtensaufträge vorlägen. Daraufhin hat das LSG mit Beschluss vom 18.12.2012 die Beweisanordnung vom 08.11.2012 aufgehoben und Dr. F. seines Gutachtensauftrags entbunden. Die gegen diesen Beschluss von der Klägerin erhobene Anhörungsrüge hat der Senat mit Beschluss vom 03.04.2013 (Az. L 2 U 32/13 RG) als unzulässig verworfen. Mit Schreiben vom 18.12.2012, zugestellt am 29.12.2012, hat das Gericht der Kl. eine Frist bis zum 27.01.2013 eingeräumt, um die gutachterliche Anhörung eines anderen Arztes zu beantragen, der sich aber gegenüber Dr. D. durch besondere Fachkenntnisse auszeichnen müsse. Diese Frist hat das Gericht mit Schreiben vom 11.02.2013 nochmals bis zum 22.03.2013 verlängert. Mit Beweisanordnung vom 03.06.2013 hat das LSG auf Antrag der Kl. vom 28.01.2013 Dr. G. zum Sachverständigen ernannt, der mit Schreiben vom 14.06.2013 die Übernahme des Gutachtens aus zeitlichen Gründen abgelehnt hat. Als die Kl. mit Schreiben vom 22.07.2013 beantragt hat, stattdessen Dr. P. H-S. zur Sachverständigen zu erstellen, hat das Gericht die Kl. gebeten, zunächst eine Bestätigung dieser Ärztin vorzulegen, ob sie bereit und in der Lage ist, das Gutachten binnen angemessener Frist zu erstellen. Dr. H-S. hat mit Schreiben vom 12.09.2013 wegen anderweitiger Belastungen die Übernahme des Gutachtensauftrags abgelehnt. Mit Beschluss vom 23.09.2013 hat das Gericht seine Beweisanordnung vom 03.06.2013 aufgehoben und Dr. G. seines Gutachtensauftrags entbunden.

Mit Schriftsatz vom 19.09.2013 hat die Kl. erneut die Begutachtung durch Dr. F., hilfsweise durch Dr. Sch. gemäß § 109 SGG beantragt.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 24.02.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2009 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin eine Borreliose-Erkrankung als Berufskrankheit nach der Nummer 3102 der Anlage 1 zur BKV besteht.

Hilfsweise stellt die Klägerin und Berufungsklägerin die Anträge aus dem Schriftsatz vom 19.09.2013 nach § 109 SGG.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Bekl. vom 07.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2009 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Kl. daher nicht in ihren Rechten. Die Bekl. ist nicht verpflichtet, eine - möglicherweise - bei der Kl. vorliegende Borrelioseerkrankung als BK 3102 anzuerkennen. Ein möglicher Anspruch der Kl. auf Anerkennung scheitert bereits daran, dass sich der Senat nicht die notwendige Gewissheit verschaffen konnte, dass die Kl. durch ihre versicherte Tätigkeit im Vergleich zur übrigen Bevölkerung einer besonders erhöhten Infektionsgefahr mit Borrelienerregern ausgesetzt war oder ist. Außerdem erscheint aufgrund des langen zeitlichen Abstands zwischen der fraglichen Tätigkeit und dem ersten serologischen Nachweis von Borreliose-spezifischen Antikörpern im Blut der Kl. ein kausaler Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Berufskrankheit ergibt sich weder nach altem Recht aufgrund der bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung des § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch aufgrund des am 01.01.1997 in Kraft getretenen § 9 SGB VII. Es kann demnach offenbleiben, ob sich die Anerkennung nach neuem oder altem Recht richtet. Die Vorschriften des SGB VII gelten gemäß § 212 SGB VII für Versicherungsfälle, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.01.1997 eingetreten sind. Für den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls ist bei Berufskrankheiten gemäß § 9 Abs. 5 SGB VII auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen. Das alte Recht ist vorliegend also nicht schon allein deshalb anwendbar, weil die fragliche gefährdende versicherte Tätigkeit bereits im Jahre 1980 und damit lange vor Inkrafttreten des SGB VII beendet war. Solange - wie vorliegend - keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit, Behandlungsbedürftigkeit oder rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit festzustellen ist, muss also die Prüfung sowohl unter dem Aspekt des alten wie auch des neuen Rechts erfolgen. Da sich die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen für Berufskrankheiten in § 551 RVO und § 9 SGB VII nicht unterscheiden und die von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten bereits unter Geltung der RVO als Berufskrankheit in die Berufskrankheiten-Verordnung aufgenommen war (Mehrtens/ Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Akt.-stand 8/11, Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten, Anm. 1, wonach die heutige Fassung seit der 6. BKVO v. 28. 4. 1961, Nr. 38 besteht), ist der vorliegende Fall nach altem und neuem Recht gleich zu beurteilen. Der Einfachheit halber werden im Folgenden nur die Vorschriften des neuen Rechts zitiert.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII gelten als Versicherungsfälle auch Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen. Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-Berufskrankheiten einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität; so u. a. Bundessozialgericht - BSG -, Urteile vom 02.04.2009, Az. B 2 U 30/07 R, B 2 U 33/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 9/08 R, Urteil vom 29.11.2011, Az. B 2 U 26/10 R mwN).

