L 11 R 684/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1820/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 684/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.12.2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit.

Die 1959 in Laos geborene Klägerin lebt seit 1979 in der Bundesrepublik Deutschland und besitzt seit 1979 die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Die Klägerin verfügt über eine Fahrerlaubnis (Führerschein). Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war von Oktober 1983 bis November 1984 als Näherin und von 1999 bis Januar 2008 als Holzzuschneiderin versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Februar 2008 ist die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

Am 11.09.2009 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Im Entlassungsbericht vom 05.03.2009 über eine vom 11.02.2009 bis zum 04.03.2009 durchgeführte Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der Rehaklinik S. in D. wurde ein chronisches subacromiales Impingement der linken Schulter mit subacromialer Depompression im Mai 2008, ein Carpaltunnelsyndrom links mit Carpaltunnelspaltung und Neurolyse im Mai 2008 sowie eine Hypercholesterinämie diagnostiziert. Die Klägerin sei noch in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.

Die Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente mit Bescheid vom 30.11.2009 gestützt auf den Rehaentlassungsbericht vom 05.03.2009 sowie ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 03.12.2008 und ein Gutachten des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 01.07.2009 ab.

Die Klägerin legte hiergegen am 23.12.2009 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, dass ihr wegen einer Verletzung eine Teilnahme am Berufsleben nicht mehr möglich sei.

Die Beklagte holte ein unfallchirurgisches Gutachten bei Dr. Sch. ein, welches auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 08.02.2010 basiert. Dr. Sch. diagnostiziert eine Minderbelastbarkeit des linken Schultergelenkes bei degenerativen Veränderung des Muskelsehnenmantels mit arthroskopischer Dekompressions-OP im Mai 2008 und zum Untersuchungszeitpunkt mäßiggradig eingeschränkter Beweglichkeit sowie einen flachen Bandscheibenvorfall C 5/6 ohne Bewegungseinschränkung, ohne Nervenwurzelreizzeichen und ohne neurologische Ausfallerscheinungen, eine operierte Engpass - Symptomatik des linken Mittelhandnervs im Mai 2008 und eine bisher konservativ behandelte Engpass - Symptomatik des rechten Mittelhandnervs. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2010 zurück.

Am 31.05.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Der Neurologe und Psychiater Dr. Z. hat am 01.07.2010 mitgeteilt, dass er infolge eines chronifizierten Schmerzsyndroms, einer Schlafstörung, einer Angststörung und einer anhaltenden Dysthymia von einem unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgehe. Der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. R. hat ausgeführt, dass leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden könnten. Der Arzt für Anästhesiologie und spezielle Schmerztherapie Dr. M. hat am 08.07.2010 angegeben, dass lediglich zwei Untersuchungen stattgefunden hätten und keine aktuelle Beurteilung abgegeben werden könne. Der Diplompsychologe und Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. hat am 12.07.2010 mitgeteilt, dass er die Klägerin lediglich nur einmalig gesehen habe und eine ausreichende Aussage über das Leistungsvermögen nicht abgeben könne.

Das SG hat daraufhin Dr. B., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin mit der Erstellung eines sozialmedizinisch-nervenärztlichen Fachgutachtens von Amts wegen beauftragt. In ihrem am 09.03.2011 erstellten Gutachten ist Dr. B. zu dem Ergebnis gekommen, dass gegenwärtig von einer qualitativen und quantitativen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit auszugehen sei. Dr. B. hat anhaltende Schmerzen bei Gewebeschädigung mit psychischer Mobilität, "Fehlverarbeitung", malaktives Verhalten sowie eine Dysthymia diagnostiziert. Das Krankheitsbild sei nach einer nervenärztlichen Erfahrung erfolgreich behandelbar, so dass die Klägerin wieder in die Lage kommen könnte, mindestens sechs Stunden täglich berufstätig zu sein. Auf Anfrage des Gerichts hat Dr. B. am 13.07.2011 mitgeteilt, dass bei adäquater Therapie eine Besserung und Behebung der quantitativen Leistungsminderung innerhalb von längsten sechs Monaten erreicht werden könne. Nachdem von Seiten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Einwände und Fragen an die Gutachterin gestellt wurden (Blatt 111 bis 113 der SG Akte), wurde eine weitere ergänzende Stellungnahme von Dr. B. am 10.10.2011 erstellt. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 115 bis 119 der SG - Akte verwiesen.

Das SG hat Dr. Z. als behandelnden Neurologen und Psychiater nochmals befragt. Er hat mit Schreiben vom 28.10.2011 geantwortet, bei der Klägerin liege eine anhaltende Dysthymia vor im Sinne einer Depression auch mit Ängsten und Körpermissempfindungsstörungen. Es habe sich im Laufe der Behandlung eine leichte Stabilisierung eingestellt, aber keine durchgreifende Besserung.

