L 1 KR 229/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KR 584/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 229/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine stationäre Behandlung einer Liposuktion gehört nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Liposuktion nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

2. Das Tatbestandsmerkmal des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse knüpft an den Tatbestand der evidenzbasierten Medizin an (Anschluss an LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 - L 4 KR 3517/11 - juris Rn. 34; entgegen Hessisches LSG, Urteil vom 5. Februar 2013 - L 1 KR 391/12 - juris Rn. 20).
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. November 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Beseitigung von Fettpolstern im Gesäßbereich hat.

Die am geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 27. Januar 2009 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine operative Beseitigung von Fettpolstern im Gesäßbereich. Dem Antrag fügte sie ein Schreiben des Facharztes für Innere Medizin, Angiologie/Phlebologie, Dr. P , vom 10. Dezember 2008 bei. Dieser diagnostizierte bei der Klägerin unter anderem ein beidseitiges lymphovenöses Ödem am Bein, Bindegewebsschwäche, ein beidseitiges Lipödem an Armen und Beinen sowie Lipomatose und Adipositas. Er teilte mit, der Befund sei stabil. Es bestehe momentan kein dringlicher Handlungsbedarf. Im Vordergrund stehe "die ausgeprägte Lipomatose, so dass evtl. mit der Kasse über eine Kostenübernahme einer Liposculpture-Behandlung entschieden werden sollte". Ansonsten empfehle er die Weiterführung der konservativen Therapie mit Kompression bei ausreichender Mobilisierung und reichlicher Flüssigkeitszufuhr und halte den Befund langfristig für kontrollbedürftig. Ebenfalls beigefügt war dem Antrag der Klägerin ein undatierter "Kostenvoranschlag für eine operative Korrektur/Reduzierung/Beseitigung krankhafter Fettdepots im Bereich der unteren Körperregion (hier Gesäß)" von Dr. W , Inhaber der Ästhetik-Klinik Dr. W - Privatklinik für Ästhetisch-Plastische Chirurgie - in Rostock, über 2.895,15 EUR für die erste stationär durchzuführende Sitzung. Die Durchführung der Operation sollte durch Dr. W im Krankenhaus K erfolgen.

Mit Schreiben vom 30. Januar 2009 teilte Dr. P der Beklagten mit, die Klägerin befinde sich seit 2001 in langfristiger Kontrolle wegen eines lymphovenösen Ödems im Bereich beider Beine im Rahmen einer allgemeinen Bindegewebsschwäche sowie einem massiven Lipödem im Sinne einer Lipomatose vor allem der Oberschenkel und Oberarme, "die im Prinzip schon als krankhaft angesehen werden muß, da es die Patn. erheblich in der Bewegung einschränkt, so dass die Kostenübernahme überprüft werden sollte".

Die orthopädische Praxisklinik Dr. R /Dr. F /L /Dr. G /G bestätigte durch Dr. F in einem ärztlichen Befundbericht über die Untersuchung der Klägerin am 2. Februar 2009 die Diagnosen "Knie-TEP; Lipödem". Aus orthopädischer Sicht sei eine Reduktion des Lipödems zur Gelenksentlastung speziell der Knie- und Sprunggelenke zu empfehlen. Damit könnten weitere Folgeschäden an anderen Gelenken und ein Schutz bereits vorhandener Implantate gewährleistet werden. Es werde die operative Reduktion des Lipödems zur Entlastung der Gelenke bei bereits vorhandener Knie-TEP empfohlen.

Nach Vorlage dieser Unterlagen ließ die Beklagte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) nach Aktenlage vom 9. Mai 2009 durch Dr. H erstellen. Sie legte als Diagnose ein lipovenöses Ödem im Sinne einer Reithosenadipositas zu Grunde. Dr. H führte aus, funktionelle Einschränkungen seien den Befunden und mitgereichten Fotos nicht zu entnehmen. Das Lipödem sei eine vor allem bei Frauen vorkommende Erscheinung bislang unbekannter Ätiologie. Es handele sich um eine stets beiderseitige symmetrische reithosenartige Schwellung der Beine. Ursache der Schwellung sei eine vermehrte Fettablagerung, die durch Diät nicht wesentlich beeinflussbar sei. Zurzeit gebe es keine gesicherte kausale Behandlung. Ziel der konservativen Behandlung sei die Ödembeseitigung. Als bewährter Standard der Lipödem-Therapie gelte die so genannte "komplexe physikalische Entstauungs-Therapie" nach Földi. Hauptbestandteile dieses Zwei-Phasen-Therapiekonzepts seien die manuelle Lymphdrainage und die Kompressionstherapie. Es werde eingeschätzt, dass bei der Klägerin ein Lipödem-Stadium 1 bis 2 (von insgesamt drei möglichen Stadien) vorliege. Objektivierbare Funktionsstörungen, die eine medizinische Indikation für eine Operation darstellen könnten, bestünden nicht. Es werde weiterhin eine konservative Therapie und Weiterbehandlung in der angiologischen ambulanten Praxis empfohlen. Aus sozialmedizinischer Sicht könne die Kostenübernahme für die beantragte Liposuktionsbehandlung nicht befürwortet werden.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2009 lehnte die Beklagte die begehrte operative Korrektur ab. Ausweislich des MDK-Gutachtens liege unter Beachtung aller Umstände keine medizinische Indikation zur operativen Korrektur vor.

