L 9 R 4741/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1718/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4741/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. August 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1967 geborene Kläger verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war zuletzt als Maschinenarbeiter, Schlosser, Eisenbinder und Siebdrucker beschäftigt. Am 26.08.2005 erlitt er mit seinem Motorrad einen Verkehrsunfall und bezog ab dem 07.10.2005 Krankengeld. Er zog sich hierbei ein Polytrauma mit einer Beckenringfraktur links, eine offene Pilon-Tibialfraktur links, eine Scapulafraktur links und multiple Fußfrakturen links zu. Die Erstversorgung mit Fixateuren erfolgte im S.-B.-Klinikum V.-S ... Es erfolgte dort eine Osteosynthese der Beckenfraktur mit zusätzlichem Fixateur intern von L 5 bis S 1 und die Versorgung mit einer Verschiebelappenplastik am Unterschenkel mit Hautverpflanzung vom Oberschenkel. Wegen einer verzögerten Frakturheilung des Unterschenkels und zunehmender Dislokation der Fraktur war am 08.02.2006 eine erneute Osteosynthese mit winkelstabiler Platte und Spongiosaplastik sowie Fibulaprotibia-Plastik erforderlich. Im März 2008 wurde das Metall am Becken und Unterschenkel entfernt.

Der Kläger beantragte am 29.06.2006 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zuvor befand er sich im Rahmen einer stationären Rehabilitation vom 23.03.2006 bis 20.04.2006 in der Rehabilitationsklinik H., B.-B ... Im einheitlichen Reha-Entlassungsbericht vom 26.04.2006 war unter der Annahme eines im Weiteren unkomplizierten Heilungsverlaufes nach Abschluss der Rekonvaleszenz davon ausgegangen worden, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tag-, Früh-, Spät- und Nachtschicht, ohne regelmäßiges Klettern und Steigen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Arbeiten mit Absturzgefahr, ohne häufige Körperzwangshaltungen voraussichtlich vollschichtig innerhalb der nächsten sechs Monate werde ausüben können. Eine genaue zeitliche Zuordnung lasse sich aktuell noch nicht treffen. Nachdem Privatdozent Dr. T. (Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im S.-B.-Klinikum V.-S. GmbH) nach einer ambulanten Untersuchung am 01.06.2006 in seinem Befundbericht vom 02.06.2006 mitgeteilt hatte, dass eine vollschichtige Arbeitszeit jetzt möglich sei, wenn der Kläger eine sitzende Tätigkeit ausüben könne, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.08.2006 nach Anhörung ihres Beratungsarztes H.-L. (Stellungnahme vom 17.08.2006) die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Auf den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch veranlasste die Beklagte die gutachterliche Untersuchung durch den Arzt für Orthopädie Dr. R. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 20.02.2007 einen Zustand nach Polytrauma vom 26.08.2005 mit zweitgradig offener pilon-tibialer Fraktur links, knöchern konsolidiert, eine Beckenringfraktur (C-Fraktur) links mit Osteosynthese am 09.09. und 26.09.2005, eine Querfortsatzfraktur L4 und L5 links ohne radikuläre Ausfälle, eine Fraktur der fünften Rippe rechts, eine Fraktur am diametaphysären Übergang der Basis der Grundphalanx D4 links und eine Impressionsfraktur Metatarsaleköpfchen D5 (knöchern konsolidiert) fest. Außerdem beschrieb er eine fissurale Scapulafraktur (Glenoid) links, einen Zustand nach mesh graft am linken Unterschenkel und der Entnahme der Spalthaut vom Oberschenkel links am 16.09.2005 sowie eine Peroneusläsion links. Im Unterschenkelbereich sei eine knöcherne Konsolidierung eingetreten, das Metall sei entfernt. Der distale Unterschenkel zeige eine Varuskippung mit Weichteilstrukturdefekt. Zum Begutachtungszeitpunkt sei eine Vollbelastung erreicht worden. Neurologisch bestehe eine aktenkundige Peroneusparese links sowie eine deutliche Funktionseinschränkung des oberen Sprunggelenkes in allen Qualitäten. Nach der erfolgten Osteosynthesemaßnahme im Beckenbereich nach Beckenfraktur, Querfortsatzfraktur L4/5 links sowie entsprechender Osteosynthese und Fixateur interne sei eine Metallentfernung für das Frühjahr 2007 geplant. In seiner zuletzt überwiegend im Stehen und im Gehen ausgeübten Tätigkeit als Siebdrucker bestehe ein quantitatives Leistungsvermögen von unter drei Stunden. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnten dem Kläger körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen ohne regelmäßiges Klettern und Steigen, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Arbeiten mit Absturzgefahr oder häufige Körperzwangshaltungen, ohne überwiegend gebückte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr zugemutet werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2007 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 02.05.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben.

Das SG hat zunächst den Chirurgen G. die Fachärztin für Allgemeinmedizin E., die Chirurgen Dres. S./P. und den Facharzt für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. als sachverständige Zeugen gehört. Wegen der gemachten Angaben wird auf Bl.19 ff., 24 f., 32 ff. und 40 der Akten des SG verwiesen.