Das SG hat mit Urteil vom 12.12.2011 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2009 bis zum 31.08.2012 zu gewähren. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass nach dem nachvollziehbaren Gutachten von Dr. B. eine quantitative Leistungsminderung eingetreten sei. Die von Dr. B. gewonnenen Ergebnisse würden auch durch die sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. Z. gestützt. Dass die therapeutischen Mittel derzeit noch nicht ausgeschöpft seien, ändere nichts daran, dass die Klägerin erwerbsgemindert sei. Dieser Umstand führe lediglich dazu, dass die Rente jedenfalls zu befristen sei, da eine Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit nicht unwahrscheinlich sei. Es werde nicht verkannt, dass die Verdeutlichungsneigung der Klägerin das bei einer Rentenuntersuchung übliche Maß übertroffen habe. Dr. B. habe diese Feststellung jedoch in ihre Bewertung einbezogen.

Die Beklagte hat am 16.02.2012 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, dass dem Gutachten von Dr. B. nicht gefolgt werden könne. Die von Dr. B. als Begründung der Erwerbsminderung herangezogene seelisch verursachte Minderbelastbarkeit der linken oberen Extremität führe nicht zu einer quantitativen Leistungseinschränkung, da die Klägerin Rechtshänderin sei. Des Weiteren habe sich nach dem Gutachten von Dr. Sch. weder eine Muskelminderung im Bereich der linken Schulter noch im Bereich des linken Armes oder der Hand gefunden. Diese Feststellungen sprächen gegen eine konstante Schonung. Auch habe die Verdeutlichungsneigung der Klägerin das bei Rentenuntersuchung übliche Ausmaß übertroffen. Bei der Beschwerdeschilderung hätten sich mehrfach Unklarheiten ergeben und die Gutachterin selbst habe von Täuschungsversuchen gesprochen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Dr. B. zum Ergebnis kommt, dass die Klägerin im Augenblick nicht über eine für den Arbeitsmarkt taugliche körperliche und seelische Leistungspräsenz verfüge. Die Beschreibung des psychischen Befundes bei immerhin fünfstündiger Untersuchung habe keine Auffälligkeiten erkennen lassen. Aufgrund der widersprüchlichen Beurteilung von Dr. B., die letztlich eine überzeugende und nachvollziehbar Begründung schuldig bleibe, sei ihr Gutachten als Entscheidungsgrundlage nicht geeignet. Zu einer fundierten abschließenden Beurteilung sei die Einholung eines erneutes Gutachten im Rahmen der gerichtlichen Sachaufklärung erforderlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 12.12.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, der Klägerin über den 31.08.2012 hinaus bis zum 31.08.2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Klägerin hat zur Berufungserwiderung angeführt, dass das erstinstanzliche Urteil fehlerfrei und in der Beweiswürdigung nachvollziehbar festgestellt habe, dass sie nicht mehr in der Lage sei, regelmäßig sechs Stunden zu arbeiten. Soweit sich die Beklagte auf das Gutachten von Dr. Sch. stütze, sei darauf hinzuweisen, dass die maßgeblichen Feststellungen auf nervenfachärztlichem Gebiet lägen. Am 26.03.2012 hat die Klägerin Anschlussberufung eingelegt.

Der Senat hat ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. St. von Amts wegen eingeholt. In seinem aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 02.07.2012 erstellten Gutachten kommt Dr. St. zu dem Ergebnis, dass ein Impingement-Syndrom des linken Schultergelenkes vorliege. Auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet lägen keine Gesundheitsstörungen vor. Die Klägerin sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich einer regelmäßigen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 26.09.2012 vorgetragen, dass ein wesentlicher Untersuchungsmangel vorliege. Dr. St. habe die Tochter der Klägerin nicht als Dolmetscherin zu der Untersuchung zugelassen. Die Klägerin habe Schwierigkeiten, sich ohne Dolmetscher in der deutschen Sprache auszudrücken. Sie sei auch nur eingeschränkt des Lesens und des Schreibens in Deutsch mächtig. Es sei davon auszugehen, dass bezüglich der psychischen Probleme der Klägerin keine ausreichende Exploration erfolgt sei. Auch habe sie bei der Schilderung ihrer Biographie auf die schlimmen Erlebnisse hingewiesen, die dann letztlich auch zu der Anerkennung als Asylantin geführt hätten. Ihr Vater habe sie in Laos von zuhause weggeschickt, um sie zu schützen. Als sie zurückgekommen sei, sei der Vater vor ihren Augen von den Roten Khmer erschossen worden. Es dränge sich die Frage auf, ob und inwieweit nicht eine lavierte posttraumatische Belastungsstörung vorliege.