Bei der Infektionskrankheit BK 3102 ("Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten") tritt an die Stelle der Einwirkung die Gefahr einer Infektion mit von Tieren übertragbaren Krankheitserregern (i.d.S. BSG, Beschluss vom 25.10.1989, 2 B U 82/89; Urteile vom 02.04.2009, Az. B 2 U 30/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 33/07 R und vom 15.09.2011, Az. B 2 U 22/10 R zu BK 3101; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII - BKV Anlage 8, BK-Nr. 3101-3104 Rdnr. 10, 12). Dabei genügt eine schlichte Infektionsgefahr nicht, vielmehr setzt die BK 3102 gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 SGB VII eine besonders erhöhte Infektionsgefahr voraus (vgl. BSG, Urteile vom 02.04.2009, Az. B 2 U 30/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 33/07 R und vom 15.09.2011, Az. B 2 U 22/10 R zu BK 3101).

Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" ("besondere Infektionsgefahr") und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (siehe zur besonderen Infektionsgefahr BSG, Urteile vom 02.04.2009, Az. B 2 U 30/07 R, B 2 U 7/08 R, B 2 U 33/07 R und vom 15.09.2011, Az. B 2 U 22/10 R zu BK 3101). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27.06.2006, Az. B 2 U 20/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen (BSG, Urteil vom 08.08.2001, Az. B 9 U 23/01 R, juris Rdnr. 4).

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits am Nachweis einer Tätigkeit mit einer bezüglich der Lyme-Borreliose besonders erhöhten Infektionsgefahr. Die Tätigkeit der Kl. als Hausgehilfin im C. Altenheim A-Stadt von 1966 bis 1979 war nicht mit einer besonders erhöhten Gefahr, eine Borrelien-Infektion zu erleiden, verbunden. Dies gilt auch für die Tätigkeit der Kl. in der Großküche bei Kontakt mit Fleisch, Fisch, Milch, Eiern und Knochen. Die Borreliose wird hauptsächlich über Zecken und in geringerem Umfang auch über wildlebende Nager, Igel, Rehe, Rotwild und Vögel übertragen (Merkblatt zur BK Nr. 3102, Bek. des BMGS vom 01.09.2003 - 414-45222-3102 BArbBl 10/2003, S. 26 ff.). Ein erhöhtes Infektionsrisiko liegt daher grundsätzlich bei Tätigkeiten in der Land- und Forstwirtschaft, bei Tierärzten und Jägern vor, keinesfalls aber bei einer hauswirtschaftlichen Tätigkeit, auch nicht unter den hygienischen Verhältnissen einer Großküche.