Ferner hat das SG Beweis erhoben durch das Einholen eines traumatologischen Fachgutachtens bei Dr. G., Rottweil. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 01.08.2008 eine unter asymmetrischer Höhenverschiebung knöchern konsolidierte, ehemals instabile Beckenverletzung mit einer dislozierten Os sakrum-Fraktur dorsalseitig und vorne einer Symphysensprengung und vorderer Beckenringfraktur sowie in diesem Zusammenhang auch eine Abrissfraktur der Querfortsätze der LWK 4 und 5 links festgestellt. Die Frakturen seien unter einer leichten Fehlstellung mit massiver Callusbildung fest knöchern konsolidiert, die Metallimplantate seien weitestgehend entfernt worden. Des Weiteren bestehe eine drittgradig offene Unterschenkelfraktur mit Pilonbeteiligung nach zweimaliger Osteosynthese unter einem Achsknick von 8°, die knöchern konsolidiert sei. Die Gelenkfläche der Tibia sei gering stufig, entsprechend habe sich eine ausgeprägte posttraumatische Arthrose des oberen und auch des unteren Sprunggelenkes ausgebildet. Wohl mehr als Folge der Beckenfraktur resultiere eine Beinverkürzung links von 3 cm. Das Barfußgangbild sei stark hinkend, sowohl aufgrund der Beinverkürzung als auch aufgrund der aufgehobenen Abrollbewegung im oberen und unteren Sprunggelenk sowie den weiterhin deutlich vorhandenen Folgen einer Nervus Peroneusläsion links. Im Versorgungsgebiet dieses Nervens, aber auch im Bereich der transplantierten Hautareale bestehen deutliche Sensibilitätsstörungen bis -defekte. Die Fraktur der fünften Rippe sowie die Querfortsatzfrakturen L4 und L5 sowie eine Fissur am linken glenoidalen Skapularrand seien ohne weitere Folgen fest knöchern konsolidiert. Funktionell folgenlos abgeheilt seien die Mittelfußfrakturen links. Es bestehe eine nachvollziehbare Schmerzsymptomatik vor allem im Bereich der unteren LWS und des Beckens, nach längerem Gehen auch im Bereich des linken Unterschenkels. Funktionell seien durch diese Frakturen einmal jegliches Bücken vor allem unter Last, das Tragen von Lasten, andererseits auch das lange Stehen oder das Bewältigen längerer Gehstrecken kontraproduktiv. Es bestünden erhebliche qualitative Leistungseinschränkungen. In seinem Beruf als Siebdrucker sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Generell bestehe nur noch eine Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen. Vorläufig gehe er von einer Einschränkung auf einen Zeitraum von maximal sechs Stunden täglich bei fünf Tagen in der Woche aus. Mit Hilfe eines Handstockes könne er Gehstrecken von 500 m überwinden, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei möglich. Er könne zudem problemlos für kürzere Strecken das Auto nutzen, weshalb die Wegefähigkeit nicht den limitierenden Faktor darstelle. Er hat ausgeführt, dass die schwere Verletzung des Beckens im hinteren Anteil unter Beteiligung der unteren Lendenwirbelsäule und des Sitzbeines auch längeres Sitzen unmöglich machten. Es seien daher immer wieder Pausen notwendig, in denen sich der Kläger kurz hinlegen und ausruhen müsse. Ob auf längere Sicht eine weitere Besserung eintrete, müsse abgewartet werden.

Für die Beklagte hat die Fachärztin für Chirurgie Z. Stellung genommen und die Auffassung vertreten, dass eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens aufgrund der mitgeteilten Untersuchungsbefunde im Gutachten in der Zusammenschau mit den bestehenden Vorbefunden aus dem Gutachten vom 20.02.2007 und dem Reha-Entlassungsbericht vom 26.04.2006 nicht herzuleiten sei. Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen am Arbeitsplatz, der mit einem handelsüblichen höhen- und schrägenverstellbaren Stuhl ausgestattet sein sollte, halte sie den Kläger für fähig, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung und überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen über sechsstündig in Früh- und Spätschicht zu verrichten. Auszuschließen seien Wirbelsäulenzwangshaltungen, das Ersteigen von Leitern und Gerüsten, sowie das häufige Gehen auf unebenen Böden. Vermehrtes Hocken und Knien seien ebenfalls zu vermeiden. Die Gehfähigkeit sei nicht in rentenrelevantem Maß eingeschränkt, öffentliche Verkehrsmittel könnten genutzt werden, wie auch der eigene PKW.

Der Kläger hat u.a. den Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis M./E. vom 26.08.2008 vorgelegt (Zustand nach Osteosynthese mit Verblockungen von LWK 4/5, ausgeprägte Osteochondrose bei L5/S1, alter Bohrkanal bei Zustand nach Fraktur des Os sacrum links, es finde sich links bei L4/5 eine weit gestellte Wurzeltaschenzyste, ein Bandscheibenvorfall werde nicht gesehen, insbesondere das Neuroforamen der L4-Wurzel rechts sei normal weit, auch das Neuroforamen der L5-Wurzel sei nicht eingeengt, bei L5/S1 geringgradige Bandscheibenprotrusion ohne Wurzelkompression, ebenso bei L3/4, die übrigen lumbalen Bandscheiben seien unauffällig).