Hiergegen legte die Klägerin am 20. Mai 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie leide unter gravierenden Funktionsstörungen. Denn bei ihr bestünden Dauerschmerzen in den Knien - das Beugen sei durch die Ödeme oft unmöglich -, Spannungsschmerzen in beiden Beinen, Taubheitsgefühle in beiden Armen und Händen, Schmerzen und Verspannungen im Bereich der Halswirbelsäule, Taubheitsgefühle in Arm und Hand nach erfolgter Operation des Karpaltunnels der rechten Hand sowie fehlende Kraft in beiden Händen und Fingern, die ihr das Anziehen der Kompressionsstrümpfe manchmal fast unmöglich machten.

Unter dem 29. Juni 2009 teilte die Klägerin der Beklagten unter anderem mit, der Arzt habe ihr gesagt, die Reduktion des Gewichts solle die Knie entlasten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Nach den Empfehlungen des MDK lägen für die Durchführung einer stationären Liposuktionsbehandlung keine medizinischen Gründe vor.

Dagegen hat die Klägerin am 24. November 2009 Klage beim Sozialgericht (SG) Chemnitz erhoben.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe einen Anspruch auf die von ihr beantragte Liposuktionsbehandlung in einem Krankenhaus. Sie sei auch damit einverstanden, wenn die Liposuktionsbehandlung in einem Vertragskrankenhaus stattfinde. Ihre Beschwerden beim Laufen und Treppensteigen seien durch die auf die Lipödeme zurückzuführende enorme Gewichtsbelastung bedingt. Die begehrte Fettabsaugung würde kurzfristig zu einer Entlastung der Gelenke führen. Es bedürfe der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Beklagte hat an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. November 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung der von ihr begehrten stationären Liposuktionsbehandlung. Es bestünden schon erhebliche Zweifel, ob bei der Klägerin überhaupt eine körperliche Anomalie vorliege, der Krankheitswert zukomme. Ungeachtet dessen habe die Klage bereits deshalb keinen Erfolg, weil es an der für die Gewährung der stationären Krankenhausbehandlung notwendigen ärztlichen Verordnung fehle.

Gegen den ihr am 26. November 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. Dezember 2010 Berufung eingelegt.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat den ärztlichen Entlassungsbericht vom 5. September 2011 über die von der Klägerin in der Zeit vom 27. Juli 2011 bis 31. August 2011 in Anspruch genommene stationäre Rehabilitation in der Seeklinik Z eingesehen. Dort haben Chefarzt Dr. K , Facharzt für Innere Medizin, und Oberärztin K , Fachärztin für Innere Medizin, folgende Diagnosen gestellt:

- massivgradige Lipo-Lymphödeme beider Beine, Lipödem der Arme, - Lipohypertrophie vom Becken-Bein-Typ und oberarmbetonten Ganzarmtyp, - Adipositas (BMI 40), - Varikosis beidseits, Zustand nach Varizen-Operation (1993), - essentieller arterieller Hypertonus.

Sie haben mitgeteilt, das Rehabilitationsziel habe in einer maximalen Entödematisierung und damit verbundenen Beschwerdelinderung sowie einer allgemeinen Stabilisierung und einer intensiven Patientenschulung bezüglich der chronischen Ödemerkrankung bestanden. Bei Verordnung von Reduktionskost habe die Klägerin ihr Gewicht um 3,5 kg reduzieren können. Durch die spezielle lymphologische Therapie mit zwei manuellen Lymphdrainagen nach Vodder-Asdonk pro Tag in Kombination mit einer Kompressionsbandagierung und der speziellen, lymphentlastenden Entstauungsgymnastik für Arme und Beine unter der Kompression sowie die Expressionsbehandlung habe sich das Volumen im linken Arm um 510 ml, im rechten Arm um 181 ml, im linken Bein um 239 ml und im rechten Bein um 359 ml verringert. Zur Aufrechterhaltung des Behandlungsergebnisses sei der Klägerin Kompressionsbestrumpfung nach Maß für die Beine und die Arme verordnet worden. Die ödembedingten Beschwerden und das Ödem hätten durch die kombinierte physikalische Entstauungstherapie gebessert werden können. Aufgrund des massivgradigen Befundes mit deutlicher mechanischer Beeinträchtigung der Gehfähigkeit sei eine Liposuktion dringend angeraten.