Zum anderen scheitert das Vorliegen einer BK auch daran, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Kl., die spätestens im Januar 1980 endete, und einer evtl. Lyme-Borreliose nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann. Offen bleiben kann die Frage, ob die mannigfachen klinischen Symptome der Kl., die im Übrigen sowohl von ihr selbst als auch von den eine Borreliose bejahenden Gutachtern auch auf eine multiple Chemikaliensensibilität zurückgeführt werden, als Ausdruck einer floriden Borreliose-Erkrankung angesehen werden können oder nicht. Denn die Diagnose einer Borreliose-Erkrankung setzt sowohl nach den bereits zitierten Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie als auch nach den Leitlinien der Deutschen Borreliose-Gesellschaft e. V. (Auflage Mai 2011) neben dem Nachweis einschlägiger klinischer Symptome einen serologischen Nachweis von Antikörpern voraus. Ein solcher Nachweis durch Borrelien-Immunoblot liegt bei der Kl. erst seit dem Jahr 2007 vor. Der zeitliche Abstand zur Beendigung der fraglichen Tätigkeit im Jahre 1979 beträgt 27 bis 28 Jahre, die Inkubationszeit bei Borreliose dagegen max. 14 Tage. Auch angesichts dieses extremen zeitlichen Abstands und der Möglichkeit, sich mit Borreliose jederzeit im Alltag zu infizieren, erscheint es ausgeschlossen, einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit im Altenheim und der Borreliose-Erkrankung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen.

Grundsätzlich ist eine Berufskrankheit gegenüber dem Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII die speziellere Norm (vgl. auch KassKomm-Ricke, § 9 SGB VII, Rdnr. 3). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Anwendungsbereich der BK nicht eröffnet ist.

Soweit sich die Kl., die wie dargelegt nicht einem erhöhten Infektionsrisiko im Sinne der BK 3102 unterlag, darauf beruft, sich bei einem konkreten Mückenstich auf dem Heimweg mit dem Fahrrad am 04.10.1973 infiziert zu haben, wird damit der Sache nach nicht eine Berufskrankheit im Sinne des § 9 SGB VII, sondern ein Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII geltend gemacht. Da die Klage von Anfang an bei anwaltlicher Vertretung ausdrücklich auf die Feststellung einer Berufskrankheit beschränkt war, können die Klageanträge auch nicht im Wege der Auslegung auf die Feststellung eines Arbeitsunfalls erweitert werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine evtl. auf Feststellung eines Arbeitsunfalls erweiterte Klage auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hätte. Stechmücken werden als Übertragungsweg für die Borreliose nur als Möglichkeit in sehr seltenen Fällen diskutiert (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Neuroborreliose, Stand: September 2012). Dies räumt sogar der Sachverständige Dr. D. ein, weshalb er postuliert, dass die Kl. offensichtlich den Mückenstich mit dem Stich durch eine kleine Zeckenlarve oder -nymphe verwechselt haben müsse (S. 21 des Gutachtens vom 10.02.2012). Mit dieser Vermutung begibt sich der Sachverständige jedoch in den Bereich reiner Spekulation, die keinesfalls den Anforderungen des vollen Beweises oder auch nur hinreichender Wahrscheinlichkeit genügen würde. Auch sind aus der Zeit nach dem 04.10.1973 keine Symptome, wie z. B. Wanderröte, dokumentiert, die eine frische Borrelien-Infektion hinreichend wahrscheinlich machen würden.