Dr. G. hielt in seiner vom SG veranlassten ergänzenden Stellungnahme vom 12.01.2009 an seiner Auffassung fest. Von der Beklagten werde der Zustand nach Beckenfraktur Typ C nicht ausreichend gewürdigt. Der gesamte Komplex der geschilderten Frakturen spiele sich in einem Bereich ab, der nicht in funktionellen Ausschlägen messbar sei, es handele sich um den statischen, tragenden Teil des Beckenrings, einschließlich des Iliosacralgelenks. In seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung der Schmerzen, die im Laufe des Tages zunähmen, stelle sich der Befund eben doch als quantitative Leistungsbeschränkung dar. Schließlich habe der Antragsteller auch anamnestisch angegeben, dass er seine Tätigkeit immer wieder unterbrechen müsse und sich immer wieder hinlegen müsse, weshalb er dies in seine Anamnese aufnehmen und in die Gesamtüberlegung mit einbeziehen müsse. Dass sich der Kläger während der Untersuchung, die sich über eindreiviertel Stunden hingezogen habe und im Sitzen und Liegen stattgefunden habe, nicht sonderlich habe anstrengen müssen und daher auch keine Pausen und Unterbrechungen notwendig gewesen seien, beweise nichts. Nach drei Jahren bestehe sowohl am Ober- wie auch am Unterschenkel noch ein Muskeldefizit von 6 cm, was bei freier Hüft- und Kniegelenksbeweglichkeit doch für eine eindeutig schmerzbetonte Schonung des Beines spreche. In einem Aktenvermerk der Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen über eine telefonische Nachfrage bei Dr. G. ist festgehalten worden, dass Dr. G. ein sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen weiterhin annehme. Der Kläger könne nicht länger sitzen oder stehen. Aufgrund des schiefen Beckenstands und der eingetretenen Verplumpungen und Versteifungen erfordere jede Körperhaltung eine erhöhte Anstrengung. Auf eine weitere schriftliche Anfrage des SG teilte Dr. G. unter dem 02.03.2009 mit, dass aufgrund der besonders erforderlichen Kraftanstrengung unter einem Dauerschmerz, welcher unter Belastung zunehme, eine Leistungsfähigkeit von maximal sechs Stunden bestehe. Es sei daher nach den gesetzlichen Vorgaben das Zeitfenster zwischen mindestens drei Stunden und sechs Stunden als Obergrenze anzunehmen. Nur in diesem Zeitfenster sei der Kläger fähig, unter realen Bedingungen einer tagtäglichen Arbeitsbelastung nachzukommen. Darüber hinaus bestehe seiner Ansicht nach die Notwendigkeit einer mindestens zehnminütigen Pause alle zwei Stunden, bzw. abhängig von den Schmerzattacken.

Im Termin der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2009 hat die Beklagte dem Kläger eine Rehabilitation in der Rehaklinik S., D., bewilligt und die Beteiligten haben dem Ruhen des Verfahrens (Anordnung mit Beschluss des SG vom 28.04.2009) zugestimmt. Das Verfahren wurde auf Antrag der Beklagten mit Schreiben vom 21.09.2009 fortgeführt, nachdem sich der Kläger vom 30.07.2009 bis 20.08.2009 in stationärer Behandlung der Rehaklinik S. befunden hat. In deren Reha-Entlassungsbericht vom 07.09.2009 wurde "unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Unterlagen" und Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen von einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ausgegangen.

Der Kläger hat sodann den Bericht der Mediankliniken B. K. vom 13.07.2007 über eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) zur Ermittlung des allgemeinen Leistungsbildes nach dem Motorradunfall vom 26.08.2005 (Zeitraum vom 12.07. bis 13.07.2007) vorgelegt. Dort wurde unter Darlegung funktioneller Einschränkungen von einem Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeit von sechs Stunden und mehr ausgegangen. Der Kläger hat weitere medizinische Unterlagen vorgelegt (Bl.181 bis 186 der Akten des SG).

Das SG hat daraufhin den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie K., Oberndorf, als sachverständigen Zeugen gehört (Diagnosen: Posttraumatische Belastungsstörung, Angst und depressive Störung, gemischt, Erstgespräch am 11.11.2009, die Intrusionen hätten sich nach fünf probatorischen Sitzungen zurückgebildet) und Dr. H. S., mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens beauftragt.

Dr. H. hat in seinem Gutachten vom 11.06.2010 ausgeführt, dass der Kläger aufgrund von schmerzhaften Funktionsstörungen der Lenden-, Beckenregion nach knöcherner Verletzung im Bereich der unteren Lendenregion und des Beckens und Ausheilung mit Defekt sowie einer schmerzhaften Funktionsstörung des linken oberen und unteren Sprunggelenks nach knöcherner Verletzung und nachfolgender Früharthrose sowie schmerzhaften Funktionsstörungen des linken Schultergelenks nach operativer Behandlung einer Teilrissbildung der Rotatorenmanschette noch in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit von sechs Stunden täglich nachzugehen. Dabei lege er zugrunde, dass der Kläger im Privatleben durchaus beispielsweise im Haushalt Belastungen auf sich nehme, die im Erwerbsleben in einer leidensgerechten Tätigkeit nicht überschritten würden. Der Kläger fahre im Privatleben sogar gelegentlich wieder Motorrad. Unter Berücksichtigung aller anamnestischen Angaben sei er selbst nicht davon überzeugt, dass betriebsunübliche Pausen benötigt würden.

Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.08.2010 Einwendungen erhoben.