Dr. St. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.10.2012 ausgeführt, dass eine Verständigung auch mit Spontanschilderungen durchaus möglich gewesen sei. Es sei strikt abzulehnen und werde auch von den Fachgesellschaften und der Rechtsprechung so gesehen, dass bei psychiatrischen Gutachten Familienangehörige als "Dolmetscher" fungierten. Dies bleibe den professionell tätigen Dolmetschern vorbehalten. Begutachtung würden von ihm stets beendet, wenn eine adäquate Verständigung nicht möglich sei. Es würden dann zu einem neuen Termin vereidigte Dolmetscher beigezogen. Dies sei jedoch nicht notwendig gewesen. Die Klägerin habe bei der Schilderung, dass sie den Tod ihres Vaters in ihrer Heimat miterlebt habe, psychologisch völlig normal mit Tränen in der Schilderung reagiert. Wenn eine solche Erinnerung zeitlebens zu Tränen führe, sei dies psychiatrisch normal und keine Krankheit. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege nicht einmal ansatzweise vor. Es sei psychiatrisch abwegig, Jahrzehnte später mit früheren Erlebnissen, die nie zu psychischen Beeinträchtigung oder auch Arbeitsstörung geführt hätten, eine Leistungsminderung begründen zu wollen.

Hiergegen hat sich wiederum die Klägerin mit Schriftsatz über ihren Prozessbevollmächtigten vom 04.12.2012 geäußert. Sie spreche und verstehe nur eingeschränkt deutsch. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob in diesem Fall nicht eine Untersuchung mit Dolmetscher hätte erfolgen müssen.

Der Senat hat Dr. M. mit der Erstellung eines neurologisch - psychiatrischen Gutachtens von Amts wegen beauftragt. In ihrem aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 26.06.2013 unter Heranziehung einer Dolmetscherin erstellten Gutachten hat Dr. M. eine Pseudoparese des linken Gegenarmes im Rahmen eines chronischen Schmerzsyndroms diagnostiziert. Leichte Tätigkeiten seien auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche zumutbar.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren einzelnen Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagen, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist statthaft und zulässig und in der Sache auch begründet. Dagegen ist die Anschlussberufung der Klägerin unbegründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 30.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2009 bis zu 31.08.2012 zu gewähren. Der Bescheid vom 30.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sowie unter Berücksichtigung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche verrichten kann. Die Klägerin ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Dr. Sch. hat bei ihrer im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erfolgten Untersuchung der Klägerin eine Minderbelastbarkeit des linken Schultergelenkes mit zum Untersuchungszeitpunkt mäßiggradig eingeschränkter Beweglichkeit sowie einen flachen Bandscheibenvorfall C 5/6 ohne Bewegungseinschränkung, ohne Nervenwurzelreizzeichen und ohne neurologische Ausfallerscheinung als Befund erhoben. Diese Gesundheitsstörungen führen zum Ausschluss von Tätigkeiten mit häufigen Überkopfarbeiten, Arbeiten in Armvorhaltungen sowie Heben und Tragen und Bewegen von Lasten über zehn Kilogramm. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens können die bei der Klägerin bestehenden Einschränkung auf orthopädischem Fachgebiet nach Überzeugung des Senats jedoch nicht rechtfertigen. So ist insbesondere festzustellen, dass weder im Bereich des rechten noch im Bereich des linken Armes oder der Hand eine Muskelminderung besteht. Die von der Klägerin angegebene Sensibilitätsstörung am gesamten linken Arm und die Kraftschwächung in der linken Hand waren bei der Untersuchung durch Dr. Sch. nicht objektivierbar. Bezüglich des Bandscheibenvorfalls C 5/6 ist eine quantitative Leistungseinschränkung ebenfalls nicht zu erkennen. Die Halswirbelsäule war bei der Untersuchung in allen Ebenen frei beweglich ohne Schmerzangabe und ohne objektivierbare neurologische Ausfallerscheinung. Insgesamt ergab die Untersuchung eine deutliche Diskrepanz zwischen den objektiven Befunden und der subjektiven Beschwerdewahrnehmung. Der Senat hält die Bewertung von Dr. Sch. für nachvollziehbar und überzeugend und schließt sich der Meinung der Sachverständigen an.