Der die Klägerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin/Angiologie, Dr. T , hat mit Schreiben vom 15. September 2011 mitgeteilt, er halte die Durchführung einer stationären Liposuktion für indiziert und dringend anzuraten. Er schließe sich der Meinung der Kollegen in der Seeklinik Z an. Er unterstütze eine kassenärztliche Verordnung für die Durchführung einer stationären Liposuktion.

Unter dem 26. Oktober 2011 hat Dr. T der Klägerin unter Zugrundelegung der Diagnose "ausgeprägtes Lipödem insbesondere Oberschenkel und Armbereich" eine Verordnung von Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer stationären Liposuktion ausgestellt.

Dr. C , Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Allergologie, Sozialmedizin, und Dr. O , Fachärztin für Innere Medizin/Rheumatologie, Sozialmedizin, haben in ihrem für den MDK erstellten Gutachten vom 25. Januar 2012 nach einer persönlichen Untersuchung der Klägerin am 18. Januar 2012 unter anderem ein Lipödem bei Adipositas diagnostiziert. Sie haben mitgeteilt, die Klägerin habe sich in einem guten Allgemein- und einem adipösen Ernährungszustand befunden (BMI von 40,3 bei einer Körpergröße von 167 cm und einem Körpergewicht von 112,5 kg). Bei der Klägerin bestehe eine deutliche Umfangsvermehrung von Oberarmen, Unterbauch, Hüften, Gesäß und Oberschenkeln. An den Seiten des Gesäßes seien über den Hüftgelenken sehr ausladende Fettpolster festzustellen. Die Durchführung einer Liposuktion im ambulanten Bereich zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung könne aus sozialmedizinischer Sicht nicht befürwortet werden. Für diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die sich im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung befinde, bestehe eine Therapiealternative in Form der manuellen Lymphdrainage einschließlich der Kompressionstherapie. Unter Berücksichtigung des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011 sei zusammenfassend festzustellen, dass auch für die Durchführung einer Liposuktion im stationären Bereich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe. Ebenso wenig werde bei der Klägerin in Anbetracht der bei ihr vorliegenden multiplen Erkrankungen die Durchführung einer stationären Liposuktion befürwortet.

In der Zeit vom 7. Mai 2012 bis 18. Mai 2012 hat sich die Klägerin einer Entödematisierungs-Therapie im Klinikum F unterzogen. Im Entlassungsbericht vom 18. Mai 2012 haben Dr. K , Chefarzt, Dr. P , Oberarzt, und Dr. C , Assistenzarzt, bei der Klägerin unter anderem ein Lipödem Stadium 4b Grad III diagnostiziert. Sie haben mitgeteilt, bei einem BMI von 42,5 sei das Ausgangsgewicht von 115,6 kg stabil geblieben. Damit habe die Klägerin ihr "Trockengewicht" erreicht, eine weitere Umfangsreduktion sei nur durch eine Liposuktion möglich.

Im MDK-Gutachten vom 26. November 2012 haben Dr. C und Dr. O nochmals darauf hingewiesen, dass für die Liposuktion bei Lipödem grundsätzlich keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe, weil es sich bei der Liposuktion bei Lipödem noch um eine im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung befindliche Therapie handele. Dies werde durch Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011 bestätigt. Zudem bestehe bei der Klägerin vordergründig eine massive Adipositas mit metabolischem Syndrom (Diabetes mellitus, Hypertonie, Hyperurikämie) sowie Gelenkbeschwerden bei Arthrose Gewicht tragender Gelenke. Es bedürfe unbedingt einer Gewichtsreduktion unter ärztlicher Begleitung. Es müsse davon ausgegangen werden, dass bei der Klägerin auf Grund der Multimorbidität bei jeglicher Operation ein erhöhtes Risiko bestehe und nicht unbedingt medizinisch notwendige Operationen vermieden werden sollten. Die Durchführung einer ambulanten Liposuktion sei wegen der bestehenden Multimorbidität nicht zu empfehlen.

Außerdem hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten vom 22. Juni 2013 bei Dr. S , Facharzt für Allgemeinmedizin, Phlebologie und Lymphologie, eingeholt. Der Gutachter hat nach einer Untersuchung der Klägerin am 2. Mai 2013 mitgeteilt, sie habe angegeben, seit der akutstationären lymphologischen Behandlung im Klinikum F 8 kg zugenommen zu haben. Warum dies so sei, wisse sie nicht. Von der Fettabsaugung verspreche sie sich eine Erleichterung im Hinblick auf ihre Gelenkbeschwerden das Spannungsgefühl und die Schmerzen. Dr. W habe insgesamt fünf Operationen geplant (Liposuktion der Reiterhosen, beider Beine innen, beider Beine außen, beider Arme innen, beider Arme außen). Die Klägerin habe bei einer Körpergröße von 167 cm ein Gewicht von 123,2 kg aufgewiesen. Dies entspreche einem BMI von 44,2 kg/m². Dr. S hat folgende Diagnosen gestellt:

- Lipödem Typ 4b Stadium II-III, - Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr mit BMI von 40 und mehr, - chronisch venöse Insuffizienz ersten Grades, - Folgen der Überernährung, - Schmerzen in den Extremitäten.