Mit Urteil vom 24.08.2010 (vgl. Berichtigungsbeschluss vom 19.10.2010) hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht vorlägen. Der Kläger könne jedenfalls leichte Erwerbsarbeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechsstündig ausführen. Das Gericht folge insoweit den Beurteilungen in den Gutachten von Dr. H. und Dr. R.

Gegen das ihm am 07.09.2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.10.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, dass er aufgrund der erlittenen Verletzungen und wegen des Beckenschiefstandes nicht über einen längeren Zeitraum am Stück sitzen könne. Dies traue er sich etwa zehn Minuten ohne Anlehnen bzw. Auflehnen zu. Mit Anlehnen bzw. Auflehnen 20 Minuten. Die diesbezüglichen Ausführungen im Gutachten von Dr. H. seien falsch. Er könne zudem auch nicht mehr als wenige 100 m am Stück gehen. Er müsse dabei einen Gehstock nützen. Er leide unter erheblichen Schmerzen. Drei- bis viermal die Woche müsse er Schmerzmittel einnehmen, selbst wenn er nur gewöhnliche Verrichtungen des Alltags erledige. Während eines von ihm Anfang 2010 freiwillig ausgeübten Praktikums habe er sich im Zeitraum vom 01. bis 26.02.2010 insgesamt siebenmal zur Schmerzbehandlung bei seinem Hausarzt befunden. Er habe in dieser Zeit täglich drei Stunden gearbeitet, die Fahrzeit habe eineinhalb Stunden betragen. Vom ersten Tag an seien starke Schmerzen im Bereich des Beckens, der Lendenwirbelsäule und des Sprunggelenks aufgetreten. Bei gewöhnlichen Verrichtungen des Alltages träten erhebliche Probleme auf wie z.B. beim Reifenwechsel, bei Gartenarbeit, beim Schneeräumen, beim Spielen mit den Kindern, beim Putzen etc. Beim Umziehen nehme er regelmäßig eine Schonhaltung ein. Beim Aufschnüren seiner orthopädischen Schuhe habe er Probleme. Seine Frau helfe ihm regelmäßig beim Anziehen. Bei leichter Hausarbeit müssten ausgedehnte Pausen (Hinlegen, bequemes Sitzen, Beine hochlegen, etc.) eingelegt werden. Der Schmerz im rechten Oberschenkel strahle vorne und seitlich aus. Der Dauerschmerz beziehe sich auf den ganzen Fuß und nicht nur auf das obere Sprunggelenk. Die Schwellungen im linken Fuß seien belastungsunabhängig. Die Muskelverschmächtigung am linken Fuß resultiere aus einer Schonhaltung, weil er im Stehen und Gehen überwiegend das rechte Bein belaste. Darüber hinaus leide er immer stärker unter psychischen Beeinträchtigungen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen eines interdisziplinären Sachverständigengutachtens bei Prof. Dr. S., Universität Heidelberg. Prof. Dr. S. kam in seinem Gutachten vom 27.09.2011, welches er unter Berücksichtigung einer psychologischen Evaluation der Diplompsychologin Majewski-Schröder und der vom Kläger überlassenen Gutachten für die Württembergische Gemeindeversicherung Stuttgart erstellt hat, zu dem Ergebnis, dass der Kläger noch in der Lage sei, ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche auszuüben. Er ging dabei von einem in Fehlstellung und Verkürzung verheilten Bruch des körperfernen Unterschenkels links, einer Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes (fortgeschritten mit mittelstarker Bewegungseinschränkung), einer knöchernen Versteifung des linken Iliosacralgelenks unter der Symphyse, einer Beinverkürzung links um 2,5 cm (durch Schuhwerk ausgeglichen), sowie einer Läsion des Nervus peroneus communis links mit Defizit der Oberflächensensibilität im Bereich der linken Oberschenkelaußenseite, der Fußoberfläche und der linken Großzehe sowie einer Kraftminderung der Fuß- und Zehenhebung aus. Sämtliche Gesundheitsschädigungen im Bereich der linken unteren Extremität und des Beckens begründeten eine eingeschränkte Steh- und Gehfähigkeit, ein verlangsamtes Gehtempo und die Notwendigkeit, orthopädische Maßschuhe sowie für längere Gehstrecken eine Gehhilfe zu benutzen. Ferner stellte er eine Blockwirbelbildung L4/5, eine Spondylose L3/4 und eine unvollständige Bandscheibenanlage L5/S1 mit endgradiger Entfaltungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, eine Dysthymie mit unbewältigter Enttäuschung und Verbitterung über die Folgen eines schwerwiegenden Lebensereignisses und Verhaften in einer dauerhaften Opferrolle sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit übermäßiger Beschäftigung mit Schmerzen auch vor dem Hintergrund eines unbewältigten Konfliktes (weiterhin Opfer zu sein oder verlorene Autonomie zumindest teilweise wieder zurückzugewinnen) fest. Die körperlichen Gesundheitsstörungen stünden im Vordergrund. Diese müssten sozialmedizinisch berücksichtigt werden und begründeten näher ausgeführte qualitative Leistungseinschränkungen. Ansonsten sei der Kläger während der zweimaligen gutachterlichen Untersuchung weder kognitiv noch in seiner Konzentrationsfähigkeit noch in seiner gedanklichen Ausdauer wesentlich beeinträchtigt gewesen. Die psychischen Gesundheitsstörungen seien in ihren Auswirkungen aggraviert worden.