Auch auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine Einschränkung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht nicht gegeben ist. Der Senat nimmt hierzu auf die schlüssigen und fachlich nicht zu beanstandenden Ausführungen der Gutachterin Dr. M. in ihrem Gutachten vom 26.06.2013 Bezug. Dr. M. konnte ebenso wie Dr. St. bei ihrer Untersuchung keine Hinweise auf eine psychiatrische Erkrankung feststellen. Eine Antriebsstörung, ein sozialer Rückzug oder Konzentrations- bzw kognitive Einschränkungen lagen nicht vor. Auch eine posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tod des Vaters konnte nicht bestätigt werden. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung setzt nach den Kriterien des ICD 10 F. 43.1 eine verzögerte oder protahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß voraus, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Über ein derartiges Ereignis oder eine derartige Situation hat die Klägerin bei den behandelnden Ärzten oder der Begutachtung durch Dr. B. zu keinem Zeitpunkt berichtet. Schließlich hat sie weder gegenüber den Gerichtssachverständigen noch gegenüber den behandelnden Ärzten angegeben, an den für eine posttraumatische Belastungsstörung typischen sog. flashbacks, also dem beharrlichen Wiedererleben des Ereignisses in Form von Wiedererinnern oder Träumen, zu leiden. Die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung sind damit unzweifelhaft nicht erfüllt. Dr. M. kommt somit nach Überzeugung des Senats zutreffend zu dem Ergebnis, dass eine psychiatrische Störung vom Krankheitswert nicht vorliegt. Die Begutachtung bei Dr. M. erfolgte auch unter Heranziehung einer Dolmetscherin, so dass die Frage, ob die Deutschkenntnisse der Klägerin eine Exploration ohne Hinzuziehung eines Dolmetschers nicht zulassen und daher das Gutachtgen von Dr. St. einen Untersuchungsmangel beinhaltet, dahingestellt bleiben kann.

Der Senat vermag dagegen nicht der Einschätzung der Gutachterin Dr. B. zu folgen. Die Diagnose einer Dysthymia und die von Dr. B. erhobenen Hinweise für eine psychogene Bewegungsstörung reichen nicht für die Annahme einer Erwerbsminderung aus. Eine Dysthymia stellt lediglich eine leichtgradige psychiatrische Beeinträchtigung dar. Zudem besteht eine Diskrepanz zwischen den von Dr. B. erhobenen Befunden und der von ihr getroffenen Leistungseinschätzung. So wird im psychiatrischen Befund eine ausgeglichene Stimmungslage mit zeitweiser Verstimmung durch die Schmerzen aber ohne Beeinträchtigung durch Ängste oder Antriebsstörung und ohne Einschränkung des Gedächtnis und der Konzentration geschildert. Zudem werden die starken Verdeutlichungstendenzen bezüglich der Einschränkungen im Bereich der linken Schulter auch von Dr. B. aufgezeigt. Die anamnestischen Angaben von Dr. B. belegen, dass die Klägerin noch in der Lage ist, Kontakte mit Landsleuten und Bekannten zu pflegen und daher eine soziale Isolation und ein sozialer Rückzug nicht vorliegen. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass die Gutachterin eine Dysthymia sowie eine Schmerzfehlverarbeitung diagnostiziert und eine quantitative Leistungseinschränkung annimmt, zugleich jedoch in einer Anmerkung auf der Seite 28 ihres Gutachtens ausführt, dass eine quantitative Einschränkung nur in Fällen mit mittelschwerer bis schwerer Ausprägung und bei bereits erfolgter Chronifizierung des Krankheitsbildes anzunehmen sei. Zudem seien mehrere erfolglose Behandlungsversuche zu fordern. Die von Dr. B. erhobenen Befunde sind nur leichtgradig und vermögen daher nach der von der Gutachterin selbst zitierten Literatur eine quantitative Leistungseinschränkung nicht zu begründen. Dr. B. hat zudem mitgeteilt, dass sich die von ihr angenommene Leistungsminderung innerhalb von sechs Monaten beheben lasse. Es liegt daher keine dauerhafte, sondern lediglich eine vorübergehende Einschränkung vor, welche jedoch eine Erwerbsminderung nicht begründen kann (vgl Bayerisches LSG, 21.03.2012, L 19 R 35/08, juris). Dass eine adäquate Behandlung derzeit nicht stattfindet, zeigen auch die sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte. So hat beispielsweise der Schmerztherapeut Dr. M. mitgeteilt, dass er die Klägerin lediglich zweimal behandelt habe und daher eine adäquate Aussage über das Leistungsvermögen nicht abgeben könne. Auch der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. hat die Klägerin lediglich einmal gesehen. Nach der Aussage von Dr. R. sind der Klägerin noch leichte Tätigkeiten vollschichtig möglich.