Er hat ausgeführt, die Klägerin leide an einem behandlungsbedürftigen Lipödem. Als Therapie komme beim schmerzhaften b-Typ des Lipödems die komplexe physikalische Entstauungstherapie nach Prof. F zum Einsatz. Sie führe im Idealfall zu einem schmerz- und ödemfreien Zustand. Sie sei keine kausale Therapie, weil sie das Lipödem nicht beseitige. Es handele sich deshalb um eine symptomatische Behandlung. Die Entstauungstherapie habe bei der Klägerin zu einer Linderung ihrer Beschwerden geführt. Es bestünden aber weiterhin erhebliche Beschwerden. Die Liposuktion habe sich mittlerweile als die operative Standardtherapie zur kausalen Behandlung des Lipödems etabliert. So sei im Rahmen einer in L von 2003 bis 2009 durchgeführten Langzeituntersuchung an 112 Patientinnen, die zusammen 349 Eingriffe erhalten hätten, eine Komplikationsrate mit normalem Risikoprofil festgestellt worden (Vorstellung der Zahlen der von Prof. S in L betriebenen Hanseklinik auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie - der in der Zeit vom 23. bis 25. Juni 2011 stattfand - durch Frau M -V ).

Bereits 2006 habe Prof. S eine Studie vorgelegt, deren Resümee wie folgt gelautet habe: "Diese Ergebnisse sprechen möglicherweise (dafür), dass es bei Anwendung der entsprechenden gewebeschonenden Techniken zu keiner Lymphgefäßschädigung kommt." Prof. Dr. C habe 2007 nachgewiesen, dass es nach der Liposuktion in keinem Fall zu einer Verschlechterung des Abtransports der Lymphe gekommen sei, sofern bestimmte Voraussetzungen eingehalten würden. Inzwischen habe er mehr als 1.600 Liposuktionen mit einer Zufriedenheitsrate von 90% durchgeführt. Auch die Wasserstrahl-assistierte Li-posuktion, die aus den USA stamme und im Jahr 2008 beschrieben worden sei, sei durch ein minimales Risiko gekennzeichnet. Die Vorteile der Liposuktion gegenüber der konservativen Behandlung lägen in der Entlastung der Gelenke und der Reduzierung der muskulo-skelettalen Schmerzen. Außerdem würden die Achsenfehlstellung und die Arthrose gebremst. Bei der Klägerin seien die Fettmassen nicht durch diätetische Maßnahmen zu beeinflussen. Die zunehmenden Gelenkbeschwerden erschwerten die erforderliche Bewegungstherapie. Er halte eine Liposuktion bei der Klägerin für zwingend erforderlich, und zwar zusätzlich zur komplexen physikalischen Entstauungstherapie. Sie sei medizinisch notwendig, um die Beschwerden der Klägerin dauerhaft zu lindern. Wegen der bei der Klägerin vorhandenen Begleiterkrankungen sei eine stationäre Behandlung zur Durchführung der Liposuktion erforderlich.

In dem nach Aktenlage erstellten MDK-Gutachten vom 8. August 2013 haben Dr. C und Dr. O mitgeteilt, die Klägerin habe in der Zeit vom 18. Januar 2012 bis 2. Mai 2013 11 kg zugenommen. Dies sei ein weiterer Hinweis darauf, dass eine massive Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr vorliege. Eine Liposuktion sei nicht geeignet, eine Adipositas langfristig wirksam zu behandeln. Bei der Liposuktion handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die nicht dazu in der Lage sei, die Erkrankung zu heilen und die bestehende Veranlagung zu nehmen. Es bestünden keine vergleichbaren Untersuchungen zur Wirksamkeit der konservativen Therapie einerseits und der operativen Therapie andererseits. Die langfristige Datenlage zur Liposuktion sei derzeit noch schwach. Nach wie vor handele es sich bei der Liposuktion beim Lipödem noch um eine im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung befindliche Therapie (Hinweis auf das Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Li-posuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011). Gerade weil die Klägerin am ganzen Körper extrem adipös sei, solle die medizinisch indizierte Gewichtsabnahme nicht durch Liposuktion herbeigeführt werden. Vielmehr bedürfe es einer langfristigen Änderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten.