Auf die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers (Schriftsatz vom 21.12.2011) hat Prof. S. unter dem 17.01.2012 nochmals ergänzend Stellung genommen.

Der Kläger hat weitere Berichte des S.-B.-Klinikums V.-S. vom 22.12.2011 (cervicale Stenose/cervicale Myelopathie) und vom 07.02.2012 (Empfehlung einer Dekompressionsoperation) vorgelegt.

Vom 05.10.2012 bis 01.11.2012 befand sich der Kläger sodann zur stationären Rehabilitation in der Waldklinik D. Im Abschlussbericht vom 01.11.2012 wird über eine am 18.09.2012 durchgeführte mikrochirurgische Diskektomie in den Segmenten C4/5, C5/6 und C6/7 über einen rechtsseitigen cervicalen Zugang, eine Foraminotomie beidseits in allen drei Etagen, PEEK-Interponate, ebenfalls in allen drei Etagen, das Abtragen ventraler Osteophyten und die ventrale Verriegelungsplattenosteosynthese von C4 bis C7 berichtet. Der postoperative Heilungsverlauf habe sich bisher komplikationslos gestaltet. Bei Entlassung hätten noch rückläufige Restbeschwerden nach mikrochirurgischer Diskektomie in den Segmenten C4/5, C5/6 und C6/7 und Spondylodese von C4 bis C7 am 18.09.2012 wegen einer Softdisc bzw. Harddisc in den Segmenten C4/5, C5/6 und C6/7 sowie erhebliche Restbeschwerden nach Polytrauma am 26.08.2005 nach einem Motorradunfall bestanden. Dem Kläger seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Arbeitshaltung unter Berücksichtigung rückengerechten Verhaltens ohne häufige Zwangshaltungen, ohne häufiges schweres Heben und Tragen und ohne sehr lange Steh- und Sitzbelastungen noch mindestens sechs Stunden zumutbar.

Auch hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22.02.2013 Einwendungen vorgebracht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. August 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab Antragstellung zu gewähren, hilfsweise ihm Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an der von ihr vertretenen Auffassung auch weiterhin fest.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - u. a. - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind.

Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen ist der Kläger nicht seit Juni 2006 erwerbsgemindert und auch nicht berufsunfähig. Letzteres schon deshalb nicht, weil er nach dem 02.01.1961 geboren ist. Darüber hinaus ist er auch nicht außerstande, ihm zumutbare Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Der Senat entnimmt dies im Wesentlichen dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. S. und dessen Einschätzung, zu der er aufgrund einer eingehenden Untersuchung des Klägers und unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den vorliegenden medizinischen Unterlagen gelangt ist. Dieses Gutachten steht zudem in Übereinstimmung mit der Einschätzung von PD Dr. T. und Dr. T., S.-B.-Klinikum V.-S., vom 02.06.2006, dem Gutachten von Dr. Rix vom 20.02.2007, welches der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Sonnhalde vom 07.09.2009, dem Gutachten von Dr. H. vom 11.06.2010 und dem Entlassungsbericht der Waldklinik Dobel vom 01.11.2012.

Beim Kläger liegen demnach zunächst die auf orthopädischem Fachgebiet zu berücksichtigenden Folgen des Motorradunfalles vom 26.08.2005 vor. Als Folgen des dabei erlittenen Polytraumas sind ein in Fehlstellung und Verkürzung verheilter Bruch des körperfernen Unterschenkels links, eine Arthrose des linken oberen Sprunggelenkes (mittelstark ausgeprägt), eine knöcherne Versteifung des linken Iliosakralgelenkes und der Symphyse (Schambeinfuge), eine Beinverkürzung links um 2,5 cm (welche durch entsprechendes Schuhwerk ausgeglichen wird) sowie eine Läsion des Nervus peroneus communis links (welche zu einem Defizit der Oberflächensensibilität im Bereich der linken Oberschenkelaußenseite, der Fußoberfläche und des linken Großzehen sowie zur Kraftminderung der Fuß- und Zehenhebung führt) verblieben.

Darüber hinaus liegen im Bereich der Lendenwirbelsäule eine Blockwirbelbildung L 4/5, eine Spondylose L 3/4 und eine unvollständige Bandscheibenanlage L5/S1 vor, die zu einer endgradigen Einschränkung der Entfaltung der Lendenwirbelsäule führt.

Schließlich liegen die Folgen einer am 18.09.2012 durchgeführten mikrochirurgischen Diskektomie in den Segmenten C 4/5, C 5/6 und C 6 /7 über einen rechtsseitigen cervicalen Zugang, eine Foraminotomie bds. in allen drei Etagen und der Einsatz von PEEK-Interponaten vor. Nach dem vorliegenden Reha-Entlassungsbericht wurde der Kläger nach stationärem Aufenthalt vom 05.10.2012 bis 01.11.2012 mit rückläufigen Restbeschwerden wegen des Eingriffes im Bereich der Halswirbelsäule entlassen. Danach zeigte sich bei der Abschlussuntersuchung ein noch leichter endgradiger links- und rechtsgradiger Rotationsschmerz. Ansonsten bestand kein Bewegungsschmerz, die Paravertebralmuskulatur war unauffällig, die Schulter-Nackenmuskulatur gelockert, ein wesentlicher Druckschmerz war nicht festzustellen. Die neurologische Untersuchung ergab eine Hypästhesie der rechten Daumenkuppe (bei ansonsten im Bereich der oberen Extremitäten fehlenden sensomotorischen Störungen) und des linken Beines am Unterschenkel lateral, am Fußrücken und an den Zehen I und II mit einer deutlichen Fuß- und Zehensenkerschwäche links mit einem Kraftgrad 3-4/5.