Durch die vom Senat durchgeführte Beweiserhebung ist die Leistungseinschätzung des behandelnden Arztes Dr. Z. widerlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu, als die Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen. Die häufig auch an die behandelnden Ärzte gerichtete Frage nach der Erwerbsfähigkeit eines Versicherten dient in erster Linie dazu, dem Gericht die Entscheidung über weitere Beweiserhebung von Amts wegen zu erleichtern. Ist selbst nach Meinung der behandelnden Ärzte eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen, kann häufig auch die "nochmalige" Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet werden. Auch soweit Dr. Z. von einem chronifizierten Schmerzsyndrom, einer Schlafstörung, einer Angststörung sowie einer anhaltenden Dysthymia mit einem eingeschränkten Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden ausgeht, folgt der ihm der Senat nicht. Diesbezüglich hat Dr. M. nach Auffassung des Senats schlüssig dargelegt, dass eine Erkrankung von erwerbsmindernder Relevanz auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet nicht vorliegt.

Der Senat konnte sich somit auch davon überzeugen, dass die von Dr. Sch. und Dr. M. genannten Gesundheitsstörungen vorliegen. Diese Gesundheitsstörungen führen aber nicht zu einem in zeitlicher Hinsicht eingeschränkten Leistungsvermögen der Kläger für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen und Einschätzungen der Gutachten von Dr. Sch. und Dr. M. an. Die Klägerin ist mithin in der Lage, unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkung leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche auszuüben.

Bei der noch vorhandenen Leistungsfähigkeit der Klägerin - leichte Arbeiten mindestens 6-stündig - muss der Klägerin eine konkrete Tätigkeit, die sie noch verrichten kann, nicht benannt werden. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, die der Versicherte mit seinem Leistungsvermögen noch auszuüben vermag, wird von der Rechtsprechung des BSG jedenfalls in den Fällen für erforderlich gehalten, in denen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG Großer Senat (GS) BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8). Für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, gibt es keinen konkreten Beurteilungsmaßstab. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Daher ist eine genaue Untersuchung erforderlich, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (BSG Urteile vom 19. August 1997 - 13 RJ 55/96 - und vom 30. Oktober 1997 - 13 RJ 49/97). Die Pflicht zur konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit hängt von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss dargelegt werden, welche Tätigkeiten der Versicherte noch verrichten kann.

Die Klägerin kann zwar nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sowie nach dem Gutachten im Verwaltungsverfahren bestimmte Tätigkeiten nicht mehr durchführen. Diese sogenannten qualitativen Einschränkungen gehen noch nicht über das hinaus, was bereits mit der Begrenzung des Leistungsvermögens auf nur noch leichte Arbeiten erfasst wird. Häufige Überkopfarbeiten, Arbeiten in Armvorhaltungen sowie Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über zehn Kilogramm (Gutachten Dr. Sch.) sind bereits nicht mehr als leicht zu bezeichnen. Die bei der Klägerin bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen, die sämtlich nicht ungewöhnlich sind, lassen keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass diese noch wettbewerbsfähig in einem Betrieb einsetzbar ist. Aus den bestehenden Einschränkungen ergeben sich damit weder schwere spezifische Leistungsbehinderungen noch stellen die qualitativen Leistungseinschränkungen eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkung (vgl. BSG 11.03.1999, B 13 RJ 71/97 R, juris) dar. Die Klägerin ist auch noch in der Lage, täglich eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen, sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht aus den Gutachten von Dr. Sch. und Dr. M. hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht.

Die Klägerin ist damit nach Überzeugung des Senats noch in der Lage, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und unter Beachtung der dargestellten qualitativen Leistungseinschränkung zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden an fünf Tagen pro Woche zu verrichten. Dieses Leistungsvermögen besteht nach Überzeugung des Senats seit dem 11.09.2009 und seither durchgehend. Mit diesem Leistungsvermögen ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert (§ 43 Abs 2 SGB VI); sie hat damit kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist (vgl § 240 SGB VI), dass sie vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig wäre. Da die Klägerin zuletzt als Holzzuschneiderin und damit als ungelernte Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt war, ist sie - selbst wenn sie ihre letzte Tätigkeit nicht mehr ausüben könnte - auf sämtliche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeiten verweisbar. Damit kann die Klägerin auf sämtliche leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Derartige leichte Tätigkeiten kann sie aber - wie dargelegt - arbeitstäglich noch sechs Stunden und mehr verrichten.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für den Entscheidung des Senats. Das Gutachten von Dr. M. sowie das Verwaltungsgutachten von Dr. Sch. haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebung waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, das Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Abs 2 Nr. 1 u. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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