Weiterhin hat der Senat das Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011 beigezogen. In diesem Gutachten wird als Standardtherapie für die Behandlung des Lipödems die komplexe physikalische Entstauungsbehandlung genannt. Dadurch könnten auch in fortgeschritteneren Stadien mit bereits eingetretener Ödembildung eine Besserung der Beschwerden bis hin zur Beschwerdefreiheit erzielt werden. Bei Zunahme der Beschwerden könne die Behandlung im Rahmen einer speziellen Rehabilitationsmaßnahme in einer Lymphfachklinik intensiviert werden. Eine Reduktion des krankhaft vermehrten Fettgewebes sei mit den konservativen Maßnahmen jedoch nicht möglich. Seitens der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie werde insoweit auch die Liposuktion empfohlen. Die Techniken, die im Rahmen der Liposuktion angewandt würden, korrigierten durch die Absaugung des Fettgewebes zwar die pathologische Fettverteilung, eine Heilung des Lipödems sei aber nicht möglich. Auch die Befürworter der Liposuktion verstünden diese nur als eine ergänzende Therapie. Zusammenfassend sind die Autoren aufgrund einer Datenerhebung im Mai 2011 zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der vorgefundenen Studienlage ein Nutzen der Liposuktion nicht zu belegen sei. Anlässlich der systematischen Recherche hätten sich nur zwei kontrollierte Studien gefunden. Diese beiden identifizierten kontrollierten Studien hätten erhebliche methodische Mängel und berichteten unzureichend über Langzeitergebnisse und Nebenwirkungen der Therapie. Die zu fordernden Nutzenbelege könnten nur durch verblindete randomisierte klinisch kontrollierte Studien erbracht werden, die ausreichend lange (mehrere Jahre) nachbeobachtet würden. Auch bei Leistungserbringung im stationären Bereich solle die Liposuktion auf Zentren mit Expertise und die Durchführung innerhalb von klinischen Studien beschränkt bleiben. Obwohl in den Leitlinien die Liposuktion vor allem als therapeutische Option dargestellt werde, seien nach umfangreicher Recherche keine Evidenzbelege aus klinisch kontrollierten Studien gefunden worden. Die Liposuktion befinde sich noch im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung. Dies werde auch von Autoren, die bereits kontrollierte Studien veröffentlicht hätten, so gesehen.

Der Senat hat eine Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 12. Mai 2010 beigezogen. Darin hat dieser bestätigt, die Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems sei bisher weder im Gemeinsamen Bundesausschuss noch im vormals zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen überprüft worden. Zu dieser Therapieform sei keine Empfehlung abgegeben worden. Es lägen auch keine Informationen vor, die nahe legten, dass es sich hier um eine medizinische Methode handele, die die für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegebenen Kriterien "diagnostischer oder therapeutischer Nutzen", "medizinische Notwendigkeit" und "Wirtschaftlichkeit" erfüllten.

Mit Schreiben vom 11. April 2012 hat der Gemeinsame Bundesausschuss mitgeteilt, gegenüber der Auskunft vom 12. Mai 2010 hätten sich keine Änderungen ergeben. Anträge zur Prüfung der Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems als neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach den Vorgaben der §§ 135 Abs. 1 und 137c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien von den berechtigten Organisationen nicht gestellt worden.

Daran hat sich nichts geändert (Internetrecherche im Informationsarchiv der Website des GBA vom 22. November 2013).

Die Klägerin trägt vor, Dr. P habe durch Schreiben vom 18. Januar 2011 mitgeteilt, die bisherige häusliche ambulante Behandlung mit Lymphdrainage und Kompression habe keinen ausreichenden Effekt erbracht, weshalb er eine intensive Behandlung in einer Fachklinik für Lymphologie als unbedingt erforderlich ansehe. Die Lipomatose-Erkrankung der Klägerin stelle eine Krankheit dar. Die Klägerin sei in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt, vor allem habe sie große Probleme beim Laufen und insbesondere auch beim Treppensteigen. Es bestehe ein Anspruch auf eine stationär durchzuführende Liposuktion. Dies werde durch das Gutachten von Dr. S eindrucksvoll bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. November 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für eine stationäre Liposuktions-Behandlung zu übernehmen,

2. die Revision zuzulassen

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Eine Liposuktion sei medizinisch nicht erforderlich. Sie sei im Fall der Klägerin darüber hinaus nicht zu befürworten, weil sie aufgrund der vordergründigen massiven Adipositas mit einem BMI von 42 nicht dazu geeignet sei, diese zu behandeln. Bei der Klägerin müsse insgesamt davon ausgegangen werden, dass bei jeglicher Operation aufgrund der vorliegenden Multimorbidität ein erhöhtes Risiko bestehe und nicht unbedingt medizinisch notwendige Operationen vermieden werden sollten. Die Beklagte schließe sich dem Gutachten des MDK vom 8. August 2013 an.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid vom 24. November 2010 ist im Ergebnis zu Recht ergangen, der Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2009 ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf stationäre Durchführung einer Liposuktion.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Behandlung wäre § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung unter anderem auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Krankheit im Sinne des SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (siehe nur Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 27 Rn. 31 m.w.N.). Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand geheilt, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen gelindert werden können (siehe nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28. April 1967 – 3 RK 12/65 – juris Rn. 17). Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (siehe nur BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 5/10 R – juris Rn. 10).