Die Gesundheitsschäden im Bereich der linken unteren Extremität und des Beckens begründen eine eingeschränkte Steh- und Gehfähigkeit, ein verlangsamtes Gehtempo und die Notwendigkeit, orthopädische Maßschuhe sowie für längere Gehstrecken auch eine Gehhilfe zu benutzen. Deshalb sind Tätigkeiten nicht mehr zumutbar, die ein längeres, über 15 Minuten hinausgehendes Stehen und Gehen ohne Möglichkeit des Haltungswechsels erfordern. Gleiches gilt für Tätigkeiten, die ein Tragen von Lasten von mehr als 10 kg erfordern oder in dauerhafter Rumpfbeugung, Rumpfseitneigung oder Rumpfdrehung auszuführen sind. Auszuschließen sind darüber hinaus Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder Tätigkeiten, die ein häufiges Treppensteigen erfordern. Hiervon abweichende qualitative Leistungsminderungen lassen sich dem Bericht der Reha-Klinik Dobel nicht entnehmen. Das Leistungsvermögen war auch dort auf eine gewährleistete Wechselbelastung, rückengerechtes Verhalten ohne häufige Zwangshaltungen, ohne häufiges schweres Heben und Tragen (wobei dort das Tragen von 15 bis 20 kg als zumutbar angesehen wurde) und ohne sehr lange Steh- und Sitzbelastungen eingeschränkt gesehen worden. Eine zeitliche Leistungslimitierung lässt sich den auf orthopädischem und neurologischem Fachgebiet bestehenden Einschränkungen daher in Übereinstimmung mit den gehörten Sachverständigen Dr. H. und Prof. Dr. S. nicht entnehmen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr. G ... Soweit dieser unter Berücksichtigung der bekannten Unfallfolgen ausführt, der Kläger könne "maximal" sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche unter Berücksichtigung der auch von ihm aufgezeigten qualitativen Einschränkungen tätig sein, sind damit die Voraussetzungen der begehrten Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt (vgl. insoweit auch Gürtner, Kasseler Kommentar, Stand September 2013, § 43, Rn 34). Denn Erwerbsminderung liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn das Leistungsvermögen auf weniger als sechs Stunden am Tag begrenzt ist. Die Ansicht von Dr. G. geht daher fehl, wenn er meint, die von ihm angegebenen sechs Stunden rechtfertigten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei hat er sowohl telefonisch als auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.03.2009 bestätigt, dass er von einer maximalen Belastbarkeit von sechs Stunden am Tag ausgehe. Sofern er zum Ausdruck bringen will, er gehe von einer tagtäglichen Belastbarkeit in einem Zeitfenster von drei bis sechs Stunden aus (so könnte die ergänzende Stellungnahme auszulegen sein), vermag dies auch den Senat nicht zu überzeugen. Eine solche zeitliche Einschränkung haben in der Folge trotz Kenntnis der Einschätzung von Dr. G. weder die nachfolgenden Rehabilitationseinrichtungen noch die Sachverständigen Dr. H. und Prof. Dr. S. angenommen. Die Auffassung der Sachverständigen sieht der Senat zudem durch die Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL), welche an zwei Tagen im Juli 2007 durchgeführt worden war, in vollem Umfang bestätigt. Die arbeitsplatzbezogene Leistungsfähigkeit des Klägers war dort unter Berücksichtigung der durchgeführten Tests und damit in Abhängigkeit der festgestellten motorischen Einschränkungen und einer Schmerzselbstbeurteilung mit einer leichten bis mittelschweren Arbeit (bis 12,5 kg gelegentlich, max. zweimal pro Stunde) an sechs Stunden und mehr beurteilt worden, wenn diese überwiegend im Sitzen, zeitweise auch im Stehen und Gehen ausgeübt werden kann. Der Bericht vom 13.07.2007 führt aus, dass die arbeitsbezogenen Probleme vor allem in einem langen Stehen, in einem vorgeneigten Stehen und Gehen sowie einem häufigen Treppensteigen mit Gewichten bis zu 10 kg zu sehen sind. Ausdrücklich ist dort zudem festgehalten worden, dass die Selbsteinschätzung des Klägers im Vergleich zur getesteten Leistungsfähigkeit "zu tief" gewesen war. Der Senat sieht die Einschätzung von Dr. G., die im Wesentlichen auf den Angaben des Klägers beruht und nicht durch eigene Befunderhebungen und -beobachtungen gestützt wird, für widerlegt an. In diesem Zusammenhang sind auch die Angaben des Klägers zu würdigen, wenn er ausführt, allenfalls 10 Minuten ohne Anlehnen und mit Anlehnen/Auflehnen 20 Minuten sitzen zu können. Auch insoweit haben die EFL und die nachfolgenden Begutachtungen bei Dr. H. und Prof. Dr. S. anderes ergeben. Selbst die eigenen Einlassungen des Klägers widersprechen dem, wenn er angibt, selbst nicht länger als 30 Minuten Auto fahren zu wollen. Für das von Februar bis März 2010 dauernde Praktikum im Rahmen einer Berufsförderungsmaßnahme hatte der Kläger gegenüber Dr. H. angegeben, sogar 45 Minuten mit dem Auto täglich unterwegs gewesen zu sein. Zur Begutachtung bei Dr. H. betrug die Fahrzeit (staubedingt) 1,5 Stunden, die der Kläger ohne Pause als Beifahrer in einem PKW - sitzend - bewältigt hat. Sitzende Tätigkeiten sind dem Kläger daher deutlich länger zumutbar, als er dies einräumt. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die von allen Sachverständigen geforderte Möglichkeit des Haltungswechsels nur eine qualitative Einschränkung zu begründen vermag, nicht jedoch schon die zeitliche Limitierung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden. Die Einwendungen des Klägers gegen die Gutachten von Dr. H. und Prof. Dr. S. verkennen diesen Zusammenhang und gehen daher ins Leere. Dies gilt auch für die geltend gemachten Schmerzen. Mit den gehörten Sachverständigen lassen sich Schmerzen in einem Ausprägungsgrad, die leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der gemachten qualitativen Einschränkungen unmöglich machen, nicht nachweisen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Kläger die nach § 43 SGB VI zu erfüllenden Voraussetzungen zu verkennen scheint. Maßgeblich sind insoweit grundsätzlich auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung vortragen lässt, Probleme träten schon bei alltäglichen Belastungen wie Reifenwechsel, Schneeschippen und Putzen auf, gehen diese Tätigkeiten schon weit über das hinaus, was ihm durch die vorliegenden Gutachten, die Entscheidung der Beklagten und des SG zugemutet wird.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die auf orthopädischem Fachgebiet darüber hinaus vorliegende weitere Gesundheitsstörung, die Rotatorenmanschettenrissbildung, die im Januar 2008 operativ versorgt wurde (wobei eine Naht der Rotatorenmanschette nicht erforderlich gewesen ist), die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung auf weniger als sechs Stunden ebenfalls nicht rechtfertigt. Eine wesentliche Funktionseinschränkung war im Gutachten von Prof. Dr. S. insoweit nicht (mehr) festgestellt worden. Sofern man eine solche Einschränkung unterstellen wollte, ergäbe sich nichts anderes, da dann allenfalls noch von Einschränkungen im Hinblick auf dauernde Überkopfarbeiten auszugehen wäre, was im Rahmen der noch möglichen beruflichen Tätigkeiten zu berücksichtigen ist. Anderes ergibt sich desweiteren auch nicht wegen der von Prof. Dr. M. in einem Gutachten vom 04.06.2009 für die Württembergische Gemeinde-Versicherung a.G. S. festgestellten Schädigung des Nervus pudendus mit einer Blasen- und Mastdarmschwäche sowie erschwerter Erektion und Ejakulation. Die Urge-Symptomatik besteht nach den Ausführungen von Prof. Dr. M. ohne Inkontinenz und ohne die Notwendigkeit rascher Mastdarmentleerung, sodass sich diese auch nicht wesentlich auf eine rein zeitlich zu beurteilende Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirkt. Nichts anderes gilt für die ebenfalls beschriebene Sexualfunktionsstörung.