Auf die Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens konnte der Senat angesichts einer derartig evidenten Sachlage verzichten. Daran änderte auch das für die Kl. positive Gutachten des gemäß § 109 SGG auf ihren Antrag zum Sachverständigen bestellten Dr. D. vom 10.02.2012 nichts. Denn dieses Gutachten entspricht in keiner Weise wissenschaftlichen Ansprüchen. Die Zusammenfassung des Aktenstandes auf den Seiten 4 bis 16 seines Gutachtens hat der Sachverständige einfach wörtlich aus dem von Prof. Dr. H. zum Rechtsstreit Az. L 15 SB 141/08 erstellten Gutachten vom 29.03.2010 übernommen. Er hat hierauf zwar auf S. 16 unten ausdrücklich hingewiesen, so dass kein Plagiat vorliegen dürfte, trotzdem entspricht dies nicht dem Gebot der eigenen Urteilsbildung, wonach er sich selbst eine Übersicht über den Aktenstand verschaffen müsste. Auf den folgenden zwanzig Seiten 17 bis 37 bringt der Sachverständige dann lehrbuchartige Ausführungen allgemeinster Art zur Lyme-Borreliose, die größtenteils keinen Bezug zu den Beweisfragen haben. Nur gelegentlich werden durch einzelne Hinweise Bezüge zum Fall hergestellt. Auf S. 38 f. stellt der Sachverständige dann die Vermutung auf, dass die Kl. während ihrer Zeit im Altenheim sowohl mit Mäusekot als auch mit infektiösem Patienten-Material wie Urinflaschen, Bettpfannen und Pflegebetten in Berührung gekommen sein müsste - was er nicht anamnestisch über die Kl. ermittelt - weil diese mehrfach unentschuldigt nicht bei ihm erschienen war - sondern aus den Erfahrungen seiner - eigenen! - Ehefrau, die selbst in der Schweiz als "Hausbeamtin" (was einer deutschen Hauswirtschafts-Leiterin entspreche) tätig gewesen sei. Der Kontakt mit menschlichen Ausscheidungen wird von keiner der hier bereits zitierten Leitlinien bzw. dem Merkblatt als möglicher Infektionsweg diskutiert. Einen Kontakt mit Mäusekot hat auch die Kl. selbst nicht behauptet.
Der Senat war nicht gemäß § 109 SGG verpflichtet, dem Antrag der Kl. nachzukommen, entsprechend ihrem Schreiben vom 19.09.2013 den Sachverständigen Dr. F. wieder mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen, hilfsweise Dr. Sch. zum Gutachter zu ernennen. Das Gericht konnte gemäß § 109 Abs. 2 SGG diesen Antrag ablehnen, weil durch seine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden war. Denn der Sachverständige Dr. F. war bereits mit Beweisanordnung vom 26.10.2012 zum Sachverständigen ernannt worden, woraufhin dieser angekündigt hatte, dass mit einer Wartezeit von über einem Jahr zu rechnen sei. Eine solche Wartezeit, die zudem nach oben nicht begrenzt wurde, war mit dem Beschleunigungsgrundsatz nicht mehr vereinbar und auch für die Gegenseite nicht mehr zumutbar. Da der Sachverständige Dr. F. auch auf Nachfrage keine kürzere Erledigungsdauer in Aussicht gestellt hatte, musste der Gutachtensauftrag aufgehoben werden. Mit Schreiben vom 18.12.2012, zugestellt am 29.12.2012, hat das Gericht der Kl. eine Frist bis zum 27.01.2013 eingeräumt, um die gutachterliche Anhörung eines anderen Arztes zu beantragen, der sich aber gegenüber Dr. D. durch besondere Fachkenntnisse auszeichnen müsse. Diese Frist hat das Gericht mit Schreiben vom 11.02.2013 nochmals bis zum 22.03.2013 verlängert. Die Kl. hat seitdem zwei Ärzte - nämlich Dr. G. und Dr. H-S. - benannt, die sich jeweils nach Bestellung bzw. auf Nachfrage geweigert haben, das Gutachten zu erstellen. Diese Art der Prozessführung ist als grobe Nachlässigkeit zu werten. Es wäre zu erwarten gewesen, dass die Kl. im Vorfeld mit dem jeweiligen Arzt abklärt, ob dieser zur Erstellung des Gutachtens überhaupt bereit und zeitlich in der Lage ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier bereits mehrfach Sachverständige die Übernahme des Gutachtensauftrags abgelehnt haben und eine nicht unerhebliche Zeit nach der Friststellung abgelaufen ist. Deshalb konnte die Kl. mit Schreiben vom 19.09.2013 nicht erneut die Anhörung eines Gutachters beantragen.

Nach alledem ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Berufskrankheit 3102.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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