1. Die Klägerin leidet unter einer Krankheit.

Die vorliegenden medizinischen Unterlagen sprechen dafür, dass bei der Klägerin von einer Krankheit auszugehen ist. Zwar kann ausweislich der von Dr. S im Rahmen seiner Begutachtung der Klägerin gefertigt Fotos nicht von einer Entstellung ausgegangen werden. Jedoch besteht bei der Klägerin insbesondere ein Lipödem vor allem im Oberschenkel- und Oberarmbereich. Dies folgt aus den Einschätzungen von Dr. P vom 10. Dezember 2008 und vom 30. Januar 2009, wird aber auch von Dr. F unter dem 2. Februar 2009 sowie von Dr. H in seinem für den MDK erstellten Gutachten vom 9. Mai 2009 bestätigt. Auch im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 5. September 2011 ist von einer chronischen Lipödemerkrankung die Rede. Dies deckt sich mit der Einschätzung von Dr. T vom 15. September 2011. Dr. C und Dr. O haben in ihrem für den MDK erstellten Gutachten vom 25. Januar 2012 bei der Klägerin ebenfalls ein Lipödem bei Adipositas diagnostiziert. Ebenso wie Dr. H haben sie im Gegensatz zu den anderen Ärzten jedoch die Durchführung der komplexen physikalischen Entstauungstherapie nach Földi befürwortet. Das bedeutet aber auch, dass alle genannten Ärzte bei der Klägerin von einem regelwidrigen Körperzustand ausgehen, der ärztlicher Behandlung bedarf. Auch der Entlassungsbericht des Klinikums F vom 18. Mai 2012 geht von Behandlungsbedürftigkeit aus, wenn er eine weitere Umfangsreduktion von der Durchführung einer Liposuktion abhängig macht. In ihrem für den MDK erstellten Gutachten vom 26. November 2012 halten Dr. C und Dr. O demgegenüber eine Gewichtsreduzierung unter ärztlicher Begleitung als Behandlungsmaßnahme für erforderlich, weil die massive Adipositas mit metabolischem Syndrom bei der Klägerin vordergründig sei. Dr. S erachtet in seinem Gutachten vom 22. Juni 2013 sowohl die Weiterführung der komplexen physikalischen Entstauungstherapie als auch die stationäre Durchführung einer Liposuktion für erforderlich. Dr. C und Dr. O bestätigen in ihrem MDK-Gutachten vom 8. August 2013 nochmals die bei der Klägerin bestehende massive Adipositas - mit einer erheblichen Gewichtszunahme von 11 kg in der Zeit vom 18. Januar 2012 bis 2. Mai 2013 -, so dass insoweit eine Behandlungsbedürftigkeit bestehe. Die ärztlichen Einschätzungen unterscheiden sich nach alledem nicht in der Diagnosestellung (in erster Linie Lipödem und Adipositas), sondern in der Wahl der Therapie. Dabei geht der Senat - trotz der entgegenstehenden Einschätzung von Dr. H im MDK-Gutachten vom 9. Mai 2009 - zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass bei ihr auch funktionelle Beeinträchtigungen bestehen, die sich in den von ihr geäußerten Beschwerden beim Laufen und Treppensteigen sowie der geschilderten Schmerzsymptomatik äußern. So wird etwa im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 5. September 2011 beschrieben, dass bei der Klägerin eine deutliche mechanische Beeinträchtigung der Gehfähigkeit vorliege. Wenn der Senat insoweit vom Vorliegen einer Krankheit ausgeht, ist damit freilich noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob Ursache der funktionellen Beschwerden der Klägerin primär das bei ihr bestehende Lipödem oder die bei ihr vorliegende Adipositas ist.

2. Eine Behandlung der Klägerin im Wege der stationären Durchführung einer Liposuktion gehört jedoch nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung, weil die Liposuktion nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

Das Tatbestandsmerkmal des anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse knüpft an den Maßstab der evidenzbasierten Medizin an (vgl. Fahlbusch in jurisPK-SGB V, 2. Auflage, § 2 Rn. 49; vgl. auch BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 7/10 R – juris Rn. 65; siehe ferner Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 32). Aus dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung werden solche Leistungen ausgeschlossen, die nicht ausreichend erprobt sind (BT-Drucksache 11/2237 S. 157; Peters in Kasseler Kommentar, Stand Juni 2007, SGB V, § 2 Rn. 3). Denn es ist nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, die medizinische Forschung zu finanzieren. Eine neue Behandlungsmethode gehört deshalb erst dann zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn ihre Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen möglich sind (Wagner in Krauskopf, Stand Juni 2008, SGB V, § 13 Rn. 19, und dieselbe in Krauskopf, Stand Dezember 2004, SGB V, § 2 Rn. 7). Dieser Maßstab gilt nach der Rechtsprechung des BSG nicht nur im Anwendungsbereich des § 135 SGB V (siehe insoweit BSG, Urteil vom 12. August 2009 – B 3 KR 10/07 R – juris Rn. 29), sondern auch im Bereich des § 137c SGB V, und zwar unabhängig davon, ob ein Negativvotum des Gemeinsamen Bundesausschusses existiert (siehe insoweit BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 – B 1 KR 10/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 2/12 R – juris Rn. 16 bis 24; BSG, Urteil vom 7. Mai 2013- B 1 KR 44/12 R – juris Rn. 23 f.; vgl. auch BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 1 KR 21/04 R – juris Rn. 22). Erforderlich ist daher, dass der Erfolg der Behandlungsmethode objektivierbar, also in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 32 m.w.N.). Die einzige Ausnahme zu diesen Grundsätzen ist in § 137c Abs. 2 Satz 2 SGB V geregelt. Danach können Behandlungen im Rahmen der Durchführung klinischer Studien zur Förderung des medizinischen Fortschritts stets zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden.