Auf psychiatrischem Fachgebiet hat Prof. Dr. S. überzeugend dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Depression nicht vorliegen, sondern vielmehr von einer Dysthymia mit unbewältigter Enttäuschung und Verbitterung über die Folgen eines schwerwiegenden Lebensereignisses und ein Verhaften in einer dauerhaften Opferrolle auszugehen ist. Darüber hinaus liegt eine anhaltend somatoforme Schmerzstörung mit übermäßiger Beschäftigung mit Schmerzen auch vor dem Hintergrund eines unbewältigten Konflikts (weiterhin Opfer zu sein oder verlorene Autonomie zumindest teilweise wieder zurückzugewinnen) vor. Diesen psychischen Gesundheitsstörungen kommt aber nur ein geringfügiger Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit zu, wie Prof. Dr. S. dargelegt hat. Eine posttraumatische Belastungsstörung liegt - im Gegensatz zu den Angaben des behandelnden Psychiaters - schon deshalb nicht vor, weil es an einem Vermeidungsverhalten fehlt (vgl. Diplom-Psychologin M.-S., Psychologische Evaluation, S. 94 d. Senatsakten, Diagnosen nach DSM-IV). Darüber hinaus waren im Rahmen der zweimaligen Untersuchung durch Prof. Dr. S. keine Symptome der Angst festzustellen. Eine Panikstörung infolge des Unfalles ist nach den Ausführungen in der Psychologischen Evaluation aktuell voll remittiert, was sich im Übrigen schon daran ableiten lässt, dass der Kläger wieder Auto und sogar - wenn auch nach eigenen Angaben nur eingeschränkt - Motorrad (vgl. insbesondere Angaben im Gutachten von Dr. H.) fährt.