Demgegenüber vertritt das Hessische LSG die Auffassung, im Rahmen der stationären Behandlung müssten die Kriterien der evidenzbasierten Medizin nicht erreicht werden, es genüge insoweit ein abgesenkter Maßstab (Urteil vom 5. Februar 2013 – L 1 KR 391/12 – juris Rn. 20). Bei der Liposuktion handele es sich nicht um eine Methode von experimentellem Charakter. Dies folge zum einen aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Zum anderen könnten die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für ästhetische Chirurgie zur Liposuktion herangezogen werden, da ihnen eine umfassende medizinische Relevanz zukomme (a.a.O. Rn. 18). Der abgesenkte Prüfmaßstab sei deshalb gerechtfertigt, weil im Bereich der ambulanten Versorgung bezüglich neuer Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gelte, wohingegen bei der stationären Versorgung gemäß § 137c SGB V eine grundsätzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt maßgeblich sei, so dass ein Anspruch nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss eine negative Stellungnahme abgegeben habe (a.a.O. Rn. 19). Dies sei bei einer stationär durchzuführenden Liposuktion nicht der Fall (Hinweis auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – juris Rn. 16). Der sachliche Grund für diese unterschiedliche rechtliche Behandlung bestehe darin, dass der Gesetzgeber die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstrukturen im Krankenhausbereich geringer einstufe als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R – juris Rn. 21).

Die Argumentation des Hessischen LSG überzeugt allerdings nicht, weil sie zu Wertungswidersprüchen führt. Denn letztlich läuft sie darauf hinaus, dass allein das Erfordernis einer stationär gebotenen Behandlung zu einer Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung führen kann, und zwar unabhängig davon, ob die Wirksamkeit und Qualität der eigentlichen Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Derjenige Patient, der bestimmte Risikofaktoren erfüllt, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, hätte dann einen Anspruch auf eine Behandlung im stationären Rahmen, obwohl sich für die Wirksamkeit einer bestimmten Methode keine bislang hinreichend wissenschaftlich gefestigten Anhaltspunkte ergeben (so LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 34, und SG Neubrandenburg, Urteil vom 18. April 2013 – S 14 KR 11/12 – juris Rn. 27, 30). Dieses Ergebnis ist mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Soweit das Hessische LSG aus den Leitlinien der Fachgesellschaften eine Erweiterung des Leistungsspektrums der gesetzlichen Krankenversicherung herleitet, lässt sich dies mit der Rechtsprechung des BSG nicht in Einklang bringen. Denn danach bestimmen die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 5/09 R – juris Rn. 47).

Qualität und Wirksamkeit der begehrten Liposuktion zur Behandlung des Lipödems entsprechen nicht dem Maßstab der evidenzbasierten Medizin. Ausweislich des Gutachtens der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 "Methoden- und Produktbewertung" zum Thema "Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" vom 6. Oktober 2011, das eine umfassende Auswertung der über den Einsatz von Liposuktion als Methode zur Behandlung von Lipödemen veröffentlichten Studien vornimmt, gab es zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Mai 2011 nur zwei kontrollierte Studien, deren Aussagewert nicht ausreichte, um einen langfristigen Nutzen der Liposuktion zu belegen. Alle übrigen im Mai 2011 zugänglichen Veröffentlichungen wiesen einen noch geringeren Aussagewert auf. Daraus folgt, dass die Methode der Liposuktion zur Therapie des Lipödems zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion war und weitere randomisierte Studien erforderlich waren, um sie als eine den Kriterien der evidenzbasierten Medizin entsprechende Behandlungsmethode qualifizieren zu können. Daran hat sich nichts geändert (siehe insoweit auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 36, und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2012 – L 4 KR 595/11 – juris Rn. 37, außerdem Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 22. Januar 2013 – 5 LB 50/11 – juris Rn. 31).

Der von Dr. S im Juni 2011 von Frau M -V gehaltene Vortrag über die Beobachtung von 112 Patientinnen, die in der Hanseklinik von Prof. S behandelt wurden, führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Denn im Rahmen dieses Vortrags wurde über Zahlen der Hanseklinik referiert. Es kann sich also nicht um eine kontrollierte Studie gehandelt haben, weil es an einer Vergleichsgruppe von nicht mit einer Liposuktion behandelten Patientinnen fehlt. Neuere Studien hat auch Dr. S im seinem Gutachten vom 22. Juni 2013 nicht benannt.

Das vom MDK erstellte Gutachten vom 6. Oktober 2011 ist im Gerichtsverfahren verwertbar. Der MDK ist nicht in die Verwaltungseinheit der Krankenkassen eingebunden, sondern institutionell von diesen getrennt (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R - juris Rn. 12, sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2013 – L 4 KR 3517/11 – juris Rn. 36). Es handelt sich auf Länderebene jeweils um eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 278 Abs. 1 SGB V). Um auch den Anschein eines Weisungsverhältnisses zwischen Kranken- oder Pflegekassen und den Ärzten des MDK auszuschließen, stellt § 275 Abs. 5 SGB V ausdrücklich klar, dass die Ärzte des MDK bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind. Gutachten des MDK können deshalb auch im gerichtlichen Verfahren verwertet werden (so auch BSG, Beschluss vom 23. Dezember 2004 – B 1 84/04 R – juris Rn. 5).

3. Eine hiervon abweichende Betrachtung ist auch im Fall der Klägerin nicht geboten.

Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin die begehrte Behandlung aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu gewähren ist, bestehen bei nicht hinreichend erwiesener Wirksamkeit der Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen nicht. Der anders lautenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. S in seinem Gutachten vom 22. Juni 2013 folgt der Senat nicht. Der Senat hält dieses Gutachten nicht für schlüssig und nachvollziehbar.

Problematisch erscheint dem Senat vor allem das mit der Behandlung verbundene Gesundheitsrisiko für die Klägerin und die damit verknüpfte Frage der Nachhaltigkeit der begehrten Maßnahme. Dies gilt umso mehr, als es an qualitativ hinreichenden Langzeitstudien über die Liposuktion fehlt. Ausweislich der Einschätzungen von Dr. W und Dr. S müssten bei der Klägerin fünf Liposuktionen durchgeführt werden. Aufgrund der bei ihr bestehenden weiteren Erkrankungen - insbesondere der ausgeprägten Adipositas - führt bei ihr aber jede Operation zu einem nicht unerheblichen Risiko.

Aus den vorhandenen medizinischen Unterlagen ergibt sich darüber hinaus nicht eindeutig, in welchem Ausmaß gerade das bei der Klägerin vorhandene Ödem Ursache für die bei ihr bestehenden Schmerzen und Einschränkungen ist und nicht die bei ihr ebenfalls diagnostizierte Adipositas. Es ist daher äußerst fraglich, ob die Durchführung einer Liposuktion bei der Klägerin tatsächlich zu den von Dr. S genannten Vorteilen führt (Entlastung der Gelenke, Reduzierung der muskuloskelettalen Schmerzen und Verhinderung der Verschlechterung von Achsenfehlstellung und Arthrose). Denn für die übermäßige Gelenkbelastung, die muskuloskelettalen Schmerzen, die Achsenfehlstellung und die Arthrose kann ebenso die bei der Klägerin ausgeprägte Adipositas ursächlich sein. Diese hat sich aber allein in der Zeit vom 18. Januar 2012 bis 2. Mai 2013 erheblich verschlechtert. Denn in diesem Zeitraum hat sich das Körpergewicht der Klägerin um 11 kg erhöht. Insoweit erscheint es dem Senat nicht nachvollziehbar, dass sich durch die Reduzierung des Fettgewebes im Wege der Liposuktion bei der Klägerin tatsächlich eine auf Dauer spürbare Gewichtsreduktion herbeiführen lässt, die mit den von Dr. S genannten Vorteilen einhergeht. Hierzu bedürfte es vielmehr der Umstellung der Ernährungsgewohnheiten der Klägerin. Denn andernfalls würde das Gewicht des reduzierten Fettgewebes durch die Zunahme des Körpergewichts im Übrigen kompensiert. Insoweit hält der Senat das Gutachten von Dr. C und Dr. O vom 8. August 2013 für deutlich überzeugender.

Aus dem Gutachten von Dr. S lässt sich somit weder herleiten, dass die von der Klägerin begehrte Liposuktion erforderlich ist, noch, dass sie eine Erfolg versprechende Behandlungsmethode darstellt.

4. Schließlich besteht kein Anspruch der Klägerin auf Durchführung der begehrten Liposuktion aufgrund einer notstandsähnlichen Krankheitssituation. Die vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris Rn. 64) aufgestellten und inzwischen in § 2 Abs. 1a SGB V kodifizierten Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor. Denn das Lipödem stellt weder eine lebensbedrohliche noch eine regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung dar.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

6. Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Klotzbücher Schanzenbach Dr. Wietek
Rechtskraft
Aus
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