Weitergehende Einschränkungen ergeben sich auch nicht aus den für die Württembergische Allgemeine Versicherung a.G. erstellten Gutachten. Die für eine private Haftpflichtversicherung erstellten Gutachten nehmen darüber hinaus zu der hier streitigen Rechtsfrage eines noch erhaltenen Leistungsvermögens von sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Stellung. Die Annahme von einer 70%igen Einschränkung steht der Annahme eines noch verbliebenen Restleistungsvermögens aber jedenfalls nicht entgegen. Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder Versicherte nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsunüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie § 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14). Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung meint die Fälle, in denen bereits eine einzige schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R, in Juris). Als Beispiel hierfür ist etwa die Einarmigkeit eines Versicherten zu nennen. Das Merkmal "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" trägt hingegen dem Umstand Rechnung, dass auch eine Vielzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. In diesen Fällen besteht die Verpflichtung, ausnahmsweise eine konkrete Tätigkeit zu benennen, weil der Arbeitsmarkt möglicherweise für diese überdurchschnittlich leistungsgeminderten Versicherten keine Arbeitsstelle bereithält oder nicht davon ausgegangen werden kann, dass es für diese Versicherten eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt oder ernste Zweifel daran aufkommen, ob der Versicherte in einem Betrieb einsetzbar ist (BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 5 RJ 64/02 R, in Juris).

Ausgehend hiervon liegt beim Kläger weder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Die vorliegenden Einschränkungen im Bereich der linken unteren Extremität und des Beckens sowie der Wirbelsäule stellen keine schwerwiegende Behinderung dar, die ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt, da hierdurch allein vorwiegend sitzende Tätigkeiten mit der Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltungen zu fordern sind. An solchen Tätigkeiten besteht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kein Mangel. Bei den bei dem Kläger zu berücksichtigenden qualitativen Einschränkungen handelt es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeit hinreichend Rechnung getragen werden kann. So sind die dem Kläger noch zumutbaren leichten körperlichen Arbeiten (z.B. Verpacken von Kleinteilen, Sortier-, Montier-, Etikettier- und Klebearbeiten) keine Arbeiten, die mit dem Heben und Tragen schwerer und mittelschwerer Lasten, mit Überkopfhaltung, mit überwiegendem Stehen und Gehen, mit dem Besteigen von Leitern und Gerüsten oder mit Wirbelsäulenzwangshaltungen verbunden sind. Die im Reha-Entlassungsbericht der Waldklinik Dobel nach der Wirbelsäulenoperation im September 2012 noch feststellbare Hypästhesie (Verminderung der Berührungs- und Drucksensibilität der Haut) im Bereich der rechten Daumenkuppe, sofern diese noch vorliegen sollte, steht dem nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Einschränkungen ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine Tätigkeit als Pförtner, wie von Dr. H. angesprochen, nicht zumutbar sein sollte.

Im Übrigen besteht auch keine Beschränkung hinsichtlich des zumutbaren Arbeitsweges, da der Kläger viermal täglich mehr als 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurücklegen kann. Dass er sich - für ein schnelleres Gehen - einer Gehhilfe bedient, steht dem nicht entgegen. Keiner der gehörten Sachverständigen - auch Dr. G. nicht - hat die Wegefähigkeit in Zweifel gezogen. Im neurologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. S. Dr. K. und Prof. Dr. M. vom 31.07.2008 für die Württembergische Gemeinde-Versicherung a.G. ist zudem vermerkt, dass der Kläger angegeben hat, mit Gehhilfe links ca. 2 km gehen zu können. Aufgrund der im Gutachten von Dr. H. (sicheres langsames Gangbild) wiedergegebenen Beschreibung ist der Senat der Überzeugung, dass die Wegefähigkeit nicht in rentenrechtlichem Ausmaß eingeschränkt war und ist. Dies kann aber letztlich auch dahinstehen, da der Kläger bestätigt hat, über einen PKW zu verfügen und auch Strecken bis zu 30 Minuten noch selbstständig zu fahren. Damit ist die Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes schon in einem ausreichenden Maß gewährleistet. Darüber hinaus ist ihm die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar (Dr. G., Bl. 60 SG-Akte).

Schließlich besteht auch keine Notwendigkeit für betriebsunübliche Pausen. Solche sind schon nicht im Rahmen der 2007 durchgeführten EVL als notwendig vermerkt gewesen, noch lässt sich eine solche nach Aktenlage für die Zeit danach begründen. Keiner der nachfolgenden Gutachter hat diese von Dr. G. beschriebene Notwendigkeit, immer wieder Pausen einlegen zu müssen, in denen er sich kurz hinlegen und ausruhen müsse, geteilt. Objektive Befunde für diese Einschätzung hat Dr. G. nicht angeführt. Sie beruhen offensichtlich allein auf den Angaben des Klägers, denen der Senat angesichts der Untersuchungen bei Dr. H. und Prof. Dr. S. nicht nähertreten kann. Insbesondere bei Dr. S. war die Notwendigkeit solcher Pausen trotz der zweimaliger Befragung und Untersuchung nicht aufgefallen. Die von ihm erhobenen Diskrepanzen und Inkonsistenzen von Befragung und Untersuchung des Klägers einerseits und den vom Kläger gemachten Angaben andererseits hat Prof. Dr. S. ausführlich ausgeführt (Bl. 77 ff. LSG-Akte). Sie belegen zudem, dass die vorgebrachten Einschränkungen, für die es keine objektiven Parameter gibt, nicht ausschließlich organischer Ursache sind, sondern Ausdruck der Verbitterung über den Unfall mit der nachfolgenden Kränkung. Im Übrigen sind solche Einschränkungen auch in den vorliegenden Gutachten für die private Haftpflichtversicherung nicht beschrieben